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Kapitel VIII.
Weitere Betrachtungen über die einfachen Ideen.

§ 2. Philal. Was werden wir von den Ideen sagen, die privativen Beschaffenheiten entsprechen? Mir scheint, daß die Ideen der Ruhe, der Finsternis und der Kälte ebenso positiv sind, wie die der Bewegung, des Lichtes und der Wärme. Ich folge indessen, indem ich diese privativen Beschaffenheiten zu Ursachen positiver Ideen mache, nur der allgemein angenommenen Meinung: im Grunde aber wird es schwer zu bestimmen sein, ob es wirklich eine Idee gibt, die von einer privativen Ursache herstammt, bis man nämlich bestimmt hat, ob die Ruhe eher als Privation zu gelten hat, als die Bewegung.

Theoph. Ich hätte nicht geglaubt, daß man Anlaß hätte, an der privativen Natur der Ruhe zu zweifeln. Es genügt, damit Ruhe entsteht, daß man die Bewegung des Körpers aufhebt; für die Bewegung dagegen genügt es nicht, daß man die Ruhe aufhebt, vielmehr muß man hier noch etwas hinzufügen, was den Grad der Bewegung bestimmt. Denn der Bewegung ist die Gradabstufung wesentlich, während alle Arten Ruhe gleich sind. Etwas anderes ist es, wenn von der Ursache der Ruhe die Rede ist: denn diese muß, in der zweiten Materie oder Masse, etwas Positives sein Über die Unterscheidung zwischen der ersten und der zweiten Materie (welche letztere mit dem Begriff der »Masse« gleichbedeutend ist) s. das Specimen dynamicum, Band I, S. 260.. Ich möchte auch glauben, daß selbst die Idee der Ruhe privativ ist, d. h. daß sie nur in einer Verneinung besteht; allerdings ist der Akt der Verneinung selbst etwas Positives.

§9. Philal. Da die Eigenschaften der Dinge die Vermögen sind, die in uns die Perzeption der Ideen hervorrufen, so ist es zweckmäßig, sie voneinander zu unterscheiden. Es gibt primäre und sekundäre Eigenschaften. Die Ausdehnung, die Dichtigkeit, die Gestalt, die Zahl, die Beweglichkeit sind ursprüngliche und vom Körper untrennbare Eigenschaften, die ich primäre nenne.

§ 10. Sekundäre Eigenschaften dagegen nenne ich die Vermögen oder Kräfte des Körpers, gewisse sinnliche Empfindungen in uns oder gewisse Wirkungen in anderen Körpern hervorzubringen, wie z. B. das Feuer eine solche im Wachs hervorbringt, indem es dasselbe schmelzt.

Theoph. Man könnte, glaube ich, sagen, daß die Kraft, wenn man darunter etwas Intelligibles, deutlich Erklärbares versteht, unter die primären Eigenschaften zu rechnen ist; versteht man sie aber nur als sinnlich und als verworrene Idee, so muß man sie unter die sekundären Eigenschaften setzen.

§ 11. Philal. Diese primären Eigenschaften lassen erkennen, wie die Körper aufeinander wirken. Nun wirken die Körper, wenigstens soweit wir es begreifen können, nur durch Anstoß; denn es läßt sich nicht begreifen, daß ein Körper auf etwas wirken könne, was er nicht berührt, da dies ebensoviel wäre, als sich vorzustellen, daß er dort wirken könne, wo er nicht ist.

Theoph. Auch ich bin der Ansicht, daß die Körper nur durch Anstoß wirken. Indessen liegt in dem soeben vernommenen Beweis noch eine Schwierigkeit, denn nicht bei jeder Anziehung ist die Berührung ausgeschlossen, vielmehr kann, wie ich oben bei Erörterung der Härte gezeigt habe, eine Berührung und Fortbewegung eines Körpers ohne sichtbaren Anstoß stattfinden. Wenn es die Atome des Epikur gäbe, so würde ein Teil des Atoms, wenn er gestoßen würde, den anderen nach sich ziehen, – ihn also zugleich berühren und ohne Anstoß bewegen. Bei dieser Anziehung zwischen Dingen, die räumlich unmittelbar aneinandergrenzen, kann man aber nicht sagen, daß das, was ein anderes mit sich fortzieht, dort wirkt, wo es nicht ist. Dieser Grund würde nur gegen die Anziehung aus der Ferne streiten, die z. B. für die sogenannten vires centripetae (zentripetale Kräfte) gelten würde, die manche ausgezeichnete Gelehrte behauptet haben Die Theorie der Attraktion und die Annahme der zentripetalen Kräfte war, vor Newton, insbesondere von Kepler (Astronomia nova, (1609); Opera, ed. Frisch, III, 150ff.) ausgebildet und durch Roberval in seiner Schrift »Aristarchi Samii de mundi Systemate« (1644) weiter ausgeführt worden. Näheres bei Rosenberger, Isaak Newton und seine phisikalischen Prinzipien, Leipzig 1895, S. 135 ff..

§13. Philal. Bestimmte Partikeln verursachen, indem sie auf bestimmte Art unsere Organe treffen, in uns bestimmte Empfindungen von Farben oder Geschmäcken oder anderen sekundären Eigenschaften, welche das Vermögen haben, diese Empfindungen hervorzubringen. Daß Gott solche Ideen (wie die der Wärme) mit Bewegungen verknüpfen kann, mit denen sie keine Ähnlichkeit haben, ist nicht schwerer zu begreifen, als daß er die Idee des Schmerzes mit der Bewegung eines Stückes Eisen verbunden hat, das unser Fleisch zerteilt: einer Bewegung, der der Schmerz in keiner Weise ähnlich ist.

Theoph. Man darf sich nicht einbilden, daß Ideen, wie die der Farbe oder des Schmerzes, willkürlich und ohne Beziehung oder natürliche Verbindung mit ihren Ursachen sind; mit so wenig Ordnung und Vernunft zu handeln, ist nicht Gottes Gewohnheit. Ich möchte vielmehr sagen, daß auch hier eine Art von Ähnlichkeit stattfindet, die freilich nicht vollständig und sozusagen in terminis besteht, wohl aber eine funktionale Ähnlichkeit im Ordnungsverhältnis Im Original: »je dirois plustot qu'il y a une maniere de ressemblance, non pas entiere et pour ainsi dire in terminis, mais expressive, ou de rapport d'ordre«: die Ähnlichkeit besteht nicht zwischen den Gliedern der beiden verschiedenen Reihen (der Reihe der »Reize« und der der Empfindungen), sondern zwischen den Verhältnissen, die innerhalb jeder der beiden Reihen unter ihren Gliedern stattfinden.: in dem Sinne, in welchem eine Ellipse, ja auch eine Parabel oder Hyperbel in gewisser Beziehung dem Kreise ähnlich sind, dessen ebene Projektionen sie sind, weil zwischen dem projizierten Gebilde und seiner Projektion ein bestimmtes exaktes und natürliches Verhältnis besteht, sofern jeder Punkt des einen Gebildes gemäß einer bestimmten Beziehung einem Punkt des anderen entspricht. Dies beachten die Cartesianer nicht genug; und Sie haben ihnen diesmal mehr als gewöhnlich, und mehr als notwendig, nachgegeben.

§ 15. Philal. Ich bin der Ansicht und die Erscheinungen bestätigen es, daß die Ideen der primären Eigenschaften der Körper diesen Eigenschaften selbst gleichen, während die Ideen, die in uns durch die sekundären Qualitäten erzeugt werden, ihnen in keiner Weise gleichen.

Theoph. Ich habe eben bemerkt, daß sowohl bezüglich der sekundären, als bezüglich der primären Eigenschaften Ähnlichkeit und genaue Beziehung stattfindet. Es ist vernunftgemäß, daß die Wirkung ihrer Ursache entspreche, und wie kann man das Gegenteil behaupten, da man beispielsweise weder die sinnliche Empfindung des Blauen, noch die Bewegungen, welche sie hervorrufen, genau kennt? Allerdings ähnelt der Schmerz nicht der Bewegung einer Nadel, er kann aber sehr wohl den Bewegungen, die diese Nadel in unserem Körper verursacht, ähnlich sein und diese Bewegungen in der Seele zum Ausdruck bringen, – wie er dies meiner vollen Überzeugung nach auch wirklich tut. Deswegen sagen wir auch, daß der Schmerz in unserem Körper und nicht in der Nadel ist, während wir andererseits sagen, daß das Licht im Feuer ist, weil das Feuer Bewegungen enthält, die zwar gesondert nicht deutlich wahrnehmbar sind, die aber in ihrer Vermischung oder Verbindung wahrnehmbar werden und sich uns in der Idee des Lichtes darstellen.

§21. Philal. Wenn aber zwischen dem Gegenstand und der sinnlichen Empfindung eine natürliche Beziehung bestünde, wie könnte es dann geschehen, daß, wie wir in der Tat wahrnehmen, das nämliche Wasser der einen Hand warm und der anderen kalt erscheinen kann? Auch dies zeigt, daß die Wärme ebensowenig im Wasser, als der Schmerz in der Nadel ist.

Theoph. Das beweist höchstens, daß die Wärme keine völlig unabhängige, sinnlich empfindbare Qualität oder Kraft ist, sondern daß sie relativ zu den Organen ist, die ihr entsprechen: eine Eigenbewegung der Hand kann sich also hier einmischen und die Wirkung verändern. Auch das Licht erscheint Augen von schlechter Beschaffenheit nicht, und wenn sie selbst schon von starkem Licht erfüllt sind, ist ein schwächeres für sie nicht empfindbar. Selbst diejenigen Eigenschaften, die Sie primäre nennen, wie z. B. die Einheit und die Zahl, werden nicht immer richtig aufgefaßt: denn wie schon Descartes erwähnt hat, erscheint eine Kugel doppelt, wenn man sie mit den Fingern auf bestimmte Art berührt, und fazettiert geschliffene Spiegel oder Gläser vervielfältigen den Gegenstand. Daher trifft der Schluß, daß das, was nicht immer in gleicher Weise erscheint, keine Beschaffenheit des Gegenstandes sein könne und daß sein Bild ihm nicht ähnlich sei, nicht zu. Was die Wärme anbetrifft, so macht sich, wenn unsere Hand sehr heiß ist, die nur geringfügige Wärme des Wassers für sie nicht bemerklich, ja sie mäßigt vielmehr die Wärme der Hand, so daß das Wasser uns kalt erscheint: so wie das Salzwasser des Baltischen Meeres, wenn es mit dem Wasser des Portugiesischen Meeres gemischt wird, dessen spezifischen Salzgehalt vermindert, obgleich das erstere selbst salzhaltig ist. Man kann also in gewisser Hinsicht sagen, daß die Wärme dem Wasser eines Bades angehört, obwohl es jemand geben kann, dem es kalt erscheint, wie auch der Honig schlechthin süß und das Silber schlechthin weiß genannt wird, wenngleich manchen Kranken der eine bitter, das andere gelb erscheint, denn die Bezeichnung richtet sich nach dem gewöhnlichsten Fall. Immerhin werden bei normaler Beschaffenheit des Organs und des Mediums die inneren Bewegungen und die Ideen, durch die sie in der Seele dargestellt werden, den Bewegungen des Gegenstandes, durch die die Farbe, die Wärme, der Schmerz usw. verursacht werden, gleichen oder, was hier auf dasselbe hinauskommt, sie nach einem ziemlich genauen Verhältnis zum Ausdruck bringen, wenngleich dieses Verhältnis von uns nicht deutlich erfaßt wird, weil wir die Menge kleiner Eindrücke, die hierbei in Betracht kommen, weder in unserer Seele noch in unserem Körper, noch in den äußeren Objekten zu entwirren vermögen.

§24. Philal. Wir sehen die Eigenschaft der Sonne, das Wachs zu bleichen und zu erweichen, den Kot dagegen zu härten, nur als einfache Vermögen an, ohne in der Sonne etwas anzunehmen, was dieser Weiße und Weichheit oder dieser Härte gleicht: die Wärme aber und das Licht werden gemeiniglich als wirkliche Eigenschaften der Sonne betrachtet. Erwägt man indessen die Sache wohl, so sind die Eigenschaften des Lichts und der Wärme, die ja Perzeptionen in mir sind, auf keine andere Art in der Sonne, als es die Veränderungen des Wachses sind, wenn es gebleicht oder geschmolzen wird.

Theoph. Diese Lehre haben einige so weit getrieben, daß sie uns haben überreden wollen, jemand, der die Sonne berühren könnte, würde darin gar keine Wärme finden. Die nachgeahmte Sonne, die sich im Fokus eines Spiegels oder eines Brennglases fühlbar macht, kann diesen Irrtum widerlegen. Was aber die Vergleichung zwischen dem Vermögen des Erwärmens und dem des Schmelzens anbetrifft, so wage ich zu behaupten, daß das geschmolzene oder gebleichte Wachs, wenn es Empfindung hätte, etwas Ähnliches empfinden würde, wie wir, wenn die Sonne uns wärmt, und daß es also, wenn es sprechen könnte, die Sonne heiß nennen würde: nicht als ob seine Weiße der Sonne gliche (denn sonst müßte auch das Braune sonnengebräunter Gesichter ihr gleichen), sondern weil im Wachs Bewegungen vor sich gehen, die denen der Sonne, durch die sie verursacht werden, entsprechen. Seine Weiße könnte aus einer anderen Ursache stammen, nicht aber die Bewegungen, die in ihm entstanden sind, als es jene von der Sonne empfing.


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