Joseph Lauff
Frau Aleit
Joseph Lauff

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XXIII Kurz zuvor

Es war wie ein unendliches, schwelendes Torfmoor. Weit jenseits glomm ein düsterer, glutroter Streifen, dem ein beängstigendes Leuchten voranlief. Und das Leuchten ging über die Grasnarbe der unheimlichen Stätte, aus deren Grund Dämpfe aufstiegen und zuckende Flämmchen. Tief unten brannte ein verzehrendes Feuer. Es brannte nicht eigentlich, glumste und schwelte nur, machte aber doch rechtschaffene Arbeit, denn es hatte bereits das ganze Land unterlaufen, wo Torf war, und saures Gras im Winde raschelte und sich traurig bewegte. Nur eine trügerische Decke lag darüber gespreitet. Keines Menschen Fuß wagte sie zu betreten, keine Spur eines Tieres ließ sich darauf sehen, denn die Fläche wellte sich und atmete einen todbringenden Hauch aus.

Und doch gingen zwei Menschen darüber: Gert Liffers und Aleit . . . und sie gingen immer weiter und weiter über die sündige Scholle und den wankenden Grund des Verderbens. Er hatte seinen Arm um ihre Schultern gelegt und sie an sich gezogen. Und sie schien von Floren umhüllt, die der Abendwind gegen das Licht des westlichen Himmels anblies. Nicht wissend, wohin der Weg sie führte und wie das enden würde, wandelten sie dem düstern Streifen entgegen, aus dessen Rissen ein Gebilde sich aufhob, das mit einer gestreckten Hand Ähnlichkeit hatte. Sie aber bemerkten die Hand nicht, denn sie gingen teilnahmlos, nur mit ihren Gedanken beschäftigt und mit geschlossenen Augen.

Eine barmherzige Ohnmacht umfing sie – und dennoch erinnerte sich Aleit an die Einzelheiten ihrer Leidensgeschichte, aber sie erinnerte sich daran, als läge zwischen dem Heute und der sündigen Stunde eine unendliche Wegestrecke und nicht die kurze Spanne von nur wenigen Monden. Sie sah alles mit andern Augen, und dieses Sehen, durch das stille Bewußtsein verklärt, mit ihm durch unlösliche Fesseln verbunden zu sein, warf ein mildes Licht auf ihre gemarterte Seele und führte sie immer weiter in die Begebenheiten von vergangenen Tagen, wo sie glücklich gewesen, und das Leben sie noch nicht angetastet hatte mit ekelhaften Fingern, um ihr Stück für Stück aus dem Kranz der Freude zu nehmen. Ja, sie erinnerte sich – und sie stand wieder mit Gert zwischen den blühenden Wiesen, wo die Gräser flüsterten, und die Wolken unter dem Himmel gingen, als seien es Tiere aus der Arche Noah gewesen. Und Gert hatte verbundene Händchen, und die Glocken läuteten über den Wald hin, und dann schloß sie die nußbraunen Augen und spitzte ihr Mündchen – und dann wieder klapperten ihre Holzpantöffelchen über den Deich fort . . . Im kleinen Magistergarten schlug ein Buchfink, tiefer zwischen den Bäumen ein zweiter, und es gab Nelken auf den Rabatten, die Feuerbohnen blühten, und im Stadtgraben schwammen die Wasserrosen mit bleichen Gesichtern – und Tränen lagen darin . . . und dann war das Abschiednehmen gekommen . . .

Sie riß die Augen auf mit einem schmerzlichen Lächeln, das plötzlich erlosch. Mit unerbittlicher Genauigkeit hatte sie alles gesehen. Aber sie wollte nicht mehr sehen. Der Gedanke an den Tod hatte sie ergriffen.

»Wohin gehen wir?« fragte sie schaudernd.

»Wohin die Liebe uns führt.«

»Und immer zusammen?«

»Ja – immer zusammen.«

Und sie gingen weiter über das schwelende Torfmoor, über die sündige Scholle und den wankenden Grund des Verderbens. Und der Abendwind kam stärker gegangen und blies ihren Schleier ungestümer gegen den Himmel. Der glutrote Streifen, der dicht über dem Horizont lag, dunkelte vor dem fliegenden Webwerk. Nur die Hand ließ sich nicht scheuchen. Sie wuchs über ihn fort und streckte zwei Finger nach oben.

Da begann der Boden unter ihren Füßen zu wanken . . .

* * *

Mit dem Wachsen der neuen Deichanlage beim Leeloch verminderte sich allgemach das Interesse an den traurigen Ereignissen, die über Land und Leute der Niederung gekommen waren und besonders den Fingerhutshof heimgesucht hatten. Je weiter das Korn in Halm und Ähren schoß, um so weniger sprach man von den tiefen Wunden, die das Schicksal geschlagen, von den Verstorbenen, die eingegangen waren in den ewigen Frieden. Man ließ Gras drüber wachsen und den lieben Gott für das weitere sorgen. Die Ereignisse sind kurzlebig, haben keinen langen Atem – sind Eintagsfliegen, die absterben, wenn das grelle Licht der Neugierde sich sattsam mit ihnen beschäftigt. Die Testamentsangelegenheit freilich hatte die Gemüter länger in Aufregung gehalten, wie es wohl sonst zur Tagesordnung gehörte, und man hatte sich eigentlich darüber gefreut, daß das Konsortium aller Wahrscheinlichkeit nach um das erschlichene Erbe gekommen war und den verschiedenen Besitztiteln nachpfeifen konnte. Bald darauf wurde auch dieses wieder vergessen. Man ging mit der Schnelligkeit von Kankerspinnen auch über dieses Skandälchen hinweg und begnügte sich damit, Gert Liffers und Aleit als Versprochene zu wissen, die sich heiraten würden, wenn die vorgeschriebene Zeit der Trauer vorüber, und die Kinder wieder ins Holz gingen, um Veilchen zu suchen. Die Welt nahm seit vierzehn Tagen ihr alltägliches und arbeitsames Gesicht an. Der Viehweidshöfer hatte seine ersoffenen Milchkühe und Rambouilletböcke verschmerzt, besichtigte häufig die neuen Deichanlagen, die sich immer mehr aus dem Tiefland erhoben, schüttelte dem Deichgrafen die Hand und versprach mit ihm gute Nachbarschaft zu halten, wenn übers Jahr alles perfekt sei. Hannibal Pinsgen hantierte wieder hinter der Theke, trug seine obligate Sackleinewandschürze und bediente in alter Gewohnheit den Petrus Nagelschen Marstall. Sein platonisches Verhältnis zu Madam Mömmes war dasselbe geblieben. An schönen Julitagen saß Lisbeth auch wieder breitbeinig und mit perlbestickten Pantoffeln vor der Haustür, amtierte zwischen ihren Hühnchen und Hähnchen, und die Babbeltjes-Lena rollierte wie sonst, zog ihre Babbelatjes unter Hinzutun der nötigen Spuckbeilage wurmartig aus, brachte sie unter die Kinder und ließ im übrigen Gottes Wasser über Gottes Acker dahinlaufen. Denn bei Lichte besehn: was kümmerte sie auch nur im Geringsten das Schicksal der andern Leute? Mochte sterben, wer sterben wollte, wenn der Tod nur für sie nicht sein ›hölzern Gelächter‹ anstimmte und sie aufforderte, mit ihm so'n kleines Tänzchen im letzten Hemd zu riskieren. Nein – sie hatte gar keine Eile, konnte noch warten, und sie würde sich auch dann noch bedenken, wenn sie hundert Jahre geworden. Und das Grapsige der übrigen Menschen?! – Das konnte ihr absolut nicht gefallen. »Allens mit Ruhe, allens mit Andacht – un nähre Dir redlich!« – Gott sei gedankt! – das hatte sie immer hoch gehalten im Leben, hatte nie gelüstet nach des Nächsten Magd, Ochs, Esel und allem, was sein ist – und so war ihr denn auch keine Erbschaft an der Nase vorbeigegangen. Mit diesen Betrachtungen ging denn auch sie von den bösen Geschehnissen zur Tagesordnung über, bestreute ihre Babbelatjes mit Zucker und lobte Gott den Herrn und ihre eigne Ware. Für Fritze Sötentitt aber waren schlimme Tage gekommen. Er hatte überreichliche Muße, sich mit der Theorie der Wandelbarkeit des Glücks ins Einvernehmen zu setzen, da sein mißgelaunter Bureauchef wieder in seine altgewohnte Praktik verfiel und ihn mit Püffen und Aktendeckeln traktierte. – Nichts ist beständig auf dieser Erde, selbst die Laune eines königlichen Notariatssekretärs nicht, der sehen mußte, wie zwanzigtausend preußische Taler Beine bekamen und vorbeilaufen wollten. – So war denn alles wieder in Schick und Richte gekommen, und die Leute fanden sich im allgemeinen ab mit den geschehenen Dingen.

»Wir wollen vergessen,« sagten die meisten.

Vergessen . . .?! – da waren sie aber an die falsche Adresse gekommen, denn die geschädigte Partei dachte gar nicht daran, ihr gutes Recht in die Bohnen zu schicken. Sie kämpfte im stillen, aber dafür mit verbissener Wut und mit der Hartnäckigkeit eines englischen Pintschers. Gleich nach der empfindlichen Abfuhr betrieb sie unter dem Vorsitz des Gemaßregelten ihre bösen Geschäfte und machte spitzfindige Arbeit. Alte Aussagen vom Donnerjü wurden zusammengetragen, seine Äußerungen hinsichtlich des ehelichen Verkehrs mit Aleit gebucht, das Für und Wider erwogen, bis schließlich der Herr Notariatssekretär soviel Material hinter sich hatte, um mit einem gewissen Erfolg die Feder ergreifen zu können. In achttägiger Maulwurfsfron, während welcher er sich noch durch die Wirrnis der Gesetzesparagraphen hindurchgrub, stellte er alsdann eine dickleibige Anfechtung im Brouillon fertig, schrieb sie säuberlich ab, setzte noch seinen Namen darunter und sandte sie im Auftrag der Erbberechtigten dem Klever Gericht ein, und zwar kraft der Behauptung, daß das zu erwartende Kind nicht dasjenige von Barthes van Laak sei, sondern im Ehebruch erzeugt wäre und somit auch nicht geeignet erscheine, die testamentarische Verfügung illusorisch zu machen. Die zuständige Behörde reagierte darauf. Der Antragsteller wurde dementsprechend beschieden. Der Beweis der Wahrheit sei anzutreten – von Rechts wegen und im Namen des Königs.

»Können wir,« sagte der unbefleckte Empfänger – und da er dies sagte, war der Roggen da draußen in die erste Milchreife getreten. –

Eines Sonntags saß Mutter Lisbeth in ihrem Hinteren Zimmer. Es ging auf Schlafenszeit, denn die Kuckucksuhr und mit ihr die übrigen Uhren im Armenhof hatten bereits ein Viertel vor zehn gemeldet. Fenster und Türen standen noch immer geöffnet. Ein warmer Geruch nach Goldlack und Sommerlevkojen einte sich dem angenehmen Duft eines weißen Rosenbuketts, das die behäbige Frau vor dem gipsernen Aloysius von Gonzaga placiert hatte. Sie selber las noch in den ›Blüten der christkatholischen Andacht‹, eine löbliche Sitte, die sie nie außer acht ließ, bevor sie ins Bett ging. Gläubigen Herzens betete sie die sich selber gestellte Portion von Seiten herunter, wendete die Blätter mit angefeuchtetem Daumen und war so in Betrachtung versunken, daß sie auch nicht das geringste bemerkte, was um sie vorging.

Der taube Christ van de Lucht, der erst gegen Morgen eine Hand voll Schlaf in die Augen nahm, stand noch mit Pfeifchen und Zipfelmütze hinter seinen Meerzwiebeln und Nachtviolen am geöffneten Fenster und sah auf die Straße hinaus. Die lauliche Sommernacht hatte eine eigentümliche Dämmerhelle ausgetan. Die gegenüberliegende Häuserzeile war deutlich erkennbar. Christ van de Lucht hatte Augen, die denen der Babbeltjes-Lena nur um weniges nachgaben. Er sah besser, wenn die Fledermäuse und Nachtfalter flogen als bei hellichtem Tage, und die Leute behaupteten von ihm, daß es ihm ein leichtes sei, selbst durch geschlossene Fensterläden zu dringen und alles auszuspionieren, was eigentlich nur in den Bereich der traulichen Lampe gehörte. Er bemerkte denn auch, wie sich nach einiger Zeit die blitzblau angestrichene Tür am gegenüberliegenden Häuschen öffnete, und ein hoher Schatten herauskam, der die Straße querte, über das Pflaster zu schweben schien und sich lautlos auf das Portal des Armenhofes zu bewegte.

»So spät noch?« fragte sich das verhutzelte Männchen und gab sich Betrachtungen hin, welche Bewandtnis wohl mit dem späten Kommen verknüpft sei.

Inzwischen war der Schatten näher und näher geschwebt und hatte auf weichen Selfkantpantoffeln das Hintere Zimmer betreten.

Madam Mömmes hörte und sah nicht. Ihre Gedanken waren bei Gott und auf der letzten Seite des interessanten Kapitels, das sich mit den Vorzügen einer seligen Todesstunde beschäftigte und dazu angetan war, einen sanften und erquicklichen Schlaf zu verbürgen. Sie betete denn auch so recht aus inbrünstigem Herzen – als sie plötzlich eine kalte Hand auf ihrer Schulter verspürte.

»Tag, Madam Mömmes.«

Mit einem heiseren Schrei fuhr denn auch Mutter Lisbeth von ihrem Buch auf, drehte sich um und sah entsetzt in das hohläugige Gesicht der Frau Notariatssekretärin.

»Um tausend Gotteswillen!« bangte sie sich bis in die Wollstrümpfe hinein, »man kriegt ja zuviel, wenn Sie so heimlich hereinkommt.«

»So?« fragte die Lange.

»Ja – man is doch auch nur ein Mensch un hat keine Augen von hinten, un das weiß Sie doch selber: die Lichtjungfer is doch auch bloß aus purem Schreck gestorben un konnte es doch mit drei Mannsmenschen aufnehmen.«

»Weiß ich,« bestätigte Sophie, »aber ich hatte es eilig und konnte mich nicht vorher ordentlich anmelden lassen.«

»Eilig?« fragte die Dicke, »wo Sie seit Methusalemszeiten nich mehr in diesem Hause gewesen?! – Un wie Sie nu kommt, da kommt Sie heimlicherweise, zu schlafender Nachtzeit un auf Ihren duckmäuserischen Selfkant- Pantoffeln. Wo hat Sie nur in all den vierzehn Tagen gestochen? Man is ja nich neugierig – aber man hat doch Interesse an Ihr un möchte gern so'n bischen wissen, was eigentlich los is, wie's mit die Angelegenheit steht, ob Sie geerbt hat oder nich, un wie Sie sich persönlich in Ihrem besonderen Falle befindet, denn Sie is doch sozusagen gesegnet vom Himmel.«

»Gesegnet?!« erstarrte die Frau Notariatssekretärin, stierte wie geistesabwesend ins Licht, ließ sich dann mit einem herzzerreißenden Seufzer auf einen Binsenstuhl fallen und meinte: »War ich, bin ich einmal gewesen, meine liebe Frau Mömmes.«

»Um Gott nich – wieso denn?!«

»Tippe Sie nicht an diese Geschichte, meine liebe Frau Mömmes. Ich muß einen schönen Traum von Mutterglück und Mutterliebe begraben. Furchtbar – sich so täuschen zu müssen! – und der Kinderwagen war schon in Bestellung gegeben.«

»Also nur ein phantusmagoranischer Zustand gewesen?«

»Ja – aber der Ärger, meine liebe Frau Mömmes! – So'n richtiger Ärger kloppt die feinste Hoffnung zusammen, als wenn's Erbsenstroh wäre.«

»Un da is Sie also gewissermaßen wieder in 'ne ledige Ehe gekommen?«

»Bin ich; ich habe entsagt und den geglaubten Zustand auf dem Altar der christkatholischen Demut geopfert.«

»Das is nobel von Ihr,« sagte die Dicke, »un das wird notiert im himmlischen Anschreibebuch.«

»Ist es schon,« entgegnete Sophie mit leuchtenden Blicken, »denn der Herr läßt seine Dienerin nicht in Ungnade fahren. Sieht Sie mir denn gar nichts an, meine liebe Frau Mömmes?«

»Das ich nich wüßte.«

»Dann muß ich es sagen: das Gericht hat dahinter gegriffen.«

»Wo hinter?«

»Hinter die Erbschaft.«

»Wieso denn?«

»Weiß Gott, Madam Mömmes,« sagte die Frau Notariatssekretärin mit wehleidigem Ausdruck, »ich und Sulpiz, wir wollen uns nicht an unrechtem Gut die Finger verbrennen und haben immer den Standpunkt vertreten: laß die Hände aus andermanns Sachen. Wir haben uns nicht an einer Wanze vergriffen, wenn wir wußten, daß sie fremden Leuten gehörte – aber wenn der Notar sein Siegel unter 'ne Sache gesetzt hat, so ist das, wie Sulpiz sich ausdrückt, im Namen des Königs geschehen und muß estimiert werden von den übrigen Menschen, selbst wenn es ihnen nicht paßt und ein Haar für sie in der notariellen Suppe herumschwimmt.«

»Stimmt,« nickte die Dicke.

»Aber sie tut's nicht.«

»Wer nich?«

»Die Aleit.«

»Na, so was! – und da is sie, ich meine, was die Gegenpartei is, an die Gerichte gegangen?«

»Sind wir,« bestätigte Sophie, »und wenn Sulpiz was aufsetzt, dann wissen die Herren in Kleve schon, wie sie sich ihm gegenüber zu benehmigen haben. Und die Herren kommen dahinter, denn sie kucken bis in die hintersten Falten des menschlichen Herzens. Sie decken alle Geheimnisse auf, sie haben Termin angesetzt, um der heiligen Kirche, den beiden van Bommels und den übrigen Erben ihr Recht zu verschaffen. Und darum bin ich jetzt noch extra gekommen, um Ihr das mitzuteilen, meine beste Frau Mömmes.«

»Das is mehr wie honorig, meine liebe Frau Notariatssekretärin,« entgegnete Lisbeth. »Un da glaubt Sie selber, daß die angerührte Milch ordentlich buttert, un so'n wirklicher, appetitlicher Happen herausspringt?«

»Wieso?!« erstaunte sich Frau Knippscheer. »Aber um tausend Gottes willen! – wie Sie selber sagen, meine liebe Frau Mömmes – Sie kennen doch Stina noch?«

»Die aus dem Jungfernverein mit die ferkelblonden Haare?«

»Ja – die das Vorwerk geerbt hat.«

»Kenn' ich,« entgegnete Lisbeth.

»Und da muß Sie auch wissen, daß es Barthes van Laak in den letzten zwei Jahren immer mit diesem Frauenzimmer gehalten?«

»Weiß ich.«

»Und daß er selber mit Aleit . . .«

»Is mir zu scharnierlich zu hören,« wehrte die Alte ab und sah hilfesuchend auf das weiße Rosenbukett und den gipsernen Aloysius von Gonzaga.

»Aber da liegt ja der Hase im Pfeffer, den die Herren vons Gericht herausfingern müssen.«

»Schweige Sie still, Madam Knippscheer; ich kann es nich hören!«

»Denn nicht,« sagte die Lange und schlug mit ihrer wächsernen Hand auf den Tisch, daß Lisbeth ordentlich zusammenfuhr, »und da will dieses Fraumensch behaupten und uns weiß machen wollen . . .«

»Himmlischer Vater . . .

«Ja – behaupten und weiß machen wollen,« konstatierte die Lange, »denn sie ist meinem armen Sulpiz so rührsam und ehrlich mit ihrem zukünftigen Mutterglück vor Augen getreten, als wäre sie die Frau des Oberpriesters Zacharias gewesen.«

»Das is aber 'ne kurjose Geschichte!«

»Nur kurjos, meine liebe Frau Mömmes?! – Ein Gottesraub ist's, so wahr ich hier sitze und die ›Blüten der christkatholischen Andacht‹ bekucke, denn sie will ihren jetzigen Zustand benutzen, uns das Testament aus den Fingern zu spielen, den Kerl in unser Eigen zu bringen und mit ihm unser Brot zu essen, bis sie ersticken im Fett, und die ganze Prostemahlzeit verzehrt ist. Ja, behaupten und weiß machen wollen – das will sie, das Fraumensch; mit ihren interessanten Verhältnissen uns schlankweg betuppen, das möchte sie gern – aber mein Sulpiz . . .«

»Frau Notariatssekretärin,« streckte Lisbeth Mömmes die Hand aus, »bevor Sie weiter erzählt, zuerst eine Frage.«

»Bitte.«

»Un Sie nimmt's mir nich übel?«

»I, Gott bewahre, meine liebe Frau Mömmes!«

»Dann möchte ich wissen: is das, was Sie bis jetzt alles gesagt hat, purste Wahrheit oder man bloß Ihr eigener Instinktus?«

»Purste Wahrheit.«

»Un da will Sie mit anderen Worten behaupten un durch so'n wirkliches Gericht festgelegt wissen, daß Aleit van Laak . . .«

»Ja!« schrie die Lange mit ihrer gläsernen Stimme so häßlich über den Tisch weg, daß Lisbeth sich entsetzt umsah, ob vielleicht jemand anders gerufen, denn es hatte zu infam und niederträchtig geklungen.

»Aber warum denn?« fragte sie mit einer gewissen Beklemmung, denn nachgerade war es ihr unheimlich in Gegenwart der Langen geworden.

»Warum denn?!« warf ihr diese entgegen, sprang auf und schwebte, als wenn sie keine Beine besäße, zwei Schritte vorwärts. In ihrem hohläugigen Gesicht begann es zu leuchten.

»Na, höre Sie mal – das ist doch nicht so schwer zu kapieren!« schraubte sie ihre durchdringende Stimme noch höher. »Das kommt – wie es überhaupt kommt im menschlichen Leben. Wo Rauch ist, da brennt was, wo's windet, da weht was, und wo ein leichtfertiges Fraumensch seine Schürze heraushängt, da werden die Mannsleute mobil, denn ein Weib ohne Zucht ist wie'ne Sau mit 'nem goldenem Nasenring – und bei der da dahinten: mit neumodische Hemden hat's angefangen, und mit 'nem regulären Ehebruch hat sie ihre Litanei und ihr Sündenregister beschlossen. Strich drunter – ich kann's anders nicht machen, meine liebe Frau Mömmes.«

»Un das will Sie beweisen, un das kann Sie beweisen?«

»Beweisen?!« rief Sophie mit einem schrillen Gelächter. Der taube Christ van de Lucht mußte es hören. »Beweisen – wo schon das hohe Gericht dahinter gegriffen?!«

Mit einem häßlichen Grinsen tippte sie ihrer Partnerin gegen die Schulter, reckte den Gänsehals aus und sah mit einer giftigen Frage Madam Mömmes ins Auge: »Sie gehört auch wohl in die Familie des ungläubigen Thomas? – Hä!«

Lisbeth schauderte. Sie verwünschte die Lange mit ihrem bedrohlichen Wesen in die siebente Hölle.

Sophie war näher getreten.

»Hä! – sonst könnte Sie eine so dumme Frage nicht stellen,« ergänzte sie mit demselben Lachen von eben, knöchelte mit ihren wächsernen Fingern auf dem Tisch herum, indem sie die Worte ausstieß: »Alles kömmt an das Licht des allmächtigen Gottes – alles – alles – alles . . .

»Höre Sie auf,« hielt sich Lisbeth die Ohren zu, »man stirbt ja vor Schreck, bevor man noch die letzte Zehrung bekommen!«

»Nein,« dekretierte die Lange. »Auf die Zeugenbank gehören alle zwei beide – und der Mannskerl soll schwören, wo er beim nächtlichen Deichbruch gewesen, und das Fraumensch soll schwören, mit wem sie's gehalten . . . und dann wollen wir sehn, was bei der ganzen Geschichte herauskommt, und ob wir unsere zwanzigtausend Taler nicht kriegen. Und das mußte von der Leber herunter, das mußte ich sagen – und halte mich hiermit bestens empfohlen, meine liebe Frau Mömmes.«

Lautlos, wie sie gekommen, ging sie auch wieder der Tür zu, kam aber nochmals zurück und brachte noch so ganz unbefangen zur Sprache: »Und es kann Ihr selber passieren, daß Sie auch noch als Zeuge vors hohe Gericht muß, denn Sie kennt doch ebenso gut wie ich die Sache von den neumodischen Hemden, denn damit hat's angefangen, meine liebe Frau Mömmes.«

Jetzt ging sie wirklich. Geräuschlos schlich sie durch die langen Gänge nach draußen. Lisbeth stand sprachlos.

»Als Zeuge nach Kleve . . .?!«

Das war zuviel für die sonst so resolute Dame. Sie so in Angst und Schrecken zu jagen – das war entschieden nicht nobel von der Frau Notariatssekretärin gewesen! Überhaupt – was brauchte sie ihr mit so gruseligen Dingen zu kommen? Sie wollte ja nichts im Leben, als Ruhe und Frieden und höchstens noch eine gute Tasse Kaffee mit Zwieback. Zum ersten Male zweifelte sie an der lauteren Gesinnung ihrer bisherigen Freundin. Sie hatte die Begierde nach Geld und Gut hinter ihrer niedrigen Stirn wachsen sehen und keine Spur von wirklicher Nächstenliebe gefunden. Nein – das konnte ihr ganz und gar nicht gefallen. Und dann das Benehmen! – So unheimlich wie am heutigen Abend war sie ihr noch niemals begegnet.

Madam Mömmes sah sich um und um.

Sie konnte die Angst nicht mehr los werden, schloß eiligst Fenster und Tür ab und kleidete sich aus, um so schnell wie möglich unter die Decke zu kommen.

Alles kam ihr so seltsam und fremd vor. Es war unheimlich in dem geräumigen Zimmer. So ganz allein zu sein! – Und ihr eigener Schatten machte so sonderbare Männchen an der gekalkten Decke da oben. Was der nur haben mochte?! – Hilfesuchend sah sie sich nach einem wirklichen Schutz um. Der heilige Aloysius fiel ihr ins Auge.

»Heiliger Aloysius, hilf mir!« sagte sie flehend, ergriff ihn, löschte das Licht aus und sprang mit dem gipsernen Mann unter die Decke.

Jetzt hatte sie die ersehnte Ruhe gefunden.

Im Armenhof ward's still, und freundlich sah das bleiche Mondlicht ins Zimmer.

 


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