Joseph Lauff
Frau Aleit
Joseph Lauff

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XIII Krispinus kommt wieder

Was ich gesagt hab',« meinte der Pferdeknecht mit dem eingetrockneten Gesicht, »es kam, wie es kommen mußte; der Deichvogel hat mal wieder richtig gewahrsagt; 'ne Hand voll Kirchhofserde . . . Stimmt schon: Stina ist mit ihrer Tulpenkiste ausgerückt, der Baas und die Madam gehn ja nu wieder zusammen, aber das kleine Threschen wird nicht mehr lebendig. Wollen jetzt man die Pferde vor die Glaskutsche spannen.«

Ein Dienstmädchen brachte eine weiße Pappschachtel.

»Ignaz, hier ist Flor für die Schwepp und für die Wagenlaternen.«

»Merci.«

Weinend begab sich das Mädchen wieder ins Herrenhaus, wo Buchsbaum gestreut war, und die mit grauen Läden verstellten Fenster aussahn, als wären sie starblind geworden. Die Haustür stand sperrangelweit geöffnet. Im Flur ordnete ein halbwüchsiger Junge Narzissen- und Primelkränze.

Es roch nach Buchsbaum und zerschnittenem Kalmus, ein intensiver Geruch, der durch die Sabbathstille, die im Hause herrschte, ein noch ganz besonderes Gepräge bekam. Den Perpendikel in der großen holländischen Standuhr hatte man angehalten und über den neumodischen Spiegel, der fast die ganze Schmalseite der Guten Stube einnahm, ein Musselintuch gezogen. Es war eine alte Gewohnheit, denn der Tote hat es nicht gern, wenn eine Uhr geht und eine unbehangene Spiegelscheibe über ihn fortsieht.

Die Lichtjungfer, die hier ihres Amtes waltete, hielt streng darauf; sie gab den Abgeschiedenen, was den Abgeschiedenen zukam – kein Titelchen durfte dran fehlen.

Jetzt saß sie mit ihrem süßlichen Gesicht und ihren süßlichen Manieren in der Küche, behauptete, daß das von ihr Angeordnete Totenrecht wäre, erzählte allerhand gruselige Geschichten, die bei Nichtbefolgung dieser Vorschrift eintreten könnten, und schlappte dazu den ihr traktierten Kaffee aus einer weiten Untertasse, in der etliche Zuckerstückchen langsam zergingen. Den verbleibenden Rest löffelte sie mit ihrem zerstochenen Zeigefinger in feierlichster Weise herunter, wischte sich den Mund ab und stülpte die Kaffeetasse nach unten.

Sowohl hier wie bei dem kleinen Threschen hatte sie propere Arbeit geliefert.

»Nur der Ehre wegen,« sagte sie zum Zweitmädchen, als dieses nicht umhin konnte, ihr etliche Komplimente über die ›feine Leiche‹ zu machen, »nur der Ehre wegen, und wenn Sie mal so weit ist und an die Reihe kömmt – ich halt' mir empfohlen.«

Mit einem leisen Schrei war die so Invitierte in die äußerste Ecke der Küche gefahren.

»Jesus, Maria . . .

»Alles muß ›Rips‹ gehn,« kicherte die Lichtjungfer, erhob sich und ging in die stille Kammer, um dortselbst die Wachskerzen anzuzünden und den letzten prüfenden Blick auf ihre Arrangements zu werfen.

Die Kerzen brachten kaum eine Dämmerhelle in der geräumigen Stube zuwege. Nur der mittlere Teil war erleuchtet, während sich noch in den Ecken dunkle Schatten herumdrückten. Auf zwei Stühlen und zwischen schmalen Eichenbrettern lag Threschen.

Die Lichtjungfer hatte alles sehr schön gemacht. Threschen lag wie verklärt, wie ein Heiligenbild, das man aus Wachs verfertigt hatte. Das also war der Tod! – Je zwei Kerzen standen zu beiden Seiten, je eine erhob sich am Kopf- und Fußende des Sarges, woselbst auch der Kranz aus Weidenkätzchen niedergelegt war, den Josias Spettmann spendiert hatte. Um Threschens Stirne waren rote Papierröschen geflochten; ebensolche bedeckten auch das Sterbehemdchen der Kleinen. Zarte Schaumgoldpartikelchen schimmerten darauf. Etliche dieser blitzenden Sternchen waren auf die durchscheinenden Händchen geglitten. Zwischen ihnen ruhte ein Kreuzchen aus Elfenbeinmasse, ein Erbstück der seligen Großmutter Hemskerk. Mit leisem Singsang tropfte das überschüssige Wachs auf die Messingbehälter.

»Das hören die Toten gern,« meinte die Lichtjungfer und scheuchte eine Fliege von dem bleichen Mündchen des abgeschiedenen Kindes; dann schnuppte sie den Docht einer blakenden Kerze, setzte sich wieder und legte die Hände zusammen. Geduldig harrte sie der kommenden Dinge.

Alles nahm seinen regelrechten Verlauf. Pünktlich stellten sich die Leidtragenden ein, unter denen sich auch Krispinus van Bommel, Petrus Nagel, der Kiwi, Herr Knippscheer, Hannibal Pinsgen und die Vertreter der umliegenden Bauernschaften befanden. Selbst Christ van de Lucht hatte es sich nicht nehmen lassen, dem armen Threschen die letzte Ehre zu geben.

Punkt drei Uhr kam der Kaplan mit zwei Meßjungen und dem Küster gefahren. Kurz nachher erschien die Glaskutsche, die für Threschen bestimmt war. Der Kaplan sprach einige Worte, die sich auf den traurigen Vorfall bezogen, tröstete die Hinterbliebenen und weihte den Sarg ein. Ein Viertel nach drei Uhr setzte sich der kleine Zug in Bewegung.

Oben am Fenster stand eine schwarze Gestalt. Ihre Augen waren gerötet. Ein irres Lachen rang sich von den zuckenden Lippen. Unmittelbar darauf hörte man ein dumpfes Gepolter. Die einsame Frau aber war vom Fenster verschwunden. Die Dienstmädchen liefen nach oben und schlossen wieder die Blende.

Als Threschen den Hofraum passierte, brüllte eine Kuh in den benachbarten Ställen. Es war die Rote mit der schneeweißen Blässe. Tagtäglich hatte ihr das Kind frisches Heu in die Raufe geworfen und ihr die weiße Stirn gestreichelt. Seit drei Tagen hatte sie vergebens auf diese kleinen Liebesdienste gewartet. Erregt drehte sich der großäugige Kopf in Richtung des Hofes. Das Tier wollte nicht Ruhe geben. Klagend zitterte das dumpfe Gebrüll über das Trauergeleite.

»Die Blässe,« sagte Christ van de Lucht, der mit Josias Spettmann, etlichen Knechten und Tagelöhnern als einer der Letzten im Zuge ging.

»Stimmt,« bestätigte der Kiwi, »selbst so'n unvernünftiges Tier bangt sich nach Threschen,« dann machte er eine pompöse Handbewegung gen Himmel.

»'ne Tränenkomödi!« schüttelte der Taube bedenklich den Kopf, als wenn die Sache nicht möglich wäre, und torkelte weiter.

Langsam zogen sie deichwärts. Und die Welt war so schön, und die ersten Schwalben schossen durch die Luft, und in der Ferne schimmerte so ein duftiger Goldhauch, als wenn das tote Threschen da hineinfahren müßte. Dort schienen die Pforten des Paradieses zu sein, und das stimmte auch, denn die goldige Helle stand jenseits der kleinen Stadt über dem Friedhof. Von dorther begannen jetzt auch die Trauerglocken zu läuten – und wo das arme Threschen vorbeifuhr, da weinten die Himmelschlüsselchen im Grase, und die Männer, die im Felde zu tun hatten, nahmen die Mützen herunter, und die Frauen legten die Hände zusammen, und als bald darauf die kleine Stadt passiert wurde, da kniete Lisbeth mit Nöllecke Kunders, Barthje van Bebber und den übrigen Kindern vor dem Armenhof, während Marieke Barendonk aus einem Weidenkörbchen zerkleinerten Buchsbaum auf die Straße hinausstreute. Lisbeth Mömmes konnte sich in ihrem tiefen Schmerz kaum auf den Knieen halten.

»So jung un schon sterben müssen!«

Sie schluchzte auf, und große Tränen liefen ihr die Backen herunter.

Nikola jedoch war nicht zu bewegen gewesen, mit ins Freie zu kommen. Stumpf und still hatte er vorher stundenlang gesessen, hatte auf die Erde gestiert und sein Schürzchen zerknäuelt, und als die andern hinausgingen, wollte er bleiben – blieb auch, ging ans Fenster und drückte sein Näschen gegen die Scheiben.

Er hörte seine Kumpane draußen beten – er betete nicht mit.

Er sah wie sie weinten – und weinte nicht mit, aber das kleine Herz war ihm doch zum Zerspringen.

Langsam und feierlich zog das tote Threschen vorüber. Da hielt's ihn nicht länger. Mit seinen kurzen Beinchen lief er nach draußen.

»Mutter Lisbeth! – Mutter Lisbeth . . .

»Was soll's denn, mein Junge?«

»Soeben ist Threschen in den Himmel geflogen! – Da kuck mal . . .

Und als Mutter Lisbeth aufwärts schaute, da flog eine weiße Taube nach oben.

Der Zug bewegte sich über den Großen Markt und dann wieder zum Tore hinaus. Am Kirchhof standen die beiden Türflügel geöffnet.

Jetzt verstummten auch die Glocken,

Bald darauf war alles vorüber. – – –

Ja, es war alles vorüber; nun konnte das Gras ruhig auf der geworfenen Scholle emporwachsen. Und es wuchs empor und wurde immer höher und höher. Kuckucksblumen blühten dazwischen und Krauseminze und Akelei, und die Heupferdchen turnten wie die besten Springer und Akrobaten darüber hin, rieben ihre harten Gazeflügel gegeneinander und geigten dann wieder den Toten auf, daß es ein wahres Pläsier war. Langsam ging es in den Sommer hinein. In den benachbarten Wiesen war das Gras so üppig gewachsen, daß es einem stattlichen Mann bis über die Brust ging. Eines frühen Morgens lief ein eigentümliches Zwitschern über die Wiesen. Die Halme hörten's nicht gern, denn mit jedem Gezwitscher, das so verträumt und anheimelnd in die schöne Gottesfrühe hinausklang, wurde ein Arm voll Schwaden zu Boden geworfen. Blitzend irrte das blanke Auge der Sense bis weit zu den angrenzenden Roggenschlägen hinüber, die auch schon so halbwegs dem Tode entgegenreiften. Noch war's wie ein grünlicher Hauch, der über die Roggenwogen hinlief, wie das elektrische Flimmern eines grauen Katzenfelles, bald aber war's ein Falben geworden, dann eine goldige Tönung, die so leuchtend erschien wie das Sonnenfeuer, das glühend am Himmel stand und Roggen- und Weizenfelder der Vollreife entgegenbrachte. Müde schlängelte sich der Kalkflack zwischen den Deichen. Er war kriechend und hündisch geworden. Selbst sein tückisches Auge lag unter Schwertel und Schilfrohr verborgen. Nichts deutete darauf hin, daß er sein schleichendes Wesen ablegen konnte, fähig war, die hemmenden Fesseln zu sprengen, um heulend seinen Sturmschritt über die bangende Ebene, über Wiesen und Gehöfte zu nehmen. Er ähnelte einem heruntergekommenen Subjekt, seicht, verschläfert, abgemattet, kaum imstande, unter der zuckenden Sonne sein Dasein weiter zu schleppen. Und die Schwalben schossen darüber hin und netzten ihre Schwingenspitzen in dem armseligen Wasser. –

Für Gert Liffers war die Zeit der Betrachtung und die Zeit der Reue gekommen. Er stöhnte nach einem erlösenden Gedanken, aber dieser Gedanke kam nicht, er schrie nach einem Wort des Trostes, und niemand war da, ihm Tröstung zu geben; er wollte vergessen und in diesem Vergessen von seiner Seelenwunde genesen, allein das unnahbar Ferne war bei ihm, rang die Arme nach ihm, schmiegte sich an ihn und drückte den Mund auf seine dürstenden Lippen. Wie damals, so fühlte er noch heute das Brausen des Sturmes. In traumseliger Selbstauflösung hatte Aleit den Weg in seine Arme gefunden, und er hatte die Kraft nicht besessen, sich einzugestehn, daß sie für ihn unwiederbringlich verloren sein mußte. Ach, diese verzehrenden Küsse! In schauernder Lust fühlte er die Bewegungen ihres schlanken Körpers; nur stoßweise konnte sie atmen. Eine selige Verzückung lag auf ihrem Antlitz gebreitet, und ihr leichtgeöffneter Mund sehnte sich schmerzlich dem seinen entgegen. In willenloser Hingabe hätte sie ihm alles gegeben, alles geopfert, als ihre Blicke um Erbarmen flehten und ihre Lippen plötzlich erstarrten. Und dann war das ›Nie mehr‹ gekommen. Sie schieden und wollten scheiden für immer. – Noch einmal war es gelungen, den Sturm zu beschwichtigen und ihn in Schranken zu halten, aber was sollte nun folgen? – Da half keine Selbstverteidigung; keinerlei Gründe konnten darüber hinwegtäuschen: nur mit knapper Not war er in jener Stunde seinem Verhängnis entronnen. Aber wenn sich noch einmal der Sturm erheben sollte – was dann? Würde er nicht seinen Leidenschaften erliegen – würde er stark sein? – »Nie mehr – nie mehr!« – Er hörte die Worte, die er damals auf dem Deiche vernommen, die sie geraunt hatte, die er selber unter kaltem Frösteln gesprochen . . . Und sie stand da noch immer, sah ihn mit weitaufgerissenen Blicken an, und ihre Augen waren vom Weinen gerötet. Ihm war nichts mehr geblieben, er hatte alles verloren. Die Tore des Glückes leuchteten noch aus der Ferne herüber, aber für ihn waren sie für immer verschlossen. Und sie mußten für ihn verschlossen sein, er durfte nicht rütteln daran, sich nicht mit Gewalt den Eingang erzwingen, denn sonst . . .

»Nie mehr!«

Noch einmal glaubte er die Stimme zu hören – da griff er nach dem Kelch der Entsagung und versuchte es, ihn bis auf die bittere Hefe zu trinken. Und wie er hinaussah, da schichtete sich eine Wetterwand bedrohlich im tiefen Westen. Und aus diesem Wetter wuchsen dunkle Wolken empor und schoben sich haltlos übereinander. Da mußte er an seine Zukunft denken, an die Einzelheiten von dem, was da kommen würde. Vor seinen Blicken türmten sich Sorgen auf und Jahre des Ringens, Jahre des Entsagens und der bitteren Arbeit, genau so bedrohlich wie die dunklen Wolken dahinten. Aber anstatt ihn niederzubeugen, wohnte die Kraft in ihnen, seinen Nacken zu straffen. Eine jähe Bewegung durchfuhr ihn.

»Arbeit und Sorgen und ringen müssen . . .

Mit rascher Hand fuhr er sich über Stirne und Schläfen, als müsse er dort seine quälenden Ideen verwischen.

»Arbeit und Sorgen . . .

Er hatte mit einer fast heiteren Stimme gesprochen.

»Gut, daß Ihr da seid,« und mit großen Schritten verließ er das Zimmer. –

Über den Fingerhutshof waren traurige Tage gekommen. Seitdem Threschen von hinnen gegangen und auf einer lichtblauen Wiese spielte, wo ein goldenes Sternchen an das andere sich reihte, schlich der Geist des Stumpfen und Dumpfen über die Schollen, lastete auf Menschen und Vieh und sah in die Ställe hinein, als müsse sein unheimlicher Blick den Kühen die Milch im Euter gerinnen machen und die Pferde mit dem Koller behaften. Er war auf den Feldern, wenn die Sense ihre Arbeit tat, schlich in die Kammern und drohte gallig mit der Faust in die Höhe, wenn die Elstervögel in ihren Kugelnestern rumorten. Gewiß, die Arbeit ging wie immer von statten, die Roggen- und Weizenschober standen so akkurat in der Reihe, wie sie es in früheren Jahren getan hatten, die Dreschlokomobile schaffte wie sonst, stampfte und fauchte und entkörnte die Halme – aber es steckte nicht mehr, es war ein widerwilliges, brütendes Schaffen und hatte den Anschein, als befände sich die süßliche Lichtjungfer mit ihrem zerstochenen Zeigefinger noch immer im Hause, um sich für etwaige spätere Fälle vorzubereiten. Allabends stand der hagere Knecht mit dem borkenrissigen Gesicht im Torweg und sah in die Höhe, ob die Totenlaken nicht wieder aufs Dach fielen, und horchte auf, ob der Kiwi nicht riefe. Aber nur der Schwalm revierte über die Wiesen und ließ in kurzen Pausen seine klagende Stimme vernehmen. Lautlos kam er geflogen, dann tauchte er unter in die Dämmerungen des sterbenden Abends.

»Immer noch nicht,« sagte der Unglückssucher, »aber kommen tut's, so wahr ich mich von jeher Ignaz Kerlhof geschrieben,« latschte hofeinwärts und schnupperte sich an der erleuchteten Mägdekammer vorbei auf den dumpfigen Strohsack.

Beim Donnerjü hatten sich die Stirn- und Schläfenfurchen noch tiefer gegraben. Sein stiernackiges Wesen war noch ärger geworden. Mit gedankenschwerem, grüblerischem Ausdruck, einen verhaltenen Ingrimm in sich hineinfressend, verbittert, gewillt, jedermann an die Kehle zu springen, ging er seiner tagtäglichen Beschäftigung nach und sah nach dem Rechten. Mit besonderer Vorliebe graste er hierbei die Weidenschläge am Leeloch ab, wo nach Ansicht des Deichgräfen die projektierten Anlagen hindurch sollten. Hier befand er sich auf der richtigen Stelle. Hier, wo nach seinem eigenen Ausspruch ein Doppelgespann mit zwei Ackergäulen in den übermannshohen Halmen zu ersaufen vermochte, hier auf diesem gefährdeten Käse- und Fettbutterterrain stampfte er seinen Grimm in den Boden und stieß seine Hand in das Erdreich. Die fruchtbaren, fettigen Krumen klebten an seinen Fingern, als er sie wieder herauszog, hafteten mit Zähigkeit fest und wollten sich von ihrem Besitzer nicht trennen. Die Anhänglichkeit grade dieses Stückchens ergiebiger Erde berührte ihn wohlig, verstärkte aber den Vorsatz in ihm, dem verhaßten Projekt bis zu seinem letzten Atemzuge in die Parade zu fahren. Selbst auf die Gefahr hin, daß der Viechskerl recht haben sollte, daß der Deichschaden richtig von jenem erkannt sei – lieber die Scholle versanden lassen, auf ihr wie'n räudiger Köter krepieren, als sie diesem verhaßten Menschen in die Finger zu spielen. Er selbst schaffte wie ein Stück Vieh – aus angeborenem Instinkt, ohne dabei an den erbärmlichen Geiz der Bauern zu denken. Wochen vergingen unter Schuften und Fluchen; den vergossenen Schweiß ersetzte er durch reichlichen Genuß von Bordeaux, bediente eigenhändig die Lokomobile und berauschte sich an dem Duft des aufgefahrenen Düngers, mit dessen Hilfe er im kommenden Jahr die ihm untertänige Erde wieder zu schröpfen gedachte. Er hatte Genugtuung, Freude daran, es war ihm zur zweiten Natur geworden, wenn er auch nicht wußte, warum er so wie ein abgeäschertes Pferd zwischen den Sielen und im Geschirr ging. Wofür überhaupt dieses Placken und Rackern, dieses monotone Säen und Ernten? Es war doch kein eigentlicher Segen dabei – und wem war er überhaupt mit seinem Schweiße verbunden? – Threschen war tot. Hierbei war ihm der liebe Gott mit seinem tollen Husarenstreich in die Quere gekommen – und sonstwie? Kein Kind und kein Nichts mehr! – und die Möglichkeit war doch immer gegeben, daß er plötzlich von seinen Ackergäulen, seinem arrondierten Besitz und der dampfenden Scholle fort mußte und nichts mitnehmen durfte, als das, was in die schmale Kiste hineinging, und das nicht einmal, also – wofür denn die Arbeit? – Aber sein Weib war noch da . . .

Der brütende Geist des Fingerhutshofes legte ihm die schwere Hand auf die Schulter.

Ja – seine Frau war noch da. Er hatte Frieden mit ihr geschlossen, weil er sich anders besonnen, weil ihn damals der Rausch gepackt hielt und dann: um den Skandal zu vermeiden. Aber der Rausch war verflogen, das Alltäglich-Nüchterne hatte sich wieder in den Sessel geflegelt und die alte Trübsal geblasen. Gottverdammich! – also für sein Weib nur gerackert . . . und dieser Gedanke nahm Form und Gestalt an, bekam Fledermausflügel und begann leise um die Pfannen des Fingerhutshofes zu kreisen. Wenn die Dämmerung heraufkam, wurde das unheimliche Ding besonders lebendig, flatterte beständig um das verträumte Gehöft und ruhte nicht eher, bis wiederum in aller Herrgottsfrühe die Lokomobile stöhnte und stampfte, und sich das blanke Eisen der Pflugschar in die fette Erde hineinfraß. So war es schon seit Wochen gegangen, und dann hatte zu öfters ein kleiner Mann am Torweg gestanden, hatte mit seinem schwanken Rohr gegen die Latten gerattert und unter die Fledermausflügel gepustet, daß sie sich blähten und immer eifriger in ihr geheimnisvolles Schwingen gerieten.

Zackerzucker, war das eine Freude!

So stand er auch heute. Er hatte lange auf den Donnerjü eingesprochen.

Ein dunstiger Abend war niedergegangen. Über die gedörrten Stoppeln liefen die nadelfeinen Stimmchen der Grillen. Gigantisch standen die ausgedroschenen Schober im Feld, wuchsen in den Himmel hinein und kontrastierten in ihrer Strohfärbung scharf gegen den Horizont, wo eine schieferblaue Masse auftauchte und sich schwerfällig heranschob. Zeitweilig zwinkerte in ihr ein verlorenes Licht auf.

»Ratter – ratter!« machte das Stöckchen.

»Also das ist Deine ernsthafte Meinung?«

»Ich will nichts gesagt haben, aber man kann immer nicht wissen, Herr Neffe, wie's kommt,« meinte Krispinus van Bommel, zuckte die Schultern und schnarrte wieder mit dem lebhaften Röhrchen.

»Dann wär's wohl das Beste . . .«

»I, natürlich wär's schon das Beste!« krähte van Bommel. »Kurzhalsig, vollblütig – und wenn's mit dem Rotspon so fort geht . . . Ewert Langenberg hat's auch auf die Hobelspäne geworfen, na, und Matthes vom Orth . . .?! Auf der Hühnerjagd ist er gestern in die Wicken gegangen. Rips sind die Kerle und konnten doch vierzigjährige Bäume versetzen.«

»Das soll doch nicht heißen . . .

»I, Gott bewahre, nichts soll das heißen . . .! – Aber besser ist besser. Die ewigen Rotsponcampagnen . . . So'n Langkork hat's in sich. Zuerst kribbelt er man so'n bißchen in der dicken Zehe herum; dann muckt er. Schließlich wird's dem Kerl aber über, er nimmt 'nen handlichen Knüppel und haut einem, als wenn das so zu seinem Geschäft gehörte, 'nen ›Schlag Neune‹ über den Schädel . . .«

»Malefizvogel!« schrie ihn der Donnerjü an.

»Pst, pst!« machte der Alte, »immer sachte mit die bockigen Pferde, Herr Neffe! – Hier auf dem Fingerhutshof wachsen die Ohren länger und hören besser wie auf anderen Höfen. Unsere Heimlichkeit braucht doch keiner zu wissen. – Ich hab' gar keine Meinung, absolutemang gar keine Meinung, aber ich dächte: wenn's gemacht ist auf Leben und Sterben . . .«

»Gottverdammich, so eilig! – Na, Ohm – Du glaubst wohl . . .«

«Ich?«

«Ja.«

»Ne,« entrüstete sich Krispinus van Bommel, »ich bin Hors de Konkurse, aber was meine Schwester, Deine selige Mutter, gewesen ist, die würde sich doch im Grabe herumdrehen, wenn nach Deinem gottseligen Tode . . .«

Krispinus verschluckte die letzten Worte, nahm den Hut ab und strich sich mit seinen, haspeligen Fingern die mageren Sardellenhaare nach vorne.

Barthes van Laak sah über den Hof fort. Das Ding mit den Fledermausflügeln war wieder lebendig geworden. Es kam vom Leeloch her, drehte in der Nähe der Scheunen bei, wuchtelte heimlich bei den Sparren des Herrenhauses vorüber, um dann wieder gespenstisch seinen Rundflug zu machen. Tot und glasig lag es in den Fenstern des weiten Gehöftes.

»Na – und . . .?« fragte der Donnerjü wie geistesabwesend.

»Was ist da noch viel zu bedenken,« meinte Krispinus, stülpte sich wieder den Filz über Kopf und Sardellen und dozierte an den Fingern herunter: »Der Hof ist von jeher in der van Laakschen Familie gewesen, Deine selige Mutter hat fünfundzwanzigtausend Taler derzeit in die Ehe geschossen, was darüber hinausgeht, hat der Fingerhutshof Deiner Bärennatur, Deinem Instinktus und Deinem barbarischen Fleiß zu verdanken. Stimmt's, oder hab' ich dem Hottehü 'nen brennenden Schwamm unter die Rübe geschoben?«

»Stimmt,« sagte Barthes.

»Also!« krähte der Alte, trat näher und flüsterte über den Zaun weg: »Den Rest kann Er sich bequem an den Knöpfen abklavieren. Sein Threschen ist tot – sein Weib ist gelte geworden, bleibt so, bleibt so . . . na, und da kann es doch immer passieren . . .«

»Was kann passieren?«

»Nichts, gar nichts, Herr Neffe! – Aber ich dächte: uns allen geht mal die Atempfeife zu Ende – und die schöne Witwe bleibt übrig. Na – und die Witwe? – Sie hält kein schreiendes Balg zum Coupéfenster heraus, hat 'nen feinen Kadaver, sitzt bis am Hals in der Wolle – und überhaupt so. – Zackerzucker, Herr Neffe! – da sollte nicht einer kommen und sich in das propere Bett hineinposamentieren?!«

»Halt's Maul!«

»Gern!« schrie der Alte, »aber es gibt auch Menschen, die mit sehenden Augen und hörenden Ohren nicht mehr kucken können wie neugeborene Hunde und so taub wie 'ne Nuß sind. Ich für meine Person legte da so'n Riegelchen vor, so'n notarielles Äktchen, so'n Testamentchen auf Leben und Sterben und mit 'nem Siegel darunter, – aber 'nem festen.«

Um seinen Worten den gehörigen Nachdruck zu geben, fuchtelte er mit seinem schwanken Röhrchen so forsch durch die Luft, daß es fast den Anschein hatte, als käme eine dicke Hornisse gefummelt.

Der Donnerjü stand schwer in Gedanken.

»Also testieren«, sagte er endlich.

»Vor Notar und Zeugen, Herr Neffe.«

»Gottverdammich! – und wie soll der verfluchte Testamentshase denn laufen?«

»Einfach, Herr Neffe. Zuerst die Kirche. Die nimmt immer und gerne, 'ne Seelenmesse für ewig; kostet zwei- bis dreitausend Taler. – Man stirbt kommoder, gewissermaßen mit 'nem Freibillet für den Himmel – hat alljährlich sein Hochamt – die Herren von der Orgel singen – man bleibt im Angedenken der Menschheit und behalt sein lebendiges Honnör, wenn man auch tot ist.«

»Weiter.«

»Knippscheer, Barthes, Herr Knippscheer! Zwar man dritten Grades – ein lateinischer Döskopp – karamboliert unter aller Kanallje, aber er bleibt doch immer so zu sagen in der Verwandtschaft. Das tägliche Brot spart sich der Kerl ja so wie so schon am Hosenboden herunter. Und dann von wegen der Sophie! Die Leutchen konnten auf später rechnen und kriegten sich endlich. So'n Kapitälchen von achtzehn- bis zwanzigtausend Taler könnte nicht schaden.«

»Hm!« meinte Barthes, »schon um diesem Original von Fraumensch auf die Strümpfe zu helfen . . . aber man weiter.«

»Je!« kratzte sich Krispinus van Bommel am Kopfe und ließ seine Ohren ein bißchen herunter, »man hat ja das Seine, man ist nicht von der Gocher Heide und hat Besen gebunden . . . Also was meine Person anbetrifft – nur pro Forma, Herr Neffe. – Sterb' ich vorher, wird der mir übertragene Besitztitel auf den ältesten Sohn meines verstorbenen Bruders, dem Schulmeister Fennand van Bommel in Elten verschrieben, welch letzterer überhaupt als Universalerbe zu betrachten wäre. Bei dem geht kein Kastemännchen verloren.«

»'ne Idee,« sagte Barthes – »und Aleit?«

»Hat sie was in die Ehe mitgebracht?«

»Nein.«

»Denn 'ne andere Frage. Hat der Fingerhutshof vielleicht ein Interesse daran, daß später ein reeller Vertreter ihr zu Winterszeiten mollig die Bettfedern anwärmt?«

»Auch das nicht.«

»Dann bin ich folgender Meinung: hält sie sich proper, kriegt sie 'ne Rente, Herr Neffe; im konträrigen Falle, also wird wieder geheiratet, kein Dittchen.«

»Strich drunter,« fiel der Donnerjü mit so einem verkehrten Lächeln und sichtlich erleichtert dazwischen. »Die Sache hat 'nen richtigen Dreh, besonders das mit Knippscheer. Dem Geheimen Hosenrat könnte geholfen werden. Will's mir mal durch den Kopf gehn lassen – und nun exküsiert mich; muß noch die verlumpten Kerle in den Ställen aufschwänzen. Also – Prosit, Ihr Bauern!«

»Gut so,« grinste der Alte, reichte ihm noch die Hand über den Lattenzaun und sagte, indem er sich mit dem Stöckchen auf dem Schemischen herumtippte: »Aber Freundchen! – Freundchen! – was mich anbetrifft, nur pro Forma, Herr Neffe.«

Dann ging er, drehte sich jedoch nochmals herum und plinkte ein Auge: »Hab' ich daneben gekuckt oder richtig gesehen: die Roggenstrohhaarige mit dem dicken Untergestell ist wieder ankutschiert und schafft nu wohl dahinten am Vorwerk?«

»Daneben gekuckt.«

»Irren ist menschlich,« zuckte Krispinus die Schultern, dann ging er den schmalen Weg nach, der sich über Wiesenkoppeln und Felder dem Leeloch zuschlängelte.

»Und es ist doch die Lena gewesen,« sagte er lachend. »Herr Neffe, Herr Neffe . . .

Mit dem Rohrstöckchen schlug er eine lustige Volte.

Es war dunkel geworden. Im Fingerhutshof zuckte ein Licht auf. Die Strohschober standen wie Soldaten im Gliede. Zwischen den Stoppeln glumsten noch einige Aschenpartikel, die die nun schlafende Lokomobile ausgeworfen hatte.

Josias Spettmann trieb sich noch im Gelände herum.

Er stieß auf Krispinus.

»Kiwi, so spät noch?«

»Oha!« grinste Josias, »jetzt beißen die Aale.«

Mit seiner Rechten zeigte er auf das fernliegende Wetter.

»Bei so was beißen sie immer. – Und Ihr – wohl so'n bißchen Unheil gebrütet dahinten?«

»Esel – verfluchter!«

Drohend streckte der Kiwi die Faust aus.

»Wer zu seinem Bruder Du Narr sagt . . .

»Freundchen! – Freundchen . . .

Scheu drückte sich Krispinus aus der beängstigenden Nähe des hageren Mannes.

»Oha!« sagte der Kiwi.

Die Stimmchen der Grillen zitterten weiter. In der Ferne begann es ungemütlich zu murren. Matte Blitze setzten über die durstige Erde.

 


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