Joseph Lauff
Frau Aleit
Joseph Lauff

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XIV Sulpiz – mein Sulpiz . . .!

Während der ganzen Nacht murrte das Wetter am tiefen Horizont und konnte nicht zur Entladung kommen. Dabei wälzte sich eine erstickende, brütende Hitze über die Erde. Schon am Tage zuvor hatte sie wie ein Kanonenofen mit glühenden Backen gepustet. Die Vögel duckten sich davor, die Blätter ließen sich müde an ihren Stielen herunterfallen, die Menschen der kleinen Stadt schnappten nach Luft, begnügten sich mit dem Allernotwendigsten bei ihrer Leibesbedeckung und ließen die Jalousien herunter. Auf diese Weise ging's noch soeben; man konnte doch leben. Nur bei Jöffer Boß lagen die Dinge so hundsmiserabel wie möglich. Zwar hatte sie ihre angeborene Scheu und Zimperlichkeit kurzer Hand, unter Aufopferung von Kleid, Unterröcken und diversen sonstigen Gegenständen, bei Seite geworfen, spazierte auf ihren lautlosen Pantoffeln im puren Hemde herum, mußte sich aber, in Ermangelung von Jalousien und Läden, mit dünnen Schirtingvorhängen begnügen. Na, und so Schirtinggardinen . . .! Ihre Zimmer waren alle nach der Sonnenseite gelegen. Nur die Schlafkammer, die früher Gert Liffers benutzt hatte, ging nach Norden hinaus, war efeuumsponnen und konnte es, was die Kühle anbetraf, dreist mit der Sakristei der katholischen Pfarrkirche aufnehmen. Aber da hinein gehen, um sich vor der infamen Hitze zu schützen, also gewissermaßen eine Gnade von dem früheren Inhaber annehmen – niemals! – das hätte ihr Prinzip unter keiner Bedingung gelitten. Hier hatte das Mannsmensch geatmet, hier hatte sein Kopf zwischen den Kissen gerastet, hier hatte er möglicherweise von der anderen geträumt und geduselt, ihr Liebeserklärungen gemacht und einem wahrhaft sorgenden Menschenkind den Todesstoß gegeben.

»Infam!« sagte Sophie. Sie wollte mit der verrufenen Kammer absolut nichts mehr zu tun haben, drehte den Schlüssel ab und schwitzte gottergeben in ihrem Hemd und den Selfkantpantoffeln wie vorhin.

Immer hanebüchener drängte sich die Hitze durch die Schirtinggardinen. Sie wirkte einschläfernd, lähmend. Selbst der Perpendikel im altmodischen Uhrgehäuse mußte die äußersten Anstrengungen machen, um das ihm von der Zeit vorgeschriebene Marschtempo inne zu halten. Nur zwei Kategorien von Lebewesen wurden in keiner Hinsicht behelligt. Im Gegenteil – sie waren äußerst vergnügt, konnten's nicht besser haben und freuten sich ihres gesegneten Daseins; Jöffer Boß nicht – aber ihr Kugelkaktus und die summenden Fliegen. Letzteres Viehzeug war überhaupt eitel Wonne und Wollust, stichelte tapfer drauf los und surrte dann ab, um in schamloser Weise auf Sophies gehäkelten Deckchen, den Kaffeetassen mit den vergoldeten Rändchen und dem neusilbernen Präsentierbrett der Liebe zu pflegen. Näselnd, dem feinen Ton einer gestrichenen G-Saite nicht unähnlich, gaben sie sich ungeniert und unermüdlich dem pläsierlichen Spiel hin.

Indigniert wandte sich die Lange von der widerwärtigen Szene ab. Nein – so ein Fliegengeschmeiß hat doch gar keinen Anstand! – Da war ihr Kugelkaktus doch so ganz anders geartet, hatte moralisch Empfinden, trieb eine Knospe nach der anderen und erfreute durch seine keuschen Blüten die Menschheit.

Der dickköpfige Amerikaner hatte draußen auf dem Fensterbrett Posto genommen. Der selbstgefällige Mosjö konnte es nicht heiß genug haben. Je empfindlicher die Sonne stach, um so molliger fühlte er sich, stellte seine Pracht in die rechte Beleuchtung und träumte von seiner noch schöneren Heimat.

Gegen Abend ward's kühler. Das Wetter zwinkerte mit dem Auge wie einer, der niesen mußte, aber nicht zu niesen vermochte, und verlegte sich schließlich darauf, ungemütlich über die Erde zu murren. Gegen die dritte Morgenstunde kam aber Luft in die Sache. Der Pyrotechniker Mäsewinkel aus Kleve hätte das Feuerwerk nicht besser aufbauen können. Fünfzig Raketen standen mit einmal am Himmel. In kurzen Sätzen galoppierte der Blitz durch die Wolken, zuckte und flammte. Gierig schlürfte die durstige Erde den Regen. Vor dem Hause des Notars sausten die Linden und warfen ihre kranken Äste zu Boden. Mit fliegendem Ärmel wischte der Wind so'n bißchen über die Fensterbretter; auch bei Sophie Boß war er darüber gefahren. Das paßte aber dem dicknäsigen Protz nicht.

»Halt – werda?!« schrie er den Wind an.

»Gut Freund!« sagte dieser und nahm ihn beim Kragen.

»Ich steche!« drohte der Kaktus.

»Tut nichts!« höhnte der Wind und schmiß ihn herunter.

Als Sophie zur Frühmesse gehen wollte, fand sie ihren Liebling am Boden. Abgesehen von etlichen Kontusionen war es ihm aber so leidlich ergangen; nur der ziegelrote Topf hatte Schaden gelitten.

»Scherben bringen Glück,« tröstete sich die Lange, nahm den Enttopften mit spitzen Fingern vom Boden und verpflanzte ihn mit aller Sorgfalt. –

Krispinus schlief bis tief in den Morgen hinein. Um die Mittagszeit schloß er seinen Laden ab, nachdem er zuvor einen festen Strick zu sich gesteckt hatte. Über sein Fuchsgesicht lief ein behagliches Schmunzeln, als er durch seine beiden Kugelakazienbäumchen hindurchging, lustig mit dem schwanken Röhrchen hantierte und seinen Weg nach dem ›Bessemhuck‹ einschlug.

»Zackerzucker,« krähte er mit verhaltener Stimme in sich hinein, »wird das ein Pläsierchen!«

Der ›Bessemhuck‹ war ein verlorenes Eckchen, eine Sackgasse, ein fast unmögliches Ding im Verkehrswesen der kleinen Gemeinde. Fünf Häuschen, alle mit schreienden Wasserfarben illuminiert, bildeten diesen lustigen Winkel.

Das Schweinfurtergrüne besaß Grades Prußt, seines Zeichens ehrsamer Nagelschmied, außerdem privilegierter Führer der Treiberkolonne, wenn die Blätter von den Bäumen purzelten und für die Weidmannslustigen die Hasenjagd losging. Linker Hand vom Flur hauste er selber und ließ auch von hier aus sein ›Pinke – Pinke‹ ertönen. Das rechtsgelegene Zimmer hatte er untervermietet. Das niedrige Dach stieß bis dicht an die Haustür. Ein fixer Köter hätte bequem dort hinauf springen können. Seitwärts des rechten Türpfostens paradierte ein Blechschild, auf dem in weißer Ölfarbe geschrieben stand: Sulpiz Knippscheer, Königlicher Notariatssekretär, Berater und Beistand in den schwierigsten Rechtsangelegenheiten.

Dem pompösen Titel entsprach in keiner Weise das Quartier, wo der Rechtsbeflissene hauste. Eine hölzerne Bettstelle, zwei Stühle, ein Tischchen, ein krankes Sofa mit grünem Ripsbezug, ein Spiegel, diverse Öldrucke von Benzinger – Einsiedeln – alles! – und wollte der Herr Notariatssekretär sich zwischen Tisch und Fenster den Rock anziehn, mußte er letzteres auswerfen, um nicht in die Scheiben zu stoßen. Zylinderbedeckten Hauptes hatte er niemals diese Stube betreten, war er niemals aus ihr geschritten; das durfte er nicht wagen, und hätte er es dennoch riskiert: der Zylinder wäre an der Balkendecke gestrandet, hätte Schiffbruch gelitten und es somit fertig gebracht, ein sehr empfindliches Leck in das Bügelportemonnaie seines Inhabers zu bringen. Also der Herr Notariatssekretär Sulpiz Knippscheer wohnte mehr als bescheiden, er wohnte überhaupt so bescheiden, wie er bescheiden an Selbstbewußtsein und persönlichem Mut war, obwohl er sich brüstete, der äußersten Linken der demokratischen Partei anzugehören und am liebsten Fürsten und Könige geköpft und die ganze Staatsgewalt zum alten Plunder geworfen hätte. Er räsonnierte auf Steuern und Militär, obgleich er niemals gedient hatte und keinen roten Heller an Steuern bezahlte, er wollte jeden Unteroffizier henken, wenn ihm sein Leiborgan von unmenschlichen Kniebeugen bei einem armen Rekruten erzählte, obgleich er keinen passenden Moment vorbeigehn ließ, seinem Unterstellten, dem halbwüchsigen Zeilenabschreiber Fritze Sötentitt, hinter die Ohren zu knallen, daß das Kerlchen von seinem Drehstuhl in das Aktenrepositorium turnte. Der bewaffneten Macht, dem Gensdarmen und Polizeidiener, stand er überhaupt als Feind gegenüber. Er hielt sie für reißende Tiere, für neronische Zuchtmittel, für Knebel der persönlichen Freiheit und schwur hoch und heilig, sie bei Gelegenheit an eine x-beliebige Scheunentür nageln zu wollen; erschien aber in Wirklichkeit die Pickelhaube oder der karmoisinrote Kragen, verwässerten sich seine grimmigsten Axiome zu Buttermilch, in welcher saure Kirschen schwammen. Kurz – er war ein Mittelding zwischen Rattenpinscher und Hammel, zwischen Hecht und Karpfen, er war ein pedantischer Tyrann, ohne den Mut zu haben, die eigene Person für seine Ideen in die Schanze zu schlagen. Er war ein demokratischer Hase: Demokrat, weil er alles besser wußte wie die staatlich gesetzte Behörde, Hase, weil's in seiner Natur lag – und dieser demokratische Hase saß heute auf seinem ripsenen Sofa und gönnte sich ein Schälchen mit Kaffee. Sein Schweinerippchen hatte er bereits zu sich genommen. Punkt drei Uhr mußte er wieder auf dem Bureau sein, hatte also noch hinlänglich Muße, sich zwei Stündchen einem süßen Nichtstun zu widmen. Gründlich kostete er diese ihm verbleibende freie Zeit aus, fuhr sich mit der Hand über das finnenblütige Gesicht und streckte die Beine. Nicht nur, daß er wie gewöhnlich den altmodischen Hosenboden als Fallreep benutzte – der Hitze wegen hatte er sich überhaupt der Sommerkarrierten entledigt, saß in puren Unterhosen, flegelte sich auf dem stöhnenden Sofa herum und ließ sich die himmelschreiende Ungerechtigkeit des preußischen Verwaltungssystems durch den Kopf gehn, wobei er die Vorzüge einer etwaigen Volksherrschaft auf das subtilste ventilierte, als es an die Tür klopfte und Krispinus van Bommel das niedrige Zimmer beehrte.

Der demokratische Hase schnellte vom Sofa.

»Freundchen! – Freundchen . . .!« beruhigte ihn der Eingetretene mit einer freundlichen Geste, »ich möchte mir eine kleine Frage erlauben.«

»Bitte, bitte . . .«

»Knippscheer,« meinte der Alte und war näher getreten, »sind Sie bei einer richtigen Verfassung?«

»Warum nicht, weshalb nicht? – Es ist doch nicht contra leges, wenn ich auf meinem gemieteten Sofa in blanken Unterhosen es mir so bequem wie möglich gemacht habe! Ich habe kein vis à vis, gebe kein Ärgernis, außerdem fehlt der doles eventualis, kann somit dem Sittlichkeitsparagraphen des Strafgesetzbuches ruhig begegnen.«

»Mein' ich auch gar nicht,« sagte Krispinus, »und wollte nur wissen, ob Sie zurzeit kein körperliches Leiden . . .«

»Nie gehabt!« fiel Knippscheer dazwischen.

»Auch kein kleines Defektchen? – Ich meine ein solches im Kopfe, das der Schonung bedürfte . . . Knippscheer, Sie sind heute so komisch.«

»Mynheer van Bommel, was haben Sie, was wollen Sie wissen?« stotterte Knippscheer. Das feierliche Benehmen des emeritierten Seilermeisters machte ihn stutzig.

»Ich meine man so,« versetzte Krispinus, erfreut über die gänzliche Fassungslosigkeit des vor ihm stehenden Mannes. Hierauf zog er den Strick aus der Tasche und sagte, indem er ihn langsam entschürzte: »Anderen Falles – man könnte ja dieses Ding gewissermaßen als Zwangsjacke benutzen.«

»Das ist contra leges!« entsetzte sich der geängstigte Schreiber, sah sich nach irgend einem handfesten Gegenstand um, der sich als geeignet erwiese, den Alten damit niederzuschlagen, gab diese Absicht jedoch sofort wieder auf und retirierte in einen äußersten Winkel des Zimmers, indem er unter heftigen Gestikulationen das sonderbare Verhalten des Besuchers immer wieder als contra leges gerichtet erklärte.

»Spannen Sie mich nicht auf die Folter, Sie wissen etwas, oder . . .«

Plötzlich glaubte er den Besuch pathologisch nehmen zu müssen, schlüpfte ans Fenster, um dort nach Hilfe zu brüllen, fühlte sich aber von Krispinus jovial beim Kragen gefaßt, daß er anderen Sinnes wurde und wieder zurückfuhr.

»Sie Glückspilz, Sie veritabler Glückspilz!« lachte van Bommel, wurde ausgelassen und lustig und schlug mit seinem biegsamen Rohr ein flirrendes Rädchen.

»Aber Mynheer . . .

»Freundchen! – Freundchen! – Sie sollen alles erfahren – aber bedecken Sie zuerst Ihre menschliche Blöße. Eigentlich müßten Sie vor mir in Gala erscheinen – in Frack und Zylinder, denn was ich Ihnen mitzuteilen habe . . . Hihihi! – Sie Glückspilz, Sie veritabler Glückspilz!«

Was ist denn los?!« stammelte Knippscheer.

»Erst 'rein in die Hosen, und dann halten Sie sich an Ihrem Kanapee fest. – Die Sache ist pompös, grandissimo, über alle Begriffe . . .

»Ut deus bene vertat!« stöhnte der Glückspilz und fuhr in die Sommerkarrierten. Erwartungsvoll sah er dem Alten ins Auge.

»Halten Sie sich an Ihrem Kanapee fest?«

»Ja.«

»Na – denn: Sie werden erben – Sie werden Barthes beerben – Sie werden so'n Kapitälchen von achtzehn- bis zwanzigtausend Taler einstecken können . . .

»Jesus – mein Christus . . .

»Es ist noch nicht perfekt, aber das kommt noch, und dann können Sie Jöffer Boß eh'lich beglücken,« ergänzte van Bommel und erzählte nun haarklein, was er alles mit dem Donnerjü verabredet hatte.

Der Herr Notariatssekretär stand da mit einem Gesicht, als sei er der Rajah von Lahore geworden und müsse jetzt mit einem gezähmten Tigergespann die edelsteinbesäten Dschungeln seines Landes befahren. In seinem Entzücken schmiß er den ganzen demokratischen Krempel beiseite. Der preußische Staat hatte doch eine mustergültige Verfassung. In seiner Verwaltungs- und Gesetzesmaschine klappte doch alles. Nein – dieses prächtige Erbrecht! Und die bewaffnete Macht! Blitzsaubere, ehrliche Kerle, die ihr Leben in die Schanze schlugen, um Vermögen und Besitztitel aller Staatsbürger gegen eine etwaige sozialdemokratische Gewaltherrschaft nachdrücklich in Verwahrung zu nehmen. Überhaupt das miserabele Stimmvieh! – Das allgemeine Wahlrecht müßte gestürmt werden; nur die besitzende Klasse dürfte noch stimmen. Große Pläne keimten unter seinem üppigen Haarwuchs. Konservativ war Trumpf in seinem Herzen geworden.

»Erben, erben . . .

Das riesenhafte Kapital spazierte vor seinen beglückten Augen ins Zimmer: braune Scheine, blaue Scheine, Pfandbriefe, Konsuls, versiegelte Geldrollen auf putzigen Beinchen . . .

Dem Notariatssekretär gingen die Blicke über. Gleichzeitig griff ihm Frau Venus ans Herz und zeigte ihm Sophie. – Mit einem unterdrückten Jubelschrei taumelte er in die Arme van Bommels.

»Erben, erben . . .! Das ist nicht contra leges, nicht contra leges . . .!

»Pst!« machte der Alte, »nur Jöffer Boß darf es wissen.«

»Ah!«

Sulpiz streckte die Arme zur Decke, stieß sich aber und torkelte wieder auf das ripsene Sofa, um dort vor Freude zu weinen.

Als er aufschaute, war Krispinus verschwunden. Vom Rathaus holte die Uhr aus.

»Bureauzeit,« sagte Knippscheer, stülpte sich gewohnheitsmäßig, obgleich er es unter den obwaltenden Verhältnissen absolut nicht mehr nötig hatte, die tintenbekleckste Stauche über den rechten Ärmel und ging seiner Pflicht nach. Ging?! – nein er stolzierte seinem Bureau zu, unterwegs ein Programm entwerfend, nach dem er sein künftiges Leben einrichten wollte. Die spekulativ angehauchten Betrachtungen machten ihn selbstbewußter, stählten seine Willenskraft und verliehen seiner Engstirnigkeit einen weiteren Horizont. Sophie und das lachende Erbe! Kein Zweifel: er war nicht mehr die hungrige Seele von früher, die nichts weiter zu tun hatte, als für den morgigen Tag zu sorgen und auf die monarchische Staatsverfassung zu schimpfen. Erhobenen Hauptes, einem jovialen Champagneragrarier nicht unähnlich, ging er seinem Drehstuhl entgegen. Er mußte an sich halten, um nicht allen Passanten glückberauscht in die Arme zu fallen.

In Höhe der Amtsstube begegnete ihm der Herr Polizeidiener Weber. Früher wäre er an dem Portepee und dem karmoisinroten Aufschlägen des Gewaltigen scheu vorübergeschlichen. Jetzt dachte er nicht mehr daran. Er trat auf ihn zu, schlug ihm vertraut auf die Schulter und schüttelte die Hand der bewaffneten Macht so treuherzig und biedermeiermäßig, als müsse er ein übriges tun und ihr sein patriotisches Fühlen und Denken auf Leben und Sterben verschreiben. Mit diesem Handschlage hatte er die demokratischen Schiffe hinter sich verbrannt, hatte ein frisches Bootchen bestiegen und war mit ihm in das konservative Fahrwasser hinübergesegelt.

Für gewöhnlich betrat er das Bureau mit einer sauertöpfischen Miene, vigilierte scharf über Pulte und Aktenständer mit der bestimmten Absicht, einen Grund ausfindig zu machen, dem armen Sötentitt ›Eine‹ herunterzulangen. Heute schwang er sich gelenkig auf seinen Kontorstuhl, kicherte übermütig vor sich hin, wobei er gar so weit ging, dem verprügelten Zeilenschreiber eine ›Brasil‹ aus seiner Zigarrentasche zu offerieren. Fritze Sötentitt hatte auf Kirmes schon feuerfressende Kerle gesehn, die sich nachher als ganz gewöhnliche, sterbliche Menschen entpuppten, es war ihm ferner schon aufgefallen, daß der wütigste Köter sich beim Nahen eines schweren Gewitters weh- und demütig hinter die Ofenröhre versteckte – daß aber sein direkter Vorgesetzter, daß der Herr Notariatssekretär Knippscheer . . . Nein, es geschehen keine Mirakel mehr in den heutigen Zeiten! Hier konnte nur ein geistiges Manko die Zigarre gespendet haben. Fritze schnappte nach Atem . . .

»Sine ira et studio,« kicherte Sulpiz, trat näher und hielt dem Erschreckten mit dem lustigsten Gesicht von der Welt die Zigarrentasche nochmals entgegen.

Das überzeugte. Dem bierehrlichen Gesicht, dem heiteren Kichern, der duftigen Offerte konnte Fritze nicht länger widerstehn, griff zu und drückte mit einem äußerst devoten »Merci!« seine Nase bis auf den Kanzleibogen herunter.

Das ganze Bureaupersonal wunderte sich über den sonst so griesgrämigen Knippscheer. Nein, dieser Wandel! – Sulpiz schien seine Feder in Sirup anstatt in gallige Tinte zu tauchen. Korrekt und unter stetigem Lächeln erledigte er die ihm übertragene Arbeit, schloß Punkt sechs Uhr sein Pult zu, invitierte noch den soeben Geehrten zu einem Gläschen Bier für den morgigen Sonntag und stolzierte dann, einen schweren Gedanken mit sich herumtragend, nach Hause. Mit diesem schweren Gedanken im Herzen löffelte er sein Abendsüppchen herunter, ging er zu Bett, ließ er sich von einer holden Fata Morgana umgaukeln, bis die Morgensonne ins Zimmer schien und ihm mit spitzen Strahlenfäden die Nasenlöcher berührte.

Da erwachte Herr Knippscheer.

Vor ihm stand ein baumstarker Kerl.

»Ich bin der Entschluß,« sagte dieser, »also nicht lange gefackelt; »'rein in den Festfrack, Schlag Klock zwölf Uhr bei Mamsell Boß zur Visite, und denn . . .«

»Also . . .

»Natürlich!«

»Gut,« sagte Knippscheer, erhob sich, machte Morgentoilette und goß sich zur Stärkung einen ›Bonekamp of Magenbitter‹ hinter die Binde.

Unter den peinlichsten Vorbereitungen ging der Vormittag hin. Überrock, Beinkleider, Weste, Chemisettchen wurden einer genauen Prüfung unterworfen, schadhafte Stellen mit Tinte und Kreide aufgemuntert und die weißbaumwollenen Handschuhe in Seifenlauge gewaschen und im Fensterrahmen getrocknet.

Schlag Viertel vor zwölf stand Sulpiz vor dem zersprungenen Spiegel, seifte sich ein, säuberte das Gesicht von den spärlichen Stoppeln, legte sich noch einen frischen Papierkragen zu, um alsdann und mit zappeligen Händen den weißen Batistschlips unterhalb des fidelen Adamsapfels zu knüpfen. Hierauf wurde der Zylinder nach allen Regeln der Kunst rückwärts und vorwärts mit der rechten Ärmelbeuge gestriegelt, ein frisches Sacktuch in die Brusttasche gesteckt, aber so, daß ein Zipfelende hervorsah, schließlich noch ein Fäserchen von der Weste heruntergeblasen – und jetzt konnte es losgehen.

»Ut deus bene vertat!« mit diesen Worten gab sich der Geheime Hosenrat einen aufmunternden Druckser, zog die Baumwollenen über und verließ heroisch das Zimmer.

Über dem Bessemhuck lag es still und stumm wie eine selige Vergessenheit; nur in der Ferne ließen sich die Stimmen sonntagsfroher Kinder vernehmen.

Heldenhaft in seiner pompösen Ausstaffierung steuerte Knippscheer seiner Walstatt zu, ein Heldentum allerdings, das, je näher er der geliebten und doch so verhängnisvollen Schwelle kam, immer mehr abflaute und sich seines äußeren Dekorums beraubt sah. Es wurde brüchig, faulig, mit Wurmstich behaftet, bis schließlich der Angstmulm aus allen Hosennähten hervordrang. Schon wollte er abstoppen, den wichtigen Moment zurückschrauben und auf eine andere Stunde verlegen, schon hatte er nach einem Nebengäßchen mit der ausgesprochenen Absicht geäugelt, sich von hier aus wieder nach Hause zu birschen, als der Stolz in der Männerbrust ihn aber voranspornte, ihm den Klopfer der blitzblauen Tür in die Hand gab und ihm gebot, sein Glück zu probieren.

Das tat denn auch Sulpiz.

»Angtree!« sagte eine freundliche Stimme. –

»Um tausend Gotteswillen!« erstaunte sich Lisbeth, die vor ihrer Haustür stand und bemerkte, wie sich Knippscheer die Ehre gab und bei Jöffer Boß hineinpromenierte. »Also doch die Kurasch gehabt – und das mit's Feinste: mit Zylinder un Gehrock. Da spinterisiert sich was an. Will man gleich die Sache besprechen un 'nen Knoten vorschlagen, dann hält's besser un doppelt un dreifach.«

Aus der dritten Etage kam in diesem Augenblick etwas Nasses herunter.

»Na – nu,« sagte Lisbeth, »da drippelt wer,« und blickte nach oben. Sie wollte schon mit einem Donnerwetter loslegen, als sie Christ van de Lucht gewahrte, der seine auf dem Fensterbrett stehenden Nachtviolen besprengte.

»Mynheer van de Lucht!« schrie sie aus Leibeskräften.

»As't üh belieft, Madam Mömmes?«

»Ich muß mal schnellkens herüber. Würden Sie wohl nu die Freundlichkeit haben, so'n bischen zu mir zu kommen un nachkucken, daß keiner nich in meine Zimmers herumwuschert?!«

»Welchen denn, Madam Mömmes – den weißgelben oder den grauen Kanalljenvogel?!« schrie der Taube aus seiner luftigen Höhe.

»Ach, was!« brummte die Dicke, hob sich auf den Zehenspitzen und benutzte ihre vorgeschobenen Hände als Sprachrohr, »Ich meine: Sie möchten 'runterkommen un so'n Viertelstündchen meine Zimmers in Beobachtung halten. Ich muß mal nach Sophie!«

»Tu' ich,« echote der Armenhäusler, wobei er seine Zipfelmütze aus dem Bereich der Nachtviolen zurückzog und sich alsdann in aller Gemütlichkeit nach unten bewegte.

Inzwischen begab sich Lisbeth in ihre Wohnung, trat aber gleich darauf mit einem Knäuel Wollgarn und zwei hölzernen Stricknadeln bewaffnet wieder ins Freie.

Trotz des heiligen Sonntags begann sie mit ihrer knechtischen Arbeit, machte sich auch gar kein Gewissen daraus, gegen ein kirchliches Gesetz zu verstoßen, denn sie lebte der Überzeugung, nur Gutes in die Wege leiten zu wollen, und da sie wußte: der Zweck heiligt die Mittel, so stand sie auch gerechtfertigt da vor Gott und den Menschen. Noch auf der Türschwelle murmelte sie mit geheimnisvoller Betonung: »Wickelschnur aus Wollgarn – ich stricke Dir im Namen des Vaters, des Sohnes un des heiligen Geistes! – Eins, zwei, drei . . .!« und schlug Masche um Masche. So murmelnd und strickend, langsam und Fuß für Fuß, ging sie alsdann quer über die Straße, sah nicht zur Rechten und Linken, fand aber doch ihren Weg, der, von kleinen Ruhepausen unterbrochen, schnurgerade auf die blitzblaue Tür zuführte.

Der Kugelkaktus stand als wohlgenährte Schildwache im Fenster. Der ganze Kerl sonnte sich in seinen grünen und pompejanischroten Kulören.

Jedem anderen Menschenkind wäre der Amerikaner in seinem bunten Gewande aufgefallen. Lisbeth aber ließ Blüten Blüten sein, kümmerte sich nicht um den Dickwanst, hielt ihr Knäuel fest unter der Achsel, drückte mit dem Knie die nur angelegte Tür am Hause ihrer Freundin auf, dachte nur an ihre heilige Mission – und strickte, und also strickend trat sie ins Zimmer.

Und wie sie eintrat: da saß die Laken-Sophie aufgelöst und weinend auf dem Sofa, und der Herr Notariatssekretär Sulpiz Knippscheer stand vor ihr, drehte seinen Hut zwischen den Fingern und machte ein Gesicht, als wenn sich die Welt aus den Angeln gehoben, und Ostern und Pfingsten auf einen Tag fallen müßten. Schneegestöber und Sonnenschein, Hoffnung und Zweifel, Zuversicht und desolate Verfassung ließen sich auf der Skala seines Mienenspiels deutlich erkennen. Erwartungsvoll hingen seine Blicke an den Lippen der schluchzenden Jungfer.

»Herr Knippscheer,« platzte nun Lisbeth dazwischen, »man darf wohl . . .! – Mamsell Boß, um tausend Gotteswillen noch einmal . . .

»Ach, meine liebe Frau Mömmes!« hob sich die Lange aus ihrer Seufzerecke, steuerte mit gespreizten Armen auf ihre Freundin los, barg ihr Gesicht an den treuen Busen der Dicken und stammelte mit fliegendem Atem: »Ach, die einzige Seele von Mannsmensch, mir mit so einem engelreinen Herzen zu kommen!«

»Also richtig?!«

»Ich weiß nicht, meine liebe Frau Mömmes . . .«

»Hat er nich klaren Wein in die Buddel gegossen?«

»Das schon – aber man hat doch sein Häuschen und kann Ansprüche machen.«

»Weiß Gott, das kann man,« bestätigte Lisbeth mit einem vielsagenden Blick auf den Ärmsten, »aber bedenke Sie: ›Frau Notariatssekretärin‹ is doch auch nich so ohne! Das is prima Klasse und kommt direktemang hinter den Landrat.«

»Das weiß ich ja alles, meine liebe Frau Mömmes, aber man hat doch seinen Schmier, denn man ist doch bis heute 'ne richtige Jungfrau gewesen.«

Bei dem Worte ›Jungfrau‹ mußte sie bitterlich weinen.

»Weiß Gott,« konstatierte die Alte und warf Knippscheer einen zweiten vielsagenden Blick zu, »das is Sie immer gewesen, keusch wie so'n neugeborenes Kälbchen. Aber, Mamsell Boß, das is nu anders geworden. Mache Sie keinen Spermang, un stolpere Sie nich über Zwirnsfäden, denn es steht geschrieben: Du sollst dem Manne folgen, un unter Schmerzen . . .«

»Jesus, Maria!« wehrte die Lange ab und duckte sich wie ein heuriges Häschen, »das geht nicht so einfach, man muß doch erst zur Besinnung gelangen, denn es steht auch geschrieben: Drum prüfe, was sich ewig bindet . . .«

»Wo?« fiel die Dicke energisch dazwischen. »In die Handpostille nich, un in die Bibel steht's auch nich geschrieben – also, ich bitte.«

»Das weiß ich nicht,« entgegnete Sophie, »es tut aber auch gar nichts zur Sache; ich meine man bloß: man muß Rücksichten nehmen, man muß sich mit der Zukunft besprechen und zusehen, daß die sogenannten äußeren Interessen auch zusammengehören. Gottlob, ich kann von mir sagen: ich hab' mein Häuschen und mein kleines Kapitälchen . . .«

»Na – un Er?« fragte Lisbeth Mömmes, indem sie sich langsam an Knippscheer wandte und ihn vom Kopf bis zu den blankgewichsten Stiefeln sondierte.

»Ich habe mein Salär,« erwiderte Sulpiz.

»Je – sein Salär!« zuckte die Fragestellerin mit einem fast bedauerlichen Lächeln die Achseln, »zuviel zu's Sterben un zuwenig zu's Leben.«

»Und denn das Testament; selbiges ist nicht contra leges, meine liebe Frau Mömmes.«

Sulpiz war aus der Rolle gefallen.

»Was für'n Testament?!« fuhr die Dicke drauf los, wie ein Fisch nach dem Köder.

»Ach, Gott ja, meine liebe Frau Mömmes!« sagte die Lange, »Herr Barthes van Laak ist ja wohl nun so freundlich gewesen, ein Kapital von achtzehntausend Taler auf ihn zu verschreiben,« und nun erklärte sie ihrer Freundin in aller Kürze, was Sulpiz vorher bei seiner Werbung des Längeren und mit juristischen Floskeln verbrämt ihr selber dargetan und auseinandergesetzt hatte.

»Achtzehntausend Talers?!« wunderte sich Lisbeth.

»Bis zwanzigtausend,« verbesserte Knippscheer, fühlte sich wieder, stellte den rechten Fuß ein wenig nach auswärts und begann selbstgefällig über seinen Zylinder zu streicheln.

»Gott, ne nich!« konnte sich die würdige Frau noch immer nicht von ihrem ersten Erstaunen erholen, »zwanzigtausend Talers?! – So viel gibt es ja gar nich! – Un das, mein lieber Herr Knippscheer, steht schon alles geschrieben un mit 'nem dicken Stempel darunter?«

»Nein,« schluchzte Sophie und machte sich an ihrem Taschentuche zu schaffen, »Madam Mömmes, das ist es ja eben!«

»Aber das kommt doch,« warf sich Knippscheer ins Mittel, trat beherzt einen Schritt vor und versuchte eine Hand in die seiner Zukünftigen zu spielen. Willenlos ließ es Sophie geschehen.

»Un darf man drauf rechnen?« inquirierte die Dicke, dann hob sie verwarnend den Finger: »Herr Notariatssekretär, wir können uns nich mit Fisematenten befassen!«

»Madam Mömmes, ich bin ein ehrlicher Mann und sorge dafür, daß die Instrumentierung des Aktes vor Notar und Zeugen erfolgen wird – und zwar je eher, je lieber. Das bin ich mir und der ehrsamen Jungfrau hier schuldig.«

Erschüttert wischte sich Knippscheer mit seinem Weißen Daumen über die Augen,

»Gut,« sagte Frau Mömmes, »dann kommen Sie wieder, wenn alles schwarz auf weiß steht un mit 'nem dicken Stempel darunter, denn man kann immer nich wissen; aber zur Aufmunterung kann Er sich jetzt schon ein Küßchen von seiner Zukünftigen holen.«

»Ut deus bene vertat!« triumphierte der Glückliche, machte das schönste Gesicht seines Lebens und hielt den Mund in Richtung des zu erwartenden Kusses.

Da konnte auch die härteste Seele nicht länger widerstehen.

»Sulpiz, mein Sulpiz . . .

»Sophie . . .

Und die beiden lagen sich in den Armen und küßten sich lange. Sie hatten nur sich, sie lebten nur sich und hörten nicht die gemurmelte Formel, die weich und unter emsigem Stricknadelgeklapper sie schirmend umschwebte.

»Wickelschnur aus Wollgarn,« raunte die Brave, »ich stricke Dir im Namen des Vaters, des Sohnes un des heiligen Geistes! – Eins, zwei, drei . . .! – So, alles Pläsier hat ein Ende.«

Sie war wie ein trennender, aber wohlwollender Engel zwischen Sulpiz und Sophie getreten und meinte: »Soweit wären wir nu; jetzt noch der Aktus, Herr Knippscheer, wie Sie un die Lateiners besagen, un denn geht alles so ganz von selber und programmmäßig herunter – wie die Würm, wie ich mir auszudrücken die Gewohnheit besitze: die Brautschaft, die Ehe, das Ehebett, die ganz kleinen . . .«

Lustig klatschte sie dabei ihrer Freundin auf die mageren Schultern.

»Mit dem Gürtel, mit dem Schleier reißt der schöne Wahn entzwei,« sagte Sophie, schlug sich die Hände vor's Gesicht und suchte in den Bereich des schirmenden Sofas zu kommen.

»Sulpiz, mein Sulpiz . . .

Sie lockte wie eine verliebte Wachtel im Kornfeld. Schon wollte der offiziöse Bräutigam dem Rufe folgen, um noch so ein kleines Küßchen auf Abschlag zu nehmen, als auch schon Madam Mömmes energisch dazwischen trat und auf das bestimmteste sagte: »Ich muß leider bitten, sich enthalten zu wollen. Das junge Mädchen steht allein in der Welt, weshalb ich mir genötigt sehe, mich gewissermaßen als Brautmutter Ihnen gegenüber zu offenbaren. Gehen Sie daher jetzt sittsam nach Hause, leben Sie dem kommenden Aktus un Ihrer heimlichen Liebe, un freuen Sie sich auf die späteren Freuden der Zukunft.«

»Das will ich,« sagte Sulpiz entschlossen, »allein ich bitte darum, hinsichtlich des Testamentes vorläufig noch ein gewisses Schweigen freundlichst beobachten zu wollen.«

»Wie kommen Sie mir vor, mein sehr verehrter Herr Knippscheer?!« warf sich Lisbeth ins Zeug. »Was mir anvertraut is, is justemang wie im Sarg un wenigstens fünf Fuß unter die Erde. Also ich bitte – un damit . . .«

Sie machte eine freundliche, aber nicht mißzuverstehende Geste. Da empfahl sich Herr Knippscheer und ging mit seinem Glück und seinem übervollen Herzen direkt zu Fritze Sötentitt, um mit ihm noch ein verspätetes Frühschöppchen im ›Goldenen Anker‹ zu trinken.

»Das Häschen hätten wir!« triumphierte Lisbeth, als sich die Tür hinter Knippscheer geschlossen hatte, und warf sich zu ihrer Freundin aufs Sofa.

»Lehre Sie mich Gattin und Mutter sein,« lispelte die Lange; mit seliger Inbrunst barg sie dabei ihren Kopf an die Schulter der treuen Gefährtin. »Sulpiz, mein einziger Sulpiz . . .

»Un die zwanzigtausend Talers!« rief Lisbeth, und dann wards still, so friedlich still in der kleinen Behausung. Man fühlte ordentlich, wie so ein behaglicher, traulicher Frieden auf Zehenspitzen umherging, die weißen Gardinen glättete, die Porzellanvasen zurecht rückte, sich überall zu schaffen machte, sich dann an das Mahagonitischchen setzte und mit glänzenden Augen auf die ruhige, sonntägliche Straße hinaussah.

Man hörte das Geflüster der Linden, die vor dem Hause des Notars standen. Das Geruckse der Ringeltaube drang deutlich herüber. Träumerisch, wie eine feine Stimme aus verklungener Märchenwelt, wie etwas, das die Kinderzeit wachrief, kam es aus dem Lindengesäusel und dem Gurren der Taube, und die Seele brauchte nur die Flügel zu spannen, um rückwärts zu fliegen in vergangene Tage – ach, schon so lange vergangen!

Ab und zu schoß eine eilige Schwalbe vorüber. »Aus der Jugendzeit, aus der Jugendzeit . . .

Wie das klang, wie das ans Herz griff und die Seele bewegte! –

Und Christ van de Lucht stand vor der Haustür, sah in diesen Sonntagsfrieden hinein und wartete geduldig auf Lisbeth. Der Quast seiner weißen Zipfelmütze, der sich im laulichen Mittagswind auf und nieder bewegte, war der einzige unruhige Punkt in der stillen Umgebung. – Ein Sonntag am Niederrhein! – Unvergeßliche Heimat! – und die Linden säuselten weiter und weiter. Es war einmal – und das ist schon lange gewesen.

 


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