Joseph Lauff
Frau Aleit
Joseph Lauff

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XX Herrgott, wie warst Du so fern!

Gert – es wäre besser gewesen . . .«

Sie wollte schreien, sich seinen Armen entwinden, nicht hören, nicht sehen – sie wollte . . . Aber eine Welle des Erschauerns brandete über sie hin, ein Sehnen, Suchen und Ringen war in ihr, eine klingende Saite durchfuhr ihre Seele . . . Sie hatte den Kopf an seine Schulter gedrückt und wimmerte leise.

Er zog sie ans Fenster – und wie er hinaussah . . .

Sie fühlte, was ihn bewegte. Den Kopf zurückgeworfen, sah sie ihn an mit halbgeöffneten Augen, die sich langsam erschlossen – und plötzlich, wie von dem Entsetzlichen dieser Stunde ergriffen, richtete sie sich auf, dem Geliebten entgegen, um dann zu erstarren.

Gert riß sie an sich.

Minute auf Minute verrann – und er ging nicht.

Es wäre auch vergebens gewesen.

Wie eine mächtige Domorgel brauste das Wasser herüber.

Ringsumher Wasser . . .!

Und die Stunde war da, von der er gehofft hatte, daß sie niemals gekommen – die entsetzliche Stunde! – Wie ein Traumbild faßt es ihn. Die Wolken zerreißen, der Sturm gibt sich, eine unendliche Klarheit legt sich über die Fläche, wo noch kurz vorher Grausen und Finsternis herrschte.

Er schließt die Augen, um nicht zu sehen, und dennoch sieht er alles in deutlicher Schärfe.

Eine haarfeine, lichtweiße Linie grenzt den Horizont ab. Inmitten steht eine leuchtende Helle, ein magisches Licht, das ihn unwiderstehlich heranzieht. Eine Brücke führt über die schimmernde Tiefe. Grün wie Resede, zart getönt wie ein Wasserblatt grüßt sie herauf. Ungefährdet geht er hinüber, und wie er ins Licht geht und zurückblickt, ist der schwindelnde Bogen, der Weg, den er sicher gewandelt, in die Tiefe gerissen. Grau, bleiern, tot liegt jetzt das Wasser hinter ihm; aber vor ihm ist strahlende Helle, und das Lied aus verklungener Jugendzeit tönt ihm entgegen. Und inmitten des Lichtes . . .

Und dann . . .?!

Nichts mehr ist um ihn, das ihn an das strahlende Leuchten erinnert, nur das Lied zittert nach, als würde es aus weiter Ferne nähergetragen. Ein kleines Gemach, ein verschwiegenes Lager mit weißen Gardinen, an der Wand ein Bild der Gottesmutter, darunter ein brennender Docht, ähnlich dem sanften Flämmern einer ewigen Lampe . . . Seitwärts strahlt eine tiefgebrannte Kerze ihr Licht aus – nah dem Verlöschen.

Und der Atem des Weibes ist bei ihm – ein Weib, das noch um ein verlorenes Kind trauert. Ein schwarzes Kleid, das sie in der Eile um sich geworfen, kann ihren blendenden Nacken nicht decken. Ihre Lippen sind geöffnet, die Augen geschlossen. Sie umklammert ihn mit verzehrender Inbrunst, denn sie kennt ihn von Jugend an; sie haben sich Treue gelobt, und die Liebe ist niemals in ihren Herzen gestorben – aber sie ist das Weib eines anderen geworden. Und er fühlt, wie ihr Körper an dem seinen erzittert. Er errät ihre Gedanken, ihr Sehnen und Wollen. Eine selbstlose, hingebende Liebe ist in ihr – aber diese Liebe ist sündhaft. Unruhig beginnt der Docht unter dem Bildnis der Gottesmutter zu flackern. Es ist, als wenn sich von draußen ein erneutes Stürmen erhöbe, ein wütiges Brausen, ein Schwellen und Wogen . . .

Das Weib ist schwer in seinen Armen geworden.

Da wieder . . .!

Dumpf, gewaltig brauste die Orgel vom Deich her. Gert sah erregt hinaus, um sich nochmals von dem Gewißheit zu geben, was er schon vorhin klar erkannt hatte, da er ans Fenster getreten. Weit dahinten spritzte ein milchiger Gischt in die Höhe, um tosend nieder zu fahren. Wie ein weißes Phantom schritt die Flut durch die Nacht, dumpfe Schläge prallten gegen das Haus an, erschütterten Stiegen und Treppen, die sie gierig verschlangen.

Wasser – überall Wasser! – Finsternis und das Heulen des Sturmes, eingekreist auf wankender Scholle und zu Füßen die hungrigen Wogen, die sich freuten, ihr Opfer gefunden zu haben . . .!

Die Sünde – die Sünde . . .!

Da flog ihn etwas wie Verzweiflung, wie Angst an.

Seine Hände tasteten krampfhaft über ihren gebogenen Nacken.

»Wir sind allein,« sagte er mit rauher Betonung, »das Wasser liegt um uns.«

»Allein . . .

Er fühlte, wie sie in seinen Armen erwachte, wie sie ihn anblickte mit traumverlorenen Augen – weltfremd und seltsam. Und aus diesem Blick wuchs das Wesen heraus, das mit lechzenden Lippen sich fiebernd an ihn drängte und ihn erschauern machte, wie das Land in stillen Sommernächten erschauert. Er ahnte es deutlich: das war keine Gier, kein verdorbenes Wollen – es war das Mysterium, die Offenbarung, die Leidenschaft eines verlangenden Weibes, das endlich sich wiedergefunden und nach Liebe schrie wie die durstige Erde nach Wasser.

Ein seliges Gefühl, so wonnig und weich, als wären ihre Glieder gelähmt, überkam sie.

»Bei Dir . . .! – Bei Dir . . .!« hauchte sie mit ersterbenden Lauten.

Keine Alltäglichkeit, keine Gemeinheit! – Willenlos, einer unbekannten Macht verfallen, drängte sie vorwärts. Sie glaubte vergehen zu müssen an der Brust des geliebten Mannes, den sie endlich gefunden.

Und er sah ihr ins Auge – dem liebenden, hingebenden Weib tief in die Augen. Da zuckte es auf, da brannte die Lohe, das heilige Feuer, hinter dem etwas sein mußte, das an die Seligkeit und Freude des Paradieses gemahnte, des Paradieses, dessen lautere Stätte kein Frevel entweihte, wo das Erdenleid sich löste und hinging, und der Palmbaum des Friedens schattete über glückliche Herzen.

Wild drückte er die Lippen auf ihren duftigen Scheitel. Sie schmiegte sich an ihn, immer enger und enger, sich hinwegsetzend über die kleinlichen Bedenken hämischer Alltagsnaturen, über Pflicht und Gewissen, über die Satzung des gewöhnlichen Lebens – und mit einem Sehnen tief innen, das alles verzehrte, was ihr sonst heilig gewesen.

»Endlich . . .! – Endlich . . .

Und da wußte er, daß sie ihm nichts mehr versagen konnte und wollte. Ein Drängen durchfuhr ihn, ein herrisches Wollen, das zu nehmen und an sich zu reißen, was ihm doch vor Gott und den Menschen gehörte.

»Willst Du mein Weib sein . . .?!«

Er wollte es rufen – aber die Stimme versagte.

Er hörte ein Klopfen.

Es war so, als wenn von draußen ein Finger die Scheiben berührt hätte.

Jetzt klopfte es wieder – leise, gespenstisch.

Da warf er den Kopf herum; gleichzeitig schrumpfte das Kerzenlicht in sich zusammen, als wäre ein sanfter Hauch darüber gefahren.

Eine eisige Kälte kroch über ihn hin. Ihren Kopf hatte er tiefer gezogen und sie fester umklammert. Sie sollte nicht sehen.

Threschen stand draußen . . .

Tot, starr, im Sterbehemdchen, die durchscheinenden Hände gefaltet, Rauschgold und papierene Röschen um die Schläfen gewunden – so war sie aus den Wassern gestiegen. Nur die Augen lebten noch und sahen mit seltsamem Glanz durch die Scheiben. Unsagbar traurig waren sie auf ihn gerichtet; dann flammten sie auf – beschwörend und drohend.

Er wich zurück; er konnte den Blick nicht ertragen.

»Threschen . . .

Da schlossen sich die Kinderaugen für immer.

»Was war das? – Wen riefst Du?«

»Niemand, niemand!« stöhnte der Ärmste. Seine Stimme war hart und hatte einen metallischen Beiklang,

»Mutter! – Mutter . . .

Rief es nicht draußen über den Wassern?! – War es nicht so, als hätte ein Kinderstimmchen, ein Liebeseelchen gerufen?!

Ja, es hatte gerufen – es hatte gerufen! –- ging aber unter im Brausen des Windes, im Sturm der Leidenschaft, der sie mit gewaltigen Schwingen umrauschte und sie hinwegtrug aus dem Bereich des Entsagens in das unbekannte Land ihrer flammenden Sehnsucht. Ein letztes Ringen – denn noch lebte der Wille in ihm, sich vor dem Zusammenbruche zu retten und den Rückweg zu finden, aber ihre Lippen fanden sich wieder und wieder, ein unsagbares Lächeln verschönte ihr Antlitz, und er sah nur das Weib, das sich an seinen Küssen nicht satt trinken konnte.

Die wundersamen, die traumbefangenen Blicke! – Das Erschauern und Beben! – Sein Atem streifte über sie hin, und er spürte den berückenden Duft, der ihrem Leibe entströmte.

Mit einem leisen Knistern verlöschte die Kerze.

Dämmerhelle umgab sie; nur der schwimmende Docht vor dem Heiligenbilde strahlte noch Licht aus.

Mit einer religiösen Scheu betrachtete er die Frau, die in seinen Armen ruhte.

Ein grünliches Feuer blitzte auf im tiefen Grund ihrer Blicke. Ihr Kuß wollte kein Ende mehr nehmen.

»Aleit – und Du liebst mich noch immer?!«

»Ich kann ja nicht anders!«

»Und jetzt?!«

»Ah – Du, Du, Du . . .

»Himmlische . . .

»Mit Dir in den Tod! – Wohin Du willst! – aber nur einmal laß mich leben – und das Leben in Deinen Armen genießen . . .

»Jetzt für immer mein Weib – Du!«

Er hatte das Kind mit den drohenden Augen vergessen, die Stimme, die auf dem Wasser gewesen; er hörte nicht das dumpfe Klagen und Läuten, den heulenden Ton der Sturmglocke, die jammernd anschlug, die Niederung erschreckte und den zagenden Menschen erzählte, daß sein Ringen auf dem Deich vergebens gewesen.

Eine düstere Wildheit ergriff ihn. Jetzt waren sie für immer vereinigt. Regungslos standen sie nebeneinander,

»Das erlöst!« hauchte sie tonlos.

Da hob er sie auf und trug sie der Gottesmutter und dem ewigen Lämpchen entgegen. –

Und der Rausch ging über sie fort – – – – – – – – – – – – – – – und die entfesselte Stauflut deckte das Land, das zwischen Wissel, Hönnepel und dem Rhein zu gelegen. Nur einzelne Striche, hier und da ein Gehöft, die Nothügel, das Vorwerk mit seinen breitausgelegten Baumkronen ragten darüber hinaus als die traurigen Überbleibsel einer fruchtbaren, keimenden Erde, die schon das Geheimnis des Empfangens durchkostet, sich dehnte und streckte, das Saatkorn erwärmte, es quellen ließ in der geworfenen Furche, um dann erbarmungslos in ihrer jungen Mutterschaft erwürgt und erstickt zu werden von einer brutalen Naturgewalt, die verächtlich, den geheiligten Schoß zerstampfend, über sie fortging. Und die Sturm- und Notglocke schrie über die gemordete Scholle, hallte in kurzen Sätzen von Viertelstunde zu Viertelstunde bis zum Morgengrauen, wo sie verstummte und ermattet von der nächtigen Arbeit einschlief zwischen ihren verrosteten Pfannen. Siebenmal hatte sie pausiert und siebenmal in kurzen, abgerissenen Stößen gelärmt und gepoltert.

Als zum erstenmal ihre eherne Zunge sich löste, ging ein hoher Schatten, eine Mannsgestalt über Wasser und Erde.

Der einsame Waller hatte es nicht sonderlich eilig.

Sein Mantel bewegte sich nicht, obgleich die stärksten Äste sich beugten.

Niemand sah ihn und konnte ihn sehen, niemand hörte ihn und konnte ihn hören.

Er war nicht von dieser Erde, ging aber einem irdischen Licht nach, das mit heißem Flimmern durch die zeitweilige Finsternis zitterte.

Es stand weit hinten in der Niederung, im ersten Stock eines langgestreckten Hauses, seitwärts der Ziegelei, die Barthes van Laak in seinem Schäschen passiert hatte, als er trunken und mit lallender Zunge von Schweinem gekommen.

Wie ein Totenlämpchen, wie ein Lichtschein, der am Allerseelentage auf den Gräbern sich duckt, nicht weiter genährt wird, eine Spanne fortlebt, um dann still zu verlöschen, so blinkte es zuerst dem stillen Mann entgegen, der es nicht aus dem Auge ließ, weder rechts noch links sah, auf Wege und Stege nicht achtete, sich um das entfesselte Wasser nicht scherte, das fauchend hinter ihm herkam, sondern ruhig und ohne mit dem seltsam stillen Antlitz zu zucken immer geradaus ging.

Als zum zweiten Male die Glocke ertönte und dann wieder verstummte, war er bis zur Lattentür des Vorwerks gekommen.

Hier blieb er stehn, hob den Kopf und sah nach dem erleuchteten Fenster. Bald nachher trat er in den dunklen Hof ein.

Ein Hund schlug an, um gleich darauf winselnd in die Hütte zu kriechen.

Hier in der Nähe hatte das Licht im ersten Stock das Dämmerhafte, Trübe, Allerseelentagartige verloren.

Grell fiel die Lampe über den Tisch hin und beleuchtete das stattliche Bett mit den Kattunvorhängen, das Sofa und die Mahagonistühle, mit denen der Besitzer des Vorwerks das sonst einfache Stübchen wohnlich ausmöbliert hatte. Die Blonde wußte es sich behaglich zu machen.

Auf Geheiß ihres Herrn hatte sie kurz zuvor noch etliche Flaschen heraufholen müssen, hatte mit ihm angestoßen und auf eine fröhliche Zukunft getrunken.

Nur leicht bekleidet saß sie ihm jetzt auf den Knieen, girrte ihn an und ließ den blendenden Schmelz ihrer Zähne verführerisch aufblitzen. Nichts haftete ihr mehr von Heuboden und Stall an. Sie hatte sich herausgemustert und verstand es, die Sinne des Mannes zu erregen und trunken zu machen.

Den Arm um die Taille des Mädchens geschlungen, irrte er mit stieren Blicken an den Reizen des derben Weibes herunter, griff ihm in die trockenen Haare und preßte mit stumpfem Lallen das Gesicht auf die schwellende Schulter. Dann riß er sich auf.

»Vorwärts, Stina! – noch eine Bouteille.«

»Trink nicht mehr, Barthes!«

Eine heiße Blutwelle stieg ihm zu Kopf.

»Gottverdammich . . .

Sie umschlang ihn so plötzlich und flüsterte ihm dabei so hastig einige Worte ins Ohr, daß er taumelnd zurückwich.

»Ach, was!« versuchte sich der Donnerjü aufrecht zu halten, »ich muß erst dem verfluchten Deichgräfen ein Pereat bringen.«

»Barthes, Du darfst nicht mehr trinken.«

»Nicht?! – aber in meinem Wein soll er verrecken – der Hundsfott!«

An die Wand gelehnt, machte er eine befehlende Geste. Da ging sie; sich in ihren vollen Hüften wiegend, schritt sie der Tür zu. Hier blieb sie stehen.

Zum dritten Male mahnte die Glocke. Sie überhallte jetzt den Sturmwind da draußen und das Stöhnen der Bäume. Das traf und brachte die verfuselten Geister wieder zusammen.

Barthes stieß einen heiseren Laut aus.

»Das ist ja . . .

Eine unmäßige Wut rüttelte ihn und jagte ihm das Blut in die Stirne.

»Das ist ja die Glocke! – Wasser . . .

»I, wo!« trumpfte das Mädchen auf, »das rappelt man an den Fensterläden im Hause. Ich geh' jetzt.«

»Hiergeblieben!« stöhnte der Ernüchterte. »Keine Bouteille! – Mir ist so – mir ist so . . .

Er griff sich an die hämmernden Schläfen.

Da sprang ihm das Weib bei.

»Barthes, was hast Du – was ist Dir?!«

Die Angst schnürte ihr die Kehle zusammen.

Stieren Blickes sah er sie an,

»So sprich doch, Barthes, so sprich doch!«

»Stina, ich weiß nicht, aber mir ist so, als wäre jemand da draußen – im Hofe . . .«

»Bekriege dich man,« sagte sie, einen heiteren Ton anschlagend, um ihre eigene Furcht in die Wicken zu jagen, »ich will den Knecht rufen, daß er nachsieht, aber – um Jesus Christus! – es ist niemand da draußen.«

Barthes riß die Augen auf; sie hatten ein glasiges Aussehen. Langsam drehte er den vornübergesunkenen Kopf auf dem Nacken herum und glotzte die Tür an.

Im nahegelegenen Stall wurden die Pferde unruhig und rissen an den Halfterketten.

Die Glocke verstummte.

»Stina . . .

»Hör' auf!« schrie das Weib und drängte sich an ihn. »Man kriegt ja zuviel hier im Vorwerk!«

Er sah blitzende Funken. Es war ihm so, als wenn eine Sense gewetzt wurde und dann die Halme durchschnitte.

»Stina! – und es ist doch jemand draußen.«

Er wankte nach vorne.

Das Grausen schüttelte sie.

Mit durchgebogenem Kreuz, die volle Brust gegen ihn stemmend, hielt sie ihn aufrecht.

»'ne Bouteille – um den Viechskerl nieder zu hauen!«

»Hör' auf!« kreischte sie gellend, »ich geh' auf und davon!«

»Jetzt ist er auf den Stiegen im Hausflur . . . jetzt kommt er . . .

»Ich halt's nicht mehr aus! – Zu Hilfe . . .

Der Donnerjü stieß einen röchelnden Ton aus.

»Barthes! – Barthes . . .

Mit letzter Kraft zog er sie an sich; dann streckte er beide Arme zur Decke.

»Der Viechskerl – er will was . . .

Ein Todesschrei brach aus seiner verschnürten Kehle.

Die gekrampften Hände griffen ins Leere.

Taumelnd drehte er sich um sich selbst; dann schoß er lautlos nach vorwärts – wie ein abgerackerter, verdursteter Mäher, den ein Sonnenstich in die kahlen Stoppeln geworfen.

In die Stoppeln geworfen! –

Wie auf Zehenspitzen, heimlich, ohne Bewegung, war jemand ins Zimmer getreten. –

Bald darauf schlug die Glocke zum vierten Male an, lamentierte, schrie Zeter und Not über die ertränkte Erde und schwieg dann wieder.

Langsam, schattenhaft, insichgekehrt wie er gekommen, so verließ der einsame Waller auch wieder das Vorwerk.

Niemand hörte ihn und konnte ihn hören, niemand sah ihn und konnte ihn sehen. Ungesehen und ungehört ging er über Wasser und Erde.

Hinter ihm wurde das Licht im stillen Gehöft, das er soeben verlassen hatte, immer kleiner und kleiner. Schließlich war es nur ein irres, unscheinbares Fünkchen, das durch die Finsternis brannte. Während der ganzen Nacht behielt es den Atem. Erst ums Morgengrauen verlosch es.

Das Pfeifen und Toben ließ nach; nur noch ein leises Gurgeln und Röcheln war unter dem Himmel.

Kalte Lichter, schemenhaft, ohne Färbung gingen leblos über eine einzige, mattgraue Fläche.

Fern, jenseits des Rheines begann es zu tagen.

Fröstelnd, verklammt, ohne jeden heiteren Anflug wuchs der Morgen aus der Tiefe heraus. Was nicht vom Wasser bedeckt war, schauerte ihm öde und vergrämelt entgegen. Mit leeren Augen sah er in die Gegend, wo der Fingerhutshof aufdämmerte. –

Übernächtigt, mit Lehm bedeckt und blöden Gesichtes ließ Josias Spettmann den Glockenstrang fahren. Mit einer großen Pose legte er die Hände zusammen und sagte: »Herr, Du mein Gott, wie bist Du so fern in diesen Stunden gewesen! – Amen.«

 


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