Heinz Kükelhaus
Thomas der Perlenfischer
Heinz Kükelhaus

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21

Ein Holzhaus stand an Stelle der alten Kommandantur. Kapitän Mogens empfing mich in seinem Zimmer. Er lag in einem Sessel, schwerfällig richtete er sich auf. Er hatte eine Krankheit überstanden, es stand alles in seinem Gesicht geschrieben. Sein Bein war steif geblieben, sein Haar kurz und weiß. Mit mageren Fingern spielte er auf der Stuhllehne.

Ich habe Dich seit langem erwartet, sagte er mit heiserer Stimme. Du warst zwei Jahre fort . . .

Nein! nur ein Jahr. Länger ist es nicht her, Mogens.

281 Er antwortete nicht, blickte durchs Fenster. Er mußte meinen Segler sehen. Sein Gesicht verriet nichts und ich fragte ihn: warum starrst Du durchs Fenster?

Sein Gesicht drehte sich schnell um, er sagte: Nichts, Nyhoff. Ich sehe dahin . . . Ist es Dein Segler, der schwarze Kasten?

Ohne ein Gefühl der Verletzung sagte ich: Es ist mein Segler. Ich komme mit ihm von Manila. Das Schiff ist von Templer in Orleans erbaut. Du kannst Dir vorstellen, was es bedeutet. Meinen ersten Vertragsbruch habe ich hinter mir. Ich sollte in Borneo Kohlen laden, ich fuhr aber mit Schotter nach Port Ond.

So sehr trieb Dich die Sehnsucht?

Ich zog die Stirne kraus. Seine Worte, seine Worte, zog es durch meinen Kopf.

Sag! rief er, trieb Dich die Sehnsucht nach Port Ond? – Er blickte mich bleich und erregt an. Die Haut auf seiner Nase zuckte. Seine Hände schlossen sich und öffneten sich.

Ist das Dein Empfang? Ist das alles, Mogens?

Er stand da, den Stock in der Hand. Er ließ den Stock fallen, humpelte auf mich zu und umarmte mich. Verzeihe, Nyhoff. Du siehst ja, wie krank ich war. Faß meine Hände an. Wie? Sie sind ordentlich kalt! Das Fieber hat mir das Blut aufgefressen. Fahre nur bald wieder, damit es Dir nicht so ergeht . . . Dein Schiff ist schön, von Templer in Orleans! Ich muß es mir später ansehen. Du kannst im Klub wohnen, dasselbe Zimmer steht bereit. Nach Dir hat keiner 282 darin gewohnt. Ich hatte es verboten. Du siehst, wie eine Geliebte habe ich Dein Andenken bewahrt.

Sein Lachen klang mir übel in den Ohren. Ich sah mich gezwungen, ihn zu ermuntern und ich erzählte ihm die Geschichte, wie ich zu der Viktory kam. Ich begann mit dem Affen meines Wirtes, der an meine Tür klopfte. Von dem leeren Brief an Henriette schwieg ich, ich gab eine gewundene andere Erklärung, warum ich früh morgens in den Hafen ging. Und gerade diese Erklärung glaubte er mir nicht. Er hackte darauf herum und sagte: Nyhoff, ich glaube es Dir nicht. Schön! ein Affe brachte Dir die Meinung bei, eine Order sei im Anzug . . . Darum allein gingst Du frühmorgens in den Hafen? Aus so einem nichtigen Grund. Ein Affe?

Schweigen wir, sagte ich, Du glaubst mir nicht. Am Ende mußt Du es aber glauben. Du siehst doch die Viktory, ich habe sie an diesem Tage gekauft. Übrigens, wie geht es Kimball? Ein tapferer Junge, ich möchte ihn sprechen.

Mogens blickte an mir vorbei und sagte abwesend: Kimball, Kimball? Er ist auf See, er schwimmt nach Amerika. Wir haben ihn zu einem Funker in die Lehre gegeben. Aber etwas anderes, mein Freund, Maylands Tochter hat Dich nicht vergessen. Du hast ihr einen Gruß durch Kimball bestellen lassen. Nun hat das Mädchen den Kopf voll von Deinen Abenteuern. Besuche sie, Du wirst gut empfangen.

Ich blickte ihn lange an, er schüttelte verlegen den Kopf und wich mir aus. Er humpelte durch das Zimmer, stellte Arrak auf den Tisch und trank in kleinen 283 Zügen. Darauf betrachtete er mit mehr Ruhe meinen Segler. Es standen viele Seeleute um das Schiff herum, die Viktory erregte Aufsehen. Mogens betrachtete sie durch ein Glas, eine ganze Zeit. Er schien von dem Schiff gefesselt zu sein. Bis ich merkte, daß er einen bestimmten Mann verfolgte, der den Hafen verließ. Ich sah über Mogens Schulter hinweg nach dem Mann hin. Sein Gang war mir bekannt, ich bat Mogens um das Glas. Er gab es mir mit einem spöttischen Lachen . . . Ich gab ihm das Glas schnell zurück.

Keuchend ließ sich Mogens in den Stuhl fallen. Nun! fragte er. Wer war es?

Georges! sagte ich mit einem Schmerz in den Knien. Meine Hände wurden plötzlich naß und kalt, das Blut schoß durch meine Ohren. Ich fror am ganzen Körper und nur meine Ohren brannten.

Er ist hübsch fett geworden! sagte Mogens. Hübsch fett in den Schultern. Du solltest ihn erst sehen. Wie ein Kastrat, wie ein Hahn auf guter Kost . . .

Ich betrachtete ihn voller Mitleid. Er ertrug mein Mitleid mit einer spöttischen Handbewegung, nach einer Zeit wehrte er sich, und immer schaute ich weiter mit diesem tiefen Mitleid seine Gestalt an. Kapitän Mogens, der so viel für die Seekarte getan hat, dachte ich. Für die Schiffahrt ein Juwel, er mit seinem steifen Bein, jetzt noch bekannt und geachtet, hochgeachtet.

Plötzlich blickte er mich mit anderen Augen an. Sein Gesicht verzog sich zu einem Grinsen. Er erhob sich fast jugendlich, ohne Stock strich er um mich herum. Er flüsterte mir ins Ohr: Und Du, Nyhoff! 284 Du hast vergessen, daß in der Kommandantur die Schiffspost sortiert wird. Die Postsäcke kommen zuerst hier an, sie werden geöffnet und sortiert . . . Er blickte mich schonend an. Welch ein Mitleid lag in seinen Augen!

Ich schrie:

Und dann? was dann, wenn man die Post gesehen hat, Herr Kommandant. Dann bleibt es ein Geheimnis. Oder nicht? Gibt es ein Geheimnis in der Post von Port Ond!

Ja, Nyhoff.

Dann schweige! ich griff nach der Türe.

Er kam mir nachgeklopft und riß mich von der Türe fort. Höre, Nyhoff! ich habe nur die Anschrift umgeschrieben. Sieh doch, sollte ich Dein Paket umgehen lassen und Dich verwunden. Sie wohnte schon in Port Ond, mein Freund. Damals war es noch nicht weiter, verstehst Du. Es war noch nichts . . .

Ich blickte ihn mißtrauisch an.

An Deinem Brief aber mußte ich schon eine kleine Veränderung vornehmen. Er erhielt von meiner Hand einen anderen Namen . . . einen anderen Namen!

Lüge, Lüge!

Keine Lüge, Nyhoff. Sie hat Georges geheiratet . . . Ha ha ha! Es ist geschehen, sie haben sich eine Faktorei gekauft. Du kannst Dich davon überzeugen. Jetzt ist Port Ond schon voll davon, daß Du mit einem großen Segler hier liegst. Sie wird es auch wissen.

Prosit, Georges!

Ich ging umher und überlegte die neue Lage mit kaltem Herz. Mein ganzes Mitleid ergoß sich über 285 Mogens. Oh! sie ist mit Georges verheiratet. Und ich dachte: Ich will es gleich meiner Besatzung verkünden, daß wir in der Frühe wieder ausfahren. Es war keine Fracht da, und am besten, ich nehme Mogens mit mir . . . Ich war in Gedanken versunken.

Mogens sagte mit leiser Stimme:

Sprich mit mir, Nyhoff. Setze Dich doch, wir wollen gescheit sein. Ist etwas zwischen Dir und Henriette gewesen? Ihr wart längere Zeit auf der Farm zusammen. Du kannst es mir sagen, deute es an! ich verstehe es dann.

Ich überlegte seine Worte und fühlte seine Sucht, etwas zu erfahren, was ihm wehe tat. Ich sagte: Mogens, willst Du etwas hören, was unsere Freundschaft zerstört oder soll ich Dir eine Lüge sagen?

Mit gesenktem Kopf bat er: Setze Dich, Nyhoff, wir bleiben was wir sind. Du hast Deine Viktory und ich habe ein steifes Bein. Wir sind zu etwas gekommen. Wir können ruhig darüber sprechen. Ein Wort gibt das andere, und wir kommen zu einer Klarheit über ihren Charakter. Das ist nötig . . . Du bist ganz versessen auf sie, ich habe es nicht geahnt . . . Warst Du lange mit ihr zusammen?

Meine Augen hingen an seiner gebrochenen Gestalt. Das ist wahrhaftig ein Unsinn, dachte ich. Er denkt jetzt noch an sie, er kommt nicht von ihr los. – Ich dachte nicht mehr an sie. Und ich sagte: Ich habe kein Glück mit meinen Gehilfen, Mogens. Du siehst, es sind Diebe und Faulpelze, aber ich habe sie zu etwas gebracht. Der eine ist tot, der andere lebt und stiehlt Dir die Liebe.

286 Mir? – Dir, Nyhoff! Du warst es doch, der sich an sie gehängt hat . . .

Nein. Gewiß, ich fand sie ansehnlich, oft war sie sehr schön und begehrenswert. Aber ich habe mich nie an sie gehängt. Ich erinnere Dich an Daniele, sie war mir mehr. In Manila konnte ich mich nicht einleben. In einer vollkommen fremden Stadt. Da erwachte eine Sehnsucht in mir, es hätte jeder anderen gelten können. Das ist alles, glaube es mir. Zu einem Opfer ihretwegen war ich nicht fähig, hörst Du!

Er rieb sich die Hände, plötzlich fuhr er mich an: Was war denn in dem Paket enthalten?

Ich wurde rot bis unter die Haarwurzeln. Ich lächelte ihn an.

Sage es, ich bitte Dich, war es eine Perle?

Es war eine Perle.

Die rote Perle? – Rede doch, ich kann es verstehen, in Deiner Sehnsucht hast Du es nicht anders gekonnt, Du hast ihr die kostbarste Perle geschickt.

Ich nickte, auf seine direkte Frage konnte ich nicht lügen.

Sein Gesicht wurde weiß, er legte sich ganz zurück und schloß die Augen.

Ich murmelte:

Du mußt es nicht ernst nehmen. Ob rot oder weiß, ich habe es nicht lange überlegt. Es kam mir nicht darauf an.

Eine gemeine Freude zog über sein Gesicht, und unter dauerndem Lachen sagte er: Die Perle ist natürlich nie in ihre Hand gekommen. Georges hat sie behalten, vielleicht hat er sie verkauft. Du hast ihm 287 ein schönes Hochzeitsgeschenk gemacht. Oder der alte Bacon säuft davon, es bleibt sich gleich, sie hat die Perle nicht erhalten. Dein Brief wird denselben Weg gegangen sein.

Lüge! – aber ich hatte es befürchtet, seit ich Georges sah.

Ich sagte ihm:

Bester Freund, ich will sie fragen. Ich werde hingehen und fragen. Meine Perle darf nicht in seinen Händen sein. Ich werde nur eine Frage an sie richten: Haben Sie die rote Perle erhalten, Henriette?

Sie hat sie nicht erhalten! triumphierte Mogens.

Ich will es aus ihrem Munde hören.

Nimm mich mit! bat er mit glänzenden Augen. Wenn er sie gestohlen hat, das bricht die Ehe!

Ich blickte ihn an, er zog den Kopf ein und stammelte: Geh! es ist nicht meine Absicht, sie wiederzusehen. Tue, was Du willst.

Er fixierte mich eine Weile, sein Gesicht nahm den alten Ausdruck der Freundschaft an. Er sah mich verklärt an und sagte: Es berührt meine Freundschaft zu Dir nicht. Ich bin glücklich, daß Du da bist. Wann kann ich Deinen Segler sehen?

Du kannst ihn jederzeit sehen. Welche Frage, kommst Du mit?

Nein! Jetzt nicht. Ich habe zu tun, ich komme aber.

Auf Wiedersehn!

Er öffnete mir die Türe und starrte mir nach. Ich hörte nicht, daß die Türe ins Schloß fiel, obgleich ich darauf scharf achtete.

 

288 Eine Stunde später, es war am Abend, stand ich vor Georges Faktorei. Ein etwas langgestrecktes, niedriges Gebäude, das unter Bäumen lag. Die Läden waren geschlossen, aus dem Hinterhaus hörte ich Stimmen. Ich glaubte Bacons Stimme zu erkennen. Ich schweifte eine Zeit um das Haus herum. Als ich an die Läden klopfte, rührte es sich nicht hinter der Türe. Wieder war ich im Begriff, das Haus zu umgehen, als ich Tritte hinter den Läden hörte. Der Vorhang ging hoch, die Türe öffnete sich. Georges selber stand in der Türe. Ich schloß für einen Augenblick die Augen und trat ein.

Er lief wie ein Wiesel vor mir her und stellte sich hinter einen der Ladentische. Wie ich diesen Schritt bereute, der mich in die Faktorei führte! Ich war nicht fähig, vernünftig zu denken. Ich blickte mich um und sah mit leerem Blick über die Warenbestände hin. Hinter einer Türe glaubte ich ein Geräusch zu hören, ich zitterte und klammerte mich an einem Stuhl fest. Ich blickte fest auf die Türe, sie lag drei Schritte von mir.

Er starrte mich unverwandt an. Es gelang mir nicht, ihn mit einem Blick in die Ecke zu fegen. Wie ich es wollte! Ich pochte mit der Hand auf den Stuhl, fort von hier! Ich wandte mich um und wollte forteilen. Zu meinem Glück blieb ich, zu meinem allergrößten Glück fand ich das Wort. Ich flehte ihn an: Gib mir die rote Perle zurück!

Er verließ den Tisch und ging hinter die Türe.

Nun stand ich und wartete. Ich hörte, daß hinter der Türe einige Worte gesprochen wurden. Ich wollte 289 etwas erhorchen und neigte mein Ohr zur Seite. Die Türe flog auf, Georges kam mit einer Kassette und stellte sie vor sich hin auf den Tisch. Er schloß sie auf, und ich hatte nur noch Augen für meine Perle. Er reichte mir eine Streichholzschachtel über den Tisch. Meine Perle! Ich nahm sie in die Hand, ich weinte, mit den Fingern putzte ich sie blank. Als ich ging, öffnete sich die Türe. Henriette stand auf der Schwelle, zwei Schritte von mir entfernt. Ich schaute sie von der Seite an, grüßte stumm und schickte mich zum Fortgang an.

Guten Abend, sagte sie zuerst.

Ich öffnete die Hand und zeigte ihr die Perle. Meine Lippen murmelten: Ich habe mir die rote Perle von Ihrem Mann zurückerbeten. Er hat sie mir bewilligt. Ich danke Ihnen, Henriette, daß Sie gerecht waren, und mir die Perle zurückerstatten ließen. Ich danke auch, ich möchte gehen . . . Gute Nacht. – Wir sahen einander an, sie fiel gegen die Türe und schluchzte.

 

Ohne mich umzublicken, eilte ich in den Hafen, die Perle in der hohlen Hand. Am Zollhaus begegnete mir der Zimmermann. Ich hielt ihn an, nahm seinen Arm und sagte ihm vertraulich: Zimmermann, gehen Sie die Ausfallstraße nach Süden. Zuletzt, ganz am Ende kommt eine Trinkstube, treten Sie ein, es wird Sie nicht gereuen. Daniele heißt sie. Nehmen Sie die Besatzung mit und sprechen Sie von mir. – Der Zimmermann versprach es.

Ich lief weiter zu meinem Segler. Freude im Herzen, berauscht von ihrem Anblick und selig über ihr 290 Schluchzen. Es hat einen Bruch in ihrer Seele gegeben, sagte ich mir stolz.

Auf dem Segler stand Mogens, er schwenkte seinen Stock, als er mich kommen sah. Ich versenkte die Perle in meiner Tasche und trat ihm entgegen. Sein Gesicht strahlte, seine Augen liefen über das Schiff und er sagte: Es ist der schönste Segler, den ich kenne.

Ich war doppelt selig. Daß er meinen Segler lobte, gewann ihm aufs neue mein Herz. Ich führte ihn mit großer Vorsicht zum Niedergang, hier entriß ich ihm den Stock und nahm ihn kurzerhand auf die Arme und trug ihn die Treppe hinunter. Sein Gesicht wurde zornig, wütend blickte er mich an. Er widerstand aber nicht, die Freude in meinen Augen machte ihn neugierig. Er folgte mir in den Navigationsraum. Ich warf Kissen auf das Sofa und bat ihn, sich auf das Sofa zu setzen. Ich pfiff den Jungen.

Wir wollen speisen und trinken!

Ich öffnete den Kartenschrank, Stöße der allerneuesten Seekarten enthielt er. Die Seekarten der halben Welt. Siehst Du, Mogens, von dieser Stelle aus kann ich segeln. Sage ein Wort, nenne einen Platz in der Welt, welcher Dich reizt. Fahre mit mir! ich bin Dein Steuermann . . .

Er hustete, sein Husten war heiser vor Erregung.

Nun, da Du nicht willst, nehme ich es Dir nicht krumm. Du bist Kommandant von Port Ond, sicherlich auch etwas Verlockendes.

Der Junge kam und trug das Essen auf. Es gab Fasanenfleisch aus meinem Vorrat, junge Artischocken und amerikanische Kartoffeln aus Manila. Dazu Bier. 291 Willst Du Bier oder Arrak? Er wollte mit mir Bier trinken. Das Bier war warm, er verzog den Mund, trank aber das Glas leer, um mich nicht zu beleidigen. Er aß aber nicht, nach meinem Zureden dankte er einfach. Er war des Essens so sehr entwöhnt, und ich ließ Arrak bringen. Davon genoß er reichlicher. Er legte seine Hand um die Flasche und sagte mir, der ich kräftig aß: Ich kühle mit meiner kalten Hand Deinen warmen Arrak.

Mogens, Mogens! sagte ich traurig, wende Dein Leben. Es führt zu nichts, wenn Du länger in Port Ond bleibst.

Woher weißt Du das so sicher! Hast Du sie gesehen?

Ich aß mit Unlust, ich war erschrocken und ließ das gute Essen abtragen.

Hast Du sie gesehen! fragte er abermals und eindringlicher.

Nun überwältigte mich die Freude, daß er von ihr sprach. In einer Aufwallung reichte ich ihm die Hand, ich wollte ihm etwas Gutes tun und sagte die Unwahrheit! Ich habe sie nicht gesehen. Es verlangt mich nicht danach. Ich habe aber meine Perle von ihm erpreßt. Es war so, wie Du sagtest. Sie ist nie in ihre Hände gekommen, hier ist die Perle.

Ich legte sie auf den Tisch. Er sah die Perle nicht an, sondern meine Hand, die die Perle auf den Tisch legte. Er verfolgte meine Hand mit den Augen, nun zitterte meine Hand und ich steckte sie hastig in die Tasche. Dann erhob er sich.

292 Gute Nacht!

Gute Nacht, Mogens.

Er stolperte zur Türe. Ich rief seinen Namen, er hielt sich an der Türe fest und sagte: Warum belügst Du mich! Du hast sie also gesehen!

Ja, ich habe sie gesehen, setze Dich. Ich habe sie eine Sekunde gesehen, es genügte mir. Bitte, willst Du es in Ruhe anhören, was ich Dir zu sagen habe . . . Sie hat mir zuerst die Zeit gesagt. Ich habe gedankt und ihr die Perle gezeigt. Sie fiel gegen die Türe und schluchzte.

Ich starrte ihn an, er stützte sich auf den Stock und sagte: Ade!

Ade! sagte ich leise und hielt ihn nicht zurück. Ich hörte, wie er im Gang stolperte, ich blieb auf dem Fleck stehen. Ich hörte seinen klopfenden Schritt auf Deck, seinen Schatten sah ich am Bullauge vorüberziehen. Ich zog die Gardine vor das Bullauge, beugte mich zu Boden und klopfte ganz sinnlos meine Hosenbeine aus. Dabei kam mir der Gedanke, mit der Hand so zu tun, als klopfte ich einem Hund den Nacken. Und ich schwor, mir endlich einen Hund zu halten, der abends zu meinen Füßen liegt. Zerschlagen legte ich mich über das Sofa.

 

Eine Stunde danach. Ich höre leise Schritte vor meiner Türe, darauf klopfte es. Ich öffne die Türe, Henriette steht vor mir. Ich verbeuge mich und lasse sie eintreten.

Henriette, warum kommen Sie zu mir?

293 Ich sah, wie sie ihre Füße zusammenpreßte, sie hob die Arme zur Seite und ließ sie fallen. Sie war außer Fassung.

Nyhoff! Ich muß nur eines wissen. Wann haben Sie mir die Perle geschickt. Um des Himmels willen!

Warten Sie, Henriette, ich weiß es genau. Doch wozu wollen Sie es wissen? Es ist länger als ein Jahr her. Ich weiß es aus dem Kopf. Ich habe in Manila gewartet, gewartet. Ich weiß es.

Ich sehe sie an, es gleitet ein fröhlicher Zug um ihren Mund, sie kommt mir entgegen und sagt: Auch ich habe gewartet . . . Nein, davon will ich nicht sprechen. Ich bin bei Ihnen, sehen Sie. Ich bin gekommen, Gott, nun will ich Ihnen danken, daß Sie mir die Perle schickten. Sie kam in falsche Hände . . . Ich habe auf ein Zeichen von Ihnen gewartet. Die rote Perle hat er mir verheimlicht. Ich wollte fort von Port Ond. Mein Vater wollte es nicht, er ist krank. Ihm zu Liebe blieb ich in Port Ond . . . dachte, Sie wären fort . . .

Ich beuge mich über ihre Hände, sie nimmt mir die Hände von den Lippen, ich fühle ihre Lippen auf meiner Stirn und sinke demütig in die Knie. Ihr Körper preßt sich an meinen Kopf, ich erhebe mich und liege an ihren Lippen. Sie faltet die Hände in meinem Nacken und ich fühle die Hitze in ihren Fingern mit meiner Haut.

Ich verlasse sie eine Weile und stürze an Deck, um ein Wort zu schreien. Ich hielt es nicht länger aus, neben ihr zu stehen. Henriette! hauche ich vor mich hin. Ich stehe am Großmast und horche. Ein Mann 294 steht am Schiff, er steht mit einem Fuß auf der Laufplanke. Ich verstecke mich und denke, es ist mein Freund Mogens, der nun am Segler die Wache hält. – Es ist aber nicht mein Freund Mogens. Als die Gestalt ging, sah ich, daß es Georges war. Gott sei Lob und Preis! es ist nicht mein Freund Mogens, es ist nur Georges. – Tief befriedigt kehre ich zu ihr zurück.

Und ich sehe, daß sie sich über einen Spiegel beugt, sie betrachtet sich ganz fassungslos. Ich umarme sie. Sie beteuert mir ihre einzige Liebe. Ich umschlinge sie fest, ihre Arme fallen über meinen Rücken. Sie küßt und weint in einem Atem.

Es wird spät. Ich lösche das Licht an der Decke, und sie küßt meine Hände, die das Licht löschen. Ich gehe mit ihr zum Bullauge und ziehe die Gardine zurück. Nach einer Zeit wird ein Schatten sichtbar, er hält vor dem Fenster.

Das Licht ist gelöscht, denke ich. Du Schatten am Fenster, was mußt Du erleiden. Auch sie sieht den Schatten, ich lege die Gardine vor das Fenster.

Du bleibst bei mir Henriette? Sie küßt mich, ich hebe sie auf und trage sie fort.

 

Es wird früh. Ich stehe am Fenster und blicke auf ihre schlafende Gestalt. Sie hat mir gesagt, daß sie nicht bleiben kann. Ich fasse es nicht, und doch kam sie. Draußen steht noch Georges und wartet.

Ich gehe dreimal auf und ab und bete. Ich starre durch das Fenster, gleich beginnt der Tag. Und da ich sie liebe, wecke ich sie.

Ich hebe ihre zitternde Gestalt auf und geleite sie 295 zur Türe. Ich laufe ihr voraus und schicke die Wache ins Logis. Ich warte. Sie kommt und eilt mit ausgestreckten Armen auf mich zu, den Kopf erhoben, die Haare leicht gelöst. Mitten auf Deck umarmt sie mich. Ich frage sie wieder, sie schüttelte den Kopf und stolpert von Deck.

Dort geht ihr Georges eilig nach.

 

Ich habe in der Eile vergessen, Henriette ihr Eigentum zu geben. Die rote Perle. Sie liegt in einer Schale auf dem Tisch und erleuchtet wieder meine Gedanken. Ich betrachte sie aus einer Entfernung, sie flüstert mit mir, eigene Gedanken vermittelt mir diese Perle. Sie will mich betören und bittet, bleiben zu dürfen. – – – Nein, davor sei Gott, daß ich fremdes Eigentum nehme. Du bist mehr denn einmal an sie verschenkt. Ich trage Deinen Lohn schon in der Brust. Du bist verschenkt, ich will Dich nicht. Es flüstert in meinen Ohren: Ich werde krank, beschaue mich.

Zu Tode erschrocken beuge ich mich über die Schale, vorsichtig nehme ich sie in meine Hand und betrachte ihren zarten Leib. An einer Stelle ist es, als blättere ihre Haut. Ein geringer Schorf liegt auf ihrem Glanz. Ich putze sie, stecke sie in den Mund und lutsche daran. Danach betrachte ich sie, ihr Glanz ist wieder vollkommen.

Sie wollte mich nur täuschen.

 

Gegen Mittag erhielt ich einen Brief von Henriette. Sie bittet mich abzusegeln. Sie kann mir kein Wiedersehn gönnen. – Ich zerreiße den Brief. 296

 


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