Heinz Kükelhaus
Thomas der Perlenfischer
Heinz Kükelhaus

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16

Zum ersten Male seit langen Jahren zog ich wieder blaues Zeug an, das mir der Erste Offizier zur Verfügung stellte. Der Kapitän bezeugte mir seine Achtung, er lud mich in die Messe. Ich hatte ein Gespräch mit ihm, das mich tief verwundete. Es waren genügend Zeugen in der Messe, um mir mehreremal das Blut in den Kopf zu jagen. Dabei war er ein Mann von viel Erfahrung, mit weißen Haaren an den Schläfen, schön von Gestalt. Einer jener Männer, die ich hoch schätze, die unausgesetzt für das Wohl ihrer Untergebenen Sorge im Herzen tragen.

Ich begrüße Sie! redete er mich an. Es freut alle Mann meiner Besatzung, daß wir Sie retten konnten.

Mein Herz flog ihm zu. Ich reichte jedem Offizier die Hand, sprach einen stummen Dank und verbeugte mich vor dem Kapitän, bevor ich an seiner Seite Platz nahm. Der Erste Offizier war nicht zugegen, er war auf der Brücke.

Der Kapitän fragte mich:

Sie sind Steuermann und Perlenfischer?

Ich nickte. Ja, Du Herr eines schönen Schiffes, dachte ich, ich bin es. Was fragst Du nach meinem Tun? Steht es mir nicht im Gesicht geschrieben? Du sahst ja meinen Perlenlugger.

Warum fahren Sie nicht zur See? fragte er gütigst.

Ich sagte heiser:

Ich fahre ja zur See, Herr Kapitän. Seit Jahren fahre ich.

Mit Erfolg? erkundigte er sich.

241 Mit wechselndem Erfolg, konnte ich sagen. – Die Offiziere lächelten mich an, sie aßen einen Pudding mit Rosinen und Schinkenstücken.

Ist es wahr, daß die Perlenfischer auch einmal eine Perle fangen? . . . Ich hielt es immer für ein Märchen, lieber Steuermann. Bitte, ohne Sie zu beleidigen, Ihnen will ich es glauben. Denn warum gaben Sie Ihre gute Existenz auf und gingen unter die Perlenfischer? Wie lange treiben Sie sich jetzt in der Südsee herum?

Ich war so ungeübt in der Führung eines Gesprächs, daß ich ihm nach der Wahrheit antwortete.

Oh, die besten Jahre Ihres Lebens, Steuermann! Ich hörte oft von Ihnen, immer bedauerte ich Sie.

Das Blut zog durch meine Schläfen. Ich suchte nach einer Antwort, ich wollte sprechen, um das Klopfen meines Herzens zu übertönen. Ich schwieg. Ich horchte auf das Stampfen der Maschinen, ein leises Zittern begleitete jedes Wort. Der Stuhl, auf dem ich saß, er zitterte. Meine Hände auf dem Tisch fühlten das Beben aus der Tiefe des Schiffes. Einen Augenblick vergaß ich den Kapitän und blickte in die Leuchter an der Decke. Friede in meiner Brust! Mein Herz stöhnt so gewaltig, es steht jemand hinter mir. Es ist Bongards, ich sehe seine entzündeten Augen. Ich blicke mich hastig um. Es ist nicht der Matrose Bongards. Es war das Beben des Schiffes. Doch! er ist es selber . . . Er lüftet seine Mütze, seine Augen wandern auf und ab, er spricht mich an . . . Ich sagte Ihnen die Wahrheit, geben Sie mir noch einmal Ihre Hand, ich habe nicht gelogen. Ihr Segler war doch 242 mein Tod. – – – Ich starre ihm nach, mit einer tiefen Verbeugung verläßt er die Messe. –

Sie sind müde, Steuermann! hämmerte es an mein Ohr. Nun wird es Ihnen gut tun, schlafen zu können.

Eine Weile kämpfte ich einen Kampf, da zog die Freude in meine Brust. Ich sitze still und lächle heiter, in meine Füße schießt das heiße Blut aus dem Kopf, nun sind es die Füße, die wie gelähmt sind. Eine tiefe glückliche Müdigkeit in meinen Beinen.

Indem ich mich umblicke, beteuere ich, daß ich nicht müde bin. Ich würde in dieser Nacht doch nicht schlafen. Zu groß sei meine Freude und auch meine Trauer. – Der Kapitän freute sich meiner Worte, er ließ deutschen Wein auf den Tisch bringen, heimlich beauftragte er den Steward, Sekt kalt zu stellen. Ich hörte jedes Wort, das er flüsterte. Das Gespräch wurde allgemein, die Offiziere fragten mich nach dem Schicksal meines Seglers. Sie hatten gehört, daß eine Bora in der Molukkensee getobt habe. Ob mich die Bora erfaßt hätte. Ich konnte es bestätigen, die Bora hatte uns erfaßt. – Vielleicht waren es aber nur die Enden der Bora? – Nein! Ich stand im Zentrum der Bora. Zwei Tage hatte ich keinen Wind, an zwei Tagen war Modergeruch in der Luft, dann brach am Abend die Bora aus.

Es klingt geheimnisvoll, was sie sagen, meinte der Kapitän. Modergeruch! Ich hörte es schon einmal. Stimmt es, gibt es vor der Bora inmitten der See einen solchen Geruch?

Ja!! –

243 Sie müssen es wissen. – Haben Sie von dem Orkan in Port Ond gehört. Die Mole soll eingedrückt sein, ein Dampfer gekentert, andere stark beschädigt!

Ich erwiderte: Zu dieser Zeit war ich in Port Ond.

Erzählen Sie! Lebt Kapitän Mogens noch?

Der Kapitän trank mir zu und setzte sich zurecht, er erwartete eine lange Erzählung von mir. Ich nahm alle Kraft zusammen und erzählte von dem Orkan in Port Ond. Ich hatte viel zu verschweigen, die Erzählung riß an meinen Nerven. Ich brachte den Bericht zu Ende.

Gut! sagte der Kapitän, der erste vertrauenswürdige Bericht über diesen Orkan. Port Ond ist der verrückteste Hafen, den ich überhaupt kenne. Diese Moskitos! Die Trinkstuben an der via nach Süden sind mir in schlechter Erinnerung. Die Mädchen kommen aus Manila.

Ich dachte an Daniele, die nicht aus Manila kam.

Sie sprachen kaum von Kapitän Mogens, fuhr der Kapitän fort und wandte sich an die Offiziere. Sie kennen doch Mogens, meine Herren! – Sie antworteten durcheinander: Wer kennt Kapitän Mogens nicht!

Der Kapitän neigte sich zu mir: Durch Mogens kenne ich Sie genau, Steuermann.

Ich sagte glücklich:

Der Kommandant Mogens ist mein Freund, Herr Kapitän. Er geht zur Zeit am Stock. Bei dem Orkan verletzte er sich das Knie.

Der Kapitän schlug die Augen nieder und sammelte Staubfäden von seinem Ärmel, er sagte: Eine verzweifelte Leidenschaft hält Mogens in Port Ond fest. 244 Ich kenne Kapitäne, die oft in Port Ond vor Anker gehen. Eine verzweifelte Leidenschaft . . . Wissen Sie Näheres?

Ich bedauerte, das Vertrauen von Mogens in diesen Angelegenheiten nicht zu haben. Ich versteckte meine Hände in den Hosentaschen, ich ballte sie zu Fäusten . . ., aus Sorge, aus lauter Sorge um Mogens Ruf.

Ich will Sie aufklären, lächelte der Kapitän seinen Offizieren zu. Ich will Ihnen ein Beispiel geben, wie man es nicht in diesem Leben anfangen soll. Mogens war einer der kühnsten Kapitäne. Rasch in Entschlüssen und unvermutet wagemutig. Er ist auf guten Dampfern der Smet Linie gefahren. Er hat sie mehr als einmal aufs Spiel gesetzt. Es kam ihm darauf an, in den gefährlichen Molukken neue Seewege zu finden. Er fand sie auch, und hat damit seinen Ruhm begründet. Er hatte sich eine Theorie von der Häufung der Korallenriffe zusammengestellt; danach fuhr er seine Dampfer. Das Glück war mit ihm. Er war mit den Perlenfischern in der Südsee gut Freund. Sie lieferten ihm das beste Material zu seiner Theorie. Ist es so, Steuermann!

Ich nickte mit dem Kopf.

Nun, wir fahren heute so ziemlich alle in der Südsee auf den Wegen, die Mogens zusammengestellt hat. Dieser Mann liegt nun in Port Ond vor einem Mädchen auf den Knien. Mit derselben Verbissenheit, wie er die Dampfer der Smet Linie fuhr, segelt er jetzt sein Lebensschiff zur Hölle . . .

Nach diesen Worten erhob ich mich. Der Kapitän sprang auf, sein Gesicht verfärbte sich, weil ich mich 245 als erster erhoben hatte. Die Offiziere sprangen bestürzt auf. Ich war zu einer Erklärung gezwungen. Ich hob beschwichtigend den Arm, es wollte mir nichts weiter einfallen. Ich stotterte, mein rechtes Bein sei eingeschlafen. Und ich schlenkerte mit dem Bein, lachte und bat den Kapitän um Entschuldigung. Ich fragte, ob ich das Tischgebot verletzt habe. – Er schüttelte nachsichtig den Kopf, legte mir den Arm auf die Schulter und ging mit mir einige Schritte auf und ab. Er flüsterte mir zu: Man sagt, das Mädchen, vor dem Mogens kniet, sei eine Zwiespältige, die es mit vielen Männern hält . . .

Ich ging und ging neben dem Kapitän. –

Er sagte:

Eine höchst Gefährliche, ich selber habe sie nie gesehen. Ein weißer Falter, der diesen Hafen noch verrückter macht. Was sagen Sie, Steuermann?

Ich kenne sie kaum! Herr Kapitän. Sie hat eine sehr weiße durchsichtige Haut.

Wurmstichig! lachte der Kapitän.

Mir wurde sie als sehr zurückhaltend bekannt, sagte ich leise.

Ich habe auf einer meiner nächsten Reisen Fracht für Port Ond. Ich will sie mir ansehen.

Ich sagte mit leisem Hohn:

Dann hat sie einen Verehrer mehr, ich warne Sie. Sie bleiben in Port Ond liegen wie Mogens. Ein Mann in Ihrem Alter, ernst und von guter Bildung. Sie gehen vor Anker in Port Ond. Die Dame hat Witz.

Er goß mir Sekt ein. Lachte leise vor sich hin, als sei auch er ein Verzauberter aus Port Ond. Seine 246 Augen blickten warm. Immer wieder trank er mir zu. Meine Rettung aus Seenot war der allgemeine Toast dieser brausenden Trinkerei. Ich schickte Kimball durch den Steward ein Glas zu, mit der Bitte, sich zu gedulden. Ich hatte ihn keine Minute vergessen.

Und der Kapitän schlug vor, den Passagieren Gesellschaft zu leisten. Ich taumelte vor Müdigkeit, doch trieb mich die Neugierde, die Passagiere zu sehen. Am Arm des Kapitäns betrat ich den Gesellschaftsraum.

Herren und Damen! ich wurde vorgestellt. Ich hörte ein Geraune in meinem Rücken, das Lachen der Damen begleitete mich bei jedem Händedruck. Der Perlenjäger, hieß es in meinem Rücken. Nein! er ist ein Steuermann zur See, klärte ein Offizier auf. Der Perlenjäger! beharrten die Damen.

Ich blickte sie versteckt an, mein Blick wanderte von Gesicht zu Gesicht. Da betrat der Erste Offizier Scotty den Raum. Er sprach mit dem Kapitän, grüßte einige Damen und reichte mir die Hand. Er führte mich in eine Ecke und sagte leise: Ich habe Ihr Logbuch gelesen, Steuermann. Es ist furchtbar, was Sie erlebten. Ich habe einen Funkspruch nach Port Ond unterwegs, der Ihre Rettung anzeigt. Ich habe auch auf das Atoll verwiesen, Ole Philipps ist mir bekannt.

Danke, daß Sie Port Ond benachrichtigten.

Haben Sie noch einen Wunsch, sollen wir jemand benachrichtigen?

Nein! ich kenne keinen weiteren Menschen.

247 Er sah mich ungläubig an. Ihr Perlenfischer, sagte er, seid Ihr denn ganz von Gott verlassen!

Ich erwiderte aufgeregt:

Von Gott nicht, Scotty! Das glauben Sie nur ja nicht. Stünde ich sonst an Bord Ihres Schiffes? Sie sind noch jung, Scotty, aber glauben Sie meinen Worten! Nicht der Kleinste unter uns ist verlassen. Das wäre das Ende, am kleinsten Jungen hier an Bord hängt die Sicherheit dieses Schiffes.

Er blickte sich beschämt um und reichte mir die Hand. Er verließ mich.

Ich riß ein Blatt Papier aus der Tasche und schrieb einige Worte darauf. Ich meldete Henriette meine glückliche Errettung. Als eine der jungen Damen an meinen Tisch kam, zerriß ich das Papier. Ich erhob mich, da sie vor mir stand und verbeugte mich, nannte meinen Namen und erwartete ihre Anrede.

Sie fragte mich geradezu, ob ich Perlen hätte.

Ich sah sie verblüfft an. Bei ihrer Jugend hatte ich die Frage nicht erwartet. In ihren Augen lag ein sanfter Schimmer. Ihrer Augen wegen sagte ich, daß ich Perlen habe. Sie legte ihre Hand auf meinen Arm und flüsterte erregt: Zeigen Sie mir die Perlen alleine. Ich möchte nicht, daß eine andere die Perlen sieht. Bitte, wann kann ich Sie treffen?

Ich sagte streng: Sie können mich immer treffen, die Perlen kann ich Ihnen nicht zeigen. Sie sind zu aufgeregt. – Ich entzog mich ihr, um einem anderen Mädchen zu begegnen, das mich durch ihre Schlichtheit ansprach. Es gelang mir erst nach einer ganzen Zeit, sie zu treffen. Sie lächelte mir aber fortwährend 248 zu, sie mußte meine Bemühungen bemerkt haben. An einem Sessel begegneten wir uns. Ich streifte ihre Hand. Sie trug einen kostbaren Schal um ihre Schultern, darin wickelte sie die Hand ein, die ich gestreift hatte. – Sie waren in Seenot? fragte sie. War es schlimm, ich denke schon den ganzen Abend an Sie.

Ich beruhigte sie, es sei schon alles vergessen. Ich gedächte mit keinem Gedanken mehr der Not. Auf diesem Dampfer und in seiner Sicherheit fühle ich mich geborgen. – Seenot? Ja, es liegen doch böse Tage hinter mir. Ein Mann ging über Bord. Wissen Sie, mein Fräulein, es war ein armer Matrose, der gerade eine böse Seenot auf einem Dampfer überstanden hatte.

Sie blickte mich an. Ich wunderte mich über ihre kalten Augen. In unserer Nähe saß ein alter Herr, der uns wohlwollend zunickte.

Ist der Matrose ertrunken? fragte sie.

Sie hörten doch, es war inmitten der Bora, ich sah ihn an der Schot entlanggleiten. Seine Finger mußten einen Krampf haben, er glitt in die kochende See, die Wogen spülten ihn fort. Ich konnte ihm nicht helfen. Jetzt sehe ich ihn vor mir, aber er ist ausgelöscht. Ich muß es mir immer wieder sagen, damit er nicht vor mir auftaucht . . . Ich habe lange nicht geschlafen, es werden meine Nerven sein, die es mir vortäuschen. Seenot! Sie haben recht, es war schlimm.

Sie blickte zu Boden. Weinte sie? – Ich zitterte bei dem Gedanken. Aber sie war die erste unter ihnen, die nach meiner Seenot fragte. Ich sagte ihr alles, was ich nie gesagt hätte. So müde und zertreten 249 war ich. Ich griff nach ihrer Hand, eine Sekunde ließ sie mir ihre Hand, sie blickte sich nach dem älteren Herrn um. Ihr Gesicht wurde abweisend, sie hatte nicht geweint.

Ich trat einen Schritt zurück, ich glaubte die Begegnung sei beendet. Ich murmelte einen Dank für ihre Nachfrage, mit einem Blick sah ich, daß sie noch etwas von mir wünschte. Ihre weißen Hände machten eine aufhaltende Bewegung. Ihre schlichte Kleidung war höchste kostbare Einfachheit. Es ging ein Widerschein von ihrem Kleide aus, der mich betäubte.

Es blieb bei der Bewegung ihrer Hände. Sie hatte keinen Wunsch mehr, ihr Lächeln war unbeschreiblich, ich ging beglückt davon. Wie ein Sturzbach überfiel mich die Müdigkeit. Ich überdachte jeden Schritt scharf, den ich tat. Auf der Stelle hätte ich umsinken mögen. Der Raum schaukelte vor meinen Augen, diesen Schritt ging ich noch, den nächsten taumelte ich.

Noch einmal begegnete sie mir, am Ausgang des Raumes trat sie mir entgegen. Meine Müdigkeit stockte, an ihrer Seite war der ältere Herr, er redete mich an. Ich hörte seine Worte und nahm sie trotz meiner elenden Schwachheit in ihrer vollen Bedeutung auf. Er fragte mich, ob ich meine Perlen gerettet hätte.

Ich erblickte den Ersten Offizier. Da ich zu stürzen drohte, klammerte ich mich an dem Herrn fest.

Ich rief laut: Scotty!

Der Erste Offizier kam, faßte mich am Arm und brachte mich zur Kabine. Ich hörte ihn murmeln: Sagen Sie, Nyhoff, sind Sie wahnsinnig? 250

 


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