Heinz Kükelhaus
Thomas der Perlenfischer
Heinz Kükelhaus

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1

Ich, Thomas Nyhoff, bin ein Mann von 40 Jahren. Ich wohne auf meinem Segler Henriette und fahre täglich über den Golf von Mexiko. Wenn ich abends einschlafe, zittere ich vor dem Morgen. Am Morgen wundere ich mich, daß ich noch lebe. Ich stehe auf und rufe meinen Hund: Heina, Heina! – Er hört gut und kommt gesprungen, ich kenne keinen besseren Hund. Er legt seinen Kopf auf meinen Arm. Ich setze die Segel und fahre bis zur Nacht auf See. Doch ich habe Furcht, zu weit zu segeln; ich behalte die Lichter von Orleans im Auge. Ich bin zu feige, allein durch die Nacht zu segeln.

So lebe ich unter meiner Kraft dahin. Noch fünf Jahre vorher bin ich viel durch die Nächte gesegelt, allein und wochenlang. –

Heute erhielt ich eine Nachricht aus der Südsee. Und die Nachricht gibt mir zu denken Anlaß. Es gibt viele Menschen in der Südsee, die mich kennen. Aber nur einer weiß, daß ich mit meinem Segler Henriette in Orleans liege.

Kapitän Mogens hat mir geschrieben.

Ich kenne die Südsee und träume davon. Ho! diese Jahre! Wenn es hier dumpf und fleckig ist, denke ich an des Nordwestmonsuns belebende Frische. Wie ein Gewitter singt der Monsun in meinen Ohren. Wie durch Peitschenschlag belebt sich mein Gehirn, so ich nur daran denke, und die vom Sturm geschlagenen Wasser der Südsee sind wie Silberadern in meinen 8 Augen. Die Tücken und gurgelnden Strömungen biegen noch jetzt meine Knie vor Wonne. Ich konnte vor Freude weinen, wenn die Wogen meinen Segler überrollten. Ja, einen Segler in der Südsee! Er muß stampfen, er darf nicht wissen, wohin ihn der Wind schellt.

Jetzt habe ich eine zitternde Furcht, allein durch die Nacht zu segeln. Ich bin kein Mann mehr. Ich werfe mich wohl mal mit meinem ganzen Gewicht auf die Planken und schreie. Ich habe mir eine Schlinge gemacht, die drei Meter hoch am Mast hängt, aber ich lege meinen Hals nicht hinein. Doch es gibt Stunden, da ich die Schlinge anstarre. Und ich denke an die Jahre . . . Heina, Heina! Das Denken, das Denken. –

Georges lebt nicht mehr. Das hat mir Kapitän Mogens geschrieben. Und ich will es nicht glauben, daß Georges tot ist. Georges ist tot! Er kann seinen Kopf nicht mehr drehen. Hörst Du!

Heina, Heina! Georges ist tot . . . Heina!

Nun habe ich etwas, meine Abende auszufüllen. Ich werde nicht mehr in die Nacht hinaussegeln. Heina liegt zu meinen Füßen. Ich habe eine große Kajüte auf dem Segler. Ich habe manches Möbelstück in die Kajüte geschleppt und viele Ballen Stoff, die ich aus dem Golf gefischt habe. Ich habe die Stoffballen dreifach an den Wänden hängen, darüber eine fleckige Rohseide. Es ist zum Sterben dumpf auf meinem Segler, aber die Seide knistert.

 

Ein Mann fragte mich in diesen Tagen, warum ich nicht mehr nach Perlen tauche. Ich fragte ihn, was er 9 von mir wisse. Der Mann sagte, man wisse in Orleans, daß ich aus der Südsee käme. – Ich komme vom Nordmeer, schrie ich ihn an. Er lachte, woher ich dann die Perlen habe. Ob ich ein Perlendieb sei? –

Und ich denke, der Mann hat mich belauscht.

Es ist wahr, ich habe noch Perlen in meinem Gürtel. Ich habe sie keinem Menschen gezeigt, aber man weiß es. Die Menschen riechen es.

Mit meinem Gehilfen Georges habe ich in der Südsee nach Perlen getaucht. Ich habe in meinem Gürtel ein schönes Vermögen, darunter drei große sechzig Gran wiegende Perlen. Eine Perle ist gezeichnet, und ich fürchte, sie ist krank. Ich lege sie in die heilende Sonne. Aber ich fürchte für ihr Leben. Sie hat seit einiger Zeit einen bösen Schimmer, als wolle sie bersten. Sie schimmert gräulich, auch etwas grün. Wenn sie stirbt, ist es ein großer Verlust für mich. Ich habe sie getrennt liegen, weil ich fürchte, daß sie die gesunden Perlen ansteckt. Perlen haben ihr eigenes Leben. Sie werden krank, manchmal gesunden sie, und man weiß nie, wie es in ihnen aussieht. Diese Perle aber ist krank, weil ich krank bin. Und ich will mich pflegen, damit die Perle gesund wird. Nie würde ich sie verkaufen, es könnte mir doch nichts helfen; vielleicht daß sie gesund wird, wenn ich mich eines Tages aufmache und in die Südsee zurückkehre.

Ich sollte zurückkehren und es würde alles anders aussehen. Die Sonne hat einen anderen Blick in der Südsee. Nicht so, als wenn sie eine andere wäre. Aber man steht in einem anderen Winkel zu ihr.

10 Hier liege ich oft stundenlang und grüble, was es für Menschen sind, die zu aber Tausenden in Orleans wohnen. Was sie denken, wie ihnen der Tag vergeht und woher sie alle kommen. Man kann es ihnen an dem kranken Schimmer der Augen ablesen, daß sie es selber nicht wissen. –

Ich war nicht allein in der Südsee. Ich war einige Jahre mit Georges zusammen, und ich habe mir keine Gedanken über ihn gemacht. Ich war auch mit anderen Menschen zusammen. Nie habe ich mir über die Menschen Gedanken gemacht.

Hier in Orleans werden aber die Perlen krank. Und ich frage mich, von welcher Natur die Menschen in Orleans sind, daß sie leben und gesund sind.

Ich war ein guter Segler, und mein Schiff war das schönste Boot, das je ein Perlenfischer in der Südsee besessen hat. Ein knapper Zweimaster, ein lebendiges Boot und weiß bis in die Toppen. Georges hat oft das Boot streichen müssen. Er tat es nicht gern. Weiß sei keine Farbe, meinte er. Ich glaube jetzt, daß er innerlich schmutzig war. Wie kann man Weiß keine Farbe nennen!

Aber ich habe ihn angehalten, sich und das Schiff sauber zu halten. Er hat mich darum gehaßt, und ich habe so getan, als merke ich es nicht. Man darf nicht jedes Gewürm ernst nehmen. Aber nach und nach sind mir über Georges Gedanken aufgestiegen. Ich will nicht breit darüber sprechen. Gedanken sind wie Luft, nur erregen sie. Eine merkwürdige Kraft liegt in den Gedanken, und ich hütete mich, wild mit 11 meinen Gedanken umzugehen. Ich habe Georges den Tod gewünscht, das ist wahr und ich will es mir nicht unterschlagen. Ich habe ihm insgeheim den Tod gewünscht, seit ich ihn kenne. Jetzt überschaue ich es, meinetwegen aber könnte er noch lange leben! Denn ich sehe die Südsee nie wieder. –

Obgleich es Jahre zurückliegt, entsinne ich mich aller Ereignisse; sie gehen durch meinen Kopf. Immer wieder steigen die Zeiten vor mir auf, und ich denke darüber nach.

Als ich mich mit meinem Segler der Insel Ceram näherte, ankerte ich auf Neira, einer Inselgruppe vor Ceram. Ich kam durch die Bandasee gefahren; der Nordwestmonsun hatte seit Tagen eine ungewöhnliche Stärke erreicht; er zwang uns, vor Neira Anker zu werfen. Es lag nicht in meiner Absicht, auf Neira vor Anker zu gehen, denn die Inselgruppe ist bekannt dafür, daß alle Perlenfischer in ihren Buchten Schutz suchen, wenn der Nordwestmonsun mit großer Stärke umgeht. Und es lag mir nichts daran, den wilden Perlenjägern der Südsee zu begegnen. Aber der Sturm erzwang meine Landung vor Neira.

Ich hatte zwei Männer an Bord, Georges und meinen Strohmann Hensley. Auf Buru hatte ich Hensley an Bord genommen, weil er über viele Gebiete der Südsee Lizenzen zum Perlentauchen besaß. Ich selber habe nie eine Lizenz von den Regierungskommissaren erworben, ich segelte nur mit Strohmännern. Es kam mir auch nie in den Sinn, vor einem Regierungsmann krumm zu tun und eine Lizenz zu lösen, wenn ich tauchen wollte.

12 Auf Buru hatte ich einen langen Handel mit Hensley, ehe er sich teuer an mich verkaufte. Er war Amerikaner, sehr jung und verschlagen. Doch waren seine Lizenzen gut und langjährig. Dreimal versuchte Hensley, mir zu entkommen, dreimal fing ich ihn wieder. Gleich in Buru versuchte er es auf einem Schoner, dessen erster Steuermann mit ihm im Bunde war.

Nun mußte ich auf Neira ankern, und ich wußte, welche Pläne Hensley hegte. Er hoffte auf die Schoner der Händler; er wollte mir entkommen. Nun war ich seiner lange überdrüssig; ich hätte ihn ziehen lassen, wenn er mich darum gebeten hätte. Da er es aber nicht tat, und seine Gedanken immer um die Flucht von meinem Segler kreisten, wachte ich aufmerksam.

Hensley und Georges hatten sich schnell befreundet. Zu dieser Zeit war Georges zwei Jahre an Bord meines Seglers; am Anfang war er ein williger Gehilfe, der auf mein Wort hörte und sich gut schickte. Er war als Matrose zur See gefahren und hatte in Neuguinea sein Schiff verlassen; hier traf ich ihn und nahm ihn als Gehilfen an Bord. Im Anfang erschien mir sein Gesicht schön und sein Geist lebendig, seine straffe mittlere Gestalt war wie geschaffen zu einem guten Perlentaucher. Nach und nach aber erkannte ich, daß er zum Tauchen zu schwach war, auch fand ich sein Gesicht nicht mehr schön. Ich ließ ihn nicht mehr tauchen, ich tauchte allein, Georges sank zu meinem Windmacher herab.

So fuhr ich zwei Jahre mit ihm, sein Ehrgeiz war gering. Es drängte ihn auch nicht zu tauchen und meine Befehle führte er widerwillig aus. Von da an 13 wurde er mir gleichgültig. Am Tage sprach ich nur wenige Worte mit ihm und insgeheim sah ich mich nach einem neuen Gehilfen um.

Aber die Monde gingen; ich tauchte, wir segelten die Bandasee hinauf nach Ceram. Noch fand ich keinen geeigneten Mann für Georges. Sobald wir uns Ceram näherten, ging sein Wesen in Eifer über, er kalfaterte das Deck ausgiebig, putzte das Messing und hielt das Schiff weiß. Wenn ich tauchte, gab er sich Mühe, die Luftzufuhr nach meinen Wünschen zu regeln. Auf diese Weise machte er es mir wieder schwer, ihn von Bord zu jagen. Ich hatte ihn in den zwei Jahren wohlhabend gemacht, an allen guten Fängen wurde er beteiligt, und sein Perlmutter lag in Säcken gut geschichtet im Packraum. Ich hatte starke Stürme mit ihm gemeinsam bestanden und ihm zehn größere Perlen geschenkt. So war es, als wir nach Neira kamen.

Die Inselgruppe ist durch viele Buchten getrennt, und die Buchten gleichen breiten Flüssen, sie liegen zwischen den hohen Felsufern der Inseln. Alle Buchten sind tief und fahrbar, sie bieten auch den größeren Schiffen einen sicheren Hafen gegen den Sturm. Die Eingeborenen auf Neira gleichen den Papuas, sind dicklippig und von kleiner Statur. Sie bauen ihre Häuser auf Pfählen, die sie in den harten Fels rammen. Um die Zeit des Sturmes strömen viele Rassen auf Neira zusammen; auf Seglern aller Arten kommen die weißen Perlenjäger und Eingeborenen, sie warten auf die Händler, die aus allen Windrichtungen eintreffen, um zu handeln. Schildpatt und Perlmutter, Tripang und Perlen locken sie nach Neira. Sie fahren auf 14 großen Schonern von Celebes und den Philippinen herüber. Und es werden chinesische Lieder auf den Seglern gesungen, die Tripang zu verkaufen haben. Ich wußte das alles und wäre gern den Händlern aus dem Wege gegangen. Aber der Nordwestmonsun trieb mich nach Neira.

Ich beeilte mich, an der südöstlichsten Spitze von Neira vor Anker zu gehen, wo der kahle Fels der Insel von Eingeborenen nicht bewohnt ist; und wo der starke Geruch des Muskatnußbaumes mich nicht störte. Die ganze Inselgruppe ist mit der Muskatnuß bepflanzt, und ihr Duft hängt schwer über dem Wasser. An der südöstlichen Spitze von Neira liegt das Atoll Hitku, ich steuerte es in der Hoffnung an, der erste Segler in der Lagune zu sein.

Unter schwierigen Winden kreuzte ich die See vor Neira; die Winde kamen leise an, der Himmel war bedeckt und schüttelte plötzlich Böen aus. Es kamen schwere Regenschauer. Unter Land pfiff der Wind stark und heiß, und oft war der Sog der Brandung so heftig, daß der Segler sich um das Steuer herum zum Lande riß. Aber ich selber hielt das Steuer und brachte die Nase meines Seglers immer wieder auf ihren Kurs.

Mein Strohmann Hensley stand auf der Back und warf das Lot aus, er sagte mir die Tiefen an. Dreizehn und zwölf, zwanzig und zehn Faden. Die Tiefe wechselte stark, plötzlich wurde das Wasser seicht, der Wind kam in Böen und ich segelte nach Nord aus. Da pfiff der Wind am Großsegel vorbei, Georges stand an der Großschot und der Wind ging am Segel vorbei. Das Großsegel flirrte, Georges hatte geschlafen und 15 den Großbaum nicht nachgezogen. Ich rief ihn an, er zog den Baum nach, doch der Segler hatte sich schon zur Brandung geneigt, das Ruder sprang mir aus der Hand, der Segler krängte auf der Leeseite zu Wasser. Ich riß das Steuer herum und der Segler kreiste, er schlug einen Bogen und richtete sich unter Wind wieder auf; ich sandte Georges einen Blick zu.

Der Segler war leicht gebaut, die Querwinde machten ihm zu schaffen, aber er war von schönem Tiefgang, schmal und doch ein Zwanzig-Tonnenschiff. Es war von einem tüchtigen Baumeister in Orleans gebaut, der Raum war gut verteilt. Wir hatten zwei Kammern mit je drei Kojen, die Zeugkammer und die Kajüte. Im Vorschiff lag ein größeres Logis, ich habe es nie benutzt, die Taucherausrüstung war hier untergebracht. Der Packraum lag mittschiffs und war durch einen schmalen Gang mit der Kajüte verbunden. Hier standen auch die Wassertonnen und Pumpen.

Zwölf Faden! rief Hensley.

Die Böen waren vorübergebraust, aber die Brandung rollte stark in meinen Ohren. Das Atoll Hitku kam in Sicht. Um den Sog der Brandung zu entgehen, ließ ich den Segler weit auslaufen, ehe ich wendete. Hinter der Lagune erhob sich das Atoll wie ein Teller einige Meter über dem Meere. Im gleichen Augenblick sah ich jenseits des schmalen Atolls die Masten mehrerer Segler.

Ein feiner Korallensand bedeckte den Meeresboden, das Wasser war glasklar, der Trieb meines Seglers trübte das Wasser nicht. Hitku war unbewohnt, Fels und Buschwerk durchzogen das Eiland zehn Meilen in 16 der Länge. Und doch war das Atoll jedem Segler bekannt, denn es gab eine gute Wasserquelle auf Hitku. Ich kreuzte eine Zeit vor der Lagune, Hensley rief mir weiter die Faden zu. Drei, vier und sieben Faden. Ich kam in den seichten Kanal, der in die Lagune führte. Jetzt steuerte ich der Tiefe nach, die Lagune dehnte sich aus. Dieser Teil nannte sich die Perllagune von Hitku; hier wollte ich tauchen, um mir die Zeit zu vertreiben.

Am Strande standen einige Hütten aus grünen Padangzweigen, ich starrte lange hinüber. Ich nahm das Glas vor die Augen und erkannte weiße Männer und Eingeborene in ihren schmalen Booten.

Ich segelte in der leichten Brise zur östlichen Spitze der Lagune, neue Hütten tauchten am Strande auf und mehrere Boote zeigten sich; ich zählte vier Perlenlugger auf der westlichen Seite der Lagune. Neira und Hitku hatten viele Gäste, und ich zögerte, Anker zu werfen.

Siehst du die Perlenlugger! sagte Georges. Wir ankern am besten neben den Luggern.

Nein! Wir ankern nicht neben den Luggern, erwiderte ich. Ich kehre um und segle nach Ceram!

Hensley kam zu mir ans Ruder und sagte: Kehren Sie nicht um, Nyhoff. Die Lagune hat die schönsten Muschelbänke, die ich mir denken kann. Ankern Sie hier in der Mitte der Lagune, kein Mensch wagt es, an uns heranzukommen. Man kennt Ihren Segler, Nyhoff.

Er schmeichelte mir, er sprach leise und tat so, als sei es ihm gar nicht so sehr darum zu tun, in der 17 Lagune zu bleiben. Ich überlegte und da mich das Tauchfieber packte, sagte ich zu. Ich rief Georges an meine Seite und flüsterte mit ihm. Ich fragte: Glaubst Du, daß Hensley ausreißen will, Georges? Hat er Dir etwas davon erzählt? Sag es mir, du bist sein Freund.

Georges blickte mich versteckt an und sagte: Ja, er will ausreißen.

Danke, daß du ehrlich bist, Georges. Dann wollen wir ankern und sehen, wie er es anstellt.

Ich segelte einen Schlag hinauf zum östlichen Zipfel des Atolls und ließ über einer Bank den Anker fallen. –

Gegen Abend zogen drei große Handelsschoner an der Lagune vorüber, sie kreuzten eine Zeit und loteten sich an den Kanal heran. Es war ihnen aber nicht geheuer, der Wind war schlüpfrig und wechselnd. Sie drehten ab und schwangen Boote aus. Als es dunkel wurde, lagen die Boote am Strande von Hitku und die Leute machten Feuer. Es waren aber nicht die ersten Händler, die sich auf Hitku einfanden. Die ganze Nacht brannten am Strande die Feuer, es erschollen Gesänge, die leise mahlende Brandung warf sie über das Wasser. Aber ich hörte doch, daß es Yankeelieder waren. Der Handel ging um Perlen. Wir horchten in die Nacht auf das Gesinge vom Strande. Neben mir lagen Hensley und Georges. Hensley war der erste, der einschlief. Aber er schnarchte so übereifrig, daß ich seinem Schlaf nicht traute.

In der Dämmerung hörte der Gesang auf, es kamen neue Boote von den Schonern herüber, ich hörte es an dem dumpfen Scheuern der Riemen. Im 18 gebrochenen Morgenlicht stand Hensley am Bug und machte mit dem Glas die Boote aus. Mit einer klagenden und schrillen Stimme rief er über das Wasser. Ich horchte, es antwortete ihm aber kein Mensch aus den Booten; und ich lachte in mich hinein. Darauf legte sich der Strohmann wieder nieder. Wenn er mich darum gebeten hätte, würde ich ihm gestattet haben, an Land zu schwimmen. Wir hätten aufrechnen können, ein Jahr hatte er noch bei mir abzudienen. Aber er war versessen auf sein Geld und wollte mich um das eine Jahr betrügen. – Hensley, Hensley! Wer hatte dir auch geraten, als Strohmann durch die Welt zu fahren? Ich steckte den Zipfel seiner Jacke unter meinen Kopf, damit er mir nicht im Schlafe davonschwamm.

 

Die Sonne stand über dem Atoll, am Strande war es ruhig geworden. Vor der Lagune lagen die Schoner und ein feiner Rauch stieg von den Kombüsen der Schiffe auf. Der Wind war eingeschlafen. Von Zeit zu Zeit erklang ein Trompetenstoß über die Lagune, der Ruf kam von den Schonern und galt den Händlern am Strande. Um diese Zeit aber schliefen die Händler noch ihren Rausch aus.

Ich holte Segeltuch aus der Zeugkammer und dickes Garn, Ringe und Nadeln.

Hier, Georges, sind vier Meter Segeltuch, nähe die Ringe ein. Es sind vierzig Ringe, und der Ring kostet Dich fünf Minuten. Ich will tauchen, Hensley soll Wind machen.

Hensley lauerte mich an und fragte: Warum soll ich denn pumpen, Herr Nyhoff? – Ja, sagte ich, Sie 19 müssen pumpen, Hensley. Ich will wissen, was Sie machen, wenn ich im Wasser bin. Und Georges näht die Ringe an.

Ich blickte sie nicht an, langsam zog ich mein Wams an und legte die Luftschläuche zurecht. Ich ging zum Ankerspill und zog den Anker einige Meter auf.

Georges klapperte mit den Ringen, ich zog den Taucheranzug über die Beine.

Wieviel Fuß, Hensley?

Er warf das Lot ins Wasser; sechzig Fuß.

Ich warf das Steigseil über Bord, es schoß mit den Gewichten in die Tiefe. Hensley mußte mir den Helm aufsetzen. Ehe er es tat, blickte ich ihm in die Augen. Er schielte an mir vorbei und ich sagte: Sie wissen, Hensley, daß Sie auf die Schläuche achten müssen, der weiche Schlauch darf nicht einfallen, er muß immer leicht mit Luft geschwellt sein . . . Sie wissen es, Hensley!

Jaja, leicht mit Luft geschwellt . . .

Und wenn er zusammenfällt, müssen Sie pumpen, langsam, wie Sie es gelernt haben, Hensley. Und halten Sie die Signalleine klar! – Georges, Du treibst mir den Segler nach, wenn ich weitergehe. Du achtest immer mit einem Auge auf die Luftblasen! – Er nickte mit dem Kopfe und nähte. Ich sah Hensley durch die Glasscheibe des Helms an, sein Gesicht zuckte vor Zorn. Er schraubte die Bänder fest, ich horchte auf die Zahl der Umdrehungen. Georges nähte an den Ringen und schielte zu mir auf; Hensley stellte den Schlauchkarren fest, er pumpte einige Schläge, und ich ließ mich über Bord.

20 Das Meer, das Meer! Ich ließ mich schnell auf den Boden hinab, die Bleisohlen zogen mich hinunter. Ich schloß eine Weile die Augen und prüfte die Luft im Helm, sie wedelte um mein Gesicht; Hensley pumpte zu hastig, ich bekam Auftrieb und riß an der Signalleine. Ich ließ die überschüssige Luft aus dem Ventil, aber Hensley pumpte weiter zu hastig, mir schwindelte unter dem Druck. Nach einer Zeit erst hatte er das richtige Maß der Luft erfaßt. –

Ich blickte mich um. Eine Lichtflut bedeckte den Boden, die weichen Farben des Meeres zogen in schnellen Kreisen durch meine Augen. Nicht weiß, nicht rot, nicht dunkel oder hell, und doch blendeten sie meine Augen.

Ich beugte mich zu Boden, ein blauer Lichtschein fiel in meine Augen, ich stand vor einem Korallengebirge. Die Harlekinfische schossen an mir vorbei. Ich tappte einige Schritte, das Blau der Koralle hüllte mich ein, auch andere Farben zogen durch meine Augen; plötzlich war es eine glühend rote Farbe, die mich täuschte und blind machte, bis ich erkannte, daß ich dem großen Fenfisch in die Augen starrte, dessen Augenlicht die glühend rote Farbe strahlte. Ich schlug mit den Armen, der Fen jagte davon und ich sah die erste Perlmuschel am Boden liegen. Es war eine schwere Muschel; ich hob sie und legte sie in meinen Muschelkorb. Als ich weiterging, straffte sich der Luftschlauch; ich zog die Leine, die Luft wurde plötzlich unerträglich dünn im Helm und es durchzuckte mich ein häßlicher Gedanke. Hensley, Hensley! – Gleich darauf kam die Luft in Strömen. Ich ging weiter, jetzt 21 mußte Georges mir den Segler nachtreiben. Ich wartete eine Zeit, und ich sah den Schatten meines Seglers wandern.

Ich umging das Gebirge; die blühende Koralle bedeckte den Boden, leichter Sand wirbelte um meine Füße und trübte die Sicht. Ich setzte vorsichtig die Füße, da ich ein Loch am Boden witterte. Wenn der Sand wirbelt, verbergen sich Löcher am Boden. Der Sand schwebt, ein Strudel spielt dann mit ihm. Aber am treibenden Sand ließ ich mich auf die Knie; ich sah viele Muscheln, ganz plötzlich erblickten meine Augen die Schalen. Wie sie sich verbargen! Unter leicht geschwellten Hügeln lagen sie im Sand, eine funkelnde Spitze verrät sie. Ho! man muß die Augen auf den Boden heften, um die scheue Muschel zu sehen. Sie sind wie heimliche Pilze im Walde, nur das Wetterleuchten ihrer Schalen verrät sie; wie halb verschüttete blanke Räder liegen sie am Boden. Ich füllte meinen Korb, tastete mich zum Steigseil und schickte den Korb hinauf, nach einer Weile kam er mit Eisen beschwert zurück. Und ich sammelte an dieser glücklichen Stelle die Muscheln mühelos.

Als ich wieder auftauchte, war eine Stunde vergangen. Hensley nahm mir den Helm ab, und ich sah an Bord einen Berg Muscheln, darunter waren Tiere von einer seltenen Größe. Sie wogen acht und zwölf Pfund, ihr Gehäuse war scharf gewölbt, und jetzt um die Mittagszeit öffneten sie vorsichtig ihre Schalen nach der Sonne hin.

Ich warf den Taucheranzug ab, im Vorbeigehen zählte ich die Ringe, die Georges angenäht hatte. Ich 22 nickte ihm zu, er hatte fleißig genäht. Auch Hensley hatte gut gepumpt. Er sah mich fragend an und ich bat ihm insgeheim ab.

Ich nahm das Messer zur Hand und zog es schnell durch die geöffnete Schale einer großen Muschel. Die Schale schloß sich, sie brach aber ihre Wölbung am Stahl meines Messers. Ich hatte die Saugadern durchschnitten, plötzlich klapperte die Schale in meiner Hand, und ich öffnete sie. Das dunkle Tier zitterte in der Schale, einen Atemzug lang durchschauerte es mich.

Aber ich hatte die Tiere oft in der Schale zittern sehen, daß es mir nicht mehr wehe wurde. Und mit einem Blick erkannte ich, was das Muscheltier versteckte; diese hatte keine Perlen.

Ich arbeitete und der Haufen wurde kleiner, mein Messer traf die Adern, die Schalen wanderten in den Sack, die Tiere gingen über Bord. Ich fand eine schöne Perle, zwanzig Gran, sie lag in einer kleinen Muschel. Ich nahm mein Tagebuch und zeichnete die Perle ab, dazu setze ich den Ort ihres Fanges, Tag und Stunde. So war jede Perle, die ich je in der Südsee fischte, in einem Buche eingezeichnet.

Und ich tauchte wieder um vier Uhr, als die Schatten der Sonne hager wurden; ich weilte eine lange Zeit unten. Die Farben zitterten vor meinen Augen, das Licht wurde leiser. Jetzt wanderte eine Unzahl von Fischen an mir vorüber, das Licht war weißer geworden. Am Boden regten sich die Korallen, ihre Starrheit verlor sich, sie breiteten ihre Leiber aus und zierten sich nicht mehr, sie begannen zu glühen.

23 Die blaue Seide an der Gurgel der Fische schimmerte auf, ihre Kämme wuchsen und die Rücken spannten sich. Aus ihren Leibern wuchsen Stacheln, ihre Augen waren starr auf mich gerichtet. Alle Fische kamen aus dem Licht und suchten die Tiefe auf, sie waren seltsam erregt und zogen durch die Schatten der Koralle. An meiner rechten Seite trug ich das Haimesser. Es war die Stunde des Hais, der aus dem Lichte kommt. Ich sah aber keinen Hai, doch es war seine Stunde. Um fünf Uhr, um sechs Uhr, mit der sinkenden Sonne jagt er die Fische. Nur die Koralle fürchtet ihn nicht. Sie sinkt ihm dahin, die Nacht beginnt für sie, die Stunde, da der Hai kommt. Ihr droht keine Gefahr, ihre große Seele breitet sich vor ihm aus.

Auch der Krake schläft nicht zu dieser Zeit, er liebt die düstere Farbe, und um diese Stunde wälzt er sich über den Boden. Ihm allein unter den Tieren des Meeres will ich nicht begegnen. Es war vor Amboina, als ich ihn fürchten lernte. Der Krake ist der Riesenmolch, unter dem das Meer erzittert; der Hai stutzt im Fluge, wenn er den Kraken sieht. Mir hat er ein Boot im seichten Wasser zertrümmert, ein großes Boot im seichten Wasser. Ich mußte mir ein neues Boot auf Stapel legen lassen, weil er es mir auf Amboina zertrümmerte. Er hat acht Arme, auf denen er geht, aber jeder Arm verrichtet zugleich eine andere Tätigkeit.

Das Licht brach sich im Wasser, der Boden wurde dunkel; einen Augenblick glaubte ich, die Sonne sei untergegangen. Dann aber sah ich wieder das Licht, die Strahlen fielen wie gebrochene Speere durch das Wasser. Es wurde Abend, das Licht war kalt und sehr 24 weiß geworden. Ich schaute um mich, die Speere hingen im Wasser, das Licht wurde immer stiller. Ich sah das verblassende Licht des Tages, es saugte in einem brausenden Atem über mir. Das Wasser wurde jetzt rot und violett, es flammten zwei Farben im Wasser, Tag und Nacht. Und ich sah langsam einen Schatten nach dem andern durch das Meer sinken. Ich fror plötzlich. Zahllos fielen die Schatten durch das Meer. Nie kann ich diese sinkenden Schatten im Meere vergessen, wenn es Abend wird.

Als ich auftauchte, war die Sonne versunken.

 

Etwas später arbeitete sich ein Schoner bei schwachem Wind durch den Kanal, es war die Tefara. Und eine Stunde danach lag sie in der Mitte der Lagune vor Anker. Zwei Wimpel gingen am Mast hoch; ich betrachtete die Wimpel, sie sagten mir nichts.

Ich Iieß einige Segel aufziehen und fuhr um den Zipfel des Atolls herum. Wir kamen an den Rand der Lagune. Hensley sah es nicht gern, daß ich dem Schoner aus dem Wege ging. Er starrte auf die Wimpel des Schoners und ging aufgeregt auf dem Deck umher.

Wir lagen nicht weit vom Strande, nur eine Meile. Als die Nacht einbrach, gingen am Strande wieder die Feuer auf. Über dem Segler tanzten die Schatten; die Masten und das Takelzeug wurden hell. Ich sah in Hensleys Gesicht die Sehnsucht, an Land zu kommen. Ich wich ihm aus und ging in die Kajüte, das Essen zu bereiten.

25 Lustig war es in der Kajüte, die Flamme im Kocher zitterte, ich horchte nach oben, Georges kam den Niedergang herab, das Essen kochte.

Hensley will schwimmen, sagte Georges. – Aber es störte mich nicht. Wohin will er schwimmen? – auf Hitku fange ich ihn ab. Ich fragte aber Georges, warum er seinen Freund verrate. – Er meinte, daß ich es doch wissen wollte. Der Schoner Tefara suche einen Strohmann, darum habe er die zwei Wimpel aufgezogen.

Das waren die Wimpel für einen Strohmann? Ich hatte sie nicht erkannt.

Hensley will zur Tefara schwimmen, sagte Georges. – Aber die Tefara lag gut zwei Meilen von uns entfernt in der Lagune, und Hensley mußte in der Nacht durch die Lagune schwimmen, zu einer Zeit, in der der Hai die Lagune durchsucht.

Ich sagte mit einer leisen Sorge im Herzen: Hensley wird das nicht wagen. Und ich entsinne mich, daß Georges' Gesicht ruhig blieb. Ihn beunruhigte es nicht, daß Hensley zur Tefara schwimmen wollte. Mir aber verdarb der Gedanke die Lust am Essen; ich rief nach Hensley. Als ich seine Schritte an Deck hörte, war ich froh, daß er noch an Bord war.

Kommen Sie essen, Hensley! Starren Sie nicht immer zur Tefara hinüber, Sie können nicht in der Nacht schwimmen. Sie bleiben bei mir, bis Ihr Jahr um ist. Sie haben auch keine Möglichkeit zu entkommen. Auf Hitku fange ich Sie, auf dem Wege zur Tefara fängt Sie ein anderer.

26 Ich schwimme doch, Nyhoff! sagte er trotzig. Ich schwimme, wenn ich es Ihnen sage.

Ja, Mann! Wenn Sie es wollen, dann schwimmen Sie! sagte ich ruhig. Sie sind jung und dumm, Hensley. Essen Sie vorher einen Bissen, es wird Sie kräftigen.

Hensley! jetzt kannst Du schwimmen, sagte Georges und lachte in einer aufreizenden Art.

Ach, welch ein Lachen! ging es mir durch den Kopf! – Als ich Georges anblickte, zuckte er zusammen und stellte sein Lachen ein. Aber ich habe ihm das Lachen nicht vergessen. Da saß er mit Hensley den ganzen Tag auf einem schmalen Raum, sie teilten ihren Tabak und sprachen sich auf gut an. Tag und Nacht. Dazu kam, daß sie sich in ihrer Torheit gegen mich stellten, der ich ihnen gut war. Und nun lachte Georges und forderte seinen Freund auf, in den Tod zu schwimmen.

Wir aßen, und lange danach, als Georges sein Lachen eingestellt hatte, sagte ich noch: Laß Dein wildes Lachen, Georges. Du forderst Hensley ja direkt auf, zur Tefara zu schwimmen. – Ich lache ja nicht mehr, sagte Georges. – Und wirklich, er lachte nicht mehr. Ich sagte ihm aber: Du hast innerlich weitergelacht.

Warum sind Sie so verflucht hochmütig, fragte mich Hensley? – Ich, hochmütig? Das wollte mir nicht in den Kopf. Wirkte meine Sorge um ihn so, daß er mich hochmütig nannte? Ich erhob mich: Gut, Hensley! Machen Sie gerade das, was Ihnen gefällt. – Ja, ich werde es tun! sagte er unsicher.

Als ich an Deck kam, brannten die Feuer am Strande. Ich sah, wie die Flammen zweier Feuer hoch in der 27 Luft zusammenschlugen, übers Wasser hüpfte der Feuerschein. Sa sa sa! hörte ich singen. Sa sa sa! Nur eine Silbe, dazu die Feuer und ein schmaler Streifen Strand und Fels im Feuer, einige blasse Gestalten am Wasser.

Ich wurde plötzlich müde vom Starren in die Feuer. Die Tefara zeigte Licht in den Masten, in der Luft war es still.

Und keine fünfzig Meilen weit von Hitku wirft der Nordwestmonsun seine Eisenwinde über das Wasser. Hier aber ist es ruhig, das wissen alle Händler. Auf Hitku zieht ein leiser Wind. Ich aber erwarte jeden Tag den südöstlichen Passat, er kommt wie Balsam, eines Nachts weht er über Hitku, mit ihm werde ich nach Ceram segeln.

Ich blickte in die Brände, ein leiser Wind zog, und ich roch doch die Muskatnuß. Georges kam an Deck, er ging um meinen Platz herum und sagte: Du glaubst es mir wohl nicht, aber ich habe nur über Hensleys Dummheit gelacht. Ich habe nicht wild gelacht, ich habe ihn ausgelacht.

Ich blinzelte ihn an, der Schlaf kam über mich. Vor dem Schlafengehen wünschte ich mir Frieden und ich sagte ihm freundlich eine gute Nacht. Ich hörte noch, wie er sich mit seiner Matte in meiner Nähe niederließ, und das Licht der Feuer fiel durch meine geschlossenen Augen. Ich schlief.

Einen Gedanken hatte ich im Wachen nicht zu Ende gedacht, im Schlaf überfiel er mich. Ich fühlte den südöstlichen Passat an meiner Ferse, mit ihm wollte ich nach Ceram segeln. Doch mußte ich zuvor den 28 Monsun kreuzen, der sich wie kalter Stahl vor den Passat legt. Und ich träumte von den Eisenwinden, die den sanften Passat abdrängen, ich segelte. Sa sa sa! im Passat, der so leise um mein Gesicht streicht. Dort, dort steht der Monsun, und mein Segler verbeugt sich vor seinen harten Winden. Sa sa sa! Beuge Deine Masten, in das Wasser mit Euch, ihr starren Hölzer. Vor Euch steht der Monsun, wie ein Lineal sind seine Schenkel; mit dem Messer hat er die Scheide aufgerichtet, er hat seine Beine geritzt, aber es fließt kein Blut daraus, weißen Schaum spritzt er um sich. Hoho! Du durchsichtiger Segler, ich kenne Dich, Du bist der Monsun, der einsame Monsun! Und ich segelte mit ihm, während ich schlief.

 

Nun geschah etwas. Ich wachte plötzlich auf, die Nacht war hell und am Strande sanken die Feuer in sich zusammen. Ich hörte ein Geräusch im Wasser, Georges saß auf den Planken zu meiner Rechten. Ich sprang auf und sah in einiger Entfernung einen Menschen im Wasser schwimmen. Der Zorn schüttelte mich und ich schrie: Hensley! – Er tauchte im Wasser, ich sah ihn nicht mehr. Das Wasser war unsichtig auf die Entfernung. Da warf ich mich ins Wasser und schwamm in starken Stößen zu der Stelle, die mir im Kopfe saß. Ich überholte den Punkt und horchte aufatmend. Ich sah Hensley in die Lagune hineinschwimmen, zur Tefara hin. Ich tauchte und schwamm, maß die Entfernung und schnitt ihm den Weg zur Mitte der Lagune ab. Das Wasser leuchtete, wenn es aufsprühte.

29 Ah! er hoffte, mir im Dunkel zu entkommen; aber ich schwamm unbeirrt meine Bahn, an einer Stelle der Lagune mußten wir zusammenstoßen. Eine Zeitlang schwamm ich nur, horchte nicht und schaute nicht auf vom dunklen Wasser. Dann hielt ich an und lauschte. Ich sah Hensley nicht, doch hörte ich ein lautes Lachen von meinem Segler her. Ich lag still und überlegte, welchen Sinn es hatte, daß Georges auf dem Segler lachte. Da hörte ich ein fernes Klatschen auf dem Wasser, ich nahm an, daß es Georges war, der die Jolle zu Wasser ließ, um uns nachzurudern. Ich wartete und lauschte, doch ich hörte ihn nicht rudern. Ich rief über das Wasser; zur gleichen Zeit vernahm ich aus der Tiefe ein hohles Sausen. Ich zitterte, das Blut stockte in meinen Adern, denn das hohle Sausen im Wasser war mir bekannt. Ich drehte mich dreimal um mich selbst und schlug das Wasser mit den Händen und Füßen.

Danach sah ich in einer geringen Entfernung Hensley an mir vorüberschwimmen. Ich lag steif im Wasser und sprach über die dunkle Fläche hin: Hensley, nimm Dich in acht, ich habe das Sausen eines Hais im Wasser gehört.

Hensley schoß aus dem Wasser hoch und stieß einen Schrei aus. Ich schwamm langsam zum Segler zurück und wartete, bis Hensley neben mir lag. – Schwimm voraus! sagte ich ruhig, halte auf den Segler zu. Während ich es sagte, hörte ich wieder das hohle Sausen im Wasser. Hensley schien das Sausen nicht gehört zu haben. Er schwamm eine Körperlänge vor mir, unruhig und keuchend. Sein Kleiderballen hing 30 über der Schulter und trieb im Wasser. Ich atmete tief und zog geduldig hinter dem zuckenden Hensley her. Alles aber war so seltsam, ich trat das Wasser und warf meine Arme weit voraus. Ich hielt die Augen geschlossen und versuchte nicht, das dunkle Wasser zu durchdringen. Ich war darauf gefaßt, als erster angegriffen zu werden. Und während ich schwamm, peinigte mich der Gedanke, wo steht der Hai und warum packt er nicht zu. –

Die Jolle! Ich erhob mich bis zur Brust aus dem Wasser, doch sah ich die Jolle nicht. Warum kam Georges nicht? Er wußte sehr gut, daß in der Nacht der Hai durch die Lagune zieht.

Ich holte Hensley auf und blieb an seiner Seite. Ruhig, Hensley, halte Deine Augen auf den Segler gerichtet, die Jolle wird bald kommen. – Er stieß einen dumpfen Laut der Angst aus, er war überschnell in seinen Bewegungen und schwamm zu tief. Seinen Kopf hielt er mühsam über Wasser.

Noch immer kam Georges nicht mit der Jolle. Ich blickte über das Wasser und glaubte einen Augenblick, ein phosphoreszierendes Leuchten im Wasser zu sehen. Ich schlug eine Volte und tauchte. Als ich auftauchte, lag Hensley vor Schreck still, er jammerte. Weiter, Hensley, bleibe nicht liegen! Und ich zog ihn an den Haaren voran. Er schwamm wieder, aber er hatte sein Kleiderbündel verloren und blickte suchend hinter sich.

Als wir zweihundert Meter vom Segler entfernt waren, schrie ich nach der Jolle. Georges mußte es hören, meine Stimme ging wohl zweihundert Meter 31 über das Wasser. Aber ich sah nicht, daß die Jolle um den Segler herumkam.

Die Angst lähmte mich einen Augenblick, denn nicht weit von mir sah ich wieder das Leuchten im Wasser. Der Schweiß lief mir über das Gesicht. Ich heftete meine Augen auf den Segler und schwamm in ruhigen Bewegungen.

Da kam endlich die Jolle von der Seite an. Hensley schrie: Pull, pull! – Das Leuchten blieb in meiner Nähe und ich hielt den Blick darauf gerichtet; das dumpfe Ächzen der Riemen aus der näherkommenden Jolle beruhigte mich. Das Leuchten im Wasser verschwand, und ich schwamm angestrengt Hensley voraus. Aus der Jolle heraus sagte Georges mit einer nörgelnden Stimme: Ich suche Euch schon lange, jetzt erst sah ich Euch . . .

Ich schob Hensley in die Jolle. Als ich in der Jolle saß, horchte ich über das Wasser; ich sah wieder das Leuchten und riß das Ruder an mich. Der weiße Leib des Hais schoß dicht an der Bordkante vorbei. Das Wasser schäumte, die Jolle erhielt einen Stoß und flog über das Wasser. Der Hai kam zurück. Jetzt tanzte die Jolle, der Rücken des Tieres sauste wie ein Kreisel durch das Wasser. An den dunklen Flecken seines Bauches erkannte ich den Tigerhai.

Ich zog hastig die Ruder. Der Hai verfolgte uns und schoß uns voraus, und da keine Wellen das Wasser bewegten, sah ich, wie seine starken Flossen wie wilde Flügel arbeiteten. Er jagte um uns, während Hensley auf den Brettern lag und sich schwach bewegte. Das Wasser ging in Schaum über. Der Hai wühlte wie ein 32 Wal, in einem steilen Stoß kam er mit dem Kopf über das Wasser und sank auf den Rücken zurück. Jetzt erst sah ich, daß es ein halbwüchsiger Hai war, der vor Gier und Scham zitterte. Er verfolgte uns bis zum Segler und umlauerte uns, bis wir an Bord waren. Und ich sagte mir, es ist ein junger Hai; seiner Jugend verdanken wir unser Leben. Er hatte sich aus Unkenntnis nicht an uns herangewagt. Von dieser Stunde an war er aber ein Wissender.

Und ich überlegte, daß ich ihn töten müßte. Ich sprang zur Kajüte und holte den Haihaken, ich steckte ein Stück Hammelfett daran. Als ich an Deck kam, lief mir Georges entgegen und sagte mit einem Hohn in der Stimme, daß Hensley sein Kleiderbündel verloren habe. Ja, sagte ich, ich weiß es schon. Ich warf den Haken aus und suchte mit den Augen über das Wasser hin. Georges blieb an meiner Seite und flüsterte mir ins Ohr: Hensley hat auch sein Geld und seine Lizenzen verloren.

Ich hörte es und verstand es kaum, denn ich sah den Hai im Wasser spielen.

Ich warf den Haken weit aus, ich wollte den Hai locken, aber der Halbwüchsige entfernte sich weiter vom Segler, ich konnte ihn nicht mehr sehen. Auch das Klatschen eines Eimers lockte ihn nicht, er kehrte nicht mehr zurück. Und doch hätte ich ihn töten müssen. Er war in der Nacht zum Menschenhai geworden.

 

Am Morgen setzte die Tefara Segel und manöverierte sich zum Kanal; über die Lagune zogen neue 33 Boote von zwei Schonern, die in der Nacht angekommen waren. Es waren auch Taucher in den Booten, ich sah es an ihren Geräten.

Ich rief Hensley, der sich in der Koje versteckt hielt. Ich rief nochmals und forderte ihn auf, an Deck zu erscheinen. Er kam, mit einer Leinenhose von Georges bekleidet.

Ich pfiff und lockte ihn näherzukommen. Eine Weile kämpfte er mit sich und hielt die Augen auf die Planken gerichtet. Georges erhob sich von der Back und kam hinzu, er hielt in seinen Händen ein Stück gesplissenes Tau. Ich sah, daß seine Finger schnell am Tau flochten und daß sie zitterten. Er blickte an Hensley vorbei und sagte mit einer bittenden Stimme: Laß ihn gehen, Nyhoff, ihm sitzt noch der Schreck in den Gliedern. Jetzt ist er ohne Lizenzen und Geld, setze ihn auf Neira aus.

Und Du glaubst, daß er von Neira fortkommt? fragte ich Georges.

Ja ja! beeilte sich Hensley zu sagen, ich komme schon von Neira fort. Ohne Lizenzen nütze ich Ihnen nichts mehr. Setzen Sie mich ab.

Georges hatte das Tau aus der Hand gelegt und machte sich an einem Stück Gaffelholz zu schaffen. Dabei bückte er sich und versteckte sein Gesicht vor mir. Mir kam ein Gedanke und ich sagte: Wenn ich nun Hensley auf Hitku absetze, es liegen genügend Segler am Atoll, was hältst Du davon, Georges?

Ich? fragte er und zeigte mir sein Gesicht. Auf Hitku findet er sicher einen Segler. Haha! Warum fragst Du mich?

34 Plötzlich stand Hensley neben mir. Er machte ein zerknirschtes Gesicht, griff nach meiner Hand und stotterte etwas von seiner Rettung in der Nacht. Ich sagte ihm, daß ich keinen Dank wünsche.

Zum Teufel! sagte er, ich will Ihnen nur mitteilen, daß ich meine Lizenzen doch noch habe. Sie lagen im Brustbeutel, ich habe sie gerettet.

Ich bringe Sie noch heute zur Tefara, sagte ich bestimmt. Ich will Sie von Bord haben, hören Sie! Was haben Sie Georges gegeben, damit er mich anlog?

Ich habe es nicht gewußt, sagte Georges.

Zieh die Segel auf, Georges! Zur Tefara, ich will meinen Strohmann los werden!

Der Segler nahm Fahrt auf. Die Tefara zeigte noch immer mit ihren Wimpeln, daß sie auf der Suche nach einem Strohmann war. Ich segelte sie an und stellte Hensley backbord auf. Er winkte mit seinen Lizenzen in der Hand. Der Schiffer der Tefara stand auf Deck und rief: Ist das der Strohmann?

Das ist der Strohmann! rief ich zurück. Er hat langjährige Lizenzen, ich gebe ihn frei, ich segle mit dem Passat nach Ceram.

Der Passat läßt auf sich warten!

Ich lege mich schon in den Wind! rief ich. Wollen Sie den Strohmann?

Er wollte den Strohmann. Georges schwang die Jolle aus, Hensley lief ins Logis, um seine Sachen zu holen. Ich ging ihm nach, auf der Treppe hielt ich ihn an und sagte: Hensley ich wünsche Ihnen Glück. Geben Sie mir Ihre Hand.

35 Er reichte sie mir, ich preßte sie und legte eine kleine Barockperle hinein und stellte leise die Frage, wieviel Geld Georges für seine Lüge erhalten habe. – Hundert Dollar, flüsterte Hensley, und ich sah es seinem Gesicht an, daß er nicht log.

Hundert Dollar, dachte ich. Sie hatten genügt, mich anzulügen. Das geringe Geld schmerzte mich. Ich sah Hensley nach, er kletterte hastig an Deck des Tefara. Er vergaß es, Georges die Hand zu schütteln. Georges hatte wohl darauf gewartet, er hielt die Hand lange in der Schwebe, aber Hensley fühlte wohl meine Blicke; er verschwand mit dem Schiffer im Niedergang. Georges kam zurück, wir zogen die Jolle zusammen an Deck, dabei flüsterte ich: Hundert Dollar, hundert Dollar . . . Er blickte mich an, wurde blaß und ließ den Schäkel der Kette fallen. Ich hielt eine Weile die Last der Jolle allein, bis er wieder zufaßte.

Da erschien der Schiffer wieder an Deck, er lachte glückselig. Ich sagte es ihm ja, Hensleys Lizenzen waren gut.

 


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