Heinz Kükelhaus
Thomas der Perlenfischer
Heinz Kükelhaus

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18

Ich studierte die Seekarte. Wo liegt Port Ond? Hier liegt der kleine Hafen. Und Manila, die heiße Stadt auf den Philippinen. Manila und Port Ond, nur einen Fingerspann weit liegen sie auseinander. Ich studierte die Karte gründlich. Der Fingerspann bedeutete eine lange Fahrt über Borneo nach Port Ond zurück. Und es wird nicht leicht sein, ein Schiff von Borneo über Port Ond zu finden.

Diesen weiten Weg schickte ich Kimball allein zurück.

253 Ich blieb in Manila; mir erging es gut in der heißen Stadt. Die Häuser sind hier schmal und hoch, ein brausendes Leben hebt zur Nacht an. Dann sind die Häuser dunkel und auf den Straßen wird es taghell. Ich stand an allen Ecken des Nachts und starrte die Straßen hinunter. Es fehlte an meiner Seite nur ein Mann, der mir den Rücken stärkte. Wenn nur einer da gewesen wäre, der mit dem Finger auf ein Haus gewiesen hätte, ich wäre hineingegangen in dieses Haus. Ich würde angeklopft haben, im Flur würde ich meine Stimme erhoben haben: Im Namen Gottes, welche Menschen wohnen in diesem Haus!

Heute lache ich über den Zauberspruch, der mich in Manila verführte, in die Häuser zu gehen. Im Namen Gottes, welche Menschen wohnen in diesem Hause! Aber ich werde immer daran erinnert, wenn ich an den Häusern von Orleans entlangstreiche.

Manila! wie verführerisch es in meinen Ohren klingt! . . .

In einem kleinen Hause am Hafen nahm ich ein Zimmer. Am Tage genoß ich den Blick über den Hafen. Tausend Segler kamen in den Hafen, in vielen Gestalten segelten sie an und gingen vor Anker. An ihrer Farbe unterschied ich die Nationalitäten. Grau, weiß und blau. Geschwärzte und geteerte Habichte. Segler mit starken Masten und mit klappernder Takelage. Gesunde, muntere Vögel aus den Weltmeeren. Ich blickte sie genau an. Hier in Manila warteten sie auf Order und auf guten Wind.

Mein Zimmer lag am Hafen, und ich wartete auch auf Order.

254 Ich steckte in der Frühe den Kopf aus dem Fenster. Ist Order da!? Noch immer nicht!? Ich warte auf Order! Gott im Himmel, ich zahle des Tages Miete für ein kleines Zimmer, ein viertel Dollar ist an jedem Abend zu zahlen. Das Bett ist nur ein blaues Tuch, dazu in der Nacht der Lärm aus dem Hafen, Geschrei von Trunkenen, Gezeter und Gekläff von Bordhunden. Dann schreit ein Weib! Ich verschließe mir die Ohren. – Nimmt das Warten auf Order kein Ende? Der Wind ist doch gut. In welchem Kontor wird noch um meine Order gefeilscht, in welcher winkligen Gasse entscheidet sich das denn? Ein viertel Dollar am Abend, dazu Speise und Trank, ein hastiges Vergnügen, ich will nicht erst die Rechnung aufstellen. Jeder Tag kostet mich bares Geld. Ich muß in die Wechselstuben rennen und tausche Währungen ein. Am Ende kostet mich die Zeit doch nur das Lebensjahr einer Perle in meinem Gürtel. Ich habe tausend Lebensjahre in meinem Gürtel, aber es zehrt an der Kraft meiner Perlen. Sie stoßen sich im Gürtel und wissen nicht, welche ich um einige Jahre ihres Lebens betrüge.

Eines Tages greife ich meinen Gürtel und nehme mir die Perle mit dem roten Strich. Ich bewundere sie, lange sah ich mich nicht satt an ihrem Wunder. Ich lege sie in Watte und stecke sie in eine Streichholzschachtel. Die Schachtel umwickle ich mit einem Stück Segeltuch, darüber ein Wachstuch, das in Öl getränkt ist. Welche Mühe, dieses alles zu besorgen! Die Streichholzschachtel hat zehnfache Größe angenommen und ist ein ovaler Ballen geworden; er wird 255 umschnürt und erhält eine Anschrift. Ich renne damit zu einer Hafenstation, zahle einen Preis, und das Postkolli geht zu einem Dampfer. Ich starre dem Dampfer nach, der am Abend ausgeht. Der Lotse steht an Bord, die Positionslichter sind gesetzt, der Hafenwimpel wird gestrichen. Ohne Geräusch zieht der Dampfer durch den Hafen. Ich laufe die Mole entlang, der Dampfer kommt in das Gewoge der andrängenden See, er rollt ein wenig und geht mit voller Kraft hinaus. Er trägt meine Perle mit sich.

Nun warte ich wieder, meine Order ist aus. Ich reiße an einem Kalender die Tage an; einige Male vergesse ich es, ich verlor den Taschenkalender. Denke auch nicht mehr an meine Perle. Längst muß Henriette die Perle haben.

 

Eine neue Order. Ich gehe ihr mit pfeilschnellen Gedanken nach. James Jacht ist nicht heimgekehrt. Ole Philipps ist auf dem Atoll gerettet. Auf Umwegen erreichte mich diese Order. Ich traf einen Kapitän, der aus Port Ond kam. Ich schüttelte seine Hände für diese frohe Botschaft. Ole Philipps ist gerettet! Diese glückliche Nachricht; ich zahle gern für diese Order. Mein ehemaliger Gehilfe James lebt nicht mehr. Er ist mit seiner Jacht abgesoffen, zwei gute Taucher weniger in der Südsee, dazu ein rothaariger Matrose, der mit Petroleum Umgang hatte. Welch glückliche Nachrichten mich bestürmen. Ich will jubeln und einen Festtag einrichten, der nur zu Ausbrüchen der Freude bestimmt ist. Lange hatte ich mit meiner Freude zurückgehalten. Nichts Bestimmtes 256 wußte ich über das Schicksal der Jacht. Nun ist es Gewißheit, aber meine Freude ist gering. Ach, es spricht mich nicht an, daß Ole Philipps gerettet ist.

Diese Order war falsch. Sie trifft mich nicht, sie war nicht an mich gerichtet. Ich ziehe den Bauch ein und gebe die Order weiter. Ich folge ihr eine Weile mit zusammengekniffenen Augen, sie macht keinen Wind mehr.

 

Mit größter Pünktlichkeit zahle ich abends mein Logisgeld. Der Wirt protestiert jeden Abend von neuem gegen meine Pünktlichkeit. Ich sollte eine Monatsrechnung annehmen, er vertraue mir. Er sagte, Sie sparen am Tag zwei Cent, mal dreißig im Monat, mein Herr, warum diese Tagesrechnung? Ich führe extra ein Buch für Ihre Pünktlichkeit.

Ich erwiderte:

Nein, ich zahle am Abend. Ich erwarte in diesen Tagen meine Order . . .

Das sagen Sie schon immer. Wie lange sind Sie hier! Warten Sie . . .

Nein, ich will es nicht wissen, hören Sie! Ich bezahle dafür, daß ich nichts wissen will. Ist Post eingetroffen?

Nein, murmelte der Wirt. Ich kann Ihnen nichts geben. Worauf warten Sie denn?

Ist kein Paket eingegangen?

Ein Paket? Erwarten Sie ein Paket? – Es schreibt Ihnen ja kein Mensch. Jetzt wollen Sie sogar Pakete haben.

257 Ich schwieg, es schluchzte in mir. Ich ging in mein Zimmer und warf mich auf das blaue Bett. Ich zählte die Tage, es wurden ihrer immer mehr.

Ich zähle von neuem. Es ist nicht zu glauben, kein Mensch wartet so lange auf eine Order. Ich rede mir ein, jeder Tag des Wartens ist ein Trug, die Menschen erhalten ihre Befehle nicht im Vorüberlaufen. Bitte! warte nicht, beginne, erhebe Dich und gehorche! – Wie, ich soll gehorchen! Gehorche ich denn nicht, mein ganzes Leben gehorche ich den Stimmen in der Brust. Ich bin gut gefahren bisher, mein Leben war nicht umsonst gelebt. Kein Tag glich dem anderen, Mühe und Lust, viel Lust, am Tage die Sonne und zur Nacht die Sterne, mehr kann ein Mensch nicht tun. Tag und Nacht in ewiger Folge! über den Wassern, unter den Wassern! Ist nicht der Wind in der Luft ein Befehl! Er treibt die Schiffe und wirft sie voran, sie eilen, im Querschlag treiben sie, vor dem Winde jagen sie, an den Wind gelegt pressen sie sich durch die Meere. Jeder in seiner Richtung! Der Wind in der Luft bewegt sie, sie beeilen sich am Winde, sie schleudern sich ihm entgegen mit der Bitte, treibe uns! Neue Winde sollen kommen, ein Sturm ist nur begehrt, er übertreibt! er soll übertreiben. Der Sturm ist ein glückseliger Wind, auch ihn treibt es nur, auch er wartet auf Order und fährt dahin und trägt den Befehl in der Brust. Er trifft sich mit anderen Winden, sie durcheilen einander in wütendem Schmerz. Daran denkt, wenn das Meer braust, denkt daran! es ist ein Schmerz in der Luft . . .

258 Es klopft an meine Türe. Ich springe auf und öffne, es ist niemand. Ich schließe die Türe und lausche. Es hat doch geklopft, meine Ohren haben es gehört. Von meinem blauen Bett her hörte ich es klopfen. Ich zittere, wer klopft denn an meine Türe, zur Unzeit und in der Nacht? Ist Order da? Herein, sei es wer es sei! –

Ich zähle von neuem die Tage. Es kam keine Post aus Port Ond. Sie müßte längst hier sein. Meine Post ist dreimal überfällig.

Ich klage und schreibe einen Brief an Henriette. Das Klopfen an die Türe veranlaßt mich, diesen Brief zu schreiben. Morgen geht ein Postschiff ab durch die Südsee. Alle Händler der Philippinen, alle Aufkäufer in Manila schreiben zu dieser Stunde Briefe in die Südsee. Ich darf nicht fehlen, denn ich unterhalte die tiefsten Beziehungen dorthin. Lange hatte ich nichts, dem ich nachhasten konnte, nun ist es ein Brief. Ich schreibe und schreibe, meine rechte Hand gleitet über das Papier, ich vertraue dem Papier Unerhörtes an. Unerhörtes! Gewisse Sätze schreibe ich mit dem Hauch meiner Feder, und wieder Dinge, bei denen die Feder sich sträubt. Glauben Sie mir, es floß rasch aus meiner Feder hervor. – Die Worte meines Wirtes fallen mir ein. Meine Feder geht nicht mehr wie vordem über das Papier. Ich grüble, es ist wahr, kein Mensch schreibt an mich. Geduld.

Was ich geschrieben habe, gilt nicht mehr. Ich zerreiße es und lege ein weißes Papier in den Briefumschlag. Geduld. Wenn ich einen Brief erhielte, weiß und unbeschrieben, wie eine Feder würde ich 259 aufschnellen. Alle Zweifel hätten ihr Ende erreicht. Alsdann wollte ich in Ruhe schlafen.

Ich schaue auf die Uhr, ich habe drei Stunden zum Schlafen.

 

Ich komme vom Postschiff zurück, eine lustige Leichtigkeit in den Gliedern. Ich habe das Mahagoniholz am Postkasten des Schiffes gestreichelt. Durch den Hafen wimmeln die Händler und Aufkäufer, gut gekleidete Passagiere gehen schnellen Schrittes umher, Mädchen mit wogenden Brüsten und berauschten Augen. Ich verlangsame meinen Schritt, zu dieser Zeit gehe ich einem Schwarm Männer nach. Es sind alte Schiffer und Heuerbars mit verderbten Gesichtern. Sie drehen schnell ihre Zungen durch den zahnlosen Mund. Ich gelange in den Kohlenhafen, weiter geht es in den Ölhafen; diesen Teil des Hafens kenne ich noch nicht. In der Luft hängt ein schwerer Geruch. Wir kommen an die Mole und ich finde mich wieder zurecht.

An der Mole liegt ein schwarzer Segler. Es sind Menschen um den Segler versammelt, auf dem Segler treiben sich Schiffer herum und besehen sich das Schiff. Ich stehe lange vor dem Segler, ohne Gedanken betrachte ich die einzelnen Dinge auf dem Deck. Drei Haufen Segel liegen an Bord, Trossen und Taue. Das Holz ist nicht schwarz. Ich sehe genauer hin, es hat eine tiefbraune Farbe vom Beizen und Teeren. Unter der Farbe flammt die Holzader durch. Vorne ist das Mannschaftslogis, es folgt der Laderaum. Es ist ein Frachtsegler, jetzt erst sehe ich es. Er hat gut seine 260 zweihundert Tonnen. Backbord steht die Kombüse. Ich betrachte das alles aus der Ferne meiner Gedanken. Ein schöner Segler, ein starkes Schiff und schön in der Farbe. Es würde mir nie einfallen, diesen Segler weiß zu halten. Ein schwerer Zweimaster, ein Küstenschoner. Nein, es ist ein Hochseeschiff. Schön in der Länge, dazu breit und sicher von großem Tiefgang. Ich lese die Inschrift auf einer Tafel, der Tiefgang dieses Schiffes ist so, daß ich mich an den Kopf fasse. Es ist der Laderaum, der den Tiefgang erfordert; es ist ja ein Frachtsegler. Aber ein tüchtiger Schiffsbauer, der dem Schiff diese Tiefe und Breite gab. Nun ist es mir auch erklärlich, warum das Schiff so starke Maste hat. Ich werfe einen Blick durch das Bullauge in den Navigationsraum. Es verlockte mich, dort hineinzublicken. Ein schöner Navigationsraum mit einem Kartentisch, die Hölzer an den Wänden sind spiegelglatt.

Das Steuer steht in einem Aufbau, gut überdacht, eine Art Brücke für den Herrn Schiffer. Der Segler hat Quarzstein geladen. Ich sehe es, er ist vollgeladen und steht vor der Ausfahrt. Wo ist denn der Schiffer? Einer der Männer ist der Schiffer. Gewiß der Mann auf einem Feldstuhl, mit der Binde um den Hals.

Ich gehe. Mich erreicht im Gehen ein Wort. Ich blicke mich um, ein schallendes Wort fährt durch meine Brust. Der Schiffer hat sich von seinem Feldstuhl erhoben, die Schiffsglocke klingt an. Der Schiffer stößt die Worte aus: Die Versteigerung kann beginnen! es ist acht Uhr dreißig.

261 Ich lasse die Worte auf mich wirken, ich blicke in die Luft, eine Dünung silberner Wolken schiebt sich herauf. Die Schiffer und Bars laufen an Deck herum, sie fassen das Holz an.

Am Großmast geht ein Stander hoch, er hat im weißen Feld die Erdkugel eingezeichnet. Ich gehe zum Segler. In tiefen Gedanken gehe ich über die Laufplanke und betrete das Schiff. Niemand sieht mich an, ich gehe um die Maste herum, an der Kombüse vorbei, einen Blick nur in den Aufbau. Der Schiffer hat alles gut eingerichtet, sein Aufbau ist praktisch, er ruft durch ein Fenster dem Rudergast den Kurs zu. Ich gehe zum Niedergang, eine breite Treppe führt hinunter, in dem Laufgang glänzt das glatte Holz. Eine Türe springt auf, ein Junge steht in der Türe und führt mich durch die Messe. Ich sehe mir die Navigation an, es folgt ein Raum für den Steuermann. Eine Kammer für den Segelmacher und ein Raum für den Schiffszimmermann mit einer großen Werkbank. Ich sehe alles, mein Herz klopft in raschen Schlägen. Weiter. Der Vorratsraum ist voll geladen, das Schiff steht vor der Ausfahrt. Was hindert den Schiffer? Hat er denn kein Geld! Der arme Schiffer, er hat kein Geld mehr und muß sich von seinem schönen Schiff trennen. Ich will ein Wort in Freundschaft mit ihm reden und gehe an Deck.

Es ist kein Schiffer an Deck, der Eigner ist verstorben und seine Erben verkaufen das Schiff, das für feste Order fährt. Der Mann mit der Binde ist der Erbe, auch er ist ein Schiffer mit goldenem Herzen. Er hat Tränen in den Augen und schaut munter dem 262 Treiben zu. Warum hat er denn Tränen in den Augen! Er hat über Nacht getrunken.

Ich finde einen Bohrer und steige in den Laderaum. Ich setze den Bohrer in das Holz und bohre, das Mehl schraubt sich weiß und kernig heraus, es duftet. An vielen Stellen bohre ich das Holz an, das Holz ist gesund. Ich mußte den Bohrer wie einen Meißel durch das gesunde Holz treiben. Und überall dufteten die Wunden.

Das Mannschaftslogis hat fünfzehn Kojen. Das Schiff ist in Orleans gebaut, sein Baumeister heißt Templer. Das Schiff ist gut, weil Templer es gebaut hat. Ich will den Segler kaufen.

Diese gewaltige Order! Taumelnd komme ich an Deck und spreche ein Wort mit dem Schiffer. Ich frage ihn, warum er den schönen Segler nicht fährt. Er sagt: Mann! ich kann nicht meines toten Bruders Segler fahren. Ich trinke mich tot auf diesem Segler, verstehen Sie!

Was kostet das Schiff? fragte ich leise.

Er nannte eine Summe. Ich überschlug die Ziffer rasch in meinem Kopf und verließ das Schiff. Eine Weile ging ich in schlenderndem Schritt, dann rannte ich über die Mole. Im Ölhafen blieb ich überwältigt stehen und horchte in mich hinein. Ich horchte auf meinen übermächtigen Willen, den Segler zu besitzen. Ich rannte weiter, ich kannte das Kontor eines großen Perlenhändlers. Ich nahm ein Fuhrwerk und fuhr vor das Haus des Perlenhändlers. Dreimal klopfte ich an die Türe, ein Bote öffnete und führte mich in das 263 Kontor. Meine Hände bebten, ich legte die Hand auf das klopfende Herz. Ich will den Segler kaufen.

Ein Dienstmann brachte mich zum Händler. Ich begrüßte ihn und öffnete meinen Gürtel. Der Händler sah es und bat mich zu warten, er holte seinen Gesellschafter. Ich wählte unter meinen Perlen aus, dreizehn Tropfenperlen, dazu zwei große Schaustücke, die mir nicht am Herzen lagen. Drei Perlen aber, die eine Erinnerung und Freude bedeuteten, hielt ich zum Aushandeln in der Hand. Aus einem Beutel nahm ich eine Hand voll Handelsperlen. Als der Händler mit seinem Gesellschafter kam, stellte ich mich schläfrig und gähnte. Die Händler aber lachten, denn sie kannten die Müdigkeit der Perlenfischer beim Handel. Ich tat aber in allem so, um sie daran zu erinnern, daß ich ein alter Perlenfischer sei. Meine Müdigkeit sollte ihnen sagen, gebt mir ein Ruhebett, auf das ich mich legen kann. Ich habe sehr viel Zeit, und es macht mich müde, wenn ich an Geld denke.

Ich warf die Perlen auf den Tisch, dazu sagte ich die Zahl und das Gewicht der Perlen. Die Waage kam auf den Tisch, die Händler notierten und redeten. Ich schlief in einer Ecke. Eine Weile schnarchte ich, dann trat ich mit dem Fuß einen Tisch um. Der Dienstmann sprang durch die Türe und hob den Tisch auf. Ich warf ihm fünf Dollar vor die Füße. Ich spie in die Stube, der Botenjunge kam und erhielt einen Dollar dafür. Als ich wieder einschlief, trat ein Mädchen ein. Das stürzte meine Pläne um, sie war jung und schön. Ich erhob mich und zeigte ihr den Rücken. Eine Manilanerin! Nachts sah ich ihnen sehnsüchtig 264 auf den Straßen nach. Ich blickte gegen die Wand und dachte: Geh! am Tage darf ich nicht an Dich denken. Ich bitte Dich, gehe!

Sie ging, wie sie gekommen war. Es hat mich nicht weiter gestört. Die Händler konnten sich nichts erhoffen, da ich ihr den Rücken kehrte. Ich blickte auf die Uhr, die Zeit ging und ich schlief.

Sie flüsterten eine Zahl, doch wachte ich nicht auf. Sie sprachen die Zahl, ich zuckte mit den Augen und kniff den Mund zusammen. Sie legten der Zahl zu und ich stand auf.

Ich brauche zehntausend Dollar! sagte ich und warf eine meiner schönsten Perlen aus der Hand auf die Waage. Die Zunge spielte an der Waage, ich warf die zweite Perle auf den Tisch, die dritte steckte ich heimlich ein.

Ich erhielt mein Geld in Noten, ich dankte und sagte nun, daß mir die Zeit unter den Sohlen brennt. Entschuldigt, ich kann auch nicht länger mit Euch buhlen, meine Herren. Schicken Sie den Dienstmann, er soll mich ungeschoren durch das Haus auf die Straße führen. Sie umarmten mich und baten um das Buhlgeld. Ich warf Ihnen eine Handelsperle zu. Der Dienstmann erschien, er war nach der Sitte halbnackt und bat um einen Anzug. Ich gab ihm das Geld dazu und er geleitete mich auf die Straße. Vor der Türe stand das junge Mädchen, sie ging jetzt rosa gekleidet, ganz anderes Haar trug sie. Ich blickte nicht auf und jagte die Straße hinab. Hier erreichte mich der Botenjunge mit dem Fuhrwerk. Ich dankte ihm und beschenkte ihn.

265 Im Fuhrwerk schloß ich die Augen, und ich dachte an die Perlen, die ich im Kontor lassen mußte. Ein kleiner Teil meiner Jahre, da ich auf der Stelle stampfte. Ich spreizte die Finger und blies durch die Finger, ich rieb mir die Hände. An einer Stelle meines Körpers zitterte die Haut, ich klopfte mit dem Zeigefinger auf die zitternde Herzhaut.

Am Abend erstand ich den Segler vor den Augen der Schiffer und Heuerbars. Ich ließ durch den Schiffsjungen dreimal meinen Namen über mein Schiff ausgröhlen. Den Namen des Seglers hielt ich bei.

Viktory, hieß der Segler.

Und noch in der Nacht verhandelte ich mit der Minengesellschaft, für die ich Quarz in fester Order nach Britisch Borneo fahren sollte. Und zurück? fragte ich. Der Segler fährt in fester Order mit Kohlen von der britischen Station zurück. Kohlen! dachte ich. Kohlen und Quarz, der Segler ist nicht verwöhnt. Ich schloß einen Vertrag über die Order, den Handschlag verweigerte ich stumm.

 

In der Frühe des Tages hatte ich ein Gespräch mit meinem Wirt. Ich gab ihm die Hand und sagte: Herr Wirt! ich habe meine Order. Ich fahre in fester Order nach Borneo. Glauben Sie mir?

Er betrachtete mich lange und fragte, ob ich ihm eine Bitte erfüllen könne, wenn ich zurückkäme.

Das will ich tun, Herr Wirt.

Bringen Sie mir Affen aus Borneo mit. Die europäischen Schiffe nehmen gerne Affen mit. Ich unterhalte einen kleinen Handel darin.

266 Ich staunte ihn an und versprach es ihm. Um eine Stunde zu schlafen, ging ich auf mein Zimmer und legte mich über das Bett. Nach einer Weile klopfte es an meine Türe, der Wirt trat ein. Er legte den Finger auf den Mund und stellte sich an das Fenster. Ich erriet nicht, was er wollte.

Es klopfte an meine Türe. Ich stand auf, der Wirt kam mir zuvor und öffnete die Türe. Ein Affe sprang durch die Türe.

Der Wirt fragte mich: Entsinnen Sie sich jetzt?

Ich entsinne mich. Dann war es der Affe am gestrigen Abend, der an meine Türe klopfte.

Ja, murmelte der Wirt. Ich ließ meinen Affen an Ihrer Türe klopfen. Sie waren allein, hatten keine Order zu erwarten . . .

Doch! rief ich. Sie sehen doch jetzt meine Order.

An der Türe sagte er: Mein Affe hat Ihnen die Order gebracht.

Nein! das ist nicht wahr. –

Und ich zählte zum letzten Male die Tage, ein geschlagenes Jahr habe ich in Manila auf Order gewartet.

Ich schlief eine Stunde. Darauf ging ich zum Seeamt und wies meine Papiere vor. Ich erhielt das Zeugnis zum Schiffer für einen Segler auf Hochseefahrt. Ich bedankte mich und ließ die Viktory auf meinen Namen einzeichnen. Ich erneuerte die Versicherungen und ging zu den Heuerbars.

Am Abend hatte ich fünf Seeleute an Bord, dazu einen Koch, einen Segelmacher und einen Schiffszimmermann. Der Junge blieb an Bord. Es waren nicht alles Matrosen, ich nahm es aber hin, weil ich 267 nicht mit der alten Besatzung fahren wollte. Mit einem Sack voll Zeug und der Kassette zog ich auf meinem Schiff ein.

Es war widriger Wind, drei Tage lag ich im Hafen und nahm die Besatzung ans Zeug. Mittags fuhr ich aus, ich teilte die Wachen ein. Es war knappige See, der Segler backste ungerührt gegen die See an. Er schlingerte nicht, mit Braßfahrt rauschte er dahin. In der Nacht schlug die See unter westlichen Winden hoch aus, doch der Segler hob sich kaum, die Seiten des Decks kamen etwas zu Wasser. Ich ließ Trossen um das Deck scheeren. Am Tage liefen wir vor dem Wind. Und das Etmal von Mittag zu Mittag ergab 207,5 Seemeilen.

Land ein Strich backbord voraus! singt der Ausguck.

Es sind die Vorinseln von Palawan. Vierzehn Knoten fahren wir nach dem Log. Mit der schweren Ladung eine gute Fahrt. Ich danke meinem Glück, ich bin ein Schiffer auf hoher See. Und in der Nacht betrachte ich mein Schiff, ich wandere auf und ab. Kein besseres Schiff konnte ich finden.

An Steuerbord liegen im Dunst der hellen Nacht die Klippfelsen von Palawan. Das Wasser schiebt sich in Wogen heran, das Schiff hebt sich, kein Spritzer kommt auf Deck. Es pfeift im Takelwerk. Die Maste biegen sich trotz der schweren Segel nicht. Männer! wir laufen zwölf und dreizehn Knoten bei hartem Wind, und die Maste biegen sich nicht. Singt Lieder, es pfeift im Takelwerk!

Ich war traurig, als der Ausguck meldete, daß Palawan achteraus peilt. Es wehte ein Wind, der der 268 Palawanwind heißt. Er kommt von Nord und ist beständig. Ich ging in den Navigationsraum, der Junge schließt die Türe hinter mir. Es brennt eine große Petroleumlampe an der Decke und eine Zeit studiere ich die Karten.

Ich lösche das Licht, es fehlt ein Hund zu meinen Füßen. Ich sehe zum Bullauge hinaus. Niemand dort. Wasser ringsum, keiner kann zu mir herein. Ich flüstere es vor mich hin: Keiner kommt zu mir herein. – Es besucht mich kein Mensch, ich halte sie mir alle drei Schritt vom Leibe. Darum hab ich mir diesen Segler gekauft. Und wer zu mir will, muß über das Meer. Heio! über das ganze Meer hinweg.

Die Besatzung schläft vorne, die Wache geht nach Glasen. Im Ausguck sitzt zur Nacht kein Mann. Ich habe es so gesagt, die Wache genügt mir. Der Rudergast hat genauen Kurs, und der Wind ist beständig. Nur der Zimmermann darf zu mir herein, ich habe ihn zu meinem Offizier erhoben und ihm die Steuermannskabine zugewiesen. Er machte aber keinen Gebrauch von seinem Recht; wenn er etwas will, spricht er durch den Luftschieber mit mir. Es ist so, als stünde er neben mir. Ich kann ihn aber nicht sehen. Lieber wäre es mir, er käme von Zeit zu Zeit zu mir, um mit mir zu reden. Doch meidet er mich; es ist die Furcht, die ihn abhält mit mir zu schwatzen. Und ich weiß es, der Junge berichtet mir, was im Logis gesprochen wird. Hier im Navigationsraum habe ich ein Sofa, auf dem ich schlafe. Ich benutze meine Kabine nicht.

Im Logis sagt man, ich sei ein alter Jagdhund aus der Südsee, in meinem Gürtel läge ein Vermögen. 269 Mein Haimesser sei unter dem Hemd versteckt und wieviel Menschen ich erschlagen habe, wisse keiner. Es sind zwei Manilaner unter der Besatzung, die das Gerücht verbreiten. Ich will nichts dagegen unternehmen, es hilft mir, meine Einsamkeit zu behaupten. Der Zimmermann aber hätte es nicht nötig, darauf zu hören. Ich habe ihm den Arm auf die Schulter gelegt und vertraulich mit ihm gesprochen. Trotzdem spricht er durch den Luftschieber. So fügte sich alles nach meinen Wünschen. Ich bin einsam, und es fehlt ein Hund zu meinen Füßen.

Der Luftschieber öffnet sich, ich höre das feine Knacken. Jetzt spricht er: Zwei Strich voraus ein Dampfer.

Danke, Zimmermann.

Ich gehe an Deck, ich sehe die Lichter des Dampfers. Ich wundere mich, wie der Dampfer durch die See rollt. Mein Segler rollt nicht. Ich gehe zum Ruderhaus und bleibe eine Weile hinter dem Mann stehen. Er blickt zur Seite und äugt nach mir aus. Ich stelle mich neben ihn, verweise auf den Kurs. Während er sich umblickte, nahm er das Ruder mit.

Vor seinen Augen verlasse ich das Ruderhaus und gehe über Deck. Die Wache blickt mir nach, ich verschwinde im Niedergang. Nach einer Zeit höre ich, daß die Wache am Ruderhaus steht und mit dem Rudergast spricht. Ich gehe in den Navigationsraum und pfeife nach dem Zimmermann. Der Luftschieber öffnet sich. Und ich sage, daß Rudergast und Wache nicht zusammen sprechen dürfen.

So fügt sich alles nach meinen Wünschen.

270 Ich studiere die Karten, neue Karten kommen auf den Tisch. Ich taste die Celebes-See ab. Hier liegen die Sulu-Inseln. Ein Sturm trieb mich einst in den Schutz der Sulu-Inseln. Ich freue mich dieser Erinnerungen. An den Inseln habe ich manche gute Perle gefischt. Auch ein Mädchen traf ich, an das ich denke. Sie legte ihre Finger gern in meine Haare. Nachts stand sie an meinem Segler und leugnete es am Morgen. Von Stunde zu Stunde wechselte ihr Gesicht. Wahrheit und Lüge machten sie schön. An den Sulu-Inseln.

Mit dem größten Vergnügen blätterte ich die Seekarten durch. Auch die Molukken-See betrachtete ich lange. Ich brachte das Kunststück fertig, die Bucht an der Ceram-Insel, Bacons Bucht, festzustellen. Und da ich schon bei dieser Insel weilte, stellte ich Port Ond in meine Kursberechnung. Ich entwarf ein Netz von Kursmöglichkeiten. Zuletzt legte ich einen bestimmten Kurs fest. Von Britisch Borneo durch die Celebes-See, am Cap Menado vorüber in die Molukken-See hinein.

Ich schloß die Augen, überdachte alles und schob die Karten weit fort. Am Tage verabscheute ich die Rechnerei aus der Nacht. Ich segelte in fester Order nach Borneo.

 


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