Heinz Kükelhaus
Thomas der Perlenfischer
Heinz Kükelhaus

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

14

Der Wind zerfiel in zwei Ströme, der Abend verdeckte das Atoll. Nach einigem Kreuzen fand ich die Lagune. Eine Stunde hatte ich mich verspätet, ein Zeichen, wie klar mein Kopf war und wie gut ich die Fahrt meines Seglers schätzte. Ich ließ langsam und leise die Ankerkette aus der Klüse. Jedes Geräusch hallte laut über das stille Wasser. Am Ankerfall hörte ich, daß der Boden felsig war. Der Segler lag inmitten der Lagune.

Zur selben Stunde ließ ich die Jolle zu Wasser und überließ Bongards die Wache auf dem Segler. Ich log ihn an, zu dieser Stunde kämen Muschelleichen an die Oberfläche. Ich fahre, um Muschelleichen zu finden, sagte ich. Danach will ich in der Frühe tauchen.

Es schien ihn zu überzeugen, er trat die Wache an und ich ruderte in die dunkle Lagune hinaus. In dem 195 stillen Wasser plätscherte der Fisch. Ich hob vorsichtig die Riemen und trieb unsichtbar dahin. An einem schnellen Rauschen hörte ich, daß ein Hai vorbeitrieb, und dies war ein plumper Tintenfisch, der in die Tiefe gurgelte. Gleichmäßige Wärme strich über das Wasser, wie dunkler Atlas glänzte die Lagune.

Ich ruderte eine Weile über das Wasser, meine Ohren untersuchten die Geräusche in der Lagune. Das Boot geriet in einen kleinen Strudel, ein Trieb war im Wasser und warf mich ab. Ich sah eine Landzunge aus dem Wasser tauchen. Ich überwand den Trieb und kam in einen neuen Teil der Lagune. Ich ruderte weiter. Gegen meine Ohren dröhnte die Stille der Nacht. –

Sprachen Menschen? – Ich hörte eine menschliche Stimme, darauf wurde es wieder still. Ich lag ruhig und erhob mich in der Jolle. Wieder hörte ich eine Stimme in der Luft. Ich ruderte eine Zeit weiter, aus dem Dunklen stieg ein Schiffsrumpf auf. Ich sah zwei Masten und ruderte näher, ich hörte einen Fuß über Deck gehen. Das Schiff war hoch gebaut, glatt und weiß. Es war James' Jacht.

Ich hörte eine Stimme, die wie eine Leier klang. So nahe hörte ich die Stimme! Das Blut jagte in mir und ich verschluckte mich vor Aufregung. Es war James, der in die Nacht hineinsang. Ich war voller Begierde zu hören, was er sang, und ich kam dem Schiff immer näher. Ich horchte, es war kein Lied, das er sang. Er sprach laut vor sich hin, die Endsilben zog er breit und singend in die Länge. So entstand 196 der Eindruck des Singens. Er labte sich an seiner Sprache.

Noch näher an das Schiff heran! Plötzlich sang er nicht mehr, er mußte ein Geräusch gehört haben. Und ich sagte mir, seine Angst ist groß, wenn er auf Geräusche horcht.

Ich trocknete den Schweiß von meiner Stirne, immer wieder brach der Schweiß aus. Auch ich hatte die Ruhe nötig. – Ich beugte mich zum Wasser nieder, und eine geringe Kühlung kam vom Wasser in mein Gesicht. Meine Brust schmerzte unter den wilden Stößen des Herzens. Ich streckte mich lang in dem Kahn aus. Nie hatte ich es erwartet, daß mein Herz zittern könnte.

Nach einer Zeit sang James wieder, ich konnte ihn nicht sehen. Aber ich hörte jetzt die Worte, die er sang. Er sang mit einer tiefen und behaglichen Stimme. Seine Angst mußte er überwunden haben, es sprach viel Ruhe aus seiner Stimme. Ich verstand einige Worte, zuletzt hörte ich ihn meinen Namen in einer spöttischen Art singen. Plötzlich sang er sehr schnell, die Worte folgten sich überstürzend und schwatzhaft. Mit einem Gelächter brach er ab.

Es war ein Zwiegespräch. Aber mit wem? Mit meinem verbrannten Esel? – Ich beklagte, daß ich ihn nicht sehen konnte. Ich richtete mich vorsichtig in der Jolle auf, ich lag backbord. Stehend zog ich das Messer aus dem Gürtel, ich war gerüstet, die Jolle schwankte nicht. Meine Gedanken zogen langsam und sicher durch den Kopf. Ich sah ihn aber nicht, Gott mochte wissen, wo er lag.

197 Wieder nahm ich die Riemen zur Hand und trieb leise um das Schiff herum. Am Heck glaubte ich ihn zu hören. Es war aber ein Irrtum, das Geräusch kam aus einem Bullauge. Ich ruderte um das ganze Schiff herum, ich scheute auch nicht mehr die Geräusche, heftig schlug ich die Riemen in das Wasser. Ich ging mit der Jolle in eine größere Entfernung. Jetzt sah ich zwischen Großmast und Segelbaum eine Hängematte. Nun nahm ich an, daß er in der Matte lag. Ich blickte nach Osten, bald mußte sich der Himmel färben. Ich ruderte mit der Jolle nach backbord, auf Deck war es still geworden. Ich legte leise an, vertäute das Boot leicht am Strecktau und zog mich an Bord.

Ich übersah das Deck, es war keine Wache aufgestellt. Ich überlegte. Es ist kein Mann an Deck; wenn er jetzt noch in der Matte liegt, schläft er friedlich wie ein Kind. – Ich horchte auf, ich hörte ein Schnarchen.

Über Taue, die unordentlich an Deck lagen, vorbei an der Kombüse ging ich zum Großmast. Nach einigen Schritten stand ich hinter der Matte. Ich sah James in der Matte liegen. Sein Gesicht war fest in das Netz der Matte gepreßt. Seine Hände standen in der Luft, in seinen Fingern zuckte es.

Da lag James in der Matte, einsam wie eine Wasserlinse auf dem Fluß. Mit dem Finger stieß ich an die Matte, sie begann leicht zu schaukeln. Ich starrte in sein Gesicht. Er schnarchte weiter. – Wenn ich ihn im Schlaf tötete, welch ein Genuß für ihn, schlafend und in tiefem Frieden zu sterben. Das Messer zuckte 198 in meiner Hand, ich blickte hastig nach Osten, es wurde heller.

Ich war kein Knabe, ich hob das Messer zur Matte – ich ließ es aber wieder sinken. Ich war kein altes Weib! das bei ihrer Arbeit zittert. Aus Überlegung schonte ich James. –

Den Stich hätte ich tun können, gewiß ich hätte ihn töten können in dieser Stunde. Und es hätte mich nicht gereut, ein Gefühl des Edelmuts hinderte mich nicht daran. – Ich überlegte. Wie arm bin ich, wenn mein Esel gerächt ist! Wie arm ist eine Rache, die sich in einem Blitz erfüllt! Ist es nicht greulich, daß ich ihm die Leiden meines Esels nicht einfach zurückgeben kann? – Selbst wenn ich ihn geweckt hätte, wäre es nicht besser gewesen. Dann hätte ich sagen müssen: James! mache Dich fertig, nimm Dein Messer. – Er hätte nach seinem Messer gegriffen, schlecht hätte er geworfen. Dann war ich an der Reihe. Mein Hieb hätte gesessen, im rechten Winkel hätte ich sein Leben getroffen. Nun denken Sie sich die Kürze seines Todes und die Länge seiner Gemeinheit. Mit einem Stolz wären seine Augen gebrochen, und nichts wäre gerächt gewesen. Darum tötete ich ihn nicht. Sein Schnarchen war mir lieber. –

Als ich danach in meiner Jolle saß, kam es brennend über mich, daß ich ihn nicht tötete. Mein Haß loderte auf, es hätte mir doch einfallen sollen, ihn zu töten. Jetzt zitterte ich in meiner Jolle und war unentschlossen. Sein Schnarchen war ein Prosit an das Leben, so rührig schnarchte er.

199 Hier lag ich nun in der Jolle, die kostbare Zeit verging und der Himmel färbte sich blaß. Ich kletterte nicht mehr an Bord. Der erste Mann der Wache kam an Deck. An seinem Gang hörte ich, daß der Mann betrunken war. Ich trieb mit der Jolle zum Heck, aus dem Bullauge hörte ich ein Stöhnen. Es mußte der Steuermann sein, und an seinem Stöhnen hörte ich, daß auch er getrunken hatte.

Über dem Wasser hob sich der Nebel. Ach, daß diese Stunden keine See hatten; purpurn leuchtete der angehende Tag, kein Silber hing in der Luft, kein gefährliches Silber, alle Orkane schliefen, und hinter dem Nebel war die Sonne ein kaltes Licht. Nichts geschah, zu nichts geboren waren diese Stunden. –

Ein Eimer klatschte dicht neben mir auf das Wasser, eine Stimme schrie durch den Morgen. Ich horchte auf, es war der Steuermann, er polterte über Deck.

Noch lange lag mir das Geschrei des Mannes in den Ohren. Ich hörte auch die Eimer wieder und wieder auf das Wasser fallen, erst hinter der Landzunge verschwanden die häßlichen Geräusche.

 


 << zurück weiter >>