Heinz Kükelhaus
Thomas der Perlenfischer
Heinz Kükelhaus

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10

Die Nacht begann, es war mörderisch heiß. Die Hitze wuchs in der toten Luft. Ich traf Mogens im Klub, diesmal trank er nicht, er blickte auf das Barometer. An seiner Seite hielt sich ein Fremder auf, ein alter Kaufmann aus Malaiti. Er wurde mir vorgestellt, es war Sir Archie, Kaufmann und Perlenhändler. Die Welt war voller Perlenhändler. – Die Kapitäne blickten das Barometer an.

135 Ich sah mir das Glas nicht an. Ich starrte durch die Fenster, ich fragte mich, welchen Stand hat die Quecksilbersäule. Ich roch die heiße Luft durch die Wände, ich betastete meine heiße Brust und schloß die Augen. Ich schätzte den Stand auf 29,70.

Ich wiederholte die Ziffer und begann zu denken. Die Luft war erbärmlich, es wurde nichts aus dem Denken. In meinem Kopf saß der Schwindel.

Mogens verließ den Klub und ging zum Hafen. Das war für die Kapitäne das Zeichen, sie verfügten sich auf ihre Dampfer. Nur Sir Archie blieb, er schlich sich in meine Nähe.

Es war nach Mitternacht. Und die Hitze vermehrte sich noch, die Stille war größer geworden. Ich versuchte zu denken. Die Gedanken taumelten durch meinen Kopf. Jeanne war es zur Stunde, die mich überwältigte. Jeanne! Ich will in Sidney nach ihr forschen lassen. Aber es sind Jahre her, und ich werde sie nicht wiederfinden. Und ich dachte, dachte . . .

Sir Archie rührte an meiner Hand. Ich sprang auf, der alte Weißbart starrte mich an und sagte: Haben Sie das Barometer gesehen!

Ich sehe das Glas nicht an! erwiderte ich.

Sie haben doch einen Segler im Hafen liegen, mahnte er.

Ich fragte ihn: Warum sind Sie so ängstlich? Haben Sie Frachten auf See?

Er hatte Frachten auf See. – Ich betrachtete ihn mit mehr Ruhe. Sein Gesicht war ungewöhnlich kühn, ich schätzte ihn auf siebzig Jahre. Sein Haar war weiß, 136 er hatte grüne Augen. Ein seltsames Auge, überlegte ich.

Haben Sie denn gar nicht nach dem Glas gesehen?

29,70, sagte ich.

Oho! rief er. Das war vor einer Stunde. Sie haben inzwischen geschlafen. Jetzt steht das Glas auf 29,62. Verstehen Sie!

Mich überlief es kalt. Ich gestehe, jetzt traf es mich. Ich taumelte zur Türe. Draußen war es sehr dunkel. Sir Archie hing sich an meinen Arm. Ich dachte nur noch an meinen Segler, der hinten an der Mole lag. Ich ging schnell, vom Hafen schimmerten die Lichter herüber. Schließlich lief ich, zu meiner Verwunderung lief der alte Kaufmann mit. Seinen Kopf mit dem weißen Bart vorgebeugt, mit wackelnden Schultern und tiefem Keuchen lief er neben mir her. Es reizte mich, ihn noch schneller laufen zu sehen. Ich legte meinen Schritten zu, die Hitze machte mir sehr zu schaffen. Der Greis lief mit mir um die Wette. Seine Schultern geduckt, schoß er wie ein Ungetüm neben mir her. Er reichte mir knapp zur Schulter, aber er lief, als überrage er mich um Kopfeslänge. Seine krummen Beine machten gewaltige Sätze. Ich fürchtete mich vor ihm. Ich trachtete, ihm davonzukommen. Er ließ sich nicht abschütteln. Ich schrie ihn an: Was hetzen Sie so! – Er antwortete nicht, ich blieb stehen. Auch er stand, ein Husten schüttelte ihn, er konnte kein Wort sprechen.

Ich schritt aus, der Hafen lag vor mir. Von den Dampfern schimmerten die Lichter, die Hafenlaternen brannten.

137 Der alte Kaufmann stammelte an meiner Seite: Ich setze meine Hoffnung auf Sie. Perlenfischer sind Glückskinder.

Seine Worte rührten mich. Ich faßte ihn unter den Arm, er wankte und schlug mit dem Kopf gegen meine Brust. Er rutschte in den Knien zusammen, ich hielt ihn hoch und preßte ihn an mich. Ich wollte ihm seine Hoffnung nicht rauben, meine Hand legte sich auf sein weißes Haar und ich bedachte, daß er ein alter Mann ist. Ich überlegte aber auch, daß mein Glück nicht sehr groß ist. Und während er an meiner Brust lag, kamen mir weitere Gedanken. Das Alter ist kindisch, sagte ich mir. Wozu heftet er sich an meine Fersen? Ich will kein Glückskind sein. Kein Mensch kann dem anderen Glück bringen.

Ich stellte Sir Archie auf seine Beine, ich flüsterte ihm zu: Gehen Sie hin, alter Mann! Behalten Sie ihren Frieden!

Er stöhnte und klammerte sich wieder an mich. Der Irrsinnige! Ich stieß ihn von mir und ging hastig davon. Wieder hörte ich ihn in meinem Rücken, von nun an verließ er mich nicht mehr.

Vor der erleuchteten Kommandantur saß Mogens auf einem Feldstuhl. Er rief mir zu: Lege Deinen Segler in die Hafenmitte.

Ich lief mit Kimball zur Außenmole, an der mein Schiff vertäut lag. – Ho! diese Luft im Hafen, ein heißer Wind legte sich gegen uns. Durch immer neue Gluten liefen wir. Der Wind kam ohne Pfeifen, es war kein Ton in der Luft. Die Moskitos waren 138 verstummt. Wenn die Moskitos in Port Ond verstummt sind, dann Gnade uns Gott.

Durch den heißen Wind schrie eine Stimme. Es war Sir Archie, der mich weiter verfolgte. Er wollte mit auf den Segler setzen, ich schrie ihn an und stieß ab. Er sprang aber aufs Achterdeck, dort verhielt er sich ruhig. Wir stießen uns an der Mole entlang zum Hafen. Der heiße Wind war wieder eingeschlafen.

Das Wasser war schwarz und ruhig. Von den Schiffen fielen die Lichter über das dunkle glatte Wasser. Durch die Totenstille der Natur schrien die Steuerleute. Sie brachten die Dampfer von den Kais los. Die Ankerketten dröhnten. In den Mastspitzen wurden Lichter gesetzt.

Ich brachte meinen Segler in der Hafenmitte vor Anker und ließ auch alle Trossen ins Wasser fallen. Ich deckte den Niedergang mit dem Deckel zu und legte Segeltuch darüber. Als wir die Jolle zu Wasser brachten, war Sir Archie der erste im Boot, er setzte sich kleinmütig und starrte auf den erleuchteten Kai. Ich zählte dreizehn Dampfer im Hafen. Einige Jachten, Leichter und ein Gewirr von Masten. Die Dampfer kamen schnell los, die Trossen rollten bis auf zweihundert Meter ab. Zweihundert Meter von den Kais ab warfen die Schiffe Anker.

Man ging daran, die Mauern zu polstern. Die Matrosen schleppten Säcke und Kokosmatten und warfen sie über die Kante. Öl vor den Hafen! verlangten die Kapitäne. Der Kommandant hatte dafür gesorgt, ein Leichter schob sich von der Außenmole zum Hafen 139 vor. Er ließ einen breiten Streifen Öl ab. Und noch war das Wasser ruhig.

Wir gingen zur Kommandantur. Über das Wasser rief ein Mann: 29,58. –

Ich habe es gehört! Die Welt wird stille. Ich pfeife, es hört sich grausam an, und Sir Archie hält sich die Ohren zu. Ich unterlasse das Pfeifen, da schreit aber Sir Archie: Es ist zum Lachen! 29,58! Es ist, um grün zu werden.

Ich sagte: Schreien Sie nicht, Ihre Augen sind ja grün.

Er erwiderte: Von Geburt an, und ich sehe darum die Welt nicht hoffnungsvoller als Sie. Eher erbärmlicher, Herr Perlenfischer. Je länger der Wind bei 29,58 ausbleibt, um so schrecklicher wird es.

Er sprach weiter auf mich ein, ich hörte ihm nicht mehr zu. Es legte sich eine Motorjacht in der Nähe meines Seglers vor Anker. Es war James. Im geraumen Abstand, Herr James! – Er legte sich mit seiner Jacht quer zu meinem Schiff.

Die Uhr auf der Kommandantur, dieses erleuchtete Ziffernblatt, zeigte zwei Stunden nach Mitternacht. Kimball, Sir Archie und einige Matrosen starrten auf die Uhr. Sie verglichen die Zeit mit ihren Taschenuhren, die Hafenuhr war stehengeblieben. Es verbreitete sich ein Entsetzen unter den Matrosen. Mogens kam, er blickte auf die Uhr und sagte ruhig: Es hängt mit dem Luftdruck zusammen.

Haha! Hören Sie! schrie der alte Kaufmann, Sie irren sich, es hängt nicht mit dem Luftdruck zusammen. Unsere Herzen stehen ja auch nicht still. Ziehen 140 Sie Ihre Uhr gefälligst auf. Sie haben vergessen, Ihre Uhr aufzuziehen.

Schreien Sie nicht so dumm! rief Mogens. Die Herzen kommen hinterher! – Er warf dem Alten eine kleine schwarze Flasche zu. Der Alte entkorkte sie und trank. Ich roch über einige Meter den starken Arrak.

Kurz darauf heulten über die Niederlassung die Sirenen. Es war die erste Warnung, Mogens hatte es befohlen. Die Schiffssirenen fielen ein, es war ein schönes Getöse, das von den Bergen widerhallte. – Noch immer war das Wasser ruhig, ein Mann verkündete 29,54! Der heiße Wind kam wieder auf, an den Lichtern stieg ein feiner Dunst auf. Sir Archie lehnte erschöpft an einem Pfeiler, ich drückte mich vorsichtig in seinem Rücken davon und sprang hinter eine Wand aus Fässern. Aber schon sah ich, daß der Alte mich suchte, er lief in einer verkehrten Richtung. Es war milder geworden, ein kalter Zug war im Wind. Wie mild doch der Wind sein kann! Er steht vor Dir auf, dreht sich und kriecht unter Deiner Haut. Er ist milde, unverdächtig schluckst Du den Wind und er ist Dein guter Freund.

Ich lief an den Fässern entlang und kam an eine Krananlage. Hier war ich allein, ich schlug mit den Händen durch die schwarze Luft und ließ mich auf einem Stein nieder. Nach einer Zeit erklangen die Sirenen ein zweites Mal. Ich erhob mich, es zog mich zu den Menschen zurück.

Plötzlich stand Sir Archie mit ausgebreiteten Armen vor mir. Er war gelaufen, nun hatte er mich gefunden. 141 Er rief: Tiefer können wir nicht sinken. Der irrsinnige Kommandant hat das Glas zertrümmert. Er will es nicht mehr ausrufen lassen, wie es um uns steht . . .

Aus dem schwarzen Himmel fiel der erste Blitz, der Donner war ein heller Trompetenstoß. Sir Archie warf sich an meine Brust. Ich stieß ihn zurück und schrie. Der Wind riß mir das Wort vom Mund. Wir standen hinter einer Schutzmauer. Eine Bö klatschte gegen uns, der Kaufmann fiel zu Boden. Ich jubelte! – Im Kommandantenhaus krachte es. Plötzlich erloschen im Hafen die Laternen. Die Fenster der Kommandantur klirrten, sie mußten aus den Rahmen gefallen sein. Die Luft war dünn, ich atmete schnell und tief. Eine neue Bö kam, ich warf mich zur rechten Zeit auf die Erde. Wie eine Wasserwoge warf sich die Bö über die Erde. Nicht weit von mir wogten die Fässer wie Bälle und rollten zum Kai hinab. Ich fühlte Wasser an meinen Füßen, und es war die erste Woge, die sich im Sog der Bö über den Kai erhob. Nach der Bö fiel eine lähmende Stille ein. Ich hörte von den Dampfern Schreie und sah die Mastlichter tanzen. In der Kommandantur hatte man Fackeln aufgesteckt.

Ich lief zur Kommandantur, ungeachtet des Kaufmanns, der an der Erde liegen blieb. Mogens stand im Zimmer des Telegraphisten. Der Funker arbeitete noch. Es war entsetzlich, die SOS-Rufe kamen über das Meer. Der Funker saß mit nacktem Oberkörper, seine weißen Haare schimmerten ölig. Es war Kimballs Vater.

Mogens gestand mir, daß er das Glas zertrümmert habe. Ich fragte ihn nicht nach dem letzten Stand. 142 Er meinte, es bleibe doch kein Faden heil, nebenbei sagte er: Das Glas zeigte 29,7. –

Vor der Kommandantur sammelten sich Männer. Ich sah den lügnerischen Lotsen. Er hatte freiwillig seine Kleidung abgelegt, auf seiner eingefallenen Brust wuchsen silbergraue Locken. – Noch immer waren Matrosen mit dem Polstern der Kais beschäftigt. Vor den Fenstern drängten sich bekannte Gesichter. Einen Augenblick sah ich James.

Es verging eine Zeit, und ich dachte an Sir Archie. Jetzt suchte ich den alten Kaufmann. Er war nicht unter den Menschen am Fenster. Bald verloren meine Gedanken ihn wieder. Ich sah aber zwei alte Matrosen, die sich die Hand schüttelten. Sie nickten sich zu, krümmten sich im Winde und gingen auseinander. Sie kamen aber wieder zusammen, blickten gegen den Himmel und griffen sich liebevoll an die Schultern. Nach einer Weile sah ich, daß sie ihre Hemden fortwarfen.

Ein dumpfer Schuß krachte im Hafen. Wir sahen nichts. Dem Schuß folgte ein Sirenengeheul von den Dampfern. Es mußte eine See über die Mole gegangen sein. Das Wasser trat sekundenlang über die Kais. Die Wasser kamen vor das Haus geschwemmt, ich wollte die Kommandantur verlassen, aber Mogens hielt mich fest, er lächelte freundschaftlich und flüsterte mir ein Wort zu. Wir tranken aus einer Flasche, sie war grün, ein Papagei war auf einem Zettel aufgedruckt. Der Whisky war gut. Erst später schmeckte ich, daß es Arrak war.

143 Welches Wort aber flüsterte mir Mogens zu . . . Lange habe ich es festgehalten, jetzt weiß ich es nicht mehr. Es will mir nicht wieder einfallen. Aber es war so, daß das Wort genügte, die grüne Flasche auszutrinken.

Flammen sprangen aus den Schornsteinen der Dampfer. Die Feuer wurden gelöscht. Die Kapitäne hatten alles getan, was die Versicherung verlangen konnte. Es wurde nun Zeit, und sie setzten einen Teil der Besatzungen an Land.

Sir Archie war nicht zu sehen. Er stahl sich wieder in meine Gedanken, und ich machte es mir zum Vorwurf, daß ich ihn verlassen hatte, als er an der Erde lag. Ich ging aus dem Haus, um ihn zu suchen. Ich lief zur Schutzmauer, noch stand die Mauer. Ich rief den Kaufmann bei seinem Namen und lief an der Mauer entlang. Es wurde dunkel hinter der Mauer, ich stieß gegen einen Stein und stürzte. Ich fand aber Sir Archie nicht, und ich rief. Nichts, nichts. Es beruhigte mich, daß er nicht antwortete. Dann liegt er nicht mehr hinter der Mauer. Ich ging an der Mauer zurück. Es kam eine Stelle, wo die Mauer einen Knick machte, und das Licht der Fackeln von der Kommandantur erleuchtete den Boden.

Hier begegnete mir James. Ohne ihm einen Gedanken zu schenken, ging ich ihm aus dem Wege. Ich horchte auf das Brausen in der Luft. Er aber vertrat mir den Weg und breitete die Arme aus, als wolle er mich umarmen. Dann stutzte er, ließ die Arme fallen und sagte: Hopp! Nyhoff – die Schiffe tanzen im Hafen.

144 Ich überlegte, was er mir da sagte und fragte mich, warum er das sagte. Ich gab ihm keine Antwort, ich blickte ihn aber erwartungsvoll an, er sollte sprechen. Ich verfolgte einen Gedanken: Wo steckt der alte Kaufmann? –

James tanzte unruhig auf seinen Beinen und fragte: Warum stehst Du hinter der Mauer? Suchst Du Schutz? – Es kommt noch schlimmer, das ist erst der Anfang, Nyhoff.

Er sprach viel. Warum sprach James? Und ich dachte weiter an den weißen Bart und die wackelnden Schultern des alten Kaufmanns. Nichts anderes hatte ich im Kopf.

He, Nyhoff! das wird ein Orkan. Es geschieht noch manches in dieser Nacht. Ich habe mein Schiff gut versichert. Ade jetzt, ich gehe in die Berge. Ich habe nichts mehr im Hafen zu tun.

Und ich dachte, er hat etwas zu verstecken, er will schnell in die Berge. Und ehe es mir selber bewußt war, fragte ich ihn: Hast Du den alten Kaufmann mit dem weißen Bart gesehen?

Du meinst Sir Archie?

Ja! Ich habe nicht nach seinem Namen gefragt. Aber er ist es, an den ich denke. Er hat zwei Frachten auf See, er handelt mit Perlen und ist sehr reich.

Das ist er, sagte James. Ich kenne ihn wieder nach Deinen Worten. Nein, ich habe ihn nicht gesehen. Vielleicht ist es aber gar nicht Sir Archie, den Du suchst. Aber wenn er einen weißen Bart hatte . . . Wer trägt sonst einen weißen Bart in der Südsee. Ja, dann ist es sicher Sir Archie.

145 Ich überlegte und sagte: Dann muß ich seinen Verlust Kommandant Mogens melden.

Höre mich an, Nyhoff, auf ein Wort!

Ich höre!

Ich habe keinen Frieden, seit Du in Port Ond bist. Überall begegne ich Dir. Jetzt suchst Du Sir Archie und fragst mich so bedeutsam nach ihm.

Ich sagte:

Ich vermisse ihn, James. Er lag hier hinter der Mauer an der Erde. Der Wind hatte ihn umgeweht. Er war mir lästig und ich lief ihm fort. Hast Du ihn gefunden?

Er schüttelte den Kopf, blickte zu Boden und murmelte: Ich habe ihn nicht gesehen, Nyhoff.

Dann geh! Geh in Frieden, James, wenn Du ihn nicht gesehen hast.

Ich habe ihn gesehen! sagte er mit verstellter Stimme. Vor dem Haus der Kommandantur.

Die Luft wurde plötzlich dünn, ich fand nicht mehr die Zeit, mich zu Boden zu werfen. Der Wind hielt mich gegen die Wand gepreßt. Ich versuchte, mich in der Mauer festzukrallen. Meine Füße wurden hochgehoben, ich sauste an die Erde. Der Sturm kam mit größerer Gewalt, ich rang gegen die dichte Luft. Die Mauer stürzte ein, die Blöcke begruben mich. Ich preßte die Finger gegen den Mund, ich fand keinen Atem. Der Wind war dichter als das Wasser, das mich überströmte. Das Wasser schwemmte in einer zweiten Welle die Blöcke fort, ich konnte mich erheben. Nicht lange. Der Wind preßte mich an die Erde.

146 Die Wasser strömten zurück, zitternd erwartete ich ein furchtbares Ende. Eine grausame Stille folgte; viel schrecklicher als der Sturm war die Stille, die nun folgte. Plötzlich sauste der Sturm wieder über die Erde, wie unter Glockenstößen erbebte die Luft. Es kam eine Atempause. Ich richtete mich auf, um vorwärtszuschnellen. Ein Arm riß mich zu Boden, es war James, der mich umklammerte. Er brüllte mir in die Ohren: Warte, ich bin noch bei Dir!

Ich hatte James vergessen. Mit ihm aber kamen meine Gedanken wieder auf Sir Archie und ich schrie James an: Du hast Sir Archie gesehen, James! Wo ist Sir Archie? – Ich spannte meine Muskeln und schleuderte ihn von meinem Rücken. Wir sprangen zu gleicher Zeit auf und er keuchte: Ich habe ihn nicht gesehen.

Dann ist er tot! sagte ich drohend.

Und wieder kam der Wind mit der Schnelligkeit eines Vogels. Ich erwartete ihn an der Erde. Die Wasserwogen kamen und trugen mich fort. Ich fiel und kletterte mit dem Wasser. Ich rannte ein Stück über die Erde, eine neue Woge kam und schmetterte mich zu Boden. Fort vom Kai! Ich stemmte mich in die Erde und erwartete den Augenblick, wo die Wasser zurückwichen. So erreichte ich die Kommandantur. Die Lichter waren erloschen, das Haus schien fortgefegt zu sein. Jetzt entsann ich mich, im Sturm das Prasseln zusammenfallender Steine gehört zu haben. Die Finsternis war vollkommen, tief orgelte der Wind. Ein Licht sprang auf, es war eine Fackel. 147 Ich erkannte Mogens, der die Fackel schwang. Er rief: Geht in die Berge, hier ist nichts mehr zu retten.

Ein Stöhnen antwortete. Durch ein Loch der zerstörten Hauswand kam ein Mann gekrochen. Er war nackend, sein Arm war gebrochen. Zwei Matrosen krochen durch das Loch, zuletzt kam der Funker. Er schleppte einen Toten mit sich. Ich blickte dem Toten in das Gesicht, es war nicht Sir Archie.

Wer gehen konnte, schlug sich zu den Bergen. Der Wind wuchs an. Ich blieb an Mogens Seite, der immer noch die Fackel schwang. An der Erde krochen die Flüchtenden aus dem Hafen. Ein Windstoß löschte die Fackel. Mit meiner Hilfe kam auch Mogens aus dem Hafen. Sein linkes Knie war zerschmettert. Oberhalb des Zollhauses band ich ihn an einer Pappel fest und schiente sein Knie.

Im Zollhaus fand ich einige Stricke zu meiner eigenen Rettung. Dreimal faßte mich vor dem Zollhaus eine Woge und spülte mich zum Hafen zurück. Ich hörte das Krachen der Schiffe im Wasser und sah die Lichter an den Masten durch die Luft segeln. Im Zollhaus wollte mir ein Mann die Stricke aus der Hand reißen. An seiner gewaltigen Kraft erkannte ich James, er stieß einen Fluch aus. Ich gab ihm einen Faustschlag in das Gesicht und verlor ihn im Dunkeln.

Ich machte eine Schlinge und zog Mogens an der Pappel hoch. Wir schnürten uns in der Baumkrone fest. Aber dreimal lagen wir noch hingetrieben in einer Flut, die Wasser zogen mit Zentnergewichten an uns und die Stricke rissen Wunden in unser Fleisch. Es kam die letzte Flut, ein Donner erfüllte die Luft. 148 Die Mole ging zu Bruch und die hohe See drang in den Hafen ein. Jetzt verteilte sich die Flut gleichmäßig über der Erde. Die Pappel bog sich im Wasser zur Erde, und in den Wurzeln spülte das Wasser. Nach jeder Flut zitterte der Baum hohler.

Wir sahen eine Minute lang die Sonne aus dem Meere steigen. Ihr Feuer flackerte durch Wasserberge hindurch. Das Licht übergoß den Hafen. Die Schiffe taumelten, und an den Kais lagen zertrümmerte Wracks.

Nach einer weiteren Stunde war der Orkan gebrochen, es regnete, der Wind spielte von allen Seiten. Langsam wurden die Wolken heller, ein öder Schimmer lag über dem Hafen. Noch strudelten die Wasser an der Erde. Minutenlang stieg noch die Flut, der Sog bildete Löcher in der Erde. Die Wasser verliefen sich. Die Sonne fiel in Strahlen durch den zerrissenen Himmel.

Ich kann die Sonne nicht ohne Dank ansehen. An jedem Morgen steigt sie aus dem Meere, zu ihrer Zeit kommt sie, niemand hindert ihre Genauigkeit. Die Sonne ist mein Verlaß auf Erden. Einmal dachte ich zu meinem größten Schrecken, daß sie sich doch an einem Tage verspäten wird. Dann aber schüttelte ich den Kopf, als sie in ihrer Fahrt wieder angelangt war. Hoho die Sonne!

 


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