Heinz Kükelhaus
Thomas der Perlenfischer
Heinz Kükelhaus

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11

Die Liste meldete einhundertundacht Tote. Darunter Sir Archie, sein Leichnam blieb verschollen. 149 Zwei Dampfer lagen als Wracks im Hafen. Ein Dampfer, die »Rosina«, war hinter der Mole gesunken. Sie stellte die meisten Toten, nur ein Matrose konnte sich retten. Viele Segler und Schaluppen waren zerstört. Mein Segler lag unbeschädigt an der Westseite des Hafens. Ich habe ihn überholt, er war voll Wasser geschlagen, obwohl ich den Niedergang mit Segeltuch verdeckt hatte. Außenbords war an vielen Stellen die Farbe abgesprungen. James' Perlenjacht lag quer ab, auch sie war unbeschädigt.

Die Mole war an drei Stellen in großer Breite eingesunken.

Der Hafen war ein Arbeitsplatz geworden. An den Schiffen wurde geklopft. Über Tag sausten die Hämmer auf die lockeren Nieten. Hinter der Mole kreuzten einige Segler und Motorbarkassen, sie fischten die Toten auf.

In der Niederlassung waren einige Tote zu beklagen. Die Liste der Toten nannte auch ein junges Mädchen aus dem Hause einer Faktorei. Die Männer aus Port Ond erschienen vor der Faktorei, sie legten Blumen an der jungen Leiche nieder. Das Mädchen war im Tode sehr schön. –

Auch am Klubhaus war der Orkan nicht ohne Zerstörung vorübergegangen. Das Dach war eingerissen. Die Räume hatten nicht gelitten. Wir versammelten uns am Abend im Klub. Die Kapitäne kamen geschlossen angezogen. Kommandant Mogens ließ sich auf seinem Zimmer ankleiden. In einem Sessel trugen wir ihn in die Halle. Nun trank er liegend seinen Whisky. In der Dampfmaschine klopfte wieder der 150 Kolben. Die Maschine hatte den Orkan gut überstanden, nur für einige Stunden waren die Feuer gelöscht.

Wir bedauerten den Tod des Kapitäns und der Mannschaft von der »Rosina«. Kapitän Olafson von der »Wicking« hatte seine Mannschaft beim Barometerstand 29,7 geschlossen an Land und in die Berge geführt. Sein Schiff war heil geblieben. Er war der erste, der ausfahren konnte. Er blieb aber zwei Tage ohne Sinn in Port Ond liegen. Er feierte seine Rettung durch eine große Trinkerei.

An diesem ersten Abend nach dem Orkan gedachten wir immer wieder aller Toten. Es gab viel zu beklagen, es gab viel zu trinken. Zumeist flogen unsere Gedanken zu dem jungen toten Mädchen hinüber. Und für die eine saß der Wurm in unseren Herzen. Selbst Mogens und die alten Kapitäne betäubten sich darum. Mogens hatte das Mädchen im Leben gekannt, er erzählte von ihrer Süße. Sie hatte nichts gemein mit dem Leben der Faktorei. Sie verkaufte nicht und hatte nie betrogen. Sie war fromm und fröhlich. Nein! dieser Tod inmitten eines jungen Lebens. Wahllos trifft der Tod und ohne Erklärung.

Mit der Zeit schwiegen wir. Es wurden Kerzen angezündet, viel Licht kam in die Räume. Und vor dem Hause sangen die Eingeborenen. Wir lauschten den Klängen und öffneten die Fenster. Der Himmel leuchtete, es grollten ferne Gewitter über dem Meere.

Der junge Kimball kam und brachte Mogens die Nachricht, daß die neue Funkstation in Betrieb sei. Schön, wir standen wieder mit der Welt in Verbindung.

151 Kimball blieb an meiner Seite und flüsterte mir einige Worte zu. Ich hörte und hörte, doch konnte ich keinen Entschluß fassen. Ich lud Kimball zum Trinken ein. Wir tranken zusammen, und er wiederholte leise seine Nachricht.

Jaja! ich höre, doch bin ich müde. Auch mich hat die Nacht nicht verschont, ich bin in allen Gliedern geschlagen. Ohne Anlaß jagt ein Schauer den anderen. Und ich fühle ein Beben in meinem Körper. Es gibt mir doch zu denken. Ich werde von Schauern geplagt. Bacons Bucht machte den Anfang, der Orkan hat es verstärkt. Aus heiterem Himmel fällt mich eine würgende Hand an. Ich stelle mich hin und mache ein heiteres Gesicht dazu, ich lache mit anderen Menschen, trinke mit ihnen, schlage auf meinen Gürtel und sage: die Welt ist schön, das Leben ist ein Gottesgeschenk. – Kaum habe ich es gesagt, da steht mein Leben in Gefahr. Es breitet sich ein Nebel vor meinen Augen aus, das Blut stockt in meinen Adern und die Gedanken zerflattern wie die Töne einer Leier. Ich muß mich setzen. Keiner merkte es, wie fern die Seele meinen Worten war. Ich halte mich, so gut ich kann.

Als Kimball mir seine Nachricht zum dritten Male ins Ohr flüsterte, stand ich auf. Meine Beine wankten. Ich verließ den Klub und ging in den Palmenhain vor dem Klub. Hier stand Daniele. Sie war es, die mich erwartete. Ich setzte mich neben sie auf einen Baumstumpf. Sie streichelte meine Hände mit ihren Wangen und dankte mir.

Warum dankst Du mir, Daniele?

152 Daß Du lebst! Ich freute mich den ganzen Tag, allen Seeleuten habe ich meine Freude gezeigt. Dem einen schenkte ich ein Halsband für seine Frau, und er vergaß alle Gedanken, mit denen er zu mir kam.

Daniele!

Ich danke Dir für die Perle, die Du mir geschenkt hast.

Ich hatte ihr aus Freude, daß sie lebte, zwei meiner kleinsten Perlen geschickt. Nun verlor sie Worte darüber.

Ich will sie nie verkaufen, flüsterte sie. Ich habe einiges Geld. Heute hatte ich nur glückliche Gäste, man schenkte mir von allen Seiten. Heute erhielt ich mehr Geschenke als sonst in einem Jahre. Jeder freut sich, daß er nicht zu den Toten gehört.

Du bist glücklich, Daniele?

Ich bin glücklich, keiner schenkte mir so wie Du.

Was hat Dir James geschenkt?

Sie zuckte mit dem Kopf und wurde rot. Sie sagte: Er wollte trinken, doch habe ich ihm die Türe versperrt. Er sieht schrecklich aus. Über dem linken Auge hat er ein Mal.

Sag, Daniele, ehe ich zu Dir kam, war James oft Dein Gast?

Sie zitterte.

So so! Ein Mal hat James über seinem linken Auge. Sieh, Daniele, ich schlug ihm in der Nacht die Faust in das Gesicht und dachte, es sei auf der rechten Seite gewesen.

Nein, die linke!

153 Ich wünschte ihr eine gute Nacht. Sie sah mich erschrocken an. Meine Gedanken waren weit fort von ihr. Ich ging in den Klub zurück. In der Frühe des Tages hatte ich zu erfahren gewußt, daß Henriette gesund ist. Und ich machte einen Umweg und schweifte an Maylands Park vorüber. Zu meiner Freude war auch sein Haus beschädigt. Das Haus lag im künstlichen Lichte, viele Arbeiter wimmelten an der Fassade herum. Es wurde gearbeitet. Niemand sah mich.

Darüber verging eine Stunde. Als ich den Klub betrat, hatten sich die Räume gefüllt. Die Kaufleute waren erschienen. Bei meinem Eintreten stieß man sich an. Ich hörte Danieles Namen, blickte mich aber nicht um. Sie denken jetzt, er macht sich gemein mit Daniele. Aber es war ja gerade mein Wunsch, daß sie es denken sollten. Ich lache sie aus, denn ich weiß, daß sie nachts vergeblich bei ihr anklopfen. Sie ist so treu wie nur eine.

Das hämische Lachen und Anstoßen ist aber der Grund, daß ich mit Mogens um die Wette trinke. Auch Mogens ärgert sich über die Kaufleute, er sagt laut: Du hast soeben Daniele verlassen, Nyhoff. Ich wollte ihr noch ein Geschenk zuwenden. Sie hat es verdient. Die ganze Nacht hat sie für uns im Hafen gebetet.

Die treueste Seele! erwiderte ich laut, nun tut es mir leid, daß ich sie draußen stehen ließ.

Wir sollten ihr ein Fest geben! rief Mogens aus. Denn ich glaube, sie ist die einzige, die an uns gedacht hat. Und ich möchte wissen, wer etwas dagegen einzuwenden hat! –

154 Die Kaufleute verhielten sich an ihren Tischen still. Und ich freute mich über die Stille so sehr, daß ich ein weiteres tat. Ich sagte: Ihr Vater fuhr auf dem Segler einer australischen Klipper-Linie.

Nun erscholl es von einem Tisch der Kaufleute herüber: Sie hat nie einen Vater gehabt!

Unheiliger! schrie Mogens, wie wäre sie auf die Erde gekommen, wenn nicht ein Vater in der Welt wäre.

Haha, Vater! Ein Strolch, der mal hier und mal da . . .

Wir alle sind mal hier, mal da!

Darauf schwiegen die Kaufleute. Die Kapitäne pflichteten uns bei. Sie allein waren imstande, die Wahrheit zu überschauen. –

Nicht lange danach kam auch Herr Mayland. Er erzählte laut an einem Nebentisch, daß er in einzigem Raum mit Frau und Tochter zusammenhause. Maria habe einen Bruch an der Hand davongetragen.

Maria hat einen Bruch an der Hand? Das war für mich eine Neuigkeit aus Maylands Haus. Darüber war ich nicht unterrichtet. Ein Glück nur, daß die armen Maulesel eine kurze Ruhepause haben. Später am Abend sprach ich mit Herrn Mayland. Ich beklagte Marias Mißgeschick.

Wie erträgt sie es, fragte ich.

Er sah mich traurig an. Sie leidet, die Moskitos setzen ihr zu. Ihre zarte Haut . . .

Ich verstehe Sie gut. Das kalte Wasser fehlt.

Nein, Gott sei Dank, die Rohrleitungen sind nicht zerstört. Das Wasser läuft, die Maulesel laufen, und 155 dreißig Eingeborene arbeiten an meinem Hause. Ich gedenke morgen wieder in alle Räume einzuziehen.

Und das gnädige Fräulein Henriette? fragte ich.

Er starrte mich böse an. Meine Tochter ist kein gnädiges Fräulein in Ihren Augen?

Ich gab mich nicht geschlagen und fragte eindringlich: Was macht das gnädige Fräulein Henriette?

Baron Bacon und das hochmütige Fräulein sind gegen Abend mit einem Eselskarren abgefahren.

Dank, Gott sei Dank, daß sie Port Ond verlassen haben.

Gott sei Dank, sagen Sie! Ich denke, Sie liegen händeringend vor ihr auf dem Boden.

Ich? heuchelte mein Mund. Ich liege vor Daniele auf dem Boden.

Er grinste: Sie steht vor der Türe, Herr Nyhoff.

Vor der Türe? fragte ich erschüttert. Dann flüsterte ich ihm ins Ohr: Sie erwartet wahrscheinlich einen Herrn Mayland . . .

Er blickte mich eisig an. Dieser Mauleselmörder verachtete mich, da ich in diesem Augenblick sein Weib beleidigt hatte. – Ich bat ihn um Vergebung. Er war sofort bereit, mir zu vergeben. Nun wußte ich erst recht, wie sehr er mich verachtete.

Wie steht es mit den Perlen? fragte er mich. Der Handel darf nicht einschlafen.

Ich starrte ihn an, sein Gesicht verschob sich vor meinem Blick. In diesem Augenblick legten sich wieder die Nebel vor meine Augen. Ich wankte und sagte völlig sinnlos: Ich möchte Ihnen ein Dutzend Maulesel abkaufen, Herr Mayland.

156 Der Schwindel verlor sich. Ich hörte, daß Mayland sagte: Gleich ein Dutzend, das geht nicht! Wer soll mir das Wasser pumpen! Wollen Sie eine Karawane zusammenstellen?

Nein, keine Karawane! Die Maulesel sollen einen Feiertag bei mir haben.

Herr Mayland wollte sich ausschütten vor Lachen. Das Lachen machte an den Tischen die Runde. Und Mayland erzählte allen, wozu ich die Maulesel kaufen wollte. Er rief mir zu: Ihre Güte bringt Sie noch ins Verderben, Nyhoff!

Güte, dachte ich, was ist in diesem Falle Güte?

Die Kaufleute waren durch das Lachen in gute Stimmung gekommen. Sie tranken nun Iberoweine, sie sind besonders schwer. Sie hatten auch allen Grund, sich zu betrinken. Sie lebten, die Versicherungen zahlten ihnen den Unwetterschaden. Es mußte eine neue Mole gebaut werden, vieles andere mußte erneuert werden. Der Orkan brachte schon sein Geld in den Hafen. Und die Kaufleute besannen sich auf ihren tüchtigen Hafenkommandanten, sie schickten Weine herüber. Der Wein wurde eingewechselt, es kamen Flaschen von Whisky auf den Tisch. Auch die grünen Flaschen mit dem Papagei wurden wieder geöffnet. Ein feiner Duft stieg aus den Flaschen. Die alten Trinker rochen ihn nicht, er mischte sich mit den Iberoweinen. Bald lärmte die Gesellschaft, auch die Pflanzer kamen vom Lande, sie wollten nicht in der lustigen Gesellschaft fehlen. Diese Pflanzer! sie hatten den Orkan kaum gespürt, nun kamen sie, um den Kaufleuten ihr Beileid auszusprechen. Statt dessen 157 sahen sie die Kaufleute zechen. Sie verstanden es nicht, wie die Kaufleute zechen konnten. – Ja, sagten die Kaufleute, die Funkstation klappert schon, die Funksprüche sind bei unseren Versicherungen eingetroffen. – Und zu Lasten der Versicherungen wurde gezecht. So vorsichtig sind die Kaufleute in Port Ond.

Danke! sagte Mogens, ich nehme keine Flasche mehr von der Versicherung. – Wir zahlten unsere Flaschen. Nur die Herren Kapitäne hatten das Recht, mit der Versicherung der Kaufleute anzustoßen. Sie sind über ihr ganzes Leben Freunde der Versicherung, auf Du und Du stehen die Kapitäne mit dieser überirdischen Gesellschaft. –

Lachen, lachen! – Sir Archie fehlte in der Gesellschaft.

Steht Daniele noch vor der Türe? – Ich dachte immerzu, daß sie noch vor der Türe steht. Ihre unerbittliche Treue. Gott mag wissen, wie sie sich draußen die Zeit vertreibt. Ich fühlte mich nicht in der Stimmung, vor die Türe zu gehen. Ich blickte aber anhaltend durch die Fenster, meine Gedanken eilten den Füßen voran. Einmal werde ich doch noch vor die Türe treten und sie bitten, daß sie nach Hause geht.

Vor der Türe entstand ein Lärm, sie wurde aufgerissen. James trat herein. Er war nicht betrunken, nüchtern kam er. Er hatte das Mal wirklich auf der linken Seite. Er trug einen hellen Ausgehanzug, braune Sandalen und weiße Leibwäsche. Der Gürtel an seinem Leib war breit, und an seinen gefüllten Taschen erkannte ich, daß er ein Vermögen mit sich herumtrug. Sein Auftreten war außergewöhnlich. Er 158 verkehrte nicht im Klub, aber nun kam er. Sein Gesicht war sehr bleich. Seine Unterlippe hing schief und zuckte, an der linken Hand waren die Finger gespreizt. Alles Zeichen seiner ungeheuren Erregung. Er schnappte verdächtig nach Luft. Dieser Zustand sollte ihm gefährlich werden. Eines hatte er mit seinem Auftreten erreicht. Es herrschte eine gespannte Stille. Nicht weit von mir pflanzte er sich auf. Bevor er sprach, spreizte er auch die Finger an seiner rechten Hand, er gestikulierte mit beiden Händen. Endlich brüllte er durch die Stille:

Mir ist zu Ohren gekommen, daß gewisse Leute denken – daß man darüber spricht, Sir Archie sei von meiner Hand umgekommen.

Größer konnte das Erstaunen nicht sein. Ich legte die Hand vor meine Augen, ich konnte ihn nicht länger ansehen. Keiner kannte ihn so gut wie ich. Drei Jahre lebte ich auf einem Schiff mit ihm. Nun sah ich aber deutlich, daß er wußte, wie Sir Archie ums Leben gekommen war.

Die Kaufleute schluckten an dieser Botschaft, Mogens strich nervös mit der Hand über sein verletztes Knie. Er blickte James scharf an und sagte schneidend: Wir wollen nichts darüber wissen, James!

Doch! rief er, ich sitze auf meiner Jacht und höre solche Gerüchte. Ich kann nur keinen Mann finden, der es mir ins Gesicht sagt!

Herr Mayland, sein guter Geschäftsfreund, sprang auf und stellte sich neben James. Er sagte: Sir Archie ist tot. Er ist wie so viele in der Nacht umgekommen. Er war alt und sicherlich nicht kräftig, er durfte sich 159 nicht im Hafen aufhalten. Es war seine Schuld. Nach Jahr und Tag werden wir vielleicht etwas von ihm finden. Laß die Toten ruhen, James.

Ach! wandte sich Mogens an Mayland, wenn Sie schon die Toten ruhen lassen wollen, dann schlagen Sie sich gefälligst nicht um die Frachten des Toten, die noch auf See schwimmen. Sie wollen die Frachten schon verauktionieren, bevor sie im Hafen sind . . .

Es geschieht nur im Interesse der Erben, erwiderte Herr Mayland.

Genug! sagte Mogens. Wir sind keine Untersuchungsrichter. Wir wissen nicht, was mit Sir Archie geschehen ist. Der Kaufmann war reich, er trug Perlen mit sich und hatte Angst vor Dieben. Darum kam er in den Hafen. Er kannte wohl den Dieb, der ihm nachschlich.

Es ist wahr, sagte ich und schielte James dabei an. Er hatte Angst, er hielt sich immer an meinen Fersen. Geh, James, es war nicht klug, was Du hier gesprochen hast!

Das waren Worte, die jeder verstand.

James stand noch auf derselben Stelle. Er schlug die Arme nach rückwärts. Es wollte etwas aus ihm heraus, doch war er nicht mehr der Herr seiner Stimme. In so großer Erregung wie er steckte, klemmte ihm das Herz die Luft ab. Dann schlägt er mit den Armen hinter sich. Manchmal glückte es ihm, durch das Schlagen der Arme zu Atem zu kommen. Jetzt gelang es ihm nicht mehr. Ich sah, daß er versuchte, mit seinen Fingern in die Hosentasche zu kommen. – Ich mußte lachen.

160 Keiner der Anwesenden wußte, was mit James vor sich ging. Eines konnte ihn retten. Und ich war nicht bereit, es zu tun. – Das Mal über seinem linken Auge schwoll an und seine Augen wurden wässerig. Er blickte mich hilfesuchend an. – Einen Diebstahl hätte ich ihm verziehen. Aber Sir Archie! was mit ihm geschah, das wußte James allein. Jetzt wurde mir auch alles klar, der alte Kaufmann fürchtete sich vor James. Er mußte mit James verhandelt haben, vielleicht hatten sie ihre Perlen einander gezeigt. Und James stand schon hinter dem Klubhaus, als ich mit Sir Archie in den Hafen lief. Oh James! Du hast mich mitschuldig gemacht am Tode des alten Kaufmanns.

Noch immer stand er mit angehaltenem Atem vor mir. Die Sekunden waren zu zählen, er mußte zusammenbrechen. Ich aber saß ruhig, atmete tief, blies meinen Atem aus und sog die Luft wieder ein. Ich zählte keine Sekunde. Ich drehte mich um und sprach mit Mogens.

Das Gespräch wurde allgemein. Man flüsterte erst, dann lachte man laut. Die große Gestalt stand aber immer noch auf derselben Stelle. Es sah keiner, wie still er nach Luft rang. Es fielen Karten auf die Tische! Herr Mayland hatte James längst verlassen, jetzt wollte der Kaufmann pokern. – Ich starrte durch das Oberlicht eines Fensters. Mogens tat es mir nach. Wir sahen die leuchtende Bahn eines fallenden Sternes, und ich vergaß einige Sekunden James. Dann warf ich wieder einen Blick auf ihn. Seine Arme rührten sich nicht, eine tiefe Blässe überzog sein Gesicht, sein Hals war dürr geworden.

161 Richtig! Ich wollte den Klub verlassen. Ich stand auf, mein Weg führte an James vorüber. Ich war auf dem Sprunge, Daniele nach Hause zu schicken. Sollte ich mir die Finger an James schmutzig machen. Ich überlegte es, der gute Mensch in mir gewann die Oberhand. Ich trat an ihn heran und durchsuchte seine Taschen. Ich wußte nicht, in welcher Tasche er sein Allheilmittel stecken hatte. In seiner linken Hosentasche fand ich ein Stück Samt und legte es zwischen seine Finger. Seine Finger rieben zitternd den Samt, er ließ den Samt fallen. Auch das tat ich noch, ich bückte mich, nahm den Samt auf und steckte ihn wieder zwischen seine Finger. Nach Sekunden hob sich seine Brust, der Krampf ebbte ab. Seine Hände bewegten sich plötzlich, er steckte den Samt in den Mund und kaute darauf. –

Mit vielen Menschen führte mich das Leben zusammen. Ich werde rot und demütig. Meine Brust wird heiß, wenn ich daran denke. Ihn rettete ein Stückchen Samt, den alten Kaufmann wollte kein Gott retten. Mich erhielt eine Strömung oder ein Baum. Samt und Baum! Es sind gewöhnliche Dinge, aber was steckt hinter ihnen!

 


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