Heinz Kükelhaus
Thomas der Perlenfischer
Heinz Kükelhaus

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15

Nichts, nichts! Ich zögerte weiter, etwas gegen James zu unternehmen. Ich ging mit dem Segler auf der anderen Seite des Atolls vor Anker.

Zwei Tage vergingen. Ich kümmerte mich nicht um Kimball, kaum daß ich ein Wort mit Bongards sprach.

200 Bongards fragte mich, wie lange ich hier liegen bleiben wolle. – Ich weiß es nicht. Habt Ihr eine Motorjacht gesehen? – Nun, ich erwarte hier eine Motorjacht aus Port Ond. Ich dulde nicht, daß Ihr mit der Jolle um das Atoll herumfahrt. Ihr macht die Fische scheu, sie wühlen das Wasser und trüben mir die Sicht. – Ich selber lag und stierte in das Wasser. Ich warf Angelhaken aus, zum Zeitvertreib. Ich bekam einen starken Hai an den Haken, er kämpfte um sein Leben. Wie er kämpfte! Er zerriß sich den Schlund, dennoch kam er nicht frei. Nur wühlte er das Wasser weithin auf und Bongard starrte mich böse an. Das wilde Schlagen des Hais war mir zuwider, ich kappte die Leine und ließ ihn ziehen. – Einen zottigen Tintenfisch spießte ich auf, aus Überdruß ließ ich auch ihn entkommen.

Zu einer Stunde trieb es mich zu tauchen, aber wieder hatte ich nicht die Lust mich zu bemühen. Ich glaubte etwas zu versäumen, wenn ich auf dem Meeresboden war. Ich ließ aber den Anker hoch nehmen und trieb langsam mit dem Segler zu einer Stelle, an der Muschelleichen auf der Oberfläche herumtrieben.

Bongards und Kimball baten mich zu tauchen. Alles lag an Deck, alles war bereit. Ich werde tauchen! sagte ich, laßt das Seil in die Tiefe. Ich tauche ohne Gewichte, ich will langsam hinabsteigen. – Darauf legten sie mir den Anzug an. Ich nörgelte, ich wollte jetzt nicht tauchen. Auf dem Wasser schwammen Muscheln herum, ich sah sehr alte und große Tiere mit offenen Klappen. Die alten Tiere reizten mich, nun wollte ich sehen, was in der Tiefe lebt. Wie tief mag es sein? 201 Längst hatte ich die Tiefe gelotet. Fünfzig Fuß war die Stelle tief. – In dieser Stunde überfiel es mich, ich schämte mich meines Berufes. Das Tauchen nach Perlen war mir in der Seele schmerzlich. Jetzt verführte ich noch Kimball und Bongards zum Tauchen. Des Jungen Augen brannten und Bongards lief erregt um die Pumpe herum. Auch ihn hatte das Fieber erfaßt, er hielt mir zitternd das Seil. Mit dem größten Widerwillen erklärte ich ihm noch einmal die Signale, die ich zu geben hatte. Er lauschte und sprach mir alles nach.

Ich schloß den Helm und ging über Bord. Langsam glitt ich an dem Seil hinab. Als ich unter Wasser kam, war ich froh und matt. Eine leuchtende Farbe umfing mich, zehntausendmal habe ich getaucht. Nie werde ich das Tauchen aufgeben, ich liebe meinen Beruf und es sind nicht die Perlen, die mich reizen. Es sind die Begegnungen unter Wasser. Alle Tiere nähern sich mir, leuchtende Raupen kriechen über meinen Weg, auf Korallenköpfen sitzen weitere zehntausend Tiere, in ruhigen Bewegungen zittert das Leben. Du wunderliche gute Welt, mein Meer! Freude sage ich dem Meer, Freude den Millionen Tieren. Seht! ich bin es allein, der sich Euch mit fröhlichem Herzen nähert. Ich verweile, in allen Gestalten kommt ihr wieder. Langsam und in Schwärmen, Fische kommen, wie die Libellen mit Farben angetan, sie fahren pfeilschnell an mir vorüber. In unterirdischen Felsen leuchtet es wie unter sterbenden Blitzen. Die Farbe ist keine Farbe. Gott hat es gewollt, daß keine Farbe tausend Farben sind. Und ich kenne keinen ihrer 202 Namen, ich strecke meine Hand aus, ihr unzähligen Unbekannten! Keinen Namen kenne ich, darüber bin ich froh, daß ihr namenlos seid. Ihr seid wie ein Strauß Gräser im Frühjahr, deren Namen ich nicht kenne.

Und ich vergebe meinen Feinden über der Erde, aus fünfzig Fuß Tiefe vergebe ich von Herzen und ungemessen gerne. Ich freue mich, daß alle meine Feinde gesund sind und leben. Ich wünsche sie alle wieder zu sehen, ich will ihr Leben weiter verfolgen, den Weg will ich ihnen ebnen, damit sie mich wieder lieben. Alle Freuden der Erde sollen ihnen beschert sein. Das Glück der Erde soll dahingegossen sein, es soll um ihre Füße spülen und kleine Sprudel bilden. –

Es war ein feierlicher Gang unter dem Wasser. Ich nahm keine Muschel vom Boden. Ich tauchte auf, schöpfte das Licht der Sonne, weilte eine Zeit an Deck und ging wieder in die Tiefe.

Jetzt tauche ich nach Perlen, es entgeht mir keine Muschel, die sich versteckt. Meine Augen finden sie unter einem Wald von Gräsern.

Wo ist Gras und Tang! Und je länger ich hinsehe, um so mehr bedeckt sich der Boden mit Perlmutter. Eine Fülle von Muscheln liegt auf dem Boden. Sie sind von einer seltenen Größe, in fünf Jahren sind die Muscheln gewachsen. Fünf Jahre sind es her, seit ich zuletzt in dieser Lagune tauchte. Die Muscheln schieben ihre Schalen scharf und gewölbt unter die wachsenden Korallen. Hundert Jahre und mehr wünsche ich mir, um das Wachsen einer einzigen Muschel zu belauschen. Am Anfang einer Muschel möchte ich 203 geboren sein. Sie sind die Tauflocken im Meere, unsichtbaren Geistern gleich sind sie nur ein Gefunkel der Sonne. Ein Strahlenkranz im Ozean. –

Zehn Körbe Muscheln schickte ich Kimball hinauf. Ich tauchte noch dreimal. Die Muscheln häuften sich an Deck. Ich gestatte Bongards und Kimball, die Muscheln zu öffnen. Sie benahmen sich wie die Narren, und ich zeigte ihnen, wie man Muscheln öffnet. Das Messer muß die Adern treffen. Es sind dicke Saugnäpfe, ein verdicktes Wasser. Die Angst vor den Feinden bilden die Adern der Muschel. Denn im Meere herrscht die Angst, das scheueste Leben der Welt hat die Muschel. Ihr größter Feind bin ich.

Ich fand beim Öffnen der Muschel eine kleine Barockperle und schenkte sie Bongards. Er betrachtete sie argwöhnisch, sie war ihm zu klein. Er lächelte mich spöttisch an, seine Finger zitterten. Wie ich das Zittern in den Fingern eines Anfängers kannte! Ihm war die Perle zu klein, er argwöhnte, daß ich die großen Perlen verschluckt hatte. Er warf mir die Barockperle zurück, ich steckte sie dankbar in die Tasche. Ich liebe die kleinen Barockperlen, nicht jeder schätzt sie. Für mich sind es lustige Geschöpfe, es stecken in ihnen alle großen Anlagen des Meeres. Abends lege ich die Barockperlen unter die Lupe, sie leuchten wie geschliffene Diamanten. Nur die Neulinge verachten sie.

 

Am Abend regnete es. Ich sah mir die Wassertonnen an, sie leckten. Der Orkan in Port Ond hatte 204 die Tonnen leck geschlagen. Ich hätte daran denken müssen. Das gute Trinkwasser floß aus, die zwei Tonnen waren über die Hälfte geleert.

Ich ließ Pfannen auf Deck stellen, um das Regenwasser einzusammeln. Bongards machte ein Regendach aus Segeltuch, wir legten uns darunter. Zuweilen denke ich zurück an diesen Regen, es war ein warmer Sommerregen. Wir standen in kurzen Hosen auf Deck und atmeten die Regenluft. Bongards hielt seine kranken Augen in den Regen, sie besserten sich langsam. Ich gab ihm gute Salbe für die Augen. Der Regen kam dichter, eine Regenbank zog sich bis zum Horizont hin. Es kam auch etwas Wind, der Segler schaukelte leicht.

Ich träumte von mehr Regen.

Bis Kimball sagte, er habe ein Geräusch gehört. Über die regensatte See kamen viele Geräusche. Das Leben erwachte unter dem schönen Regen. Vom Atoll her erscholl es lichterloh in allen Tonarten. Am Rande lebte allerlei Getier auf. Die Vögel kreischten, die Schildkröten spielten und schlugen das Wasser.

Ich hörte gedankenlos auf die Geräusche, bis ich gewiß war, ein Geräusch zu hören, das ich kannte. Ein Boot kam durch den Regen.

Heio, heio!

Heio! rief ich.

Das Boot kam längsseits. Es waren der Steuermann und ein Matrose von der Jacht. Wir sprachen einige Worte zusammen. Der Steuermann war nicht erstaunt, mich in der Lagune zu treffen. Sie suchten Schildkröten zu fangen. Jetzt bei Nacht und Regen 205 sei es eine Kleinigkeit, die Tiere am Ufer zu überraschen.

Warum kommt Ihr auf diese Seite des Atolls! fragte ich. Gibt es auf der anderen Seite keine Schildkröten? – Auf jener Seite gäbe es keine Schildkröten, sagte der Steuermann. – Ich glaubte ihm aber nicht, und ich legte mich glatt auf das Deck und blickte dem Steuermann ins Gesicht. Ich war von einer honigsüßen Freundlichkeit zu ihm. Ich lud ihn ein, an Bord zu kommen und meinen Arrak zu versuchen.

Es scheint, daß Sie besseren Arrak haben als James! sagte er kritisch. – Ich sagte ihm, daß ich den Arrak habe, den der Hafenkommandant von Port Ond zu trinken pflegt. Darauf meinte er, das sei der beste Arrak, den es in Port Ond gäbe. Er sagte auch, daß er wohl Lust habe, meinen Arrak zu schmecken.

Kimball riß seinen Mund auf, ehe er aber etwas sagen konnte, hielt ich ihm die Hand vor den Mund. Ich reichte dem Steuermann die Hand in die Jolle. Er sprang auf und zog sich an Bord. Der Matrose erhob sich auch, griff die Bordkante und sprang auf Deck.

Sie sind Herr Nyhoff! sagte der Matrose mit einem leisen Staunen in der Stimme . . . Ich roch, daß er kein Arraktrinker war. Er war nüchtern und mir unbekannt. Er grinste vor sich hin, gab dem Matrosen Bongards die Hand und spuckte auf Deck aus. Kimball ging und spülte mit dem Eimer nach. Der Matrose lachte laut los, er gelobte aber Besserung.

Kimball kannte den Matrosen gut, er war seit Jahr und Tag an Bord der Jacht. Das flüsterte mir 206 Kimball zu, als ich in die Kajüte ging, den Arrak zu holen. Als ich zurückkam, stand Kimball wieder an der Treppe und sagte mir, der Matrose rieche nach Petroleum.

Ich schloß einen Atemzug lang die Augen, und mit den geschärften Sinnen des Wilden roch auch ich das Petroleum.

Unter dem Regendach nahmen wir Platz, in der gehörigen Reihenfolge. Ich war der Schiffer, der Steuermann warf sich an meine Seite, griff sofort nach der Flasche, probierte und trank mit einem tiefen Seufzer.

Es ist bester Arrak! flüsterte er. – Die Flasche war allein für ihn bestimmt. Ich trank ihm aus einer anderen Flasche zu. Der Matrose schloß sich aus, er wetzte sich die Finger an seinen roten Haaren und sprach von Schildkröten. Er stand einige Male auf und ging zum Heck. Er sagte dann, daß er auf die Schildkröten horchen müßte. Und nach einer Zeit des Horchens schrie er jedesmal vom Heck her: Schildkröten, Schildkröten!

Ich sprach nicht mit dem Matrosen, ich gönnte ihm kein Wort. So oft er mich anredete, glitt ich mit meinen Worten über ihn hinweg und unterhielt mich eifrig mit dem Steuermann. So manches sagte ich dem Steuermann. Ich sprach einmal von seinem Steuermannsexamen. So sehr er auch verkommen war, sein Gedächtnis war vorzüglich. Aus all seinen Äußerungen stellte ich fest, daß er ein Steuermann war, der jeden Dampfer zu fahren berechtigt ist. Er legte seine harte Hand auf mein Knie und beteuerte, daß 207 noch ein besseres Leben auf ihn warte. Ich glaubte es ihm und spannte mein Knie zur Bestätigung meines Glaubens an ihn. Er fühlte den Druck und war mir dankbar. Ohne daß ich einen Namen nannte, blickte er lange in die dunkle Lagune hinein. Plötzlich stieß er einen Fluch aus. Der Matrose betrachtete seinen Steuermann mißtrauisch. Er fragte: Wem gilt denn der Fluch! – James! sagte der Steuermann betrunken. Und der Matrose erwiderte, er werde es James nicht wiedererzählen. Fluchen Sie ruhig weiter auf ihn! sagte er. Ich freue mich über jeden Fluch.

Arrak berauscht, sagte der Steuermann zu seinem Matrosen. Aber das glaube ich Dir nicht. Du bist der beste Freund auf der Jacht. Lüge also nicht so in den Regen hinein!

Ich lüge nicht! sagte der Matrose. Ich wünsche James steife Finger. – Du lügst wieder! rief der Steuermann und richtete sich halb auf.

Ich gehe jetzt Schildkröten fangen, erwiderte der Matrose und erhob sich wohl zum sechsten Male.

Der Steuermann hielt ihn am Kragen fest und zog ihn zu Boden. Der Matrose hätte den trunkenen Steuermann überwältigen können. Er wagte es nicht, weil ich meine Hand über dem Steuermann hielt. In Beider Bewegungen aber lag ein Haß, der sich deutlich zeigte.

Sicherlich waren sie nicht zum Schildkrötenfangen unterwegs. Das war eine Lüge. Zwei so große Feinde gehen nicht auf einen Tierfang. Es mußte sie einer gezwungen haben, gemeinsam zu fahren. Ich wollte etwas darüber hören. Und ich tat dem Steuermann 208 weiter schön. Ich gab ihm zu trinken, soviel er fassen konnte. Als der Matrose gehen wollte, befahl ich ihm, bei seinem Steuermann auszuhalten. –

Es regnete noch immer. Sind die Pfannen voll Wasser? Ich stand auf und blickte in die Gefäße. Es waren aber nur 20 Millimeter gefallen, in allen Pfannen hatte ich dreißig Liter gesammelt. Der Steuermann fragte mich, ob ich Not an Wasser habe. – Noch nicht, sagte ich, es könnte aber kommen, wenn ich länger in der Lagune bleiben müsse. Auf so lange Zeit sei ich nicht vorbereitet. – Das wäre leichtsinnig, meinte der Steuermann. – Das war nicht leichtsinnig, sagte ich ihm. Der Orkan hat mir die Tonnen leck geschlagen, und ich sehe es erst jetzt, daß das Wasser ausläuft.

Ich schicke Ihnen Wasser herüber! sagte der Steuermann. Wir haben Zinkbehälter, und das Wasser bleibt lange frisch. Wir haben übergenug.

Hier lachte der Matrose. Er meinte, daß James uns keinen Tropfen abgeben würde.

Ich ließ Bongards die Reifen an den Tonnen festklopfen. Inzwischen sprühte der Regen hübsch weiter. Ich werde Wasser genug sammeln, dachte ich. Über Nacht kommen zweihundert Liter in die Gefäße. Und ich sagte dem Steuermann: Ich danke Ihnen, ich brauche kein Wasser aus den Zinkbehältern. In Port Ond werde ich mir auch einen Zinkbehälter einbauen lassen. – –

Etwas später erhob sich der Steuermann, er dachte an die Heimreise. Mit einem Male war er sehr nüchtern. Er hielt sich kerzengerade; als er ging, taumelte 209 er. Ich hielt ihn fest, er klammerte sich an meinen Arm und ich fühlte einen Druck. Er schob mich zum Großmast hin. Wir waren eine Zeit allein. Und in seiner Trinkerlaune belohnte er mich für die freundlichen Gespräche, die ich mit ihm führte. Er sagte mir: James weiß, daß Sie auf der Jacht waren. Aus Angst hat er sich schlafend gestellt, als Sie an seine Matte kamen. Ich warne Sie! Wir sind nicht auf Schildkrötenfang. Wir sollten nur erfahren, wo Sie liegen.

Danke, Steuermann! murmelte ich. Gott, ich sage Ihnen nur Dank. Ich habe zwei Unschuldige an Bord. Ich danke Ihnen für Ihre Mitteilung.

Die Schildkröten! schrie der Matrose aus dem Boot. – Ich brachte den Steuermann zu Boot. Mit großer Sicherheit sprang er in die Jolle und legte sich auf die Bretter.

Entschuldigen Sie, daß ich auf die Bretter gespuckt habe, sagte der Matrose zum Abschied.

Zum Satan, pull los! rief der Steuermann.

Sie legten ab und waren bald in der Nacht verschwunden.

Nachdem ich das Schiff nach Petroleum abgesucht hatte, wartete ich eine Stunde. Danach hievte ich den Anker und verließ den Platz. Ich ging eine Meile in See vor Anker. Das war nicht alles, wir mußten in der Nacht wachen. Bongards erfuhr durch mich, daß James mein Feind war. Kimball, der Junge, sah eine glückliche Zeit voraus, er wünschte sich einen Kampf mit James.

210 Ich schwieg dazu, ich hatte meine Bedenken. Die Jacht hatte einen Bug aus Stahl. Wenn die Jacht uns rammen wird, sind wir verloren.

Noch in der Nacht machten wir die Segel zum Anschlag fertig. Dreißig Meter Kette ließ ich aus der Klüse, um in der Dünung vor Anker zu bleiben.

Die Nacht verbrachten wir im Saus und Braus. Die angetrunkenen Flaschen wurden geleert. Gott weiß, wieviel Flaschen wir noch tranken.

 

Die ganze Nacht war ich in Spannung. Nun wußte also James, daß ich an seiner Matte stand. Und mein Messer hätte ihn doch noch wachend getroffen. Er aber hat mich wieder betrogen. Ihm fallen die Gedanken nur so zu, wenn es um sein Leben geht. Welch ein Glückspilz, sich schlafend zu stellen. Mir wäre es nie eingefallen, mich eine Sekunde vor dem Tode schlafend zu stellen. Er brachte es fertig. Haha! ich war aber voller Freude, daß er noch lebte. Und ich habe in der Nacht lange darüber nachgedacht, wie ich ihm in der Lagune eine Schlinge stellen könnte. Ich grübelte darüber nach, dazu trank ich mit Kimball und Bongards. Ich verriet ihnen meine Gedanken nicht. Ein Prosit auf Bongards Errettung aus Seenot! Ein Prosit auf Kimballs Vater, den Telegraphisten! Wir besprachen eine neue Reise nach Malaiti. Jedes Wort aber ging unter in dem gleichmäßig bohrenden Gedanken, James eine Falle zu stellen.

Regnet es noch?

211 Der Regen hatte aufgehört. Die Luft lag wie Blei um uns. Es konnte aber sehr bald wieder regnen. Ich ließ die Regenpfannen stehen.

Aha! dachte ich nach langem Überlegen, so bin ich doch der Geprellte. Es gibt keine Möglichkeit, James auf See eine Schlinge zu stellen.

Es regnet nicht mehr.

Der Regen war zu Ende. Auf dem Wasser bildete sich Nebel. Wenn sich Nebel bildet, ist der Regen vorüber. Morgen gibt es Wind und Sonne. Stellt die Pfannen fort! Kimball, schütte das Wasser in die Tonnen. Basta! –

Der Nebel stieg schnell, schneller, als Kimball von der Tonne zurückkam. Die weißen Schwaden krochen über Bord. Ich sah den Klüwer nicht mehr. Ich klopfte dreimal mit der flachen Hand auf die Planken. Bongards! –

Er saß drei Schritt neben mir, ich konnte ihn aber nicht mehr sehen. Und ich rief: Der Nebel ist da, wir haben nichts mehr von der Jacht zu befürchten. Legen Sie sich schlafen! –

Durch den Nebel kam Kimball. Er stieß gegen das Regendach, stolperte über eine Flasche und stand neben mir.

Wirf die Flaschen über Bord und lege Dich schlafen!

Im selben Augenblick schlief ich ein, mit einem herausgeputzten Gedanken taumelte ich in den Schlaf. Arrak berauscht!

Es stieß an meine Schultern, Kimball kniete neben mir. Nicht eine Minute hatte ich geschlafen. Kimball schüttelte mich wach, er sagte: Herr Nyhoff, kommen 212 Sie bitte mit. Der Matrose von der Jacht hat Petroleum in die Wassertonnen gegossen. –

Bleich und zornig lief ich zu den Tonnen. Und während ich damit beschäftigt war, den Kopf in die Tonne zu stecken, machte Bongards Licht. Ich sah Petroleum in glasigen Flecken auf dem Wasser schwimmen. Den Rest der Nacht verbrachten wir damit, Petroleum vom Wasser zu schöpfen. Ich hatte keine Herdstelle, das Wasser abzukochen. Beim Schöpfen ging viel Wasser verloren. Kimball hatte auch das Regenwasser in die Tonnen geschüttet. Danach erst roch er das Petroleum. Trotz des Schöpfens blieb das Wasser ungenießbar.

Ich faßte den Entschluß, vorzeitig abzusegeln. Diesmal konnte James triumphieren. In der Frühe, mit dem ersten Windstoß, wollte ich segeln. –

Mit gestutzten Segeln erwarteten wir den Wind, mit der Uhr in der Hand. Es kam der Morgen, die Sonne stieß den Nebel in einer Brandung vor sich her. Noch ist kein Wind da. – Auf! mit frohen Gesichtern nach Port Ond. Allzulange schon vermisse ich den Hafen. Ein verfluchter Zug zieht mich dahin. Zuletzt ist der Port doch der schönste Fleck der Südsee.

Die Zeit stand still, heute wollte sich der Nebel nicht heben, es kam der Morgen mit seinem gelben Licht. Jetzt mußte sich der Wind aufmachen und den Nebel vertreiben. Es gibt eine Pünktlichkeit in der Natur. Warum sollte der Wind heute ausbleiben!

Der Wind kam, wir erhielten den ersten Stoß aus westlicher Richtung, darauf wird der Wind nach Süden herumziehen. Am Morgen wechselt er dreimal. Ein 213 einziges Mal soll er nicht wechseln, es bringt uns schneller voran. Denn wir gehören nach Port Ond.

 

An diesem Abend erzählte mir Kimball, daß er sich seiner Mutter nicht erinnere. Er habe sie nie kennengelernt, die Mutter sei verschollen. Der Vater habe ihm das erzählt und ihm auch gesagt, daß es sich in seiner Ehe um einen Irrtum gehandelt habe. Daran trägt der Sohn nun schwer. Der Telegraphist hat es seinem Sohn zu früh gebeichtet. – Eine Stunde lang erzählte mir Kimball die Einzelheiten, die ihm der Vater dargelegt hatte. Ich war so bewegt durch die Erzählung, daß mir die Tränen kamen. Die Eltern waren in Freundschaft geschieden, die Mutter mit Freuden, der Vater mit Gram im Herzen. Die Mutter ließ Gnade vor Recht ergehen, und der Sohn blieb beim Vater.

Ich erhob mich nach dieser Erzählung, schüttelte mich und trocknete meine Augen. Es war ein wenig spät, doch versäumten wir nichts. Seit Mittag war der Wind eingeschlafen, nachdem er uns am Morgen wohl dreißig Seemeilen von unserem Kurs abgetrieben hatte. Jetzt lagen wir hier und warteten auf guten Wind, auf Süd und Südwest, Ost und Nordost konnte uns nicht helfen. – Das Petroleumwasser war weiter aus der Tonne gelaufen. Ich habe das Wasser aus der Tonne in die Pfannen geschüttet. Eine Pfanne voll haben wir abgekocht, es blieb Petroleumwasser. Noch hatte ich genügend Konserven. Wir tranken das Wasser von den Konserven, es war leicht gesalzen. Es war kein Durst, der uns quälte. Seien wir vernünftig! es ist 214 genug Wasser vorhanden, nur der Gedanke an gutes Wasser macht uns durstig.

Nach Mitternacht kam plötzlich ein Wind auf. Er orgelte einen Augenblick im Takelwerk. Darauf verging der Wind, wir sahen keine Wolken am Himmel. Bongards lief verstört an Deck herum, er betrachtete den Himmel. Im Osten waren einige schwarze Punkte zu sehen. Erst nach einer Stunde ließ ich die Segel bergen. Ich behielt die Punkte am östlichen Himmel lange im Auge. Ich drehte das Ruder und legte den Segler so, daß der Wind aus Osten das Schiff im spitzen Winkel traf. Die gefährlichen Punkte im Osten verblaßten aber in der Nacht. Noch zweimal wurde das Takelwerk plötzlich geschüttelt. Darauf war Ruhe. In der Luft blieb ein Modergeruch zurück. Mitten auf See stand der Geruch eine Stunde lang.

Um uns klarer Nachthimmel. Ich legte einige Fadenangeln, um kleinere Fische zu fangen. Ich dachte dabei an den Wassergehalt des Fleisches. Einige Stunden schliefen wir gut. Gegen Morgen war noch kein Fisch an der Angel. Wir lagen wirklich an einer toten Stelle der Welt.

Am Kimm im Westen sah ich eine ganze Zeit zwei Masten stehen. Mit dem Glas machten wir eine Motorjacht aus. Sie verschwand wieder. Um Mittag, um die heiße Zeit, tauchte die Jacht wieder auf. Sie blieb unser Begleiter für eine längere Zeit.

Bei schwachem Wind aus Osten schaukelten wir in der Dünung, der Segler trieb immer weiter vom Kurs ab.

Wie wir die Jacht im Auge behielten! Stunde um Stunde lag die Jacht im Westen, sie kam etwas auf, 215 zeigte sich in starker Fahrt und verging wieder am Horizont. Gegen Mittag schlief der Wind ganz ein. Wir aßen Konservenfrüchte und Hartbrot. Die süßen Früchte verlangten eine Nachspeise, und es gab Hammelfleisch aus der Büchse. Darauf stieg der Durst, wir nahmen einen Schluck Arrak und krochen unter das Segeldach. Ich setzte mit Eifer den Fang auf kleinere Fische fort. Es wollte mir nicht gelingen, einen Fisch an den Haken zu bekommen.

Um vier Uhr kam die Jacht wieder auf. Diesmal hielt sie schnell und genauen Kurs auf uns zu.

Die Jolle klar! Arrak und Konserven hinein!

Wir sprangen um die Wette, ich packte alles in eine Blechkiste, Sextanten und Kompaß in Wachstuch, einen Kanister Olivenöl und Hartbrot in einen Korb. Die Jolle nahm es auf, wir ließen sie zu Wasser und nahmen sie ans Tau. Ich legte drei Haimesser auf Deck.

Eine Stunde verlief nun, die Jacht kam, mit dem Glas sah ich die Figuren an Bord. Ich gab das Glas an Kimball ab, er gab es Bongards. Als ich das Glas wiedernahm, waren die Figuren gewachsen.

Sie werden uns Wasser geben! murmelte Kimball.

Ja, der Steuermann bringt uns das versprochene Wasser. Ich will es glauben, Kimball. Ich nehme das Wasser an, wenn er es uns gibt.

Bongards suchte mit dem Glas den Steuermann an Bord. Der Steuermann war aber nicht zu sehen. Ich hatte es schon festgestellt. Vergebens suchte ich den Steuermann an Deck. James stand am Ruder, der Matrose am Bug und der zweite Taucher schlenderte an Bord auf und ab.

216 Nun sagte Bongards: Der Steuermann fehlt. Ich bin in eine nette Gasse mit Ihnen geraten, Herr Nyhoff.

Kimball antwortete an meiner Stelle: Sie kommen doch von der »Rosina«. Haben Sie nun Angst!

Bongards, Bongards! sagte ich grämlich. Wollen Sie mich verantwortlich machen!

Ja. Sie sind verantwortlich. Sie wollten der Jacht von vornherein nachfahren. Warum nahmen Sie mich an Bord?

Sie können ja übersetzen! rief ich ihm zu.

Dann richtete ich meine Gedanken auf andere Dinge. Wie konnte ich einem Rammen entgehen? – Sollte ich mich an das Rad stellen und das Ruder schlagen? James ist schneller, er trifft mich an der Stelle, die er wählt. Mit dem Ruder konnte ich nichts ausrichten.

Und Bongards umschlich mich weiter. Er rief mir aus einer Entfernung zu: Ich bin von der »Rosina« gerettet, Herr Nyhoff! Auf Ihrem kleinen Segler finde ich den Tod . . .

Gehen Sie an den Steven und springen Sie über, wenn er uns rammt!

Wollen Sie es nicht vormachen! höhnte mich Bongards.

Wen hatte ich an Bord genommen? Ein Gehilfe nach dem anderen brachte mir Unglück. Dieser aber war ein Feigling. Konnte er seine Feigheit nicht verstecken! War ich nicht immer freundlich zu ihm! –

In den folgenden Minuten kam die Jacht bis auf eine halbe Meile heran. Ich legte das Glas fort, ich konnte James sehen. Zwischen uns lag die ruhige See, ich hörte ihn schreien. Der Motor stand still, ein lautes 217 Lachen kam herüber. Ich versperrte dem Lachen meine Ohren, sah kaum noch hinüber.

Ach, käme Wind auf. Eine Meile Wind, um an ihn heranzukommen. So zu liegen, mit gestreckten Händen zu liegen! Ich sah meine Hände an, sie konnten nichts tun. Ich war verdammt zu warten. – Ich rief Kimball und flüsterte mit ihm. Geh zu Bongards, sagte ich, und gib ihm die Hand. Sage ihm, ich gäbe ihm meine Hand. Er soll an meine Seite kommen. Nichts kann ihm geschehen.

Kimball ging zu ihm. Ich drehte mich um und starrte in die Takelage. Nun stand ich minutenlang und blickte empor. Ich hörte Worte, ich hoffte und sprach innerlich zu Bongards: Du bist von der »Rosina« gerettet, nun bist Du an Bord eines guten Seglers. Ich verlasse keinen Menschen, gut meine ich es mit Dir. Komm, glaube mir, James wird abziehen. Und wenn er jetzt nicht abzieht, morgen kommt der Wind und wir segeln James zum Teufel. Mit Wind sind wir schneller als sein Motor . . .

Mürrisch und blaß kam Bongards. Ich vergab ihm sein Verhalten und streckte ihm die Hand entgegen, er legte seine Hand ohne Druck in meine ausgestreckte Hand. Als ich sie drückte, blieb seine Hand weich und kalt. Ich erschrak und ließ sie fallen. Ich überlegte, daß der Schock von der »Rosina« noch in ihm saß. Er durchlebte jetzt den Schock wieder. Ich will gut zu ihm sein. Und ich konnte es auch nicht anders glauben. Warum sollte er feige sein? Wir waren drei Männer, auf der Jacht waren drei Männer! Wehe ihnen! wenn wir an Bord der Jacht kommen!

218 Siehst Du, Bongards! Wir sind drei Männer. Komme ich nur an Bord der Jacht, dann werden wir kein Salzwasser schlucken.

Sein Gesicht wurde um einen Schein froher. Sein Mund aber sagte: ich glaube nicht an einen guten Ausgang. Ich habe anderes erlebt, aber darauf war ich nicht gefaßt, daß meine Träume in Erfüllung gehen.

Welche Träume!

Ich denke an die schwarzen Punkte im Osten, an nichts anderes denke ich!

Ich lachte ihn laut an. An die Punkte denkst Du! Die längst am Himmel vergangen sind. Das war doch gestern. Ich kenne die Südsee, mein lieber Matrose. Was Du meinst, ist kahler Unsinn. Denke nicht mehr daran.

Und der Modergeruch um das Schiff!

Warum fragte er nach dem Modergeruch, der allein mich ängstigte. Dieser verruchte Vorbote eines Sturmes. Ich sagte ihm aber überzeugend: Das war gestern, Bongards. Gib mir noch einmal Deine Hand, das war gestern. Wie kalt Deine Hand ist, mein Freund!

Er widerstritt, daß seine Hand kalt sei. Ich schwieg, ich konnte nicht schnell genug schweigen. Über kalte Hände zu sprechen, bereitete mir Unbehagen. Ich umarmte aber Kimball, den Jungen, und lachte laut. Ich hoffte, es fand seinen Widerhall auf der Jacht. Auch einen Widerhall in Bongards Brust.

Plötzlich lachte Bongards.

Hatte ich sein Lachen entzündet? Ich glaubte es nicht. Ich glaubte auch nicht, was ich redete. Es kam alles ohne Glauben aus meinem Munde. Eine 219 Überredungslust ließ mich sprechen. Denn meine Hände waren nicht wärmer als Bongards Hände.

 

Von der Jacht kam kein Laut mehr herüber. James versuchte es mit dem fliegenden Holländer. Ich sah auch keinen Mann mehr auf Deck, wir starrten lange hinüber. Kein Mann ging über das Deck. Es belustigte uns eine Zeit.

Haben Sie keine Schußwaffe an Bord? fragte mich Bongards.

Ich hatte eine Schußwaffe. Ein Gewehr lag in der Kajüte, ich wunderte mich, daß er es noch nicht gesehen haben wollte. Hatte er denn nur Augen für Gold und Silber.

Ein Gewehr ist da! sagte ich, aber keine Munition. Ich habe das Pulver vor einem Jahre zum Sprengen benutzt. Kein Gedanke befahl mir, die Munition zu ersetzen. Es tut mir leid.

So so! sagte Bongards. Ach! wenn wir wenigstens zu trinken hätten. Ich habe Durst. Die Jacht ist gezwungen, uns Wasser zu geben. Soll ich rufen?

Ich befahl: Sie werden nicht rufen, nachdem man uns Petroleum in das Wasser gegossen hat.

Das Petroleum? fragte er gedehnt. Wenn Sie es nur nicht selber in das Wasser gegossen haben, um einen Grund zu haben . . .

Bongards! schrie ich. – Er lachte und entschuldigte sich auf eine lahme Weise. Ihm ginge alles im Kopf herum, er habe Durst.

Solchen Grad hatte die Verzweiflung in ihm erreicht. Wieviel ich ihm auch zugute hielt, seine 220 Verzweiflung nahm Bedeutung an. Er würde versagen, wenn uns die Jacht rammen würde. Mit einem Besessenen an Bord war die Lage nicht zu meistern. Von diesem Augenblick an beobachtete ich ihn mißtrauisch. Vor kurzem noch war er mein bester Windmacher, jetzt machte er bösen Wind. Wie sollte es enden!

Warum schlich er davon, fort aus meiner Gegenwart? Er hielt sich am Bug auf. Da stand er und blickte zum Himmel. Es war gegen sieben Uhr, bald mußte die Sonne versinken. Dann hoffte er wohl die schwarzen Punkte zu sehen. Zum Kuckuck! die schwarzen Punkte kehren nicht wieder, sie sind vergangen. Vergangenes kommt nicht wieder. Bongards hat seinen freien Willen nicht mehr, er hängt an seinen Träumen. Ich sollte ihn einsperren. –

Es wurde mir unheimlich, daß sich kein Mensch auf der Jacht zeigte. Und ich setzte Kimball an, mit dem Glas das Deck im Auge zu halten. Dieses war nicht mehr mein freier Wille, James befahl es mir. Eine natürliche Erklärung für das Verhalten auf der Jacht kam mir nicht.

Behalte ja das Deck im Auge, Kimball!

Ich ging zum Bug, um einen Blick in Bongards Augen zu tun. Er drehte sich um und ging mir aus dem Wege. Nun ging ich ihm nach, das Deck entlang und wieder von achtern nach vorn. Ein zweites Mal wollte ich die Strecke nicht laufen. Auf dem Wege nach vorn vertrat ich ihm den Weg. Ich stieß ihn an: He, Bongards!

Er blickte mich an, seine Augen waren groß und klar, nichts bestätigte meinen Verdacht, daß er nicht 221 bei Sinnen sei. Ich ließ ihn gehen. Er ging zur Kajüte, nun schrie ich aber: Zum Bug! Bongards, zum Bug mußt Du gehen. Die schwarzen Punkte sollst Du hervorzaubern.

Er lachte: Sie kommen früh genug, Herr Nyhoff!

Damit ging er in die Kajüte, ich hörte, wie er mit Töpfen hantierte. Ich schlich zur Treppe. Es klopfte in der Kajüte, er öffnete eine Büchse. Bis jetzt hatte ich das Essen bereitet. Nun war es eine Selbstverständlichkeit, daß er allein in der Kajüte aß. Er nahm sich das Recht, meiner Kameradschaft zu spotten. Es tobte in mir, ich schrie hinab: Was ißt Du alleine? – Antworte mir!

Ich kann ja wohl meine Henkersmahlzeit allein essen, Herr Nyhoff!

Ich fühlte ein Zittern in allen Gliedern. Zur rechten Zeit kam mir aber das Lachen. – Wissen Sie! rief ich, eben noch dachte ich, Sie wären wahnsinnig. Da Sie aber essen, ist es halb so schlimm.

Als ich das sagte, herrschte noch die Helligkeit des Tages. Ich horchte auf eine Antwort aus der Kajüte. Ich hörte ihn an den Früchten schlecken. Ich blickte mich um! Da saß Kimball, das Glas vor den Augen, eine halbe Meile ab lag die stille Jacht. Über die See ging ein stilles Rauschen.

Abend! Es war Abend geworden, die gute Sonne hatte uns verlassen. Ich war zu Tode traurig. Seit Stunden fürchtete ich mich vor dem Sonnenuntergang. Nun war es geschehen, ich taumelte über Deck. In meinem Rücken hörte ich ein Geschrei, wilde Füße 222 liefen über die Treppe. Ich warf mich herum, Bongards stürzte an mir vorbei, sein Kinn und die Lippen feucht vom Fruchtsaft, die Augen aufgerissen. Er lief zum Bug.

Seine Torheit kümmerte mich nicht mehr. Ich hatte es satt. Wollte er seine Punkte im Osten suchen, mich berührte es nicht mehr. Ich ging in die Kajüte, auf dem Tisch lagen die Büchsen, eine Dose war verschüttet. Gemach! lieber Matrose, ich wische es auf. Noch sorge ich für die Reinlichkeit auf meinem Segler. Ein Wahnsinniger soll mir nicht die Ruhe rauben.

Ich machte klar Schiff in der Kajüte. Und ich pfiff vor mich hin, warf Hammelfleisch in den Topf, zündete den Kocher an und gab Gewürz daran. Ich betrachtete die Flamme meines Kochers. Nach einer Weile hörte ich ein Geräusch, ich blickte in die Ecke der Kajüte. Es war mir, als sei jemand anwesend. Niemand war anwesend, und doch war das Gefühl so brennend, daß ich mich weiter neugierig umblickte. Niemand. Ich sah durch das Bullauge, es war geschlossen. Am Abend soll die Luft einströmen, ich riß auf dieser Seite das Bullauge auf, nach einer Minute auch das Auge der anderen Seite. Wie lustig die Flamme zitterte! es brodelte im Topf. Ich ging auf und nieder, im Vorbeigehen streiften meine Augen durch das Bullauge und ich sah gegen den nächtlichen Himmel die Jacht wie durch ein Glas. Fort! sagte ich zur Jacht. Störe mich nicht! –

Aber ich blickte weiter über die See, unter dem blanken Spiegel der Oberfläche nahm sie eine düstere Farbe an. Am Tage noch erstrahlte ihr Antlitz 223 wunderbar. Mein Meer! Aber nicht wahr, morgen sehen wir uns wieder, Du und ich. Im Laufe einer Nacht sehen wir uns wieder.

Gleich darauf schloß ich das Bullauge auf dieser Seite und auf jener Seite. Die Kajüte war erfüllt von einem Modergeruch. Ich löschte die Flamme meines Kochers, stellte das Essen auf den Tisch und wartete.

Ich klopfte auf die Treppe. Es war das Signal, Kimball kam.

Es riecht draußen nach Moder, Herr Nyhoff. – Danke! ich roch es schon. Setze Dich, mein lieber Kimball, iß und denke nicht nach draußen. Sahst Du auf der Jacht jemand? – Er schüttelte den Kopf. Wir aßen.

Wie alt mag Dein Vater sein, mein Junge. –

Vierundvierzig Jahre, sagst Du. Mein Gott, und Du bist zwanzig Jahre alt. Da war Dein Vater einmal sehr jung, Deine Mutter noch ein Mädchen. Entschuldige, ich glaubte, Dein Vater sei älter.

Pause.

Dann hat er ja fast in seiner Jugend gelitten. Etwas Ähnliches hätte auch ich erleben können. Ich bin verschont geblieben von diesem Verhängnis. – Sieh mich an, Kimball! Du kennst Henriette Bacon. Was erzählt man von ihr? – Wie! nichts Gutes? – Komm, schweige lieber, man erzählt zu viel von den Menschen. Port Ond ist auch kein Pflaster für ein junges Mädchen. Ha ha ha! Pflaster . . . Port Ond hat noch nie ein Pflaster gehabt. Du siehst, wie schnell man mit Worten um sich geht. Da hast Du es. Lieber kein Wort zu viel. – Aber Du gibst zu, daß sie schön ist? – 224 Ich verstand seinen Blick, er drückte Zweifel aus. – Nehmen wir eine andere, junger Kimball. Wie sagt Dir Fräulein Mayland zu? Du kannst mir einen Dienst erweisen, wenn wir nach Port Ond kommen. Ich bin Fräulein Mayland noch eine Segelpartie schuldig. Willst Du ihr die Einladung überbringen! –

Das Essen war beendet, Kimball stand auf. In seinen Augen lag ein Flackern, die Unruhe malte sich in seinem Gesicht ab, er wich mir aus.

So sei doch vernünftig, Junge. Was tat ich Dir? Stehst Du auch auf der Seite von Bongards?

Nein! Herr Nyhoff. Ich will Fräulein Mayland gern die Einladung überbringen . . . Kehren wir zurück?

Sein Gesicht wurde weiß, seine Hand klammerte sich am Tisch fest, er trachtete aus der Kajüte herauszukommen, doch hielt ihn die Furcht am Platz. Als ich zu ihm trat, rückte er weit weg von mir.

Höre doch! Warum rückst Du fort von mir? Es wird einen Sturm geben, wir kehren zusammen nach Port Ond zurück. Bist Du ängstlich, weil ich so dumm redete. Ich wollte Dich unterhalten. Nun kann ich es Dir ja sagen, ich erwarte einen Sturm. Hast Du keinen Durst, Kimball?

Ich mischte Arrak und etwas Fruchtsaft. Gemeinsam tranken wir, mit einem Schlage wurde er ruhiger. Ich legte ihm die Hand auf die Schulter. Es geht alles natürlich zu, schwatzte ich. Die See ist in einer starken Abhängigkeit von der Luft. Die Luft ist tot, der Nordwestmonsun liegt hundert Meilen von hier, vom Land strömt die heiße Luft, Gott weiß wohin. Man sagt, sie strömt im Osten zusammen, der Sonne nach. 225 Die Sonne hält alles zusammen in gutem Fluß. Nun aber ist sie weit fort, und es kann sich in der Nacht ereignen. Aber morgen kommt die Sonne wieder. Daran glaube ich! ohne zu zucken glaube ich, daß sie zur rechten Zeit über die Kimm kommt. – Wir gingen zusammen an Deck.

Der Himmel war hell und grau. Die Luft stand still, der Modergeruch war gering, ich roch ihn kaum. Aber er war da; wohin ich mich wandte, stand er vor mir. Ein nacktes Zeichen und wie vieles so Unerhörte nicht zu sehen. Die Jacht war sichtbar, sie lag da, noch immer ausgestorben. Riecht denn James die Gefahr nicht? Es ist am besten, ich schaue nicht dahin. Wohin aber sollte ich blicken? Am Bug stand wieder Bongards.

Ich fühlte mich gezwungen, Bongards aufzusuchen. Er starrte nicht mehr in den Himmel, er lag mit dem Oberkörper über dem Klüver und blickte vor sich hin. Ich unterließ es ihn zu ärgern, ich fing von dem Gegenstand seiner Sorgen an: Es ist zu früh, sagte ich, in drei Stunden erst können sich die Punkte zeigen.

Sie geben es also zu, sagte er ganz vernünftig.

Gewiß, ich gebe es zu. Aber hat es einen Sinn, sich wie ein Verrückter anzustellen.

Ich fahre lange genug in der Südsee, Herr Nyhoff. Auf einem Dampfer hätte ich keine Sorge, aber in dieser kleinen Schale.

Ich hätte nun viel dagegen sagen können. Bei Gott im Himmel! hätte ich ihm zurufen können, einem Dampfer vertrauen Sie! Wo ist denn die »Rosina« hin? – Doch sagte ich nichts. Ich besprach aber mit 226 ihm, daß die Jolle an Bord zu nehmen ist. Und er sagte aus freien Stücken: Es spart uns Zeit, wenn wir vor dem Sturm die Segel bergen, Herr Nyhoff. – Das muß geschehen, Bongards. Du hast recht, es spart uns Zeit.

Wir zogen die Jolle an und nahmen die Lebensmittel wieder an Bord. Ich sagte: Lascht alles doppelt, macht die Zurrings an der Jolle fest. Ich zog mit Kimball das Segel ganz ein, legte es in Falten und sicherte es durch starke Reffbänder. Am Klüver zog ich das Sturmsegel auf.

Plötzlich hörte ich in See das Klopfen eines Motors. Das Glas her! Die Jacht bewegte sich nach Osten, ich stand auf dem Großbaum und blickte gespannt auf den Kurs der Jacht. Sie drehte langsam ab, es konnte ein Manöver sein. Dann aber sah ich, daß auf der Jacht Segel gesetzt wurden. Sie zogen den Sturmklüver auf. So wußten sie, daß etwas in der Luft war.

Die Jacht holte weit nach Osten aus, von hier lief sie meinem Bug entgegen, dann zog sie nach Nord herum. Nach einer Stunde lag die Jacht im Westen und drehte mir den Steven zu. Diesen Hohn mußte ich ertragen. Ich legte den Segler nach West, Steven auf Steven. Sie mußten es sehen.

Der Modergeruch war verweht, die Punkte im Osten kamen, größer und schneller als gestern. Ich brachte meinen Segler wieder im spitzen Winkel zum Oststurm. Dasselbe Manöver wiederholte nach einer Zeit die Jacht. Ich sah es und machte mir Gedanken.

Ich nahm das Glas und blickte zur Jacht hinüber. Nach einer Zeit zogen sie den Ballon ein. Nun wußte 227 ich, sie hatten ihren Steuermann nicht mehr an Bord. Prosit James! und wenn der Sturm kommt, lege ich mich falsch in den Wind.

Ich erwartete den Wind mit dem Sturmklüver, das Barometer sackte tiefer, am östlichen Himmel lag es wie schwarzer Erdstaub in der Luft.

Wo ist Luv, wo Lee, rief Bongards und kroch unter dem Segelbaum herum. – Windab ist Lee, sagte ich ihm. Er rief: Aber woher kommt der Wind, das wissen Sie auch nicht! –

Nein, ich wußte es nicht, aber ich lag so, als käme er aus Osten. Alles deutete darauf hin; die Schwärze am Himmel wuchs und zog in voller Breite am Horizont auf. Scharfe Windfahnen gingen der Düsternis voraus, ich ahnte ihren heulenden Ton in den Lüften. Wie lange werden wir noch warten müssen?

Die Jacht kommt auf! rief Kimball.

Ich sah dahin, die Jacht lief ohne Segel, sie motorte und hatte ihren Kurs auf den Segler gerichtet. Nun wünschte ich den ersten schweren Brecher auf die Jacht herab, seitlich mußte sie der Schwall treffen, denn ich wußte, daß sie einen geringen Tiefgang hatte. Nun sollten die Wogen sie nur seitlich anfassen und ihr das Schanzkleid eindrücken, und wenn das schwerfällige Heck über das Wasser wirbelt und der Motor nicht abgestellt ist, bricht ihnen die schwache Schraube weg! Dann heißt es segeln, James! Segeln mit falschen Segeln, mit überlastigen Segeln, und der flache Kiel wird mit Dir auf dem Wasser abrutschen, als sei das Wasser Eis; wie eine Ente wird die Jacht von Woge zu Woge taumeln, mit einem Hohlraum vorn und 228 achtern. Dumpf, dumpf kreiselt dann die Jacht in ihr Grab – – –

Ich zog einige kleine Flicken auf, noch immer war der Wind nicht da, aber über uns brauste es, die Wolken zogen in spitzen Keilen heran. Die Jacht kam schnell auf; mit dem Glas sah ich, wie sich das Heck in Dampf hüllte, der Rauch kam aus dem Maschinenoberlicht, der kleine Motor mußte kochen.

Der erste Wind kam aus Osten, ein heulender kurzer Stoß. Wir legten stark über, ich riß das Ruder herum, die Nase des Seglers flog nach West, das Schiff drückte seitlich weg, und es war die erste Fahrt seit Mittag.

Im Westen noch immer blank funkelnder Himmel, die Sterne zitterten am Firmament, die hellen Signale der Nacht kreisten. Dort, dort über den Sternen breitete sich eisiger Schneestaub, es rieselte und glänzte, die Nacht und das ganze All bebten, die ruhelosen Schwäne der Nacht zogen dicht über den Sternen einher, mit den Flügeln stießen sie den Dom an, es zuckte im Äther, ein Staub flog auf – Sternenmehl. – –

Die schwarzen Wolken hatten uns erreicht, die Winde brausten an, das Wasser, eben noch sanft und von Öl übergossen, verfärbte sich, es wurde starr und stand in schwarzen Höckern vor dem Segler auf. Es dunkelte schnell, der Wind tobte immer niedriger und flog über das Wasser; es wurde Nacht, immer verruchter schlug der Wind, der Segler flog unter den wenigen Flicken über die rollende See.

Auf und nieder! Der Segler stampfte, am Bug flogen die Seen zur Seite, eine Steilsee schlug über die 229 Back, das ganze Schiff ächzte dumpf unter dem Schlag, die Decksplanken zitterten und am Schanzkleid splitterte es, vom Ankerspill flogen zöllige Schrauben durch die Luft.

Wir segelten noch vor dem Winde, der mächtige Hauch kam aus Osten, ich zog mit Bongards das Großsegel auf. Die ersten großen Wogen zogen vor uns her, sie kamen aus der Tiefe der See. Ich aber wollte vor dem Winde segeln solange es ging. Das Großsegel kam hoch, zur halben Höhe, der Sack füllte sich und der Segler stand kerzengerade. Der Großbaum schwenkte ganz aus, das Ruder lag auf Südwest, zum Atoll zurück, wenn es sein konnte.

Das Sturmsegel am Besan hoch!

Und ich sah, wie Bongards sich durch den Wind krümmte. Das Sturmsegel kam hoch, es sang in den Masten und ich sah, wie der Zeiger unseres Logs wie ein Kreisel flog. Ich gab an Kimball das Ruder ab und sah zu, daß an Deck alles festgemacht war.

Ein Stöhnen durchzog die Luft, eine Meile vor uns öffnete sich die Wolkendecke zu einem kreisrunden Loch, eine silberne Lichtwelle ergoß sich über die kochende See, über dem Deck zitterten die Schatten der Maste. In magisches Licht getaucht schwamm der Segler auf der Spitze der Weltkugel, hinter uns dunkel, vor uns dunkel.

Plötzlich fuhr es schwarz über die Masten, der Segler fiel vom Kurs, eine Bö schlug das Schiff an, die Back ging unter Wasser, aber gleich darauf stand der Segler wieder. Unter Deck krachte es, das ganze Schiff schüttelte sich und eine Kurzsee schlug und warf uns.

230 Die Bö kam aus Nord. Und ich sagte es vor mich hin, aus Nord kam die Bö und das Schiff zittert und stöhnt.

Der Wind ging herum, wir segelten nicht mehr vor dem Wind, das Großsegel war eingezogen, im Sturmwind hatten wir es fest gebunden. Jetzt krängte der Segler auf der Leeseite zu Wasser.

Der Himmel riß sich auf, das Licht fiel in schrägen Strahlen vor uns nieder, und ich sah plötzlich in Luv die Jacht ohne Segel taumeln. Am Besan rissen sich die Fetzen des Sturmsegels im Winde. Sie schien mit dem Motor zu fahren. Ich starrte über die Wogen, die Jacht verschwand hinter den Wasserbergen, nach einer Zeit sah ich sie wieder, näher. Ich schrie über Deck: Ruder auf! ich lief zum Ruder. Jetzt mußte ich beidrehen, die Jacht trieb in der See. Beidrehen! Ich legte das Ruder fest, die Jacht fiel ab vom Kurs, noch einmal sah ich sie. Das Licht fiel über die See, ein kaltes Leuchten ging über die Wogen, die Jacht trieb achteraus, sie krängte stark, noch immer wehte der weiße Rauch um das Heck.

Das Licht nahm ab, es wurde finster, eine Sekunde schwebte noch das Toplicht der Jacht über dem Wasser, ich sah sie nicht mehr. Eine steile See warf sich gegen unseren Bug, es donnerte aus dem Schiffsrumpf herauf, ich hielt den Atem an und lauschte ängstlich auf das Donnern. Aus dem Kreise kamen die Brecher angerollt, der Segler sprang hoch, dann trafen ihn die Wassermassen.

Wir waren der See nicht mehr gewachsen. Ich hatte das Ruder nicht zu früh festgelegt, die Sturmsegel 231 klatschten im Winde, wir jagten mit den Wogen. Die Segel machten das beigedrehte Schiff überlastig, wir waren der See preisgegeben. Und es war düster geworden, das Wasser war bis in die Kämme seiner Wogen schwarz. Plötzlich herrschte Stille in der Luft, ich richtete mich auf, Bongards und Kimball standen am Großmast. Die See schlug fürchterlich, die Segel hingen leise schlagend in der Luft. Die Pause schleppte sich hin, der Segler neigte sich und trieb achterwärts fort. Wind, Wind komm auf!

Ein Schirokko kam und peitschte die Segel, die Masten kamen wieder hoch, aber der Schirokko blies und warf die Seen gegen die Bordwand. Jetzt ächzte das Schiff aus dem tiefen Kiel. Wie gut, daß ich ein schmales Schiff habe! Wohl ächzt es, aber es hält den Druck aus. Etwas mehr Tiefgang sollte der Segler haben, er springt zu schnell, er legt sich stark über, darin liegt eine Gefahr. Ich kann nichts gegen diese Gefahr tun, mein Boot ist kein schwerer Sturmsegler. Im Monsun liegt er besser, die Querseen sind ihm gefährlich.

Der Schirokko kam mit seinen gefährlichen Seen aus Norden, immer wieder fielen sie uns an. Und ich überlegte, daß es an der Zeit sei, den Niedergang zu verdecken. Die überrollenden Seen werden sich den Weg in das schmale Schiff bahnen.

Ich wollte Kimball verleiten, sich in die Kajüte zu setzen. Er stand am Strecktau, sein Gesicht konnte ich nicht sehen. Und ich tanzte am Strecktau entlang an seine Seite.

232 Kimball, geh unter Deck! Ich muß jetzt den Niedergang schließen, wir können nicht mit offenem Niedergang die überkommenden Seen abwarten. Geh! Ich ärgere mich, wenn Du an Deck bleibst.

Seine Augen wurden groß; er bat mich zitternd, an Deck bleiben zu dürfen. Ich bin nicht weiter in ihn gedrungen. Ich rief Bongards, wir drei Männer schoben den schweren Deckel über den Niedergang und zogen ein nasses Segel darüber. – Bongards blieb am Großmast, er hatte sich die Schot um die Hand gewickelt. Ich nahm Kimball mit zum Steuer und band ihm eine Laufleine um den Leib, die ich an meinen Arm knotete.

In einer Stunde mußte die Quecksilbersäule um zwanzig Grad gefallen sein.

Nun frage ich mich, wann geschah das alles. – Ich weiß den Tag nicht mehr, das Logbuch liegt in Port Ond. Darin stehen Tag und Stunde verzeichnet. Kommandant Mogens hat das Logbuch in Verwahrung.

Es kamen Böen aus West bis Nordwest. Ein eiskalter Regen überflog das Deck. Ich zählte in kurzer Zeit sieben Böen, ungerechnet der Querseen aus der Hand des Schirokko. Darauf kam die erste überrollende See. Ich warf meinen Arm ins Ruder und schrie, die Schwere der See ahnend, eine Warnung über Deck. Die See kam von achtern und stürzte über dem Ruder zusammen. Die Gewalt der See schleuderte mich zu Boden, ich hielt mich am Ruder fest. Das Wasser floß zu beiden Seiten ab, drückte aber das Achterteil des Seglers lange unter Wasser. Wir standen steil zum Absaufen.

233 In Gottes Namen! Die zweite See kam. Krachend schlug sie auf den Bug und drückte ihn nach unten. Ich klemmte mich zwischen Steuerbock und Rad. Das Heck flog hoch, ich sah Kimball unter Wasser am Strecktau hängen. Der Strick an meinem Arm zog sich an. Der Sturm verschlug mir die zweite Warnung in dieser Nacht. Plötzlich sah ich Bongards außenbords, die Schot rutschte durch seine Hände. Ich sah ihn an dem Strick abfliegen. Den Quast! Halt den Quast! tobte es in meiner Kehle. Die strudelnde See brach sich in der Mitte des Decks. Ich geriet mit dem Steuer in ein Tal und sah die Wasser geradewegs auf mich zukommen. Der Ruderbock knarrte, ich preßte mich gegen das Holz und kam eine lange Zeit unter Wasser. Es mußte eine dritte See über uns gekommen sein. Langsam gurgelte das Wasser über meinem Kopf ab.

Nach Minuten. Das Schiff kam aus dem Wasser, es stampfte und zitterte. Der Besan war in der Mitte gebrochen, der Großmast stand, das Takelzeug war weggefegt. Kimball richtete sich am Strecktau auf. Ich blickte die tosende schwarze See ab. Ein Mann fehlt. Der Klüverbaum ragt stumpf über den Bug, des Sturmsegels Fetzen flattern. Die Großschot treibt im Wasser. – Die Schot weg! Zieh die Schot ein, eine leere Schot treibt im Wasser. Ein Brecher brachte die Schot an Deck.

Die See war eine einzige brodelnde Masse. Ich zog Kimball vom Strecktau fort und zwang ihn, sich zwischen Bock und Rad zu stellen. Er war sehr erschöpft und brach über dem Ruder zusammen.

234 Gib acht auf den Großmast, sagte ich, wenn er bricht, bück Dich hinter den Bock. – Er ließ den Kopf sinken, ich legte mein Ohr an seinen Mund. Er flüsterte nach einem Trunk Wasser. – Wenn dieser Wind nur eine Minute nachließ, dann wollte ich ihm zu trinken bringen. –

Ich sprang zur Jolle hin. Die Zurrings lösten sich, ich schnürte sie wieder fest und warf ein Tau über die Jolle. Das Tau zog ich an einem Pflock fest. Da flog ein Schotenblock durch die Luft, er traf mich am Kopf. Ich wirbelte über Deck, ich konnte das Strecktau nicht mehr fassen. Einen Augenblick lang lag ich mit den Beinen über Bord. Da fiel die Großschot in meine Hände, ich ergriff sie, eine See kam. Mit beiden Händen hielt ich die Schot, dieselbe See warf mich an Bord zurück, sie spülte mich vor den Großmast. Hier band ich mich fest. – Mit einem Schlage hörte das Pfeifen und Sausen auf. Unter Deck aber rollte es. Das Schiff drehte sich in einer Sekunde um sechzig Grad. Wir waren im Mittelpunkt eines Zyklons. Ich konnte mich aufrichten. In diesem Augenblick sah ich Kimball, der ohne Sicherung über die Back taumelte. – Zurück, Kimball! zwischen Bock und Rad, der Sturm steht auf!

Das Schiff hatte allen Halt verloren, wir taumelten in der Flaute mit den schlagenden Seen. Kein Fetzen Tuch hielt das Schiff aufrecht.

Ich löste mich von der Schot. Am Großmast riß ich die Reffbänder auf. Meine Finger bluteten, das Schiff lag mit starker Schlagseite in der See. Ich zog drei Meter Segel auf. Der Wind kam wieder und 235 schlug sich in die Segel. Das Schiff richtete sich auf. Eine Weile blieb der Wind stehen und jagte mit uns über die Wogen. Im nächsten Augenblick ließ ich das Segel wieder fallen und band es fest.

Eine Stunde dauerte die vollkommene Windflaute. Ich riß das zerfetzte Sturmsegel nieder. Hintereinander schlugen drei Steilseen über Bord.

Ein leiser Windhauch kam von West. Mit drei Meter Großsegel trieben wir wieder. Nach einer Stunde segelten wir. Der Wind kam von langer Hand, und er stand durch. Ich stand am Segelbaum und zog weitere Meter auf. An meiner rechten Hand zogen sich die Finger im Krampf zusammen. Ich konnte kein Tau mehr halten. Kimball hing in einer Ohnmacht über dem Ruder. Ich schlug mit der rechten Hand so lange auf die Planken, bis der Krampf wich. Darauf schob ich den Deckel vom Niedergang und trug Kimball in die Kajüte. In der Dunkelheit des Raumes stolperte ich über den Bruch in der Kajüte. Im Kiel schlingerte das Wasser. Oh, ich hörte es, im Kiel war viel Wasser.

Ich kroch an die Pumpen im Gang. Pumpen mußte ich, mit offenem Niedergang mußte ich nun pumpen. Der Ohnmächtige lag in der Kajüte. Wenn er wach wird und sich hält, geschieht ihm nichts. Noch einmal schleppte ich mich an Deck. Mit wankenden Knien blickte ich über die kochende See. Wenn der Wind umschlägt, ist kein Mann an Deck, der das Großsegel umsetzt. Wir haben viel Wasser im Kiel.

Lenz, pump lenz! schrie es in meinen Ohren.

236 Dreißig Stunden trieben wir schon. – Ich habe James' Jacht nicht mehr gesehen. Die Schot, an der Bongards abrutschte, habe ich hochgebunden. Das Ruder ist zerschlagen, ich habe in der See nichts zu sagen. Kimball steht an der Pumpe, es gelingt uns aber nicht, das Schiff lenz zu pumpen. Der Wasserstand hat sich nicht gesenkt. Die Arrakflaschen sind zerschlagen. Allein die Konserven haben widerstanden, sie verhüten den Hunger. Wir leiden jetzt unter Durst.

Der Wind kommt aus wechselnden Richtungen. Gegen Mittag kam die Sonne. Ich konnte die Mittagsbreite nicht berechnen, der Sextant war zerstört.

Ich vertraue dem Logbuch in einer ruhigen Stunde die Wahrheit an. Ich beginne mit der Ankunft des Steuermanns und seines Matrosen an Bord meines Seglers. Ich schließe mit der Stunde, da der Wind aus Westen durchstand. Ich habe Bongards einen tapferen Matrosen genannt, der seinem Schicksal nicht entgehen konnte. Ich bin immer dabei, seiner tapferen Seele mit guten Sprüchen und tiefem Gedenken zu helfen. Ohne Unterlaß denke ich an den Geretteten von der »Rosina«. Er ist arm an Bord gekommen, arm ist er gegangen. – Ich konnte die Höhe angeben, auf der ich zuletzt die Jacht sah. Ich fürchte, sie ist gekentert. Sie war etwas schwerfällig und von geringem Tiefgang. Die Segel waren zweifellos gestockt, wie es bei Motorjachten oft der Fall ist. Beim ersten starken Wind zerspringen die Tücher. Ich nehme an, daß der Steuermann auf dem Atoll sitzt. Es ist eine Pflicht, das Atoll abzusuchen. Der Steuermann heißt Ole 237 Philipps. In Port Ond ist er bekannt, er steht in der Liste des Kommandanten als Steuermann für große Fahrt. – Ich verschloß das Logbuch und meine Seepapiere in einer wasserdichten Kassette.

Nach meiner Berechnung treiben wir auf Buru zu. Es ist ein Wunder, daß wir noch nicht von einem Riff zerschnitten sind. Ich weiß auch nicht, wo die Seestraße durch die Molukken liegt. Durch die wechselnden Winde können wir auch in die Bandasee geraten sein, hinab zur Timor Bay, die ich liebe. Am Ende aber steht der Zweifel, ich weiß nichts, es sind quälende Vermutungen. Wir sind verloren, wenn wir in die Bandasee hinaustreiben. Hier verkehren keine Dampfer, die Dampferlinien gehen durch die Molukken nach Borneo und zu den Philippinen. Ich hoffe, daß wir in der Molukkensee treiben. Die See ist ruhig, wir sind aber steuerlos und jede hohe See kann uns gefährlich werden. Käme ein Atoll auf, ich würde den Segler schon retten. –

Es muß doch die Bandasee sein, in der wir treiben. Kein Atoll ist in Sicht, in der Molukkensee gibt es viele Inseln.

Der Segler ist leck geschlagen. In der Nacht stieg noch das Wasser. Die Pumpe allein war zu schwach, ich trug Eimer auf Eimer aus dem Kiel, während Kimball pumpte. Könnte ich das Leck bestimmen, wäre alles nicht so schlimm.

Ich machte die Jolle seeklar, auch sie hatte gelitten. Mit Ölfarbe und Werch dichte ich das zerrissene Holz. Ich bin unausgesetzt dabei, für unsere Rettung zu arbeiten. Aus dem Stumpf des Besans mache ich einen 238 Mast für die Jolle zurecht, aus dem Steuerbock wird ein Klotz für den Jollenmast, um ihn im Boot genügend abstützen zu können.

Am Morgen steht der Mast, fest gedümpelt, mit Takelwerk und Segelbaum versehen. Das Segel ist verschnitten und genäht, an Schnüren fehlte es nicht.

Der Segler zieht seit Stunden mehr Wasser, als wir herausschaffen können.

So kommt der Augenblick, da ich die Jolle zu Wasser lasse und ins Schlepp nehme. Da ist nun die Jolle klar; versehen mit den besten Segenswünschen schwimmt sie hinter uns her. Alle unsere Habe liegt in der Jolle. Und ich stürze noch einmal mit den Eimern in den Kiel und schöpfe das Wasser aus. Pump Kimball! jetzt wollen wir das Leck finden! – Der Junge steht in Schweiß gebadet an der Pumpe. Sein Atem geht röchelnd. Er ist jung, ich habe solches auch erlebt. – Denke an die Jolle, Kimball! Die Jolle ist schwach, in ihr zu segeln ist weit gefährlicher als auf dem absaufenden Segler. Das war genug für Kimball. Er pumpte. Ich sprang mit den Eimern an ihm vorbei, einmal streichelte ich seinen Kopf und sagte: Ja! wir sind auf einem Segler, nur ein Segler kennt solche Not! Ich war oft zu Tode verzweifelt auf diesem Segler. Wir müssen ihn retten! – Ja! schrie er. Wir wollen ihn retten, Herr Nyhoff! Ich sehe Port Ond wieder, ich bin noch zu jung.

Seine Worte gellten mir in den Ohren.

 

In dieser großen Not tauchte am Mittag der amerikanische Dampfer »Oliva« auf. Wir kreuzten seinen 239 Kurs. Die »Oliva« war ein großer Frachter mit Passagieren an Bord. Wir standen an Deck und winkten. Er verlangsamte seine Fahrt, setzte ein Boot aus, das längsseits kam. Der Dampfer war in Eile, seine Sirene gab dreimal Laut. Wir stürzten in das Boot, gaben dem Offizier und den Matrosen die Hand. Kimball vergoß, am ganzen Körper zitternd, Tränen, die Matrosen blickten in See.

Wohin, Steuermann?

Nach Manila, Herr Nyhoff.

Sie sind der Steuermann Scotty, ehemals Steuermann auf dem holländischen Frachter Mynheer Vrede!

Der Steuermann drückte mir die Hand, sein Gesicht leuchtete vor Freude, uns gerettet zu haben. Wir kamen an Bord der »Oliva«. Der Kapitän ließ sich nicht sehen. Der Dampfer setzte hastig seine Fahrt durch die Molukkensee fort. Auf dem Passagierdeck standen Damen. Junge Gestalten, ich sah in ihre Gesichter. Lange Zeit war meine Aufmerksamkeit geteilt. Mein Segler schaukelte leicht an mir vorüber, ohne ein Geräusch wankte er davon. Der Großmast stand überheblich auf dem einsamen Deck, die Jolle tanzte lustig am Tau.

Mein Herz klopfte so schwer, daß ich kaum Atem fand. Gott weiß, wie schwer mir der Abschied wurde. Ich öffnete die Kassette mit dem Logbuch und übergab sie dem Ersten Offizier Scotty. Er wies mir eine Kabine an. Als ich seine Hand schüttelte, kam uns beide eine schwere Stimmung an. 240

 


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