Heinz Kükelhaus
Thomas der Perlenfischer
Heinz Kükelhaus

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

12

James machte mir weiterhin ein grämliches Gesicht. Unsere Schiffe lagen nicht weit auseinander. Ich sah ihn zu jeder Stunde. Nie war ich unbeobachtet, oft stand er mit dem Glas und starrte zu mir herüber. 162 Auf beiden Schiffen wurde gearbeitet. Ich hatte einen Zimmermann und einen Segelmacher an Bord. Kimball hatte seinen Dienst bei mir angetreten, und ich unterrichtete ihn, wie man weiße Ölfarbe aufträgt.

Am Morgen stach ich mit Kimball in die See, am Abend kam ich zurück. Der Segler gehorchte mir nicht. Ruder und Segel, Stenge und Maste waren klar, aber das Schiff hatte einen neuen Geist. Wohl sauste der Großmast im Winde, auch zog er seine kleinen Bögen durch den Himmel. Doch das Gleichgewicht war gestört.

Nun will ich alle Verstrebungen im Kiel prüfen, es kann eine Kleinigkeit sein, ein gestauchter Winkel im Gerüst. Wer weiß es, ich werde es ja sehen.

Die Stunden gingen, ich hatte die Kleinigkeit nicht finden können. Ich blieb auf meinem Segler und sah keinen Menschen an, kaum daß ich an Land ging. Ich brütete über dem verlorenen Gleichgewicht meines Seglers. Eine winzige Kleinigkeit, ich weiß es. Aber die Kleinigkeit mußte ich finden.

Wie voller Selbstlüge ist der Mensch!

Zwei Tage log ich mich an, trat nicht an Land und gab vor, über dem Gleichgewicht meines Seglers zu brüten. Nicht einen echten Gedanken hatte ich an den Segler gewandt, das Rätsel hätte sich schnell lösen müssen. Einen anderen Plan habe ich mir ausgedacht, und er hatte nichts mit meinem Segler zu tun.

Ich kaufte Herrn Mayland einen Maulesel ab und erstand dazu einen hochgebauten zweirädrigen Karren. Der Maulesel war dreijährig, und ein feistes junges Tier. Ich konnte mir einen Esel aus Maylands Herde 163 auswählen. Das Tier hatte einen schönen Kopf, sanfte Augen und eine weißgraue Schnauze. Ich fand weitere Vorteile an meinem Esel, die mir aus dem Kopf gegangen sind. Er war nicht lange in meinen Diensten.

Am Tage schweifte ich durch die Faktoreien und kaufte ein. Sandalen, farbige Stoffe, auch Kleider, wie sie Daniele tragen könnte. Auch habe ich Riechwasser gekauft, Narzissenöl, eine beliebte flüssige Essenz in Port Ond. Ein Kaufmann hatte einige Gramm Ambra im Glas, und ich ließ mich bewegen, Ambra zu kaufen. Schöne Matten habe ich erstanden, ein helles farbiges Flechtwerk. Aus dem Eingeborenendorf kaufte ich feine Klöppeldecken. Gutes Räucherwerk erstand ich, dazu eine kostbare Räucherpfanne. Drei Feldstühle und Hängematten; mit Arrak und Whisky versah ich mich reichlich. Ich habe auch an Georges gedacht und ihm gestickte Hemden gekauft. Für den alten Bacon habe ich schöne Westen eingehandelt, weiß mit roten und blauen Tupfen. Zwei Taschenuhren.

Es sollte Friede sein zwischen Bacon und mir.

Mit Mogens sprach ich nicht über meine Absichten. Er war an den Stuhl gefesselt und dirigierte vom Fenster aus die Aufbauarbeit im Hafen. Ich habe ihm Valet gesagt.

Am Abend legte ich meine Schätze auf den Karren, holte den Maulesel von der Weide und warf einen Futtersack auf den Wagen, ich machte mich reisefertig. Dem jungen Kimball vertraute ich den Segler an. Ich sprach einige Worte mit seinem Vater und verabschiedete mich für wenige Tage. Danach sollte mein Landleben ein Ende haben.

164 Als es dunkelte, fuhr ich los. Ich nahm den Esel am Kopf und fuhr mit dem Karren durch die Niederlassung. Ich hatte einen Zweitagemarsch nach Bacons Farm, alle Freundschaft wollte ich mir wieder erwerben. Ich zog die breite Straße hinab und kam an Danieles Türe vorüber. Ich warf einen dankbaren Blick auf das Haus und entsann mich vieler Stunden.

Noch einmal blickte ich mich um, um das Haus zu grüßen. Ich sah, daß ein Mann über die Straße ging; es war James. Er gönnte meinem Karren keinen Blick; ohne zu zögern betrat er Danieles Haus. Ich hielt einen Augenblick den Karren an und dachte an James' Untaten; stockend zog ich weiter. Viel Glück, James, viel Glück! Ich verlasse den Port auf einige Tage, versuche nur Dein Glück, Du armer Narr!

Ich beeilte mich, Port Ond zu verlassen. Eine schöne Zeit lag vor mir. Ich überschlug meine Zeit, zwei Tage hin, zwei Tage zurück und einen Tag zur Versöhnung; fünf Tage. Danach sollte mein Esel Ruhe haben. Ich dachte daran, ihn für sein Leben auf einer Weide einzumieten. Das sollte sein Los sein. Weiden, weiden!

Meine Gedanken machten einen Sprung. Ich überlegte, James ist bei Daniele. Und ich beschloß, meine Ruhe zu bewahren. Es klopfte in mir wie in einem hohlen Zahn, James ist bei Daniele. Sie ist einer Verführung ausgesetzt, daran mußte ich denken. Zwei Tage hatte ich Daniele vernachlässigt, und ich stellte mir die Frage: Wird sie James widerstehen? – Gewiß, einmal wird sie widerstehen. Aber in der zweiten Nacht kommt er mit einer siegessicheren Miene 165 wieder. Er hat sich herausgeputzt und sieht aus wie ein junger hungriger Löwe. In dieser Nacht wird sie ihn auslachen. Und es schwächt seine Kraft, wenn sie ihn auslacht. Wie aber in der dritten Nacht, wenn sein Gesicht schön ist vor Verlangen. James ist kein übler Mann in den Augen einer Frau. Nur mit Mühe wird sie sich seiner erwehren. Sie wird ihm auf die Finger schlagen. Welch ein gefährliches Spiel für ein Mädchen, wenn sie ihm auf die Finger schlägt! In diesem Augenblick wird sie ihn lieben. So beginnt es . . .

Ich ertrug es nicht, weiter darüber nachzudenken. Ich fuhr mit dem Esel einen Bogen und hielt mit dem Karren vor Danieles Haus. Ich überlegte mir den Schritt ruhig und dreifach, es mußte sein. Ich öffnete die Türe in der feierlichen Absicht, Daniele mit einem Blick zu warnen und wieder zu gehen.

Als ich eintrat, kniete James an der Erde. Er erkannte mich sofort und tat so, als suche er etwas am Boden. Dann sprang er mit einem hohlen Lachen auf, drehte mir den Rücken zu und summte vor sich hin. Daniele huschte wie ein Wiesel durch die Stube, hier hob sie etwas auf, dort stellte sie Gläser zusammen. Plötzlich blieb sie vor mir stehen. Ich sah ein Kleid an ihr, das ich noch nicht kannte. Und an ihren Augen sah ich, wie es um sie stand. Es war die dritte Nacht ihrer Versuchung, alles fand ich bestätigt. Mir schlotterten die Knie, ich ließ mich nieder. Sie stellte ein Getränk vor mich hin, zitternd ergriff sie meine Hände. Ich ließ sie ihr, so schlaff sie waren. Darauf lief sie in die Ecke der Stube, hier blieb sie stehen. Ich 166 hatte kein Wort gesagt, meine Anwesenheit genügte, sie zur Treue zurückzuführen. Und ich überlegte schon, wann ich das Haus verlassen könnte.

Nun aber zeigte mir James sein Gesicht, mit der größten Liebenswürdigkeit strahlte er mich an. Sein Gesicht glühte, das Mal über seinem Auge war verblaßt, er warf seine Beine wie ein junges Pferd und auf seinen roten Lippen schäumten kleine Blasen. – Ich verwarf sogleich den Gedanken, jetzt das Haus zu verlassen. Ich sah mich satt an der Trunkenheit seiner Augen. Ein schöner Mann, in der Blüte seiner Jahre.

Von Anfang an war ich ihm unterlegen; er ging mit einem stumpfen Blick durch das Leben, der Orkan hatte ihm nichts angetan. – Mich aber plagten schlaflose Nächte; die Rätsel meines Seglers bedrückten mich. Mein Blut war matt, plötzliche Schauer konnten mich anfallen. Darüber war ich dürr und unschön geworden. Zwei Tage hatte ich kaum gegessen. Aufrichtig gesagt, ich war ein Wrack und mied den Spiegel. Port Ond hatte mich in ganz kurzer Zeit vergiftet.

Wie gerne wäre ich mit meinem Esel weitergezogen. Ich war aber zu schwach, diesen Entschluß zu fassen. Ich fühlte mich James unterlegen. Mich beherrschte ein Wunsch, doch sprach ich ihn nicht aus. Ich wünschte mir kaltes Wasser und ein Tuch. Wie aber sollte ich die Bitte aussprechen, die Worte lagen mir auf der Zunge, ich sprach und verlangte mit heiserer Stimme Whisky. Zu dieser Stunde verlangte mein Körper stark nach Alkohol. Daniele brachte mir eilfertig den Whisky, mit frohen Augen sah sie mir zu, wie ich 167 trank. Dann wartete ich gespannt auf die Wirkung des Alkohols. Bald, bald mußte die Wirkung eintreten. Ich wurde aber so schwach, daß ich keinen Finger rühren konnte.

Daniele schlich mit einer Entschuldigung in den Augen um mich herum. Ich setzte mich mit dem Rücken zur Türe, um sie nicht zu sehen.

Es ist nicht lange her, daß ich ihre Treue rühmte. Nun bin ich ihr zu viel. Und ich dachte, wenn das ihr Vater sehen könnte, der seine Haut auf einer Klipperlinie zu Markte trug. Der Gedanke tröstete mich. Und ich fühlte sofort, daß der Vater mit mir im Bunde war. – Wie aber, wenn sie gar keinen hat! – Unheiliger, murmelte ich. Sie hat ihren Vater gehabt. Es ist nur die Frage, ob er auf einem Segler zu Tode kam. Ich nahm es als wahr an. –

Darauf wollte ich mit James und Daniele sprechen, mit aller Leichtigkeit wollte ich ein Gerede beginnen. Ich drehte mich auf meinem Stuhl um, aber meine Gedanken brachen im Fluge zusammen. Ich konnte keine Worte finden, in meiner Not lachte ich spöttisch.

James aber nahm mein Lachen als ein gutes Zeichen. Er schritt schnell durch die Stube, seine Freude war sichtlich. Und einen Augenblick kam es mir selber vor, als seien wir alte gute Bekannte. Er sprach mich zuerst an und sagte, er sei mir dankbar, daß ich ihm den Samt zwischen die Pfoten gesteckt hatte, gerade noch zur rechten Zeit. Ja, es sei hohe Zeit gewesen, sein Herz habe sich im Krampf zusammengezogen, nichts habe er mehr gesehen . . . Ich werde es Dir nie 168 vergessen! sagte er mit einer inwendigen Dankbarkeit, die mich peinlich berührte.

Ich lachte vor mich hin.

Daniele kam und streckte mir ihre Hände entgegen. Da ich mich nicht rührte, ließ sie ihre Hände sinken und fuhr mit der Hand leicht über mein Glas hin. Ihr Gesicht war fröhlich.

Sie ist wohl glücklich, daß ich James Gutes erwiesen hatte. Ist es so? – Ich bekämpfte vergebens eine aufsteigende Wut, ich warf die Arme über den Tisch und fegte das Glas zu Boden.

Ein neues Glas! schrie ich.

Ich wunderte mich über meine Stimme. Ein neues Glas! rief ich abermals und meine Stimme klang mir noch wunderlicher in den Ohren. Aber sie sollten es nur wissen, daß ich das Glas nicht zum Scherz auf den Boden geworfen hatte.

Daniele machte vor Schreck keinen Schritt, meine Stimme hatte sie getroffen. Nun war es an der Zeit, Abbitte zu leisten. Ein Wort hätte genügt, um alles in Ordnung zu bringen; ein Wort mit meiner alten Stimme gesprochen. Und ich grübelte über das Wort nach, ich zählte die Sekunden, das Wort wollte nicht kommen.

James stellte eigenhändig ein neues Glas vor mich hin, goß ein und trank mir zu. Ich konnte ihm den Zutrunk nicht zurückgeben. Ich dachte an Sir Archie, und in Gedanken an den Toten hob ich mein Glas und trank. Es wird alles so kommen, wie Sir Archie es will. Wie der Vater von Daniele es will! Die Toten sollen mich regieren. Ein Regiment der Toten um 169 mich herum! nur ihnen will ich gehorchen. Und ich erhob mich.

James sagte:

Wir waren doch einmal Freunde, wir wollen es wieder sein!

Und ich entsann mich, daß Georges mir Ähnliches gesagt hatte.

Er sprach weiter:

Du hast einen Karren vor der Türe stehen, auch einen Maulesel. Wo willst Du hin?

Gut, daß Du mich daran erinnerst. Ich will den Esel anbinden. – Ich ging hinaus, der Esel stand auf demselben Fleck. Ich nahm ihn am Kopf und führte ihn hinter das Haus, hundert Schritt durch einen Busch. Hier war jedoch kein Baum, und ich führte den Esel weiter, noch hundert Schritt. Ich band ihn an einem Baum fest und warf ihm Heu aus seinem Futtersack vor.

Ich rechnete die Zeit nach meinen Schritten aus. Gut zehn Minuten hatte ich James und Daniele allein gelassen. Als ich zurückkam, schien es, als habe James seinen Platz nicht gewechselt. Ich unterdrückte ein Lachen, sie standen verquält in ihren alten Stellungen. Sie verstellten sich, ich sah es an der Röte ihrer Gesichter. – Oh! es sollte ihnen unheimlich werden mit ihrer Verstellung. Ich ließ mich lächelnd nieder, blickte mich gelassen um und zuckte mit den Mundwinkeln. Es sollte ihnen unheimlich werden. Eine ganze Zeit saß ich so und zuckte mit den Mundwinkeln. Ich hörte Daniele mühsam atmen, James lief durch die Stube, von rechts nach links. Ich mußte ihm 170 zusehen, wie er lief. Mit seinen Beinen machte er fünf Schritte nach rechts, dann stand er an der Türe. Er spielte im Laufen an seinem Gürtel. Das wiederholte sich mehrere Male. Als er wieder einmal von der Türe zurückkam, hatte er seinen gestickten Perlenbeutel in der Hand und spielte damit. Er blieb neben Daniele stehen und sagte: Sie kann es wissen, daß ich Dir einmal vor langer Zeit drei Perlen gestohlen habe. Ich vergebe mir nichts damit, das war eine Torheit von mir. Eine Torheit. Ich sage es jetzt, ich vergebe mir gar nichts, denn ich will Dir die Perlen zurückgeben. Es ist dann, als sei nichts geschehen zwischen uns! –

Er fühlt sich ihrer sicher, dachte ich. Jetzt stellt er sich nackt vor sie hin, sie soll ihn nur beschauen. Seine Sündenfleckchen will er ihr zeigen. Wie aber ist es mit Sir Archie! Das ist ein großer dunkler Fleck auf seiner Brust. Und der dunkle Fleck von Geburt an, diese Züchtigung seines Kadavers, der Atemkrampf und sein Allheilmittel? –

Ich konnte nicht länger schweigen und sagte höhnisch: Und die Samtgeschichte soll sie nie erfahren? – Ist das kein Schandfleck! fragte ich grimmig. So geboren zu sein, das geschieht nicht ohne Bedacht in der Natur, James!

Er begriff nicht, was ich ihm gesagt hatte. In dieser Weise war er ein Idiot. Er hatte nie über sich nachgedacht, lebte so dahin. Aber meine Worte waren nicht ohne Wirkung auf Daniele geblieben. Sie blickte mich erschrocken an und wich bis zur Türe ihrer Kammer zurück. Ich horchte lange auf eine Antwort von James. Er wußte nichts zu sagen.

171 Da stand nun mein Esel zweihundert Schritt hinter dem Hause und wartete. Er wartet vergebens, sagte ich mir, ich kann Daniele nicht allein lassen. – Ja, so sitze ich hier und störe wohl nur, überlegte ich.

Ich hustete gewaltsam. Daniele zuckte zusammen, öffnete den Mund, aber sie sprach nichts; sie drehte sich um und ging in ihre Kammer. Als sie die Türe schloß, blickte sie mich noch einmal an. Ich hörte sie eine Weile hinter der Türe gehen. Was hatte es zu bedeuten, daß sie mich anblickte? Und ich saß und wartete auf ein Signal. – –

Dann erhob ich mich und ging vor das Haus. Ich blickte die Straße hinab, sie war leer. Ein Sang erscholl aus einer der Kneipen aufwärts, ich horchte lange dahin, der Gesang wiederholte sich. Ich kannte das Lied, es kam aus der Torresstraße. Es wird darin von einem Segler gesprochen, der ohne Masten die Torresstraße quert, mit einem Mann an Bord, der sein Leben beenden will. Er hatte sein Mädchen aus übergroßer Liebe ertränkt. Darauf hatte ihm ein Hai die Hände verletzt. Es geschah ihm recht! nun segelte er ohne Masten und beendete sein Leben selber.

Von Seeland ohne Hände
Die Timorbay entlang . . .

Ich pfiff die Melodie des schönen Liedes. Als ich es gepfiffen hatte, horchte ich hinter mich, James rührte sich nicht in der Stube. Ich scharrte mit den Füßen, darauf ging ich leise von der Türe fort und lief hinter das Haus. Vor dem Fenster blieb ich stehen, ein 172 Lichtschein fiel durch die Blenden, ich preßte mein Gesicht an das Holz und sah Daniele. Sie kniete, ihr Kopf lag auf der Holzkante eines Stuhles. – Ich war so bewegt, daß ich nicht länger hinsehen konnte. Ich lief zurück, vor der Türe stand jetzt James und sah nach mir aus. Er wußte nun, daß ich hinter das Haus gegangen war. Sein Gesicht sagte mir alles.

Ich ging an ihm vorüber in die Stube; ich sagte dabei einige Worte, sie waren für seine Ohren bestimmt, aber ich sagte sie so, als redete ich in Gedanken: . . . Der Esel frißt, er kann die ganze Nacht fressen.

Nach einigen Sekunden kam James mir in die Stube nach, er lief schnell durch den Raum. An seinem Gang erkannte ich eine Veränderung, seine Füße liefen unhörbar über den Boden. Ich blickte auf seine Füße, er hatte seine Sandalen ausgezogen und ging barfuß.

Meine Blicke suchten hurtig den Boden ab. Da sah ich seine Sandalen, sie standen vor Danieles Kammer. –

Frißt der Esel? fragte er mich. Während Du beim Esel warst, habe ich meine Sandalen ausgezogen. Ich habe ältere Rechte. Geh' jetzt, Nyhoff!

Ich legte die Hand an mein Haimesser. James hatte kein Messer in seinem Gürtel. Er stieß einen dumpfen Laut der Angst aus. Aber zugleich dachte ich, warum denn mit dem Haimesser. – Mit einem Finger kann ich ihn überwältigen. Mit einem einzigen Wort, und es wird ihm in den Ohren gellen, Sir Archie!

Ich sagte das Wort nicht, ich bückte mich aber nach seinen Sandalen und reichte sie ihm. Er weigerte sich, die Schuhe aus meiner Hand zu nehmen. Nun warf 173 ich die Schuhe auf die Straße. Ich nahm mein Messer aus der Scheide und besah die Klinge. Sie glänzte stumpf unter dem weißen Fett, das ich darauf geschmiert hatte.

Ich gebe Dir das Messer! sagte ich. Du wirfst, danach werfe ich. Willst Du?

Er zog sich zur Türe zurück; James wollte nicht. Ich ging ihm nach, er lief vor mir fort auf die Straße. Ich schloß die Türe und blickte mich um. Wieder riß ich die Türe auf und starrte die Straße hinunter, ich konnte ihn nicht mehr sehen.

Ein Arm legte sich auf meine Schulter. Daniele! In diesem Augenblick schämte ich mich des Messers und verbarg es geschickt am Boden.

Ich sagte:

Zum Satan mit James! er hat mich lange aufgehalten, Daniele!

Sie streichelte meine Hand. Aber ich dachte nicht daran, die Nacht in Port Ond zu bleiben. Ich sagte es ihr.

Denke Dir, flüsterte ich ihr ins Ohr, ich muß jetzt für einige Tage über Land. Ich habe keine Zeit zu verlieren. Gute Nacht!

Gute Nacht, sagte sie und drückte sich an mich.

Ich versprach mich und sagte:

Liebst Du mich, Henriette!

Sie küßte mich. Gute Nacht, gute Nacht! flüsterte sie. Mit einem Male liebte ich nur sie allein. Ich flüsterte in ihre Ohren, doch hütete ich mich, sie beim Namen zu nennen. 174

 

Stunde um Stunde.

Ich danke Dir, Daniele! Nun gehe ich. Du gute Seele, ich verspreche Dir, am fünften Tage wieder anzuklopfen.

Ich reichte ihr die Hand und ging. Noch war der Morgen kühl. In mir schrie es: Fort von Port Ond! Ich lief um das Haus herum und hörte, wie Daniele an ihrem Fenster die Blenden aufriß. In diesem Augenblick wollte ich umkehren. In dieser Stunde dachte ich nur an Daniele. Daß sie ihr Fenster öffnete! Es machte mich krank vor Sehnsucht. – Am fünften Tage, am fünften Tage, flüsterte ich mir zu und lief durch den Busch. An einem Baum sollte der Esel warten. Ich hatte mich wohl in der Richtung geirrt, ich fand den Baum nicht. Ich ging den Weg zurück und nahm eine andere Richtung auf. Hundert Schritt lief ich durch den Busch, dann winkte der hohe Baum. Mein Gefährt stand aber nicht an dem Baum. Ich untersuchte den Platz, es lag Heu am Boden, und hier hatten die Räder des Karrens Spuren in die Erde geschnitten. Ein Strick lag an der Baumwurzel, ich nahm den Strick auf, er war durchschnitten. Ich raffte das Heu mit den Händen zusammen. Da war nun ein Arm voll Heu; es war soviel, wie ich dem Grauen vorgeworfen hatte. Er hatte nicht lange Zeit zum Fressen gehabt.

Guter Gott, mein Esel!

Ich lief zurück und stand wieder vor Danieles Haus. Ohne daß ich jammerte, hatte sie alles erraten. Sie stand am Fenster und stieß einen leisen Schrei aus. Ich nickte ihr zu und schritt in den Busch zurück. 175 Durch Gestrüpp und Pflanzungen eilte ich, zweimal überquerte ich den Weg nach Süden. Ich verirrte mich in einer Pflanzung, nach einer Stunde stieß ich auf eine Kolonne Eingeborener. Ich erkundigte mich nach dem Weg und forschte sie aus. Keiner hatte mein Gefährt gesehen.

Port Ond lag hinter mir. Ich lief und kam an die hohe Küste. Zu meiner Rechten lag der Hafen, von der Höhe übersah ich die Reede von Port Ond. Nun schweifte ich kreuz und quer, bis ich die Radspur eines Karrens fand. Ich lief der Spur nach, sie führte hinter einen Felsen. Hier fand ich mein Gefährt.

Bei meiner unglücklichen Seele, es war ein toter Esel und es war nicht viel übrig von dem Gefährt. Ein Feuer hatte alles vernichtet. An der verkohlten Deichsel lag mein Esel. Seine fette Haut war schwarz und kein Haar stand auf seinem Bauch. Ich kniete vor dem Tier, der knotige Schweif des Esels war aufgeplatzt. Ich sah etwas hartes Blut an seinen Hinterbeinen. Dieses Blut. Die Hinterfesseln waren durchschnitten.

Ich kroch um den Esel herum. Seine Schnauze lag auf frischem Gras, die Schnauze war nicht versengt, alle Haare waren noch auf dem Fell. Er hatte bis zuletzt seine Schnauze beleckt.

Ein böser Zufall! sagte ich mir. Und ein Zufall hat ihm die Fesseln durchschnitten. Es ist zu sehen, wie der Zufall gearbeitet hat. Nichts ist unheimlich an dieser feinen Arbeit. –

Ich kletterte auf den Felsen, unter mir lag das Meer. Port Ond, Port Ond! Und ich sah einen Dampfer, er 176 fuhr seine Bahn, in weißen Tupfen fiel der Dampf aus seinem Schornstein. Ich hörte die schrille Sirene des Hafens. Ich lauschte auf die flackernden hohen Töne. Ein wenig weiter zogen meine Augen. Das Meer, das Meer! –

Ich blickte schnell in die leere Luft. Warum dahinsehen, eine Jacht verläßt den Hafen, und es ist die Jacht von James. Ein schönes, schnelles Schiff, wenn man es von diesem Felsen sehen darf. James fährt! Und wieder sage ich: Glückauf James!

Mein Esel hat seine Schnauze bis zuletzt beleckt, er sollte Feierabend haben. Wie alle meine Wünsche in Erfüllung gehen! Und da fährt James mit seiner schönen Jacht zu den Perlenbänken, wie ich es ihn gelehrt habe.

Aber ich denke nicht mehr an James, ich betrachte immerzu die Eselsschnauze. Etwas von dem schönen Fell will ich abtrennen, denn Eselshaut bringt Glück.

Ich blickte weiter hin auf das Meer. Die Jacht fährt in westlicher Richtung. Alsdann muß ich in östlicher Richtung segeln. Entgegengesetzt, denn ich kenne ein Atoll im Süden von Port Ond und eine gute Austernbank, dort werden wir uns sicher treffen. –

Es wurde Mittag und ich konnte mich nicht von dem Felsen trennen; ich lag im Schatten und schlief. Es wurde Abend, die scheidende Sonne weckte mich.

Ein Abend am Grabe meines Esels.

Von der Zinne des Felsens stoße ich einen Schrei aus, der Schrei geht über das Meer und ist verweht. Nie wieder höre ich diesen Schrei, er kam aus meinem 177 Munde, ging über das Meer und ist verweht. Kehrt nie wieder! –

Ich war hungrig und durchsuchte meine Taschen, ich fand nichts Eßbares. Ich arbeitete etwas, ich tat verschiedenes. Den Kadaver schleppte ich auf den Felsen und warf ihn ins Meer. Ich warf alles über den Felsen, was von dem Gefährt übrig war, die verkohlten Deichseln, Bretter und Eisenzeug. Ein Haufen Asche blieb zurück.

Ein Stückchen Eselshaut lag in meinem Gürtel. Als ich den Platz verließ, hatte ich eine Lageskizze in meiner Tasche. Nach den vier Winden hatte ich alles eingezeichnet. Der Felsen hier, dort das Meer und die Brandstelle. Ich habe sie mit einem schrägen Kreuz gezeichnet, ein gerades Kreuz wollte mir nicht glücken. Der Platz liegt nur fünfzig Schritt von der Straße ab und ist nicht zu verfehlen.

Nicht weit vom Felsen stieß mein Fuß an eine Flasche. Ich hob sie auf, es war die Ambraflasche. Ich öffnete sie, ein süßlicher Geruch verbreitete sich im Umkreise. Noch einmal kehrte ich zum Felsen zurück und warf die Flasche ins Meer.

 


 << zurück weiter >>