Heinz Kükelhaus
Thomas der Perlenfischer
Heinz Kükelhaus

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8

Ich war Gast im Klubhaus. Der Hafen bewirtete mich auf seine Weise. Ich bewohnte ein gutes Zimmer nach Norden, mit dem Blick zu den Bergen. Der Kommandant zeigte mir auch weiterhin seine gute Freundschaft. Am zweiten Tage besuchte ich Herrn Mayland, ich ging aus freiem Antrieb, denn ich hatte Gutes über seine Tochter gehört. Maylands Haus lag am Berge, inmitten eines großen Gartens. Mit viel Geschick hatte er sein Haus angenehm gemacht. Man gelangte in das Haus durch eine Türe, der drei schwere Vorhänge folgen. So fing Herr Mayland die Moskitos ab und konnte ohne Decken und Netze schlafen.

Frau Mayland empfing mich, eine stattliche dunkle Erscheinung, Portugiesin, wie sie mir sagte. Es entwickelte sich ein Gespräch im Hausflur, dem ich nicht entgehen konnte. Sie sagte, Mayland habe ihr von mir berichtet, ich sei ein Kenner der Südsee. Ich nickte. Sie meinte weiter, ich wäre ein Freund von Mogens, und Kapitän Mogens miede ihr Haus. Er sei außergewöhnlich stolz. – Nein, sagte ich, er ist nicht stolz, er ist klug, Madame. – Das wisse sie nicht, sie habe kein Auge für die Klugheit der Männer. Ihr Mann sei wohl auch klug, aber sie habe es leicht mit ihm. Ich verbeugte mich und sagte, daß ich zu Herrn Mayland in Geschäften käme. – Ja, gewiß, alle Herren kämen zu ihrem Manne in Geschäften. Ob ich Baron Bacon wieder besuchen wolle? – Es kann sein, sagte ich und strebte davon. – Dann grüßen Sie Henriette, flüsterte 107 sie. Sie hat zwar viel Kummer im Port hinterlassen. Hörten Sie schon, was im Port geschah? –

Herr Mayland erlöste mich, er brachte mich in sein Zimmer, einen großen Raum mit hellen Pitchpinehölzern an den Wänden. Eine kleine Fontäne wirbelte ihre Wasser über einem Becken, eine belebende Frische ging von dem Wasserstaub aus; ich legte eine Hand in das Becken.

Und Herr Mayland gab sich, als habe er mich zu dieser Stunde erwartet, er war ausgezeichneter Laune und wollte einen Handel mit mir machen. Auf seinen Wunsch legte ich beide Hände in das kalte Wasser, ich erfrischte auch mein Gesicht. Er hatte weiße Tücher zur Hand, doch nahm ich kein Tuch, ich ließ mein Gesicht langsam trocknen. Die Kühle wirkte günstig auf mich ein.

Herr Mayland lobte sein Haus über den Faden und meinte, ein kühles Haus sei die größte Notwendigkeit in Port Ond.

Woher beziehen Sie das kalte Wasser? fragte ich.

Vier Maulesel laufen Tag und Nacht an der Pumpe. Sie kosten viel Futter, ich gebe Kokosmelasse; leider vertragen die Tiere das Futter schlecht. Ich bin gezwungen, die Esel oft zu erneuern.

Das Wasser ist schön, lobte ich.

Es ist trinkbar, sagte er stolz. Es kommt aus neunzig Meter Tiefe, es ist der tiefste Brunnen im Port.

Sie sind ein vielgeschickter Mann, sagte ich anerkennend.

Er richtete sein stechendes Auge auf mich und fragte, ob ich denn nun die Perlen bei mir habe. – 108 Ich fragte ihn dagegen, wieviel Baron Bacon ihm schulde. – Er lächelte, schloß eine Weile die Augen und sagte: Mit Zinsen sind es vierhundert Pfund.

Ich entnahm diese Summe meinem Gürtel und gab ihm das Geld. Dazu sagte ich: Ich bin beauftragt, Ihnen das Geld zu geben. – Er strich das Geld ohne ein Wort ein. Sein Wesen änderte sich, er betrachtete mich mitleidig und glaubte meinen Worten nicht. Seine gemeine Seele durchschaute mich bis auf den Grund.

Ich wollte mich rächen und sagte mit großer Gleichgültigkeit: Über die Perlen wollen wir jetzt nicht reden. Sie können an Bord kommen und das Perlmutter abschätzen.

Er verzog etwas die Augenbrauen, er sah gereizt aus, sagte aber lächelnd: Ich weiß, daß Sie sehr schöne Perlen haben. Ich weiß es sogar genau, welche Perlen Sie im Gürtel haben. Es geht Ihnen ein Gerede voraus, daß sie eine seltene Perle haben, sechzig Gran schwer und gezeichnet.

Ich schüttelte erschrocken den Kopf.

Er entschuldigte sich sofort und meinte, er sei ein alter Geschäftemacher, und das bestimme sein Wesen.

Er verließ plötzlich das Zimmer, darauf kam er mit einer Fruchtschale wieder. Er bot mir einen blauschaligen Apfel an, ich starrte lange auf die seltsame Farbe, nahm ihn und biß hinein, er war kühl bis auf den Kern. Ich lobte den Apfel, ich ließ mich hinreißen und lobte auch den Port mit ausschweifenden Worten. Um es bei meinen Lobeshymnen bequemer zu haben, ließ ich mich in einem tiefen Sessel nieder. 109 Insgeheim wartete ich auf Maylands Tochter. Ich blickte gespannt auf die Türe; warum verbarg sich seine Tochter?

Sie loben den Port! sagte Mayland. Das wundert mich, die Fremden hassen Port Ond.

Ich log aber, daß es mir die Menschen in Port Ond angetan hätten. Die Menschen, Herr Mayland, die guten Menschen. Ich kenne die Südsee, es gibt gesündere Gegenden als Port Ond. Aber die Insel Ceram ist eine große und wunderbare Insel. Es gibt in der Südsee schlechtere Inseln. Ich kenne Inseln, wo die Menschen dürsten und kein gutes Wasser in neunzig Meter Tiefe finden. Es gibt Flüsse, die im Morast ersticken und in zwei Jahren kein Wasser führen. Da bitten die Eingeborenen das Jahr hindurch um einen Tropfen Wasser; eines Tages wird ihnen die Bitte erfüllt, ein Sturm kommt und trägt Wasserstaub vom Meere mit sich. Am Himmel regnet es, man sieht die Fahnen schwefelgelb heranziehn. Der Mensch steht auf der Erde und breitet die Arme aus. Die Erde dampft und stößt Erde in die Luft, die Fahnen werden immer dunkler, bis zur Schwärze; die Erde verdüstert sich, die Bäume neigen sich gegen die Erde, der Wind ächzt und bleibt stehen. Er schraubt sich zum Himmel, dann stürzt er sich auf die Erde und reißt Baum und Steine hoch. Das Wasser verkocht einige Meter über der Erde. Der heiße Odem schleppt sich ein Stück hin, zur See. Auf dem Meere bilden sich Furchen, die Wogen kriechen scheinheilig dahin, ihre Haut erschauert. Dann regnet es auf dem Meere, das harte Land erhielt keinen Tropfen.

110 Ich schwieg und blickte mich um, noch immer kam Maylands Tochter nicht. Und Herr Mayland sagte: Das haben Sie sehr schön erzählt, ich danke Ihnen. Es ist so, wie Sie erzählten. Da hungert die Erde . . .

Sie dürstet!

Sie dürstet, verbesserte er sich stirnrunzelnd. Es geht nach dem alten Wort: Wer hat, dem wird gegeben.

Ich lachte innerlich über Mayland.

Die Türe öffnete sich, ein geschmeidiges Mädchen erschien, es war Maylands Tochter Maria, die sich so lange versteckte. Sie lächelte eigenartig, sie glich weder Vater noch Mutter. Es war wie ein Wunder. Ihre Haut war leicht gebräunt, ihre Lippen blühend. Sie reichte mir ihre kleine Hand. –

Wir redeten über den Regen, sagte der Vater. Herr Nyhoff erzählte von regenlosen Inseln der Südsee. Du hättest es hören müssen, Maria. Vielleicht erzählt es Dir Herr Nyhoff noch. Von den schwefelgelben Wasserfahnen am Himmel . . . Der Wind schraubt sich in den Himmel . . . Er betonte die Worte unnötig und was er sagte, klang gemein, mit seiner stumpfen Phantasie machte er alles plump.

Ich wandte mich an Maria und sagte ihr Schmeichelhaftes über ihr gesundes Aussehen. Sie wurde verlegen und senkte ihre dunklen Augen, als schäme sie sich ihrer Gesundheit. Ich bewunderte im stillen ihre kleinen Hände, und ich sagte, wie ich mich besonders wundern könne, ein feines Mädchen nach den langen Jahren der Abgeschlossenheit zu sehen. Während ich es sagte, glaubte ich daran. Ich sah Marias Gestalt in einem funkelnden Lichte, alles war sehr gut an ihr.

111 Sie sagte unschuldigen Auges:

Sie waren doch erst kürzlich mit Henriette zusammen.

Auch ihre Stimme war bestechend.

Ja, ja, ich hatte es vergessen!

Sie blickte mich ungläubig an, Herr Mayland lächelte fatal, er drehte sich um und knisterte mit Geldscheinen. Ich aber dachte weiter, daß Maria ein Mädchen sei, wohl wert, ihr im Augenblick schön zu tun. Als sie sprach, verstummte alles in mir, ich hörte nur ihr Sprechen. Ihre Stimme war dunkel und tönend. Sie bewegte die Glieder beim Sprechen, jedes Wort war unvergeßlich. Was sie sagte? ich hörte kaum darauf hin. Sie ginge nur abends aus, am Tage hüte sie das kühle Haus. Aber sobald der Abend käme, spiele sie mit einigen Herren und Damen Tennis. Ich sei eingeladen, ob ich Tennis spiele?

Nein. Ich kann keinen Federball schlagen.

Sie sprach weiter, ihre Augen redeten eine andere Sprache. Zuletzt gab sie mir ihre Hand. Ich lud sie ein, mit mir zu segeln. Das gab neue Worte, Mayland redete ihr zu. Sie meinte, an einem Abend, sie würde noch jemanden mitbringen.

Bringen Sie alle mit, sagte ich glücklich, aber kommen Sie.

Sie gab mir aufs neue die Hand, ich nützte diesen Augenblick und drückte Maria die Hand. Sie entzog mir leise die Hand, ich ließ sie aber nicht frei, ich hielt sie, bis sie heimlich meine Hand drückte. Als ich in ihre Augen blickte, glänzten sie.

Das geschah in der Frühe des Tages.

112 Ich bin durch Port Ond gelaufen und habe mir die Niederlassung angesehen. Die Häuser der Weißen lagen am waldigen Bergrand. Und ich sah schöne Häuser in großen Gärten, überall sprudelte das Wasser in grünen Gärten. Doch sah ich nicht dahin, in Gedanken sah ich Maylands Maulesel im Kreise laufen. An der Hauptstraße stand kein Baum, die Sonne hatte die Erde zu Staub gebrannt. Die Straße war vollgestopft mit Fuhrwerken, es war elf Uhr am Vormittag. Die Läden der Faktoreien waren überfüllt. Nach einer Stunde, um zwölf Uhr, waren die Geschäfte ausgestorben. Die Sonne stand am Zenit, die Fenster an den Häusern waren mit Läden dicht verschlossen, vor allen Türen hingen Netze. Einige weiße Männer eilten durch die brennende Hitze in die Trinkstuben der Faktoreien. Ich bewegte mich über die Straße nach Süden. Die Hitze stieg schnell und unerbittlich, die Luft wurde von Sekunde zu Sekunde dünner und zitterte. Ich allein ging über die Straße, hinter mir her in immer gleichen Abständen die Sirene. Im Hafen schwieg das Gangspill. Kein Luftzug regte sich auf der Straße. Die Hitze stand, das Blut kochte in meinem Kopf, ich stolperte vorwärts und sah weiße Punkte in der zitternden Luft. Meine Haut war trocken, jeder Tropfen Schweiß verdampfte in dieser Sekunde. Hoho! diese Luft in Port Ond, diese Hitze.

Am Ende der Straße stand ein niedriges Haus, eine Trinkstube. Ich rettete mich zur Türe und schlug die Netze zurück. Die Türe war verschlossen, ich stieß in großer Erregung mit dem Schuh an die Türe. Nach 113 einer Weile öffnete sich die Türe und ich betrat einen dunklen Raum. Ich atmete gierig die kühle Luft ein, taumelte und lehnte mich gegen die Wand. Meine Augen waren geblendet, jetzt übergoß sich mein Gesicht mit Schweiß, ich schloß die Augen und trocknete mit den Händen die Stirn. Langsam unterschied ich im Raum die Wände und ein geschlossenes Fenster. Ich ließ mich an einem Tisch nieder. Eine tiefe Stille herrschte, dann erschien ein Mädchen aus einer Nebenkammer, sie reichte mir Wasser und ein Tuch. Ich wusch mir das Gesicht und kühlte lange meine Hände. Ich verlangte zu trinken – was ich trinken wolle? Bier, Wein, Whisky. – Ich wünschte die Milch einer Kokosnuß, und gierig trank ich das kühle Getränk, das Mädchen beobachtete mich stumm. Ich trank mit Dank ein zweites Mal das gleiche Getränk. Und glücklich sagte ich mir, die Kokosmilch soll von nun an im Port mein schönstes Getränk sein. Ich zahlte einen geringen Preis für die Milch und legte großmütig dreifach zu und gab dem Mädchen dankbar die Hand. Als sie bemerkte, daß ich keinen Hut trug, schenkte sie mir wortlos einen breiten Strohhut. Dankbar blieb ich bei ihr und hörte die Geschichte des Mädchens. Ihr Vater fährt auf einer Linie von Australien nach Neuguinea, der Vater ist westlicher Amerikaner, die Mutter war ein gutes Halbblut.

Warum gut?

Sie war Christin! sagte das Mädchen stolz. Ich sah in ihre Augen, sie hatten eine warme graue Farbe.

Wann kommt der Vater wieder?

Er ist verschollen, flüsterte sie.

114 Verschollen oder nicht. Ich kenne die Linie, auf der Dein Vater fuhr. Dein Vater fuhr zur See auf einem Segler. Gib mir Deine Hand. Wie heißt Du? – Auf einem Segler stand Dein guter Vater und er war westlicher Amerikaner. Dann bist Du Amerikanerin. Einen seltsamen Namen hast Du, solche Namen trägt man hier! Bist Du am Tage immer allein, Daniele?

Sie lächelte, und ich blieb.

Als ich die Stube verließ, war es kühler. Die Sonne stand bleich am westlichen Horizont. Ich ging die Straße weiter nach Süden hinab und kam an ein wildes Buschwerk, hier war das Ende der Niederlassung. Ein ausgefahrener Weg führte weiter nach Süden, ins Innere des Landes. Gewaltsam lenkte ich meine Schritte nach Norden.

 

Am Abend hatte ich Gründe der Entschuldigung, ich trank keine Kokosmilch. Moskitos hatten mich gestochen, es wurde der Grund, viel Whisky an Mogens Seite zu trinken. Im schönsten Trinken, als ein Rausch mich erfaßte, bat mich Mogens um meinen Segler zu einer Partie. Ich brachte ihn zu meinem Segler, er aber wünschte, ohne mich zu segeln. Er nahm sich einen Segeljungen vom Kai mit und ging zum Segler. Ich verließ ihn an der Mole und brachte mich außer Sicht.

Heimlich aber beobachtete ich ihn, er machte lange Anstalten; zog Segel auf, nahm Segel, lief von achtern nach vorn und schalt mit dem Segeljungen. Nach einer Zeit kam er von der Mole los. Die Segel kamen nicht klar im Wind, er manövrierte in der schwachen 115 Seebrise auf dem Fleck. Ich wurde traurig. Mogens, Mogens! Er war wie ein Vogel, der nicht fliegen konnte. Und doch segelte er richtig, er manövrierte sich in den Wind hinein. Plötzlich schoß er über die Mole hinaus. Ich zitterte vor Freude, er segelte in einem sehr kurzen Schlag kunstvoll gegen den Wind. Ausgezeichnet und von Herzen segelte jetzt der Kommandant Mogens.

Zur selben Zeit schob sich eine schnelle Motorjacht in den Hafen hinein, einige trockne und gelbliche Segel hingen an den Masten. Ich drehte der Jacht den Rücken und ging durch den Hafen. Meine Gedanken aber waren bei der Jacht. Gegen meinen Willen ging ich langsam zurück, die Jacht legte gerade an. Ich sah einen großen Mann, der an Land sprang. Er schrie dem Steuermann ein Wort zu. An der Stimme erkannte ich ihn, es war James, mein diebischer Gehilfe.

 


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