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44.

Unter Amors Herrschaft.

Lord Harrlington und Miß Petersen hielten sich nicht lange umschlungen. Letztere machte sich plötzlich hastig aus seinen Armen frei und trat einen Schritt zurück. Dieses Benehmen stach seltsam ab gegen den jubelnden Ruf, der ihr beim Wiedersehen Harrlingtons entschlüpft war.

Wie abwehrend streckte sie die Hände dem Manne entgegen, der schon wieder mit ausgebreiteten Armen auf sie zukommen wollte. Ihr Antlitz ward von einer purpurnen Röte übergossen; tief hob und senkte sich ihr Busen.

»Ellen!« stammelte Harrlington bestürzt. »Hast du kein weiteres Wort der Bewillkommnung für mich? Reut es dich schon wieder, daß ich dir in den Weg getreten bin?«

Ellen antwortete nicht; scheu wich sie seinen Blicken aus. Sie konnte die Augen der Umstehenden nicht auf sich gerichtet sehen. Kurz drehte sie sich um und verließ langsamen Schrittes, den Kopf tief gesenkt, den Platz. Harrlington glaubte, Tränen in ihren Augen gesehen zu haben.

Sofort hatte er sie wieder eingeholt und schlang den Arm um ihre Taille.

»Darf ich dein Leid nicht mit dir teilen?« flüsterte er. »Ach, Ellen, sei endlich offen gegen mich! Laß deinen Stolz fahren! Du machst mich nur unglücklich und zerfleischst dabei dein eigenes Herz auf die grausamste Art. Oder beleidigen dich auch diese Worte wieder?«

Der letzte Satz hatte etwas bitter geklungen.

»Du hast recht, James,« hauchte sie endlich unter Tränen, »ich leide und habe selbst am meisten gelitten unter meinem Trotze. Es soll nun vorüber sein.«

»Ellen!« jubelte Harrlington auf. »Also endlich kann ich dich mein nennen! Zweifelst du noch an meiner Liebe? Weißt du, was ich die letzte Zeit, ich möchte fast sagen, das letzte Jahr ausgestanden habe?«

»Ich weiß es, James, vergib mir! Du hast meinetwegen viel, ach, so viel ausstehen müssen. Ich habe dich beleidigt und mißachtet; ich habe schweren Argwohn gegen dich gehegt und dir die schwersten Kränkungen widerfahren lassen. Wie soll ich das alles wieder gut machen?«

Sie konnten nun die übrige Gesellschaft nicht mehr sehen; sie befanden sich schon in einem Labyrinth von Blöcken und Schutt.

»Auch ich war nicht schuldlos,« entgegnete Harrlington, ihr die Hände auf die Schulter legend und ihr in die gesenkten Augen blickend.

»Nein, nein, ich war allein schuld. Alles, was man mir von dir erzählt hat, war erlogen, und ich habe es sofort geglaubt. Man hat deine Handschrift gefälscht und mir Briefe von dir unterbreitet, und ich habe nur mit Abscheu an dich gedacht. Mein Gott, wie kann ich das wieder gut machen? Darum habe ich solche Angst vor dem Augenblicke gehabt, da ich dich wiederzusehen hoffte. Ich glaubte, vor Scham in den Boden versinken zu müssen.«

»Du tatest es aber nicht, Ellen,« lächelte Harrlington. »Du begegnetest mir so, wie ich es mir oft geträumt hatte. So, wie du vorhin meinen Namen riefst, hast du es noch niemals getan.«

»Es war die Ueberraschung.«

»Nein, es war die Stimme deines Herzens. Ellen, versuche doch nicht, mich und dich abermals zu tauschen! Sollen denn nur diese Täuschungen gar kein Ende nehmen?«

»Ich fühle mich dir gegenüber so beklommen, weil ich dir unrecht getan habe,« lispelte Ellen.

»Gibt es denn gar nichts, wodurch du alles Unrecht mit einem Male sühnen kannst?« fragte Harrlington vorwurfsvoll.

Ellen blickte auf.

»Wie könnte ich das?«

»Wer sein Unrecht gesteht, hat es schon halb gebüßt, in dem Bekenntnis der Wahrheit also liegt die Buße.«

»Die Wahrheit? Nun denn, du sollst sie hören!« sagte Ellen, und Harrlington erschrak, als er die Umwandlung bemerkte, die in ihrem Antlitz vorging.

Die Röte war gewichen und hatte fahler Totenblässe Platz gemacht, dann aber flammte es wieder purpurn auf, und aus den Augen brach plötzlich ein Strahl, der Harrlington bis in das Herz hinein traf. Schon breitete er die Arme aus, denn er dachte, jetzt nahe der ersehnte Moment, da Ellen sich an seine Brust werfen würde, um ihn nicht wieder zu verlassen.

Aber es kam anders.

Plötzlich lag Ellen, das stolze, unbeugsame Mädchen zu Harrlingtons Füßen und umklammerte dessen Knie.

»Du sollst die Wahrheit hören!« rief sie mit erstickter Stimme. »Ich liebe dich, James! Ich liebe dich über alles. Nimm mich hin, aber verzeihe, was ich an dir gesündigt habe.«

Harrlington war bestürzt. Solch einen Gefühlsausbruch hatte er von der sonst kalten Ellen nicht erwartet.

Liebevoll zog er die Kniende, welche sich immer wieder ihm zu Füßen werfen wollte, zu sich empor und küßte die Tränen aus ihren Augen. Ellens ganze Leidenschaftlichkeit, welche sie so standhaft zu verbergen gewußt hatte, brach plötzlich hervor, so ungestüm, wie ein Bergstrom, wenn im Frühjahr der Schnee zu schmelzen beginnt, alle Hindernisse mit sich reißend.

Ellen stürzte an seine Brust, umklammerte mit ihren Armen seinen Hals und hing mit ihren Lippen an seinem Munde. Es war nur ein einziger Kuß, aber ein so langer, daß Harrlington zu ersticken drohte, und doch konnte er sich nicht freimachen, so fest wurde er umstrickt.

»Du tötest mich,« stöhnte er endlich.

»Bist du meiner Liebe nicht gewachsen?« rief das Mädchen unter Weinen und Lachen und drohte ihn abermals mit ihren Liebkosungen zu ersticken.

Lord Harrlington erwiderte die Küsse feurig, doch gesprochen wurde nur wenig.

»Heisa, hier geht es ja lustig her,« ließ sich da eine Stimme vernehmen. »Komm, Betty, hier wollen wir uns ein bißchen hinsetzen. Die zeigen uns, wie es gemacht wird.«

Charles und Miß Thomson hatten sich diesem Platze zufällig genähert, aber weder Ellen noch Harrlington ließen sich durch ihre Ankunft aus der Fassung bringen. Sie wendeten nur den Kopf nach ihnen, ohne sich loszulassen.

»Na, endlich!« lachte Betty. »Das hat lange genug gedauert. Was aber lange währt, wird gut.«

»Sollen wir wieder gehen?« fragte Charles.

»Nein, nein, mein lieber Sir Williams,« rief jetzt Ellen, aber sie errötete doch etwas. »Ich weiß wohl, Sie haben stets gewünscht, daß es so mit uns kommen möge.«

Sie erfaßte Harrlingtons Arm und führte ihn zu den Steinen, wo die beiden neuen Ankömmlinge schon Platz genommen hatten.

Hand in Hand saßen die beiden Paare da und freuten sich ihres Glückes. Welches von beiden war wohl glücklicher? Sie stritten sich nicht darüber, aber jedes glaubte, glücklichere Menschen als sie gäbe es nicht unter der Sonne.

»Dort kommt auch Lord Hastings mit seiner Dulzinea,« rief Charles, »und hinter ihnen Hannes und Hope. Nun sind wir ja so ziemlich alle beisammen, die wir uns immer fröhlich beigestanden haben, es fehlt bloß noch Johanna.«

»Schade, daß sie nicht hier ist!« meinte Ellen bedauernd. »Ich bin aber schon glücklich, daß ich wenigstens zuletzt in Freundschaft von ihr geschieden bin. Unsere Wege werden schon noch einmal zusammenlaufen. Nicht wahr, James, du wärst damit zufrieden, wenn Johanna und ich Freundinnen blieben?«

»Johanna hauptsächlich danke ich ja, daß ich dich jetzt an meiner Seite habe,« entgegnete Harrlington. »Sehe ich sie wieder, so werde ich sie als deine und meine Freundin begrüßen, und kreuzen sich unsere Wege nicht mehr, so werde ich sie stets in treuem Andenken behalten. Sie war es ja, die dich mir zuzuführen suchte, und die meine Ellen wie ihren Augapfel behütete.«

»Ich weiß, ich weiß,« rief Ellen, »und wie habe ich das unschuldige Mädchen verkannt!«

»Nichts mehr davon! Es ist alles vergessen, was hinter uns liegt. Wir wollen uns der Gegenwart freuen und mit frohem Mute in die Zukunft schauen!«

Hastings hatte den Stein erreicht. Er führte oder trug vielmehr Miß Murray, deren Fuß schon so weit genesen war, daß sie langsam, wenn auch noch etwas hinkend, gehen konnte. Ihre zierliche Gestalt verschwand neben dem riesigen Lord.

Beide sahen sofort, was geschehen war. Freudestrahlend beglückwünschte Jessy die Freundin, und Harrlington und Hastings schüttelten sich die Hand mit einem herzhaften Druck, der mehr sagte, als Worte hätten tun können.

»Ende gut, alles gut!« rief Jessy fröhlich. »Wer hatte geglaubt, daß das Schicksal euch hier in dieser Ruine zusammenführen würde?«

»Hat lange genug gedauert,« brummte Hastings, »und dem Schicksal braucht man überhaupt nicht zu danken, es hat nur ...«

»Seine verdammte Pflicht und Schuldigkeit getan, wie mein alter Bootsmann immer sagt,« rief Hannes, der mit Hope im Arme erschienen war.

»Ist hier noch ein Platz für uns zum Sitzen?«

»Verheiratete können wir eigentlich nicht unter uns brauchen,« meinte Williams, »wenn Sie aber versprechen, sich still hinzusetzen und nicht mit Ehestandsregeln herumzuwerfen, so können Sie dort auf dem Steine Platz nehmen.«

»Danke schön!« lachte Hope. »Hannes wird sich hüten, aus der Schule zu plaudern. Sie könnten sonst vom Heiraten abgeschreckt werden, und er wünscht doch so sehr, Leidensgenossen zu bekommen. Ist es nicht so, Hannes?«

»Gott ja, man hat manche Sorge als Ehemann,« entgegnete Hannes schwermütig und kratzte sich hinter den Ohren. »Früher fragte ich den Teufel danach, wie ich mich des Nachts zum Schlafen hinlegte, ein Hausflur war mir manchmal lieber als ein weiches Bett, aber jetzt sind diese schönen Zeiten vorüber. Da heißt es »marsch ins Bett.« Einen eigenen Willen hat man überhaupt nicht mehr, und tanzt man nicht nach der Pfeife, so gibt es – nicht etwa Haue – aber Tränen die schwere Menge, und nichts ist mir entsetzlicher, als wenn ich ein Frauenzimmer meinetwegen heulen sehe.«

»Aber Hannes, wie kannst du nur so sprechen!« rief Hope entrüstet unter dem Lachen der anderen. »Das ist ein ganz unpassender Ton für einen Freiherrn.«

»Ehestandsgeschichten sind hier verboten,« sagte Williams, »und wer nicht gehorchen will, muß unseren Kreis unnachsichtlich verlassen.«

»Aber du mußt dich doch auf die Hochzeit vorbereiten,« lachte Miß Thomson.

»Damit hat es noch lange Zeit, und so lange ich nicht verheiratet bin, will ich mich der Liebe freuen. Es lebe die Liebe! Nicht, Betty?«

»Dann erlauben Sie mir von etwas anderem zu sprechen,« begann Hannes. »Wie steht es denn eigentlich mit der Wette? Ich dachte, die Herren hätten die ›Vesta‹ doch einmal für dreißig Tage aus den Augen gehabt und müßten nun ...«

»Das ist auch wahr,« rief Miß Thomson, sprang auf und klatschte in die Hände, »nun müssen die Herren unter ihrem Namen in die Zeitungen setzen lassen, daß sie von uns auf dem Gebiete des Sports geschlagen worden sind. Hurra, die englischen Sportsleute sind von den amerikanischen Damen besiegt worden!«

»Oho,« ließ sich da Charles vernehmen, »das ist doch ein bißchen viel behauptet.«

»Wieso? Haben Sie die ›Vesta‹ nicht für dreißig Tage verloren?« fragte Miß Murray.

»Und sind Sie nicht von uns besiegt worden?« entgegnete Charles.

»Wir? Daß ich nicht wüßte.«

»So! Miß Thomson hier zum Beispiel hat mir für alle Ewigkeit Treue geschworen und Gehorsam versprochen, sie hat mir hoch und heilig geschworen, keinen eigenen Willen mehr zu besitzen, mir wie eine Sklavin zu gehorchen, und da kann sie ...«

Betty verschloß ihm den Mund und drohte ihm mit dem Finger, aber Charles machte sich wieder frei.

»... kann sie doch nicht von Sieg sprechen,« fuhr er fort.

»Das stimmt,« rief jetzt auch Lord Hastings. »Ganz genau dasselbe hat mir Jessy gesagt, und wenn sie sich als Siegerin aufspielen will, so klingt das etwas übertrieben.«

»Und ich wette, selbst Miß Petersen glaubt nicht mehr daran, daß sie Harrlington gegenüber als Siegerin auftreten kann,« fügte Charles hinzu. »Die Situation, von der ich vorhin zufällig Zeuge wurde, sah gar nicht danach aus, als wenn sie über Lord Harrlington gesiegt hatte und über ihn befehlen wird, denn gewöhnlich tun das doch die Sieger gegenüber den Besiegten.«

Harrlington lächelte, und Ellen errötete. Sie schwiegen und achteten überhaupt wenig auf die Unterhaltung der übrigen, sondern verständigten sich nur durch Blicke und Händedrücke.

»Ich habe mich schön gehütet,« lachte Hope. »Ich werde mich nie dazu verpflichten, einem Manne unbedingten Gehorsam zu leisten. Denn merken sie erst, daß man sich in alles fügt, so haben sie gewonnenes Spiel.«

»Still da!« drohte Charles wieder. »Aufrührerische Reden sind hier ganz und gar verboten. Wir sind die Herren und die Meisterwerke der Schöpfung, Eva ist aus der Rippe Adams gefertigt worden.«

»Ich wollte, ich hätte meine Rippe noch im Leibe,« meinte Hannes.

Jetzt wurde es aber Hope zuviel. Sie verschloß Hannes den Mund und verbot ihm ernstlich, so über ihr Geschlecht zu sprechen.

»Aber allen Ernstes, wie soll es mit der Zeitungs-Annonce werden?« mischte sich jetzt auch Ellen ins Gespräch. »Gewonnen haben wir die Wette doch!«

»Annoncen soll es allerdings geben,« nahm Hastings das Wort, »aber ob diese die Damen als Siegerinnen bezeichnen werden, bezweifle ich doch, ich glaube eher als Besiegte. Anstandshalber müssen wir doch den Unsrigen Verlobungsanzeigen zugehen lassen.«

»Bravo, so ist es recht! Das ist der einzige Weg, wie wir den Damen zeigen können, daß wir gesiegt haben,« riefen die Herren durcheinander. »Die Vestalinnen haben ihren Vorsatz nicht ausführen können, sie sind vom ›Amor‹ besiegt worden.«

»Schade, daß niemand hier ist, der uns photographieren kann,« meinte Hannes.

» Never mind, kann besorgt werden,« rief da über ihnen, von der Terrasse herab, eine Stimme.

»Schade, daß niemand hier ist, der uns photographieren kann,« meinte Hannes. – » Never mind, kann besorgt werden,« rief da über ihnen eine Stimme

Erstaunt blickten die Sitzenden auf und sahen, wie eine ihnen sehr wohlbekannte Erscheinung die Terrasse herunterkletterte. Alles war noch so wie früher: die karrierten Kniehosen, die Wadenstrümpfe, die schottische Mütze, und der Kasten und die Ledermappe hingen noch an derselben Stelle.

»Mister Joungpig!« klang es verwundert in verschiedenen Tonarten.

»Absalom Joungpig, never mind,« rief der Reporter, den Finger an der Mütze, blieb stehen und nahm den Kasten von der Seite.

»Jetzt machen Sie den Mund zu, Miß Petersen, den Kopf etwas mehr nach links; Sie da, junger Mann ohne Bart, die Hände aus den Hosentaschen und den rechten ...«

»Aber wie kommen Sie denn um Gottes willen hierher?« rief Miß Thomson.

»... Fuß mehr auswärts – so – stillgestanden. Fräulein, machen Sie den Mund zu! Eins – zwei – drei! Danke, never mind

Der junge Mann hatte den Apparat funktionieren lassen, hing ihn wieder um und begann den gefährlichen Abstieg von neuem. Die letzte Stufe war so hoch, daß es einen ganz beträchtlichen Sprung gekostet hätte, um den Erdboden zu erreichen.

Immer noch verblüfft betrachteten die Versammelten den Reporter, der jetzt auf der letzten Stufe stand und bedenklich die Tiefe betrachtete.

»Hat jemand zufälligerweise eine Leiter bei sich?« fragte er.

»Hier gibt es keine Leitern,« lachte Hope.

»Dann passen Sie auf, daß ich mir keine Knochen entzweibreche, ich mache Sie dafür verantwortlich,« meinte Youngpig und schickte sich an, den Sprung zu wagen.

»Sie dürfen nicht springen,« rief Jessy erschrocken, »es ist zu hoch. Kehren Sie um!«

»Es ist allerdings etwas hoch, aber ...«

Youngpig sprang, brach zusammen, raffte sich wieder auf und fuhr unbeirrt fort:

»... never mind, ich wagte es doch. Habe ich mir aber etwas gebrochen?« Er befühlte seine Glieder und streckte sie. »Nein, das ist ein Glück, sonst hätte meine Frau schönen Skandal gemacht, wenn ich mit einem ...«

»Wie, Sie sind verheiratet? Davon haben wir ja gar nichts gewußt,« rief Hope.

»... lahmen Beine nach Hause gekommen wäre. Das wußten Sie noch gar nicht, daß ich verheiratet bin? Never mind!, das ist auch gar nicht nötig.«

»Ihr Herr Bruder, Nikolas Sharp, sagte damals, Sie wären unverheiratet.«

»Damals, damals,« entgegnete der Reporter geringschätzend. »Seit damals sind einige Monate verstrichen, und zum Heiraten gebrauche ich nur einen Augenblick. Ich sage einfach ein vernehmliches ›Ja‹ und fertig ist der Bund für Leben und Tod.«

»Bei Ihnen geht alles sehr schnell,« lachte Charles. »Wen haben Sie denn geheiratet, eine Indianerin oder eine Chinesin? Wir sahen uns das letztemal in China.«

»Eine Chinesin? Herr, wollen Sie mich beleidigen? Meine Frau ist eine Vollblutengländerin.«

»So gab sie ihr Jawort wohl telegraphisch?«

»Nein, ich bin hingereist.«

»Um Gottes willen, das war eine kurze Hochzeit.«

»Mister Youngpig braucht zu solchen Geschichten auch nicht lange Zeit,« entgegnete der Reporter, die Hand an der Mütze.

Dann zog er sein Notizbuch hervor und sagte mit einem gewissen Stolze:

»Hören Sie zu, wie ein Reporter, der stets reisefertig und überall zu Hause ist, heiratet.«

Die Anwesenden amüsierten sich köstlich über den jungen Mann. Was er aber vorlas, das überstieg denn doch noch ihre Erwartung.

»Ich reiste mit dem ›Gladiator‹ nach London und erreichte es am 4. April. – Passen Sie auf, wie gut ich diesen Tag auszunutzen verstand! – 11 Uhr 37 Minuten in London angekommen, 11 Uhr 49 Minuten auf dem Standesamt angemeldet, 12 Uhr 14 Minuten in der Privat-Wohnung getraut, 12 Uhr 15 Minuten Lizzy – das ist meine Frau – genas eines kräftigen Jungen, 12 Uhr 32 Minuten, das Kind wurde auf den Namen Oskar getauft. 12 Uhr 33 Minuten bis 1 Uhr Hochzeits- und Kindtaufsessen, dann Abschied. 1 Uhr 30 Minuten: Abfahrt mit dem englischen Dampfer ›Queen Elizabeth‹ nach New-Orleans.«

Der Reporter klappte sein Notizbuch zu und sah sich stolz im Kreise um.

»Gott bewahre mich,« sagte Charles, der einzige, der nach längerer Pause die Sprache endlich wiederfand, »das hat sich doch nicht alles in einem Tage abgespielt?«

»Gewiß, an ein und demselben Tage. Ist das etwa unmöglich?«

»In 1 Stunde 53 Minuten?«

»Allerdings, und dabei hatte ich noch Zeit, alle Briefe nach dem abgehenden Schiffe beordern zu lassen, die ich mitnehmen sollte.«

»Mister Youngpig, Sie belieben zu scherzen! Sie hätten in anderthalb Stunden geheiratet, ein Kind bekommen und dieses taufen lassen?«

»Ich habe kein Kind bekommen, aber meine Frau – never mind das, es ist wirklich so. Und bin ich nicht ein pflichtbewußter Vater? Ich wollte Oskar nicht unehelich das Licht der Welt erblicken lassen und beeilte mich daher so, daß ich gerade noch vor Torschluß kam. War das nicht gewissenhaft von mir gehandelt?«

»Schön ist es aber nicht, wenn die Kindtaufe sogleich nach der Hochzeit fällt,« meinte jetzt Hope lächelnd, die sich von ihrem Erstaunen erholt hatte und an der Wahrheit der Erzählung dieses exzentrischen Menschen nicht mehr zweifelte.

»Ihnen mag es nicht schön erscheinen, meinem Sohn Oskar ist dies aber ganz never mind

»Was sagt denn nun Mistreß Youngpig dazu?«

»Die freute sich sehr, daß ich zu einer so passenden Zeit kam. Aber auf Ehre, meine Herrschaften, es war auch die höchste Zeit! Der Hochzeitsschmaus verlief sehr lustig, das zweite Gericht bildete das Kindtaufsessen, dann photographierte ich Frau und Kind, nahm einen herzlichen Abschied, nur auf einige Monate, und bin jetzt hier, um meine letzte Mission in fremden Diensten zu verrichten. Ueberdies erlaube ich mir die Bemerkung, daß meine Frau nicht Mistreß Youngpig, sondern Mistreß Lind heißt.«

Man wußte schon, daß der Reporter der Bruder des Detektiven Sharp sei, also auch der Johannas. Alle Familienmitglieder schienen andere Namen angenommen zu haben, vielleicht mit Ausnahme der letzteren. Ihre Berufstätigkeit brachte dies mit sich.

»Was sagte denn Ihr Bruder dazu?«

»In dessen Auftrage bin ich noch einmal hierhergekommen, dann mache ich mich selbständig,« antwortete Youngpig stolz.

»Sie haben Briefe mit? Für wen?« fragte Miß Petersen, wurde aber unterbrochen.

»Youngpig, bist du endlich da?« rief Sharp, der zu der Gruppe trat. »Ich erwartete dich schon gestern.«

» Never mind, konnte nicht eher kommen.«

Die beiden Männer gaben sich einfach die Hand.

»Alles in Ordnung?«

»Alles.«

»Junge oder Mädchen?«

»Junge.«

Wieder schüttelten sich beide die Hände.

»Hast aber verdammt lange Zeit gebraucht, dich zu verheiraten. Ziemlich acht Monate! Du lieber Himmel, in der Zeit heirate ich zwanzigmal und lasse mich ebenso oft wieder scheiden.«

»Machen Sie, daß Sie fortkommen,« schrie Charles, »Sie sind der Wolf unter der Schafherde. Gehen Sie, gehen Sie, wir wollen keine Entschuldigungen hören!«

Sharp lächelte, ließ den Blick über die kleine Gesellschaft gleiten, ihn lange auf Harrlington und Ellen haften, rieb sich mit dem Finger über die Oberlippe, als wolle er ein Lächeln nicht merken lassen, und sagte dann, zu Youngpig gewandt:

»Komm, Absalom, in solche Gesellschaft passe ich nicht, ich werde in derselben verlegen und weiß mich nicht zu benehmen.«

Beide verloren sich zwischen den Felsblöcken, Charles aber rief ihnen nach:

»Ja, Ihre Rollen haben Sie bei mir ausgespielt. Suchen Sie sich nur einen anderen Freund, Sie schüchterner Mensch. Weiß Gott,« fuhr er zu den übrigen fort, »so gern ich in der Gesellschaft Nick Sharps bin, manchmal könnte ich ihn vergiften. Zu gewissen Zeiten kann er auf Menschen wie ein eiskaltes Sturzbad wirken.«

Die anderen lachten und blieben noch einige Zeit in gemütlichem, teils offenem, teils leisem Zwiegespräch sitzen.

»Wie lange wird unser Aufenthalt hier noch dauern?« fragte Miß Thomson leise ihren Geliebten, aber deutlich genug, daß auch die anderen sie verstehen konnten.

Es war eine geheime Frage, die allen fortwährend auf der Zunge lag.

»Bis du gesund bist, Schatz,« entgegnete Charles.

»Es läßt sich ja auch hier ganz gemütlich leben. Einen besseren Kurort findest du nirgends. Aber dann, Betty, dann binden uns keine Rücksichten mehr, wir fahren direkt nach England und betreiben alles mit der größten Eile.«

»Aber nicht so schnell, wie Mister Youngpig,« flüsterte Betty lächelnd.

»Du wirst von den Meinen mit offenen Armen aufgenommen werden,« sagte auf der anderen Seite Harrlington seiner endlich errungenen Braut ins Ohr. »Noch ehe wir in England ankommen, ist Schloß Ailesbury, das Stammschloß meiner Väter, für uns beide eingerichtet. Zwischen seinen Mauern sollst du erst ganz erkennen, wie innig meine Liebe zu dir ist!«

»Und wie heiß die meine sein kann,« flüsterte Ellen mit einem Händedruck zurück. »Du hast mich besiegt, James. Es war ein heißer Kampf, aber der Preis, welchen du davongetragen hast, wird dich deine Wunden bald vergessen lassen.«

»Wenn Richard Löwenherz erst immer bei mir ist,« koste Miß Murray mit Lord Hastings, »wird mich so leicht kein Stein zum Straucheln bringen. Wie gut, daß es keine Drachen und andere Ungeheuer mehr gibt, sonst würdest du den Kampf gegen sie aufnehmen, und ich wüßte dich in Gefahr. Es ist doch besser so.«

»Doch! Ich werde gegen sie kämpfen, sie besiegen und dich befreien,« entgegnete Lord Hastings.

»Von Schlangen und Ungeheuern willst du mich befreien?« lächelte Jessy, welche den Sinn seiner Worte nicht verstand.

»Gewiß, von Schlangen und Ungeheuern,« wiederholte Lord Hastings ernsthaft. »Sorge und Kummer heißen diese Ungeheuer, welche sich von keinen Mauern abhalten lassen, und wären es goldene, ja, gerade die von solchen Beschützten suchen sie mit Vorliebe auf und zeigen ihnen, daß sie nirgends mehr Macht haben über die Menschen, als wenn sie sich in Sicherheit und Ueberfluß wähnen. Aber vor mir werden sie fliehen; ich werde sie töten, und bin ich dessen nicht fähig, versagt meine Kraft, so werde ich ihnen die giftige Spitze abbrechen oder mit dir unterliegen.«

»Deine Kraft wird nicht versagen. Wo du bist, sollen weder Kummer noch Sorge mir etwas anhaben können,« flüsterte Jessy, sich an ihn schmiegend.

»Und was hast du mir zu sagen, Hannes?« wandte sich Hope an ihren jungen Gatten. »Bist du nicht auch so poetisch beanlagt, mir in blumenreicher Sprache deine Liebe zu verstehen zu geben? Früher tatest du es manchmal.«

»Früher? Nun ja, wenn ich ein paar Gläschen Grog getrunken habe, kann ich recht hübsche Verschen machen, dann fehlt es mir niemals an Reimen, desto mehr, wenn ich nüchtern bin.«

»Ach pfui! Wie kannst du so sprechen? In meiner Gegenwart solltest du nie nüchtern sein.«

»Na nu, ich kann doch deinetwegen kein Trunkenbold werden.«

»Du verstehst mich nicht. Ich meine, du sollst in meiner Gegenwart nicht nüchtern, sondern poetisch, schwärmerisch sein.«

»Hol's der Henker, ich habe Hunger, da fühle ich mich stets nüchtern,« sagte Hannes. »Du paßt besser zum Dichten und Schwärmen als ich, kannst mich nachher etwas anschwärmen, erst aber sorge für eine reichhaltige und nahrhafte Mahlzeit.«

»Du behandelst mich wie deine Sklavin,« schmollte Hope.

»Ich bin auch dein Herr und Gebieter,« entgegnete Hannes lachend und stand auf.

»Ich habe nie versprochen, dir unbedingt gehorsam zu sein.«

»Das verlange ich aber.«

»Ich tue es aber nicht.«

»Das will ich sehen. Gehe voraus und besorge mein Essen!«

»Gehe du allein, ich bleibe!«

»Gut!«

Hannes ging, und Hope blieb. Erstaunt blickte die Gesellschaft die beiden an. War das Ernst? Sie hatten bisher geglaubt, Hannes und Hope lebten sehr glücklich zusammen.

Hannes war ihnen noch nicht aus dem Auge entschwunden, als ihm der Reporter, den Finger an der Mütze, entgegentrat.

»Sind Sie der Herr, welcher sich Freiherr Johannes von Schwarzburg nennt?« fragte er.

»Ich nenne mich nicht so, sondern ich werde so genannt,« entgegnete Hannes. »Was gibt es?«

»Einen Brief.«

Der Reporter brachte aus der Ledertasche ein versiegeltes Schreiben zum Vorschein.

»Woher?«

»Es war bekannt, daß ich von London aus zu Ihnen stoßen würde, und so ging mir dieses Schreiben von Deutschland aus nach einem amerikanischen Hafen meines Schiffes zu.«

»Ich danke Ihnen.«

Hannes war stehen geblieben und wollte den Brief öffnen.

Da stand plötzlich Hope neben ihm.

»Tu's nicht, Hannes, ich bitte dich.«

»Was soll ich nicht tun?« fragte Hannes erstaunt.

»Oeffne nicht den Brief, ich weiß nicht, in mir steigt plötzlich eine furchtbare Ahnung auf.«

»Aber, liebe Hope, ich muß ihn doch einmal lesen, was kann Fürchterliches darin stehen?«

Er riß ihn auf, Hope erbebte plötzlich an allen Gliedern, sie mußte sich auf seinen Arm stützen, um sich aufrecht erhalten zu können.

Hannes' Augen vergrößerten sich, als er den Brief las. Er murmelte etwas durch die Zähne, zog die Brauen finster zusammen, dann aber schüttelte er verächtlich den Kopf und brach in ein spöttisches Lachen aus.

»Sehr gut,« rief er mit ungeheuchelter Lustigkeit, »hier, Hope, lies es! Du mußt es doch zu erfahren bekommen.«

Hope nahm mit zitternden Händen den Brief. Ihre Augen wurden starr. Das Papier bebte heftig zwischen ihren Fingern, und als sie den Brief gelesen hatte, warf sie sich weinend und schluchzend an die Brust ihres Mannes.

Hannes schien verwundert und sagte eher vorwurfsvoll, als bedauernd:

»Aber, Hope, wie kannst du dir dies so zu Herzen nehmen?«

»Ich weine um dich, nicht um mich,« schluchzte Hope. »Ach, du armer Mann, was für eine Enttäuschung hast du auszustehen!«

»Ich, Hope? Um mich brauchst du wirklich nicht zu weinen, ich machte mir keinen Pfifferling daraus, wenn – wenn ...«

Hope hob das Köpfchen und blickte Hannes mit tränenverschleierten Augen an.

»Wenn was, Hannes?«

»Wenn ich wüßte, daß meine Hope mich deshalb ebenso lieb hatte, wie früher,« sagte Hannes leise.

»O, Hannes, wie kannst du so grausam sprechen?« rief Hope und warf sich von neuem an seinen Hals. »Weißt du nicht, daß ich dich erst unter anderen Verhältnissen liebte? Ich schäme mich, davon zu sprechen, weil ich mich damals oft so hochmütig benahm und dich oft beleidigte, allerdings, ohne es zu wollen. Und nun kannst du auch nur wähnen, ich würde anders denken oder handeln, weil du wieder der bist, der du früher warst? Nein, Hannes, du solltest mich doch besser kennen.«

Hannes hatte Hope innig an sich gezogen. Er schien weder betrübt noch unwillig über die Nachricht, welche er empfangen hatte, sein Gesicht strahlte vor Freude.

»Hat meine Hope nicht vorhin gesagt, sie würde sich meinem Willen nie beugen, sie wäre meine Sklavin nicht?« scherzte er.

Doch Hope schien diese Worte für Ernst zu nehmen; erschrocken blickte sie auf.

»Um Gottes willen, Hannes, das ist doch nicht dein Ernst? Nun ja, ich habe nie geschworen, wie so viele andere Mädchen, meinem Manne gehorsam zu sein bis in den Tod oder ihm eine Sklavin zu werden, aber wohin du gehst, dahin will ich auch gehen. Freud und Leid will ich mit dir teilen und tragen. Bist du traurig, so will ich dich erheitern, und kannst du nicht für dich noch für mich sorgen, so will ich es tun, so lange meine Kräfte reichen, und wenn du es auch nicht von mir haben wolltest, ich würde es doch tun. Insofern gehorche ich dir nicht unbedingt.«

»Das wußte ich von meiner Hope,« sagte Hannes mit Tränen im Auge.

Hope war schon wieder heiterer Laune.

»Hast du bemerkt, wie die vorhin erstaunt guckten, als ich dich allein fortgehen ließ?« fragte sie.

»Ja, sie glaubten, wir hätten uns gezankt, und schlossen daraus, daß so etwas öfters zwischen uns vorkäme.«

»Ach, diese Dummen! Weißt du, was ich getan hätte, nachdem du fortgegangen wärst?«

»Ich glaube, ich weiß es.«

»Nun?«

»Du wärest auf einem anderen Wege vorausgelaufen und hättest mir alles fertiggemacht.«

»Richtig geraten,« lachte Hope, ihren Mann wieder küssend. »Laß andere denken, was sie wollen, wenn sie sich nur irren.«

Dann wurde Hope wieder nachdenkend und traurig.

»Ach, Hannes, da fällt mir etwas ein, was mich recht verstimmt. Was soll denn nun aus der ›Hoffnung‹ werden?«

»Die gehört nun freilich nicht mehr uns, wir dürfen nicht einmal mehr über sie verfügen.«

»Wir fahren aber doch wenigstens auf ihr nach Hause?«

»Ich glaube kaum. Ich möchte überhaupt nicht mehr ihre Planken betreten und auch nicht mehr nach Deutschland zurückkehren.«

»Die schöne ›Hoffnung‹,« seufzte Hope, »mein Schiff tut mir am meisten leid.«

»Es kann aber nichts helfen, wir müssen sie zurückschicken oder verkaufen.«

»Ich kalkuliere, das ist nicht nötig,« rief eine Stimme, und hinter dem Felsen kam Nick Sharp hervor. »Was schwatzt ihr beiden Erbschleicher da von Sorge, Leid und Verkaufen? Hope und Hannes, ihr seid die reinsten Schoßkinder des Glücks, mit euch spiele ich einmal in der Lotterie.«


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