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13.

Raubmord.

Durch den Engpaß, welcher die Sierra Madre, einen Teil des Felsengebirges, unterbricht und dadurch Neu-Mexiko mit Kolorado verbindet, bewegten sich drei Reiter. Zwei von ihnen ritten nebeneinander. Ihre kräftigen Pferde hatten nichts weiter als ihre Herren und deren Felleisen zu tragen, während der dritte, ein riesiger Schwarzer, noch allerlei Gepäck auf seinen knochigen Gaul geschnallt hatte. Außerdem trieb er vor sich noch ein Maultier, welches an jeder Seite einen Koffer vom Rücken herabhängen hatte.

Die Reiter waren Kapitän Hoffmann und Kirkholm, mit des ersteren Diener Cäsar, beide auf dem Wege nach Kolorado.

Kirkholm hatte sich für einen Handelsmann ausgegeben, der in der Nahe von Cayenne Geschäfte abzuschließen habe, und war von Kapitän Hoffmann gern als Reisebegleiter angenommen worden.

Von der Station, in welcher sie die Pacificbahn verlassen, hatten sie die regelmäßige Postverbindung benutzt, mit welcher sie innerhalb vier Tagen nach Santa Fé gekommen waren.

Hier aber hätten sie wenigstens drei Tage warten müssen, ehe die Post weiter nördlich ging. Der Weg, den sie durch das Gebirge zu fahren hat, ist überdies schrecklich zerklüftet, steil, jäh abfallend und halsbrecherisch, besonders in einem schlechten Postwagen mit einem rücksichtslosen Kutscher, und so hatte Hoffmann vorgeschlagen, diesen Weg auf Pferden und ohne weitere Begleitung zurückzulegen.

Kirkholm ließ sich die Freude nicht merken, die ihn bei diesem Vorschlag beseelte. Endlich also konnte er einmal mit diesem Manne allein sein, denn die Postkutsche wäre stets mit Passagieren besetzt gewesen, wodurch nicht nur jeder Plan, sondern auch fast jede intimere Unterhaltung unmöglich wurde.

Was er tun mußte, wußte Kirkholm noch nicht; die Hauptsache war, daß er erst einmal mit seinem Nebenbuhler allein war. Eine Gelegenheit zur Ausführung der finsteren Pläne würde sich schon finden, und je länger Kirkholm in der Gesellschaft Hoffmanns war, mit desto furchtbarerer Entschlossenheit grub sich der Vorsatz in seinem Herzen ein, allein das Ziel dieser Reise zu erreichen.

Cäsar war zwar ebenfalls mitgekommen, aber das durfte ihn nicht hindern – der Schwarze mußte eben seinem Herrn in die Ewigkeit nachgeschickt werden.

Die Pferde waren bald von dem in alle Verhältnisse des Weges eingeweihten Hoffmann besorgt worden, und noch vor Tagesanbruch verließ die kleine Karawane Santa Fé, um auf eigene Faust das Gebirge zu durchqueren.

Wild türmten sich zu beiden Seiten des Pfades die Felsmassen auf; grundlose Spalten gähnten zu den Füßen der Reisenden; Wasserfälle stürzten rauschend von hoch oben herab, das zerstäubende Wasser benetzte noch die Gesichter der Wanderer, und schwankende Stege, eben stark genug, um die Postkutsche tragen zu können, führten über grausenerregende Schluchten. Es waren jene wildromantischen Bilder, an denen der Westen Nordamerikas so überaus reich ist, Szenerien, bei deren Anblick der Reisende bald mit Schauer, bald mit Bewunderung erfüllt wird, während er sich selbst unendlich klein vorkommt.

Stunde auf Stunde verging; aber noch immer ritten die beiden Reisenden wortlos nebeneinander. Kirkholm war ganz in Gedanken versunken, nur mit seinem Vorhaben beschäftigt, ohne die Landschaft zu beachten, während Hoffmann völlig in Betrachtung derselben versunken zu sein schien. Ja, als Cäsar hinter ihnen einmal ein lustiges Lied zu pfeifen anfing, verbot er ihm dies streng. Die Gassenhauer entweihten dies schöpferische Kunstwerk Gottes.

Endlich mußte Kirkholm das Schweigen doch brechen; er hielt es nicht länger aus.

»Werden wir diese Nacht in einer Poststation bleiben?« fragte er.

Hoffmann war zu höflich, um auf eine Unterhaltung seines Gefährten nicht einzugehen, er riß sich von der Bewunderung der Naturschönheiten los.

»Es kommt darauf an, ob Sie Bequemlichkeit der Romantik vorziehen,« sagte er und wandte das lächelnde Gesicht Kirkholm zu.

»Ich füge mich Ihrem Vorschlag.«

»Wir haben die Wahl, in einer dumpfigen, zugigen Poststation zu bleiben, wo wir die Nacht auf Bärenfellen und vielleicht in Gesellschaft von rohen, trinkenden und rauchenden Menschen verbringen, oder in einem kleinen Blockhaus, zwar nur auf einem selbstbereiteten Blätterlager, vielleicht auch nur in unsere Decken gehüllt, auf ebener Erde, aber allein und inmitten der herrlichsten Natur. Am nächsten Morgen könnten wir als einzige Zuschauer den prächtigsten Sonnenaufgang genießen.«

Kirkholm horchte auf, Hoffmann kam ihm entgegen.

»Letzteres wäre Ihr Wunsch?«

»Ja, ich ziehe das einsame Blockhaus der Station vor, wenn Sie damit einverstanden sind. Wie Sie wissen, habe ich mich in Santa Fé genügend verproviantiert, ich brauchte überhaupt nirgends einzukehren, sondern bin mit allem Nötigen versehen.«

»Ich bin gern dabei, mich Ihnen anzuschließen, wenn Sie auch mir Ihren Proviant zur Verfügung stellen; ich bin mit wenigem zufrieden,« lächelte Kirkholm. »Wo ist dieses Blockhaus gelegen?«

»Abseits vom Wege; aber nur wenigen ist der Pfad bekannt, der zu ihm führt. Am Nachmittag müssen wir einige Stunden schneller reiten, dadurch passieren wir die Poststation noch vor Sonnenuntergang. Wir reiten an dieser vorüber und begeben uns nach der Blockhütte, wo wir Abendbrot essen und eine herrliche Nacht und einen noch herrlicheren Morgen genießen werden.«

»Und Cäsar kommt mit?«

»Nein, er bleibt auf der Poststation. So gern ich auch sonst den braven und treuen Burschen um mich habe, in solchen Fallen bin ich lieber allein oder in Gesellschaft einer Person, deren Gemüt gleicher Empfindungen fähig ist, wie das meine. Cäsar ist ein prosaischer Mensch, er zieht in kalter Nacht einen heißen Grog der schönsten Natur vor. Wir versehen uns in der Station mit allem, was wir brauchen, und reiten dem Blockhaus zu.«

»Wie weit ist es von der Station?«

»Noch zwei Stunden. Sind Sie schwindelfrei? Sonst dürfte ich Sie nicht zur Begleitung auffordern.«

»Ich habe Schwindel nie gekannt. Warum fragen Sie das? Ist der Weg gefährlich?«

»Allerdings, sehr, wenn wir keine Gebirgspferde und keine schwindelfreien Köpfe haben. Der ganze Weg führt auf einem kaum meterbreiten Grat entlang, zu dessen beiden Seiten grundlose Tiefen gähnen. Das Blockhaus liegt auf einem Vorsprung, es ist einst von Jägern erbaut worden.«

»Und dann reiten wir nach der Station zurück und nehmen den alten Weg auf?«

»Nein. Der Grat führt noch einige Stunden fort, dann aber stößt er wieder auf die Poststraße. Gegen Mittag würden wir diese wieder erreichen.«

»So treffen wir also dort wieder mit Ihrem Diener zusammen?«

»Auch nicht; so lange mag ich Cäsar nicht vermissen, denn er führt sehr wertvolles Gepäck bei sich. In der Station ist er während der Nacht gut aufgehoben, aber gerade von der Station aus wird die Poststraße sehr unsicher, es kommen sehr oft räuberische Ueberfälle vor. Er reitet des Morgens nach der Blockhütte, wo wir ihn erwarten. Auf dem schmalen Grat ist sein Leben nicht gefährdet; eine Begegnung mit einem Feinde auf ihm braucht der kräftige Schwarze nicht zu fürchten, und eine Kugel aus dem Hinterhalt hat keinen Zweck, denn sie wirft den Getroffenen samt seinen Schätzen bedingungslos in die unzugängliche Felsschlucht, die Beute ginge den Räubern daher verloren. Sind Sie also mit meinem Vorschlage einverstanden?«

Kirkholm war es.

Sein Herz pochte ungestüm; er fürchtete fast, er könnte seine Freude dem Manne an seiner Seite verraten.

Hätte er es bester treffen können?

Zwar hatte Hoffmann noch durch kein Wort verraten, daß er sich auf dem Wege nach Miß Murrays Plantage befand, um dort eine Erbschaft anzutreten, aber Kirkholm war fest davon überzeugt, und selbst wenn er nur eine Ahnung davon gehabt hätte, hätte dieser Mann sterben müssen.

War es nicht möglich, sich zugleich des Geheimnisses zu bemächtigen, welches Hoffmann auf der Brust trug, dessen Besitz ihm Millionen einbrachte? Sie schliefen beide allein in einem einsamen Blockhause, weit abgelegen von der Verkehrsstraße, von jedem menschlichen Wesen! Wie leicht war es dort, dem ahnungslos Schlafenden einen Schuß beizubringen, ihm das Geheimnis abzunehmen und ihn dann in die Schlucht zu stürzen. Und Cäsar? Bah, was galt des Negers Leben, der Kirkholms Ansicht nach überhaupt kein Mensch war?

Wild jagten die Pulse des jungen Verbrechers; sein Entschluß stand jetzt bei ihm felsenfest.

Die Mittagsstunden verbrachten die beiden lang hingestreckt unter dem Schatten eines alten Baumes. Die Landstraße war wie ausgestorben; nur ein einziges Mal waren sie einem Wagen mit vier Pferden begegnet, der Reisende beförderte, sonst keinem menschlichen Wesen.

Cäsar bediente die Herren, und es zeigte sich, daß Hoffmann auf solchen Reisen nicht schlecht zu speisen gewöhnt war. Der Neger brachte aus den geheimnisvollen Tiefen des Mantelsackes immer neue Delikatessen hervor, denen die beiden volle Würdigkeit angedeihen ließen; gebratenes Wildbret und Geflügel, Pasteten und eine Flasche französischen Rotweins – besser konnte man in einem Hotel ersten Ranges nicht dinieren, als hier inmitten eines unwirtlichen Gebirges.

Kapitän Hoffmann war nicht schwatzhaft, aber er wußte nicht, warum er nicht mit jemandem über etwas plaudern sollte, was diesen eigentlich nichts anging. Er war ja ein Deutscher und kein Yankee, der alles, was seine Person betrifft, in tiefes Geheimnis hüllt. Der Wein löst überdies die Zunge.

Der schlaue Kirkholm merkte das, und geschickt wußte er das Gespräch auf den Zweck von Hoffmanns Reise in diese Gegend zu bringen. Es war das erstemal, daß dieses Thema von ihm berührt wurde, und Hoffmann ging darauf ein.

Mit angehaltenem Atem lauschte der junge Mann, als sein freundlicher Wirt ihm unverhohlen erzählte, daß er wegen Regelung einer Erbschaft in Kolorado zu tun habe. Ob er schon von den Vestalinnen gehört habe. Ja? Nun, dann wisse er wohl auch, daß alle diese Damen ihren Uebermut mit dem Leben gebüßt hätten; die ›Vesta‹ sei untergegangen, und die amtlichen Berichte hätten den Tod der Damen bestätigt.

Er, Hoffmann sei mit einer dieser Damen verwandt, mit einer gewissen Miß Murray; ihr Besitztum stamme von Altascarez ab, und kraft einer alten Urkunde müsse dieses stets wieder an die Familie der Altascarez oder deren direkten Nachkommen zurückfallen; Miß Murray könne überhaupt kein Testament aufsetzen, oder wenn sie es täte, so hätte ein solches überhaupt keine Gültigkeit, so lange ein Blutsverwandter der Altascarez existiere. Er, Hoffmann, sei ein solcher, und er sei nicht geneigt, den Stammsitz seines Großvaters in andere Hände kommen zu lassen.

»Man hat mir schon gesagt,« schloß der Erzähler, »es existiere noch ein anderer Verwandter von Miß Murray, aber ich kenne ihn ebensowenig, wie ich Miß Murray gekannt habe, obgleich ich mit ihr zusammengetroffen bin. Es gibt eben viele Familien mit dem Namen Murray. Ob diese Verwandten nun Ansprüche machen oder nicht, ist mir gleichgültig, sie sind unberechtigt, ja, selbst ein Testament von Miß Murray zu seinen Gunsten wäre ungültig, so lange ich lebe. So viel habe ich aus sicherer Quelle erfahren. Miß Murray wird von diesen Bestimmungen wenig Ahnung gehabt haben; sie soll sich mit derartigen Geschäften nie befaßt, sondern alles ihrem Rechtsanwalt überlassen haben.«

Hoffmanns Tod war nun erst recht beschlossen; während er seinem Gaste das Glas vollschenkte, überlegte dieser kaltblütig, wie er ihn am leichtesten aus dem Wege räumen könnte, ohne der Anklage des Mordes ausgesetzt zu werden.

Am Nachmittage wurden die Pferde öfters zu einem Trabe genötigt, und die Folge davon war, daß man noch weit vor Sonnenuntergang die Poststation erreichte.

Hoffmann ließ sich von Cäsar den Mantelsack hinten aufs Pferd schnallen; der Schwarze blieb zurück, und die beiden Weißen ritten weiter.

Als Kirkholm an der Station vorüberkam, aus deren Fenstern mehrere Männer sahen, wandte er sein Gesicht zur Seite und betrachtete angelegentlichst die Landschaft zur linken. Er wünschte nicht, daß sein Gesicht zu genau beobachtet würde.

Doch im Westen Amerikas wird wegen des Verschwindens einer Person wenig Aufhebens gemacht. Steht nicht eine hohe Belohnung auf der Entdeckung des Mörders, und zwar ausgesetzt von einem Verwandten oder Bekannten, so kümmert sich kein Mensch um die Sühne, nicht einmal die Polizei. Amerika ist das Land des Selbstschutzes. Wer sein Leben nicht verteidigen kann, ist nicht wert, daß er es hat. Ueberall lauert hier der gewaltsame Tod: auf der Landstraße, auf der Eisenbahn, im eigenen Hause. Der Morde sind so unzählige, daß sie nur wenig Beachtung finden.

»Hier ist der Weg,« sagte Hoffmann zu seinem Begleiter und deutete zur Rechten auf einen schmalen Pfad, der von der Landstraße abzweigte, aber sofort in einem Felsen zu enden schien.

»Führt er denn weiter?« fragte Kirkholm verwundert.

»Nicht wahr,« lachte Hoffmann, »es sieht gerade aus, als ob er gleich wieder aufhörte? Wie Sie an dem Felsgeröll sehen werden, ist es auch kein richtiger Weg, sondern durch ein Spiel des Zufalls erzeugt. Hier ist einmal ein Felsen abgestürzt und dadurch die Oeffnung entstanden. Kommen Sie, bald erreichen wir den Grat.«

Es zeigte sich, daß der Weg allerdings eine Fortsetzung hatte.

Man konnte um die Steinwand biegen und befand sich mit einem Male in einem Felsenkessel, durch den ein meterbreiter Grat führte; zu beiden Seiten öffnete sich ein schwindelnder Spalt, und dieser wurde wieder von himmelhohen Bergen eingefaßt.

»Geben Sie die Zügel frei,« sagte Hoffmann, als er sein Pferd zuerst auf diesen schmalen Weg lenkte, »es geht so sicherer. Seien Sie unbesorgt, diese Pferde sind im Gebirge geboren, ihr Tritt ist ganz sicher, solange sie sich selbst überlassen bleiben.«

Schaudernd blickte Kirkholm in die Tiefe und dann wieder auf den Vorreiter, der so ahnungslos seinem Tode entgegenritt. Schon hier hätte der Schurke mit Leichtigkeit seinen Zweck erreichen können, es wäre nicht einmal nötig gewesen, den Revolver loszudrücken; er hätte nur das Roß vor ihm durch einen Hieb zu reizen brauchen, und es rollte mit seinem Reiter in den Abgrund.

Aber das Geheimnis auf der Brust wäre dann mit verloren; in diese Schlucht gab es keinen Abstieg.

Nein, nur Geduld; in der Hütte war bessere Gelegenheit dazu.

»Geben Sie acht auf den morgenden Sonnenaufgang,« plauderte Hoffmann weiter, »er wird großartig; wir bekommen einen schönen Tag. Wir haben nicht einmal nötig, zeitig aufzustehen, denn es dauert lange, ehe die Sonne den Gipfel der Berge erklommen hat. Nie habe ich ein herrlicheres Schauspiel gesehen, als wenn die Bergspitzen in der Morgensonne in goldenem Glanze strahlen.«

»Waren Sie schon öfters hier und haben diesem Schauspiel beigewohnt?«

»Nur ein einziges Mal, vor vielen Jahren, aber immer hat es mich verlangt, mich noch einmal diesem Genusse hingeben zu können.«

»Wird das Blockhaus auch noch stehen?«

»Erst vor wenigen Monaten erzählte mir ein Freund, der diesen geheimen Weg auch kennt, daß er es vorgefunden hätte. Hier im Gebirge zerstört man überhaupt nicht so leicht etwas, was dem Reisenden zum Schutze oder zur Bequemlichkeit dient.«

Kirkholms letzte Besorgnis schwand.

Dem Sonnenuntergang hatte man nicht beiwohnen können, der feurige Ball war schon hinter den Bergen verschwunden, ehe man diesen Weg betrat. Aber es blieb noch lange hell; denn so lange die Sonne nicht wirklich unter dem Horizonte verschwunden war, wurde die Gegend noch immer vom Licht übergossen.

Nach zwei Stunden erblickte man in der Ferne auf dem Grate einen dunklen Punkt. Es war die Blockhütte. Da, wo sie stand, verbreiterte sich der Weg, so daß er an der einen Seite die Felswand berührte, und an diese Steinmauer lehnte sich das aus Brettern aufgeführte Häuschen.

Vor ihm und zu beiden Seiten tat sich aber noch immer der bodenlose Abgrund auf. Das Plateau war zehn Meter im Quadrat, also vollkommen groß genug, um auch die Pferde aufzunehmen. Aus Ritzen an dem Felsen wuchs sogar genügend Gras hervor, daß die Tiere Futter fanden; es wäre also gar nicht nötig gewesen, daß Hoffmann für dieselben Hafer mitnahm.

Die beiden Reiter sprangen von den Pferden und betraten, die Tiere sich selbst überlastend, die Hütte.

Sie war nur klein und enthielt nichts weiter, als eine rohgezimmerte Bank und einen Tisch. Es mußte große Mühe gekostet haben, das zum Bau nötige Holz hierherzuschleppen. Wahrscheinlich hatte hier einst ein äußerst menschenscheues Wesen seine Wohnung aufgeschlagen, um sein Leben in Gesellschaft von Geiern und Adlern zu verbringen.

»Jetzt wollen wir uns erst gemütlich ausruhen,« meinte Hoffmann, öffnete sein Felleisen und zog ein Paket Lichter hervor, von denen er zwei anzündete, denn in der Hütte war es bereits dunkel. Darauf brachte er aus demselben Sack noch eine Menge von appetitlichen Sachen hervor, und außerdem noch einige Flaschen Wein, so daß eine Tafel entstand, welche der am Mittag durchaus nichts nachgab.

»Der Portwein wird uns Wärme für die kalte Nacht geben,« fuhr Hoffmann fort, zwei rotgekapselte Flaschen auf den Tisch stellend. »So, nun nehmen Sie Platz und langen Sie ungeniert zu!«

Zum zweiten Male war Kirkholm Hoffmanns Gast, aber seine Gedanken wurden dadurch nicht geändert, er brütete noch immer darüber, wie er am besten und gefahrlosesten den Deutschen aus der Welt befördern konnte.

Der Wein, den Hoffmann in zinnerne Becher schenkte, war gut, aber auch stark. Der Deutsche schien eine reichliche Quantität dieses Getränkes zu seinen Mahlzeiten gewohnt zu sein, er schenkte sich fleißig ein und nötigte auch Kirkholm wiederholt zum Trinken.

Die Nacht begann wirklich empfindlich kalt zu werden. Kirkholm hatte sich zwar vorgenommen, mäßig zu bleiben, aber diese Kälte zwang ihn doch, mehr von dem Getränk zu sich zu nehmen, als er vertragen konnte.

Er fühlte nach und nach, wie sein Kopf immer schwerer wurde, die Zunge wurde unbeholfen, und die Gedanken begannen unklar zu werden. Weit entfernt von Trunkenheit, merkte er doch, daß er nicht mehr der Alte war; der schwere Wein begann langsam seine Wirkung zu tun.

Das Essen war vom Tisch verschwunden, die Kerzen niedergebrannt. Hoffmann zündete zwei neue an, entkorkte eine Flasche Portwein und forderte seinen Gast auf, den Schlaftrunk zu sich zu nehmen, um, die Nacht in gesegneter Ruhe auf der Bank zubringen zu können.

»Trinken Sie nur,« wiederholte er, »ich garantiere Ihnen, daß Sie morgen ohne Kopfschmerzen erwachen werden. Er ist unverfälscht, direkt aus Oporto bezogen.«

Dabei blitzte Hoffmann sein Gegenüber mit den blauen, strahlenden Augen an, und Kirkholm trank.

Das Gespräch hatte sich bis jetzt nur um gleichgültige Sachen gedreht, nun aber kam Hoffmann wieder auf das vorige Thema, auf die Erbschaft.

Kirkholm begann zu fühlen, daß er betrunken wurde, es drehte sich alles in der Hütte, er selbst mit, aber immer blitzten ihn die blauen Augen an, welche das einzige in dieser Hütte waren, das sich nicht bewegte. Alles andere drehte sich um diese leuchtenden Punkte, wie die Gestirne um ein Sonnensystem.

Der junge Mann wußte genau, daß er dummes Zeug schwatzte, er nahm sich hundertmal vor, nicht mehr auf die so harmlos scheinenden Fragen zu antworten, die der Deutsche an ihn richtete, er war fest davon überzeugt, daß er manchmal etwas sagte, was er nicht gesagt hätte, wenn er nüchtern gewesen wäre. Nein, redete er sich dann wieder vor, du bist nicht betrunken, du bist ja ganz nüchtern, nur diese strahlenden Sterne, diese verdammten Augen haben es dir angetan.

Kirkholm wehrte und sträubte sich, er fluchte innerlich über seine Dummheit, aber er antwortete trotzdem immer wieder auf die an ihn gestellten Fragen, und daran waren nur die strahlenden Augen schuld.

Kirkholm glaubte, er träume einen beängstigenden Traum. Er fürchtete die Augen und trachtete nur danach, sie nicht zu erzürnen.

Er befand sich in einer seltsamen Aufregung.

Einmal, als Hoffmann den Kopf zur Seite wandte, bekam Kirkholm einen lichten Moment, doch wurde er noch vom Wein beherrscht.

»Mister Hoffmann,« lallte er mit schwerer Zunge, »ich glaube, Sie sind Hyp– Hypnotiseur.«

Da waren die strahlenden Sterne, die ihn faszinierten, schon wieder auf ihn gerichtet.

»Hypnotiseur?« klang es lachend in sein Ohr. »Ich habe mich niemals mit solch brotlosen Künsten befaßt. Jetzt, Mister Kirkholm, trinken Sie ihr Glas aus und legen Sie sich schlafen. So – Sie sind nicht recht fest auf den Beinen, warten Sie, ich werde Ihnen helfen.«

Hoffmann bereitete ihm sorgsam, wie einem Kinde, das Lager und hüllte ihn in eine Decke.

Noch einmal war es dem schon im Halbschlafe Befindlichen, als höre er ein Murmeln in seinem Ohr, das bald zu einem donnernden Geräusch anschwoll, er sah wieder zwei funkelnde Sterne in der Luft schweben, diesmal aber riesengroß, schrecklich anzusehen, dann wurde ihm plötzlich unwohl, er fühlte sich mit einem Male furchtbar beengt, geängstigt, er wollte schreien, konnte aber nicht, dann verlor er das Bewußtsein, er lag in tiefem Schlafe.

Wie lange er so geschlafen hatte, wußte er nicht, es deuchte ihm, als er erwachte, es wäre nur ein Augenblick gewesen, den er in solch traumlosem Schlaf zugebracht. In der Hütte herrschte schon die Morgendämmerung, und der erste Blick Kirkholms fiel auf den Deutschen, welcher auf der Bank neben dem noch voller Weinflaschen stehenden Tisch lag.

Plötzlich fiel Kirkholm alles wieder ein, was er sich gestern vorgenommen hatte, sein Vorsatz stieg wieder mit eiserner Gewalt in ihm auf, und leise, wie eine Katze, sprang er plötzlich von der Bank auf und stand, ehe er sich noch recht besinnen konnte, schon vor Hoffmann.

Dieser schlief ruhig. Der Deutsche schien das Bedürfnis einer Decke gar nicht zu kennen, wie Kirkholm jetzt merkte, hatte er die seinige ihm noch übergedeckt, er lag auf der harten Bank und hatte auch noch die Jacke ausgezogen, welche er sich unter den Kopf gelegt hatte.

Selbst das Hemd hatte der gegen Kälte unempfindliche Nordländer aufgeknöpft, Kirkholm sah, wie die weiße Brust sich ruhig hob und senkte. Alles an dem Schläfer deutete Ruhe und Sorglosigkeit an, auf den sein geschwungenen Lippen lag ein leises Lächeln.

Da nahmen Kirkholms Augen plötzlich einen teuflischen Ausdruck an, auf der entblößten Brust sah er ein Ledertäschchen liegen, das von einem Riemen um den Hals gehalten wurde.

Dort ruhte das Geheimnis, welches Flexan erstrebte, um damit Millionen zu erbeuten.

Kirkholms Hand griff nach dem geladenen Revolver. Jetzt oder nie, tönte es in seinem Innern, nie bot sich ihm wieder eine solche günstige Gelegenheit.

Aber erst mußte er sich überzeugen, daß sich niemand in der Nähe befand, daß nicht etwa gerade Cäsar, der Neger, daherkam.

Nein, kein lebendiges Wesen war zu sehen.

Mit einem Schritte stand Kirkholm wieder vor der Bank, die Waffe in der Hand. Ein Zittern durchlief seinen Körper, aber im nächsten Augenblick beherrschte er sich, seine Hand hielt mit festem Griff die Waffe umklammert.

Hoffmann atmete tief und ruhig, er träumte nicht einmal, daß der Mann, den er gestern bewirtet hatte, jetzt vor ihm stand, fest entschlossen, ihn zu töten.

Kirkholm hob den Revolver und brachte die Mündung ganz nahe an die Herzgegend des Schlafenden, die nicht einmal von einem Hemd geschützt wurde. Doch berührte er den Körper nicht, er hätte ihn wecken können.

Noch einen Augenblick zögerte Kirkholm, dann plötzlich ein Druck, ein Knall, ein leises Stöhnen, ein krampfhaftes, letztes Zucken des gewaltigen Körpers, er stürzte von der Bank – und Kirkholm stand vor der Leiche seines Gefährten, er war sein Mörder.

Jetzt kannte Kirkholm keine Rücksicht mehr, der erste Schritt war getan.

Mit fester Hand drehte er den Toten um, öffnete die Ledertasche und hielt ein mit seltsamen, ihm unbekannten Schriftzeichen bedecktes Pergament zwischen den Fingern – das Geheimnis des ›Blitz‹.

Im nächsten Augenblick war es in seiner Brusttasche geborgen, der Revolver eingesteckt, Kirkholm schleppte den Leichnam hinaus und warf ihn in den Abgrund. Ein teuflisches Hohnlachen begleitete den fallenden Körper.

Diesem nach folgte dann alles, was Hoffmann gehört und mitgebracht hatte: Flaschen, Gläser, der Mantelsack – alles wurde hinabgeschleudert. Erst als der Mörder die Hand nach der eisernen Kassette streckte, zögerte er eine Sekunde.

Hoffmann hatte diese immer sehr sorgsam behandelt, sie mußte stets neben ihm stehen, er vertraute sie selbst dem treuen Diener nicht an. Sie mußte also wertvolle Papiere enthalten, denn sie war nur so schwer, als etwa ihr eigenes Gewicht betragen mochte.

Aber was konnte ihr Inhalt Kirkholm jetzt nutzen? Die Hauptsache besaß er.

Von einem plötzlichen Wahnsinn erfaßt, schleuderte er mit einem Fluche auch den Kasten in den Abgrund, und schon erhob er den Revolver, um auch des Gemordeten Pferd seinem Herrn nachzuschicken, als er sich Cäsars erinnerte.

Halt, dieser mußte getäuscht werden. Er konnte jeden Augenblick kommen, und wenn er seines Herrn Pferd nicht sah, hätte er leicht Argwohn schöpfen können.

Da war es Kirkholm, als sähe er weit, weit entfernt, wo der Grat nur so breit wie ein Messerrücken erschien, sich einen dunklen Punkt bewegen.

Das konnte nur Cäsar sein.

Schnell war Kirkholm wieder in die Hütte geschlüpft und spähte, den Revolver schußbereit in der Hand, durch das offene Fenster, den Reiter erwartend.

Dieser kam zwar schnell näher, aber es dauerte Kirkholm doch zu lange. Das Pferd sollte als Zielscheibe dienen, dies war sicherer.

Endlich hatte Cäsar bald das Plateau erreicht, hinter ihm kam das Maultier.

»Halloh, Mister Hoffmann,« schrie der Schwarze fröhlich – es war sein letztes Wort.

Ein Schuß krachte, das Pferd bäumte sich wild auf, schlug hinten aus, traf das Maultier, und beide Tiere und der Neger stürzten in die Tiefe. Ein Schrei gellte noch herauf, dann war alles wieder still.

Ein Schuß krachte, und das Pferd bäumte sich wild auf.

»Nun du nach,« knirschte Kirkholm zwischen den zusammengebissenen Zähnen hervor und zielte auf Hoffmanns Pferd, welches dicht am Abhange graste. Wieder entlud sich der Revolver.

Getroffen sprang der Hengst zur Seite und verschwand in dem Abgrunde.

Kirkholm blickte mit blutunterlaufenen Augen um sich; er und sein Pferd waren die einzigen lebenden Wesen hier. Mit der größten Ruhe, als nähme er eine ganz alltägliche Verrichtung vor, untersuchte er die Hütte, ob noch irgend etwas darin wäre, was die Anwesenheit Hoffmanns verraten konnte; er schleuderte noch einen Pfropfenzieher in die Tiefe, dann war er überzeugt, nichts vergessen zu haben.

Als er aus der Hütte heraustrat, hatte die Sonne eben den Gipfel der Berge erreicht und beleuchtete sie blutigrot. Es mochte wohl ein wunderschöner Anblick sein, aber nicht für jemanden, der eben einen doppelten Mord begangen hat. Der Mann dachte an etwas anderes.

»Blut,« murmelte er durch die Zähne und steckte den Revolver in die Seitentasche.

Wie gebannt hing sein Auge an dem purpurroten Streifen, er konnte es nicht abwenden.

»Auf dieses Schauspiel hatte er sich gefreut,« flüsterte er, »nun kann er sich dort unten daran ergötzen. Der Tor, hahaha!«

Er brach in ein krampfhaftes Lachen aus, das nicht enden zu wollen schien.

Plötzlich aber brach er ab und wurde aschfahl; ein furchtbarer Schwindel befiel ihn, die Kniee schienen ihm brechen zu wollen, nur mit der größten Anstrengung konnte er sich noch in die Hütte schleppen, ließ sich dort auf die Bank fallen, wo er die Nacht geschlafen hatte, und sank sofort in einen bewußtlosen Schlaf.

Als er wieder zu sich kam, konnte er nicht sagen, wie lange er so gelegen hatte; in seinem Kopfe wütete ein entsetzlicher Schmerz, die Kehle war ihm wie ausgebrannt, und er zitterte am ganzen Leibe.

»Das war ein furchtbarer Traum,« murmelte er, den Kopf in beide Hände stützend. »Noch jetzt liegt mir der Schreck in allen Gliedern. Zwei Menschen ermordet, entsetzlich, wie kann ich nur solchen Unsinn zusammenträumen! Richtig, der Wein war zu schwer, und ich habe zuviel davon getrunken. Wein – Wein?« fragte er dann erstaunt. »Richtig, Mister Hoffmann, wir haben gestern zusammen gezecht.«

Er blickte auf und sah sich um, sprang dann aber mit einem Schreckensruf auf. Die Hütte war leer. Hoffmann war fort, sein Gepäck auch, und auf dem Plateau weidete nur noch sein eigenes Pferd. Auf dem Tische standen keine Flaschen mehr.

»Ja, wie ist mir denn, träume ich, oder wache ich?« Er schlug sich vor die Stirn. »Es ist dies alles doch kein Traum gewesen? Ich, ich hätte Hoffmann ermordet, und Cäsar, seinen Diener, auch mit?«

Seine Miene wurde immer entsetzter, stier blickte er um sich, aber er sah niemanden.

»Habe ich wirklich dreimal geschossen? Erst Hoffmann, dann Cäsar, und dann Hoffmanns Pferd? Unsinn, dann müßte ich das ja an meinem Revolver sehen können!«

Er zog die Schußwaffe hervor, untersuchte sie und ließ sie vor Schreck zu Boden fallen.

Drei Patronen waren abgeschossen worden.

»Mein Gott,« murmelte er schreckensbleich, »so ist dies alles kein Traum gewesen? Noch zweifle ich an der Wahrheit! Bah, das Pergament, von dem ich träumte, habe ich das vielleicht in der Tasche?«

Er verzog die bebenden Lippen zu einem Lächeln, als er in die Brusttasche griff, aber es erstarb sofort wieder – in der Hand hielt er wirklich ein mit seltsamen Zeichen bedecktes Pergament, das Geheimnis des ›Blitz‹.

Starr blickte der Mann auf das Blatt in seiner Hand, immer finsterer wurden seine Augen, immer drohender runzelte sich seine Stirn zusammen.

»Und wenn ich es getan habe, was schadet es?« stieß er mit heiserer Stimme hervor. »Jetzt besinne ich mich auf alles, ich habe nicht bloß geträumt, die Aufregung hat mich dies glauben lassen. Nein, Hoffmann ist wirklich tot, von mir ermordet liegt er dort unten in der Schlucht, zu der es keinen Zugang gibt, und mit ihm sein Diener, sein Gepäck und sein Pferd. Und ich, hahaha,« Kirkholm lachte gell auf, »ich bin den Nebenbuhler los; Miß Murrays Plantage gehört mir, ich bin der rechtmäßige Erbe, und hier halte ich das Geheimnis in den Händen, aus dem ich Millionen ziehen kann. Ein Narr wäre ich, wollte ich Flexan zum Mitwisser davon machen.

»Haha, ich glaubte, es sei alles nur ein Traum gewesen, diese Ausführung des Planes, mit der ich mich in letzter Zeit Tag und Nacht beschäftigt habe. Der erste Mord hat mich etwas angegriffen, meine Gedanken verwirrten sich. Jetzt aber fort von diesem Platze, oder ich werde wahnsinnig. Glückauf, Kirkholm, der Weg zum Glück ist dir jetzt geebnet, du hast es dir mit Gewalt dienstbar gemacht.«

Immer noch lachend schwang sich der Raubmörder auf sein Pferd und ritt den Grat entlang, von dem blutigroten Scheine der über den Beigen schwebenden Morgensonne beleuchtet.


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