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31.

Freund oder Feind.

»Verzeihung, schöne Cousine,« wandte sich Kirkholm mit teuflischem Lächeln an Miß Murray, deren Hände eben von zwei Fischern auf den Rücken gebunden wurden. »Verzeihung, daß ich so unhöflich mit Ihnen und Ihren Freundinnen verfahren muß, aber jeder ist sich selbst der Nächste, und mein Leben hängt davon ab, daß Sie nicht nach Matagorda kommen.«

»Sparen Sie Ihre Worte!« rief ihm Jessy zu. »Wir wissen schon längst, mit welchen schurkischen Gegnern wir es zu tun haben. Schade, daß ich nicht Zeit fand, meinen Revolver zu fassen, dann würden Sie nicht spotten.«

»Aber die Zeit wird noch kommen, da Sie und Ihre Freunde zur Verantwortung gezogen werden,« fügte Ellen drohend hinzu.

»Ich glaube kaum,« sagte Kirkholm und wandte sich dann an Chalmers, mit dem er sich besprach.

Die Mädchen waren ebenso, wie Pueblo, gebunden worden.

Die Hütte war ganz voll von Fischern, und draußen waren noch mehr, wie man an dem Stimmengewirr hören konnte. Sie mußten sich ganz sicher fühlen, sonst hätten sie nicht so laut gesprochen. Auf manchen Gesichtern lag eine dumpfe Verzweiflung, auf einigen eine wilde Freude.

Auch Kirkholm und Chalmers sprachen ganz ungeniert, ein böses Zeichen für die Mädchen.

»Das wäre eine schöne Geschichte gewesen,« lachte Kirkholm, »wenn wir Sie in der Dunkelheit nicht noch rechtzeitig erkannt hätten. Die Burschen sehen Sie nicht eben freundlich von der Seite an,« fügte er etwas leiser hinzu, »Sie haben zwei von ihnen mit dem Revolver nicht unerheblich verletzt. Sie werden draußen verbunden.«

»Was kann ich dafür?« entgegnete Chalmers finster. »Ich glaubte mich von Fremden überfallen und wehrte mich eben meiner Haut.«

»Was aber hatten Sie in der Hütte bei den Damen zu suchen?« fragte Kirkholm mißtrauisch. »Wir dachten natürlich nicht anders, als Pueblo, bei dem wir die Mädchen wußten, hätte unsere Ankunft gemerkt und wollte, Schlimmes ahnend, fliehen.«

»Ich wäre in der Hütte gewesen?« fragte Chalmers ganz erstaunt. »Dann haben Sie nicht richtig gesehen.«

»Oho,« rief Kirkholm, »meine Augen betrügen mich nicht. Ich sah ganz deutlich, wie Sie gleich einem Wahnsinnigen aus der Tür stürzten.«

»Ihre Aussage beruht auf einem Irrtum,« sagte Chalmers langsam, die Augen fest auf den Genossen geheftet, »hören Sie mich ruhig an, dann urteilen Sie.«

»Ich erwartete Sie, wie wir ausgemacht hatten, heute abend in der spanischen Weinschenke, aber Sie kamen nicht.«

»Weil ich nicht konnte. Es ist alles anders gekommen,« unterbrach ihn Kirkholm.

»Das ist mir jetzt klar geworden. Während ich Sie erwartete,« fuhr Chalmers fort, »trat dieser Mann ein, Pueblo, und wollte Wein und Eßwaren für Personen holen, welche ihn um Gastfreundschaft für diese Nacht gebeten hatten. Aus seiner Beschreibung entnahm ich, daß diese Gäste niemand anderes als die elf Vestalinnen sein konnten. Ich schlich mich Pueblo nach, sah durch das Fenster und überzeugte mich, daß ich recht gehabt hatte, und sann auf ein Mittel, um die Damen, welche ihrem Schicksal auf den Riffen entgangen waren, hier festzuhalten, als die Tür plötzlich aufging und ich, um nicht entdeckt zu werden, schnell in die Dunkelheit zurückspringen mußte. Da ich dicht neben der Tür gestanden habe, mag es so ausgesehen haben, als wäre ich aus der Hütte selbst gesprungen.«

Chalmers hatte diese unwahre Erzählung sehr laut und deutlich vorgetragen. Alle Mädchen hatten sie gehört und plötzlich tauchte in ihren Herzen eine Erkenntnis auf. Dieser Chalmers spielte seinem verbrecherischen Genossen gegenüber ein falsches Spiel, er stand vielleicht auf ihrer Seite.

»Es mag sein, ich will es nicht bestreiten,« sagte Kirkholm nach kurzem Nachdenken zögernd.

»Bestreiten?« brauste Chalmers auf.

Man hätte gar nicht vermutet, daß der sonst so stille Chalmers so heftig werden könnte, die Damen, die ihn nur als Prediger kannten, wenigstens nicht, wohl aber Kirkholm und die, welche seine wahre Natur durchschauten.

»Ich habe mich getäuscht,« rief Kirkholm schnell, »ich habe keinen Grund, Ihnen zu mißtrauen.«

»Das wollte ich auch meinen,« murmelte Chalmers mit zusammengekniffenen Zähnen.

Nun begann Kirkholm zu erzählen, wie ihr Anschlag insofern mißglückt sei, als die ›Vesta‹ von den Trugfeuern wohl zwischen die Riffe gelockt, aber auf ihnen hängen geblieben wäre. Die anderen elf Mädchen seien schon so gut wie tot, denn der weiße Wolf wäre hinter ihnen her. Kirkholm vergaß auch nicht, zu schildern, wie er selbst vom weißen Wolf bald ermordet worden wäre, wenn Nathaniel nicht erschienen und die Wahrheit seiner Aussagen bezeugt hätte, daß nämlich die Mädchen ihren alten Lagerplatz verlassen hatten.

»Ich setzte mit den Fischern, welche auf der ›Vesta‹ waren, den elf zuerst abmarschierten Mädchen nach, aber in einem Boote auf dem Seewege. Dadurch kamen wir eher als sie hier an und beobachteten, wie sie in diese Hütte einkehrten. Nun aber gilt es, sie für immer zum Schweigen zu bringen, damit wir endlich einmal in Sicherheit kommen,« schloß Kirkholm mit einem Fluche.

Schaudernd hörten die Mädchen diese Worte, sie erbebten unter dem Blicke des hartherzigen Verbrechers. Hilfesuchend wendeten sie die Augen nach Chalmers, von dem sie glaubten, er habe Besseres mit ihnen vor. Doch er starrte finster, die Arme übereinander verschränkt, vor sich hin.

»Wie wollen wir sie beseitigen?« fragte er mitleidslos.

»Nicht hier,« entgegnete Kirkholm. »Diese Leute sind zwar froh, diejenigen in den Händen zu haben, welche sie durch eine Anzeige an den Galgen bringen können, und sie brennen danach, ihnen die Gurgel zu durchschneiden, aber sie wollen es so still als möglich machen, und ich muß mich ihnen fügen. Vierunddreißig Mann sind hier, alle, die sich an dem Ueberfall auf die ›Vesta‹ beteiligten, und sie haben das Los gezogen, wer von ihnen die Mädchen auf diese oder jene Weise töten soll. Diese zehn Mann, die hier in der Stube sind, hat das Los getroffen, und sie werden ihre Aufgabe erfüllen.«

Es waren rohe, erbarmungslose Gesichter, welche die Mädchen erblickten.

»Verdammter Hund,« schrie eben einer von ihnen. Er stieß mit dem Fuße unter den Tisch, weil ihn etwas am Fuße gekratzt hatte, und sofort kam ein großes, gelbes Tier darunter hervorgesprungen.

»Juno,« rief Ellen.

»Eine Löwin,« schrieen Kirkholm und Chalmers gleichzeitig und rissen die Revolver aus der Tasche.

Doch Juno war von dem Fischer, der noch nie eine Löwin gesehen, ein solches Tier überhaupt nicht kannte, so schmerzlich in die Seite getreten worden, daß sie winselnd zur Tür hinauslief und in der Finsternis verschwand.

Wehmutsvoll blickte Ellen ihr nach.

Was hätte diese Löwin, schon vollständig erwachsen und stark, ihr für ein Schutz sein können, wenn sie nicht ein so sanftmütiges Tier gewesen wäre! Es hatte von Ellen tausend Kunststückchen gelernt, es fraß aus der Hand, ließ mit sich anstellen, was man wollte, weil es geschlagen worden war, wenn es biß, aber Juno war lammfromm und zeigte von Wildheit keine Spur. Zu spät erkannte Ellen, daß sie sich in dem starken Tier nur ein Spielzeug erzogen hatte.

Wie hätte Juno diese Hand voll Männer zu Paaren treiben können, wenn sie im Bewußtsein ihrer Kraft gewesen und auf den Mann dressiert worden wäre.

Zu spät, Juno suchte mit eingekniffenem Schwanze das Weite, um nicht wieder getreten zu werden.

»Wem gehört der Löwe, meine Damen?« fragte Kirkholm die Mädchen.

Keine Antwort.

»Ihnen, Miß Petersen?«

Ellen verschmähte, zu antworten.

»Es ist gleichgültig. Mister Chalmers, wenn sich die Bestie noch einmal sehen läßt, bekommt sie eine Kugel ins Gehirn; es ist besser so, wenn sie auch harmlos zu sein scheint.«

Dann wurden wieder Pläne gemacht.

Kirkholm und Chalmers sprachen jetzt leise zusammen und zogen dann Frankos, den spanischen Fischer, das Oberhaupt dieser Bande, mit in die Unterredung.

»Wie weit ist die Ruine, von der Ihr sprecht?«

»Leise, Herr,« erwiderte der Fischer, »wenn die Leute hören, daß wir dorthin wollen, so kommen sie nicht mit. Es ist nicht recht geheuer zwischen dem alten Gemäuer.«

»Ah, desto besser.«

»Ja, die alten Bewohner von Texas sollen dort als Gespenster umgehen und nach den Schätzen suchen, die sie einst darin versteckt hatten. Aber ich glaube an solchen Unsinn nicht. Ich lache darüber.«

»Recht so. Also dorthin sollen die Mädchen gebracht werden,« flüsterte Kirkholm.

»Ja. Findet man sie dort mit umgedrehten Hälsen, so glauben die Umwohner, die Geister hätten sie getötet, und schlagen ein Kreuz. Hihihi!«

»Wie weit ist es bis zur Ruine?«

»Man lauft zwei Tage immer durch den dichtesten Wald. Keine Seele trifft man unterwegs.«

»Kennt Ihr den Weg?«

»Wie meine Tasche. Ich bin hier geboren und kenne jeden Baum. Aber macht schnell, es ist bald Mitternacht, und wir müssen eilen!«

»Noch eins, was soll mit Pueblo geschehen?«

Der Fischer warf einen haßerfüllten Blick auf den gebundenen Pueblo, und dieser bebte zusammen. Er mußte Grund haben, Frankos Haß zu fürchten.

»Dieser Hund hat mich aus der Heimat gejagt,« knirschte Frankos durch die Zähne, »er muß mit, auch er stirbt.«

»Gut, wie Ihr wollt! Warum treibt Ihr aber so zum Aufbruche? Wir sind doch sicher.«

»Bald muß Inez, Pueblos Weib, kommen. Sie müßte so viele Menschen schon von weitem sehen oder hören, würde Verdacht schöpfen und umkehren. Sie soll aber in unsere Hände fallen, darum eben müssen, wie ich schon vorher sagte, einige Leute hierbleiben und sie abfassen, während Ihr zu Euren Genossen zurückkehrt.«

Frankos trat sehr herrisch auf. Er schien der Leiter des ganzen Unternehmens zu sein, und die beiden Herren mußten sich ihm fügen, denn er hatte die Fischer auf seiner Seite.

»Gut denn, so wollen wir uns trennen,« sagte jetzt Kirkholm zu Chalmers. »Spurgeon liegt nicht weit von hier mit noch mehr Fischern versteckt, um uns den Rücken freizuhalten. Ich kehre mit einem Teil der Leute zu ihm zurück. Boote haben wir. Sechs Leute bleiben hier, um Inez, Pueblos Weib, abzufangen. Ist es nicht so, Frankos?«

Frankos nickte.

»Und Sie begleiten Frankos mit den vom Los getroffenen zehn Mann nach der Ruine, wo die Mädchen ihr Schicksal erwartet. Ist Ihnen dies recht?«

Chalmers kam zu keiner Antwort, Frankos mischte sich dazwischen.

»Wozu? Ich brauche keine Begleitung. Oder traut Ihr mir nicht, daß Ihr mir einen Aufseher mitgeben wollt?«

»Durchaus nicht, Frankos,« beschwichtigte Kirkholm den Aufgebrachten, »aber Ihr wißt doch, wie viel uns an dem Tode dieser Weiber gelegen ist. Einer von uns muß unbedingt Zeuge desselben sein.«

»Uns ist nicht weniger daran gelegen, als Euch,« lachte der Fischer.

»Das fragt sich.«

»Ich brauche keinen Aufseher.«

»Bedenkt, daß noch eine hohe Summe dafür ausgesetzt ist, daß Ihr Euch allen meinen Anordnungen fügt.«

Dies schlug bei dem geldgierigen Fischer an.

»Sei es denn! Der Fremde mag mitkommen, die Führung aber übernehme ich. Vorschriften lasse ich mir unterwegs nicht machen.«

»Einverstanden,« sagte Kirkholm und wandte sich dann wieder an Chalmers.

»Und wollen Sie den Auftrag übernehmen und der Exekution beiwohnen, damit wir endlich in Sicherheit kommen? Sie sind der starknervigste Mann unter uns. Offen gestanden, ich könnte nicht gleichgültig dabei bleiben. Sie haben schon oft Proben von Ihrer Entschlossenheit abgelegt. Wollen Sie?«

»Ich werde die Weiber begleiten,« entgegnete Chalmers gleichgültig, »und Ihnen die Nachricht ihres Todes überbringen.«

Die Mädchen hatten ihr eigenes Todesurteil gehört und ferner, daß ihrer zurückgebliebenen Freundinnen kein anderes Los wartete, wenn ihre Skalpe nicht bereits die Gürtel der Apachen zierten.

Eine unsagbare Verzweiflung bemächtigte sich ihrer Herzen, bis sie einer vollkommenen Teilnahmslosigkeit wich.

Von Johanna wußten sie schon, daß die eigenen Verwandten ihre Feinde waren; daß diese aber solche Bestien in Menschengestalt seien, würden sie nicht geglaubt haben.

Wie leicht konnten doch ausschweifendes Leben, Spiel und Sucht nach Reichtum den Menschen zum Raubtier ohne Gewissen machen!

Schweigsam saßen sie da, apathisch vor sich hin blickend. Nur in Ellens Augen flackerte ein düsteres, unheimliches Feuer, aber sie senkte den Kopf tief auf die Brust, als fürchte sie, ihre Augen könnten ihre Gedanken verraten.

Ellen war nicht gewillt, so leichten Kaufes ihr Leben zu lassen. War ihr Tod unabwendbar, so wollte sie doch nicht allein sterben. Nur Geduld, einer dieser Schurken sollte mit ihr in den Tod, womöglich Chalmers, der sie begleitete. Sie hatte nicht umsonst ihr ganzes Leben zwischen wilden Cowboys zugebracht und mit Indianern verkehrt. Sie wußte, wie man es macht, auch mit gefesselten Händen einem Feinde furchtbar zu werden. Oft genug war sie Zeuge solcher blutigen Szenen gewesen.

Aber jetzt war noch nicht die Zeit zur Ausführung ihres Vorhabens. Erst mußten sie im Walde sein.

»Wollt Ihr die Nacht durch den Wald marschieren?« fragte Kirkholm den Führer.

»Nein, wir lagern dort. Nicht weit von hier steht ein altes Holzhaus, dort werden wir die Nacht verbringen, es ist sicher. Einige Leute sind vorausgeschickt und machen es zum Aufenthalt für diese Damen bequem,« sagte der Fischer mit einem höhnischen Grinsen.

All right, so kann ich mit den übrigen Leuten gehen. Wir treffen uns, wie wir ausgemacht haben.«

Die Mädchen wurden zum Aufstehen aufgefordert. Willenlos gehorchten sie dem rauhen Befehle.

»Adieu, schöne Cousine,« wandte sich Kirkholm an Miß Murray, »wir werden uns in diesem Leben wohl nicht wiedersehen. Seien Sie aber versichert, daß ich Ihre Besitztümer gut verwalten und von Ihren Geldern guten Gebrauch machen werde. Ich empfehle Ihnen Mister Chalmers als Beichtvater in Ihrer letzten Stunde. Er versteht sich auf solche Sachen. Holen Sie sich bei ihm Trost vor dem Tod, er kann jede Seele von allen Sünden entbinden. Er hat genug Erfahrung in New York gesammelt.«

Lächelnd verließ Kirkholm die Hütte und wurde von einigen Fischern begleitet, denen sich draußen noch andere anschlossen.

Sie schlugen den Weg nach dem Strande ein.

»Ihr sechs bleibt zurück,« sagte darauf Frankos zu einigen Fischern. »Wenn die schöne Inez kommt, so nehmt ihr sie fest und bringt sie dahin, wo ich euch gesagt habe. Haltet euch still, versteckt euch in die finstere Kammer! Das Kind bleibt bei euch, laßt es meinetwegen schreien, das lockt die Mutter besser an. Dann nehmt ihr es auch mit.«

Frankos hieß die Mädchen hinausgehen, und als eins nicht schnell genug seinem Befehle nachkam, gab er ihm einen Fußtritt, so daß es zum Fall kam.

Ellen knirschte hörbar mit den Zähnen.

»Aergert dich das?« lachte Frankos. »Wartet nur, Püppchen, ihr werdet noch mit den Zähnen klappern, aber nicht mehr knirschen. Ha, wie ich euch hasse, euch vermaledeite Brut, die ihr so hochnäsig auf uns herabzuschauen gewohnt waret!«

Frankos war so haßerfüllt, daß er nicht den drohenden Gesichtsausdruck von Chalmers bemerkte, als das Mädchen getreten wurde.

»Seid Ihr fertig?« wurde er kurz gefragt, und sofort glätteten sich seine Züge wieder.

»Ja.«

»Dann fort!«

Die Mädchen und Pueblo wurden von acht Männern in die Mitte genommen, Frankos ging voran, Chalmers hinterher. Ein Fischer hatte das Netz mit Nahrungsmitteln an sich genommen.

Sechs Fischer blieben zurück, löschten das Licht in der Kammer aus und zogen sich mit dem Kinde in dieselbe zurück.

Einen Blick voll des namenlosesten Wehs warf Pueblo noch seinem Lieblinge nach, dann bewegte sich der Zug mit ihm und den Mädchen, deren wunde Füße den Dienst zu versagen drohten, dem Walde zu.

Sie waren noch nicht weit gegangen, als Chalmers zu Frankos trat.

»Einen Augenblick,« sagte er, »ich habe meinen Tabaksbeutel in der Hütte liegen lassen.«

»Macht schnell, daß ihn die Spitzbuben in der Hütte nicht zu fassen bekommen, die wollen sonst von nichts wissen,« rief Frankos dem schon Zurückeilenden nach.

Als Chalmers in die Hütte trat und von den Fischern, die glaubten, Inez käme schon, mürrisch empfangen wurde, suchte er nicht nach seinem Tabaksbeutel, denn den hatte er in der Tasche, sondern bückte sich und brachte tief unter dem Tische einen Krug zum Vorschein.

»Hier, eine Freude für Euch,« sagte er, »der Wein war für die Weiber bestimmt. Ich sah, wie Pueblo ihn hereinbrachte. Warum soll er denn hier sauer werden? Vertreibt Euch die Langeweile damit.«

Der Krug war bisher nicht entdeckt worden, weil die Hütte von Menschen vollgepfropft gewesen war und die Lampe den Raum nur schwach beleuchtete.

Die Fischer hätten wohl kaum daran gedacht, unter den Tisch zu sehen.

Jetzt verzogen sie die erst mürrischen Mienen zu einem grinsenden Lächeln. Etwas Besseres hätte ihnen der Zurückgekehrte nicht mitteilen können.

»Das war es, weshalb ich noch einmal umkehrte. Ihr seht, ich denke auch an meine Mitmenschen,« lachte Chalmers. »Laßt Euch den Wein schmecken, steckt aber die Nase nicht zu tief in den Krug. Ihr könntet sonst einschlafen und womöglich nicht erwachen, wenn Inez kommt.«

»Dank, Senor,« riefen die Fischer Chalmers nach, der schnell die Hütte verließ und Frankos einholte, noch ehe dieser den Wald erreicht hatte.

»Habt Ihr den Beutel?« empfing ihn der Fischer Frankos, und seine Stimme klang diesmal etwas freundlicher als vorher.

»Hier ist er.«

Chalmers hatte den Wink verstanden; auch Frankos rauchte gern billigen Tabak.

Dann ging es weiter in den Wald hinein, dem Hause zu, das ihnen diese Nacht als Obdach dienen sollte. – –

In Pueblos Fischerhütte war es still geworden. Kein Laut verriet, daß sechs Männer in der Schlafkammer verborgen waren. In der Küche brannte noch immer das schwache Oellicht.

Der Sturm hatte sich gelegt, aber noch immer fegte heftiger Wind die Küste entlang und ließ die Kleider des Weibes flattern, das gegen ihn anstrebte, mit der einen Hand das Kopftuch festhaltend, mit der anderen ein kleines Paket gegen die Brust drückend.

Da blickte ihr, als sie um die Waldesecke bog, schon ganz nahe ein Licht entgegen.

»Gelobt sei Gott,« seufzte sie, aber der Seufzer klang fröhlich, »bald bin ich da.«

Je mehr sie sich der Hütte näherte, ein desto heitereres Lächeln verklärte ihre Züge, bis sie endlich die Tür aufstieß und eintrat.

Sie wunderte sich, daß ihr nicht, wie sonst, Pueblo entgegenkam und ihr das Kind entgegenhielt.

Wahrscheinlich war er in der Kammer und brachte die Kleine zur Ruhe.

Die ganze Diele war voll schmutziger Fußtapfen und – Inez blieb plötzlich wie erstarrt stehen, – da – da – heiliger Gott, klang es nicht wie ein Wimmern aus der Kammer?

Inez riß die Lampe von der Wand und stürzte in die Kammer.

»Pueblo – mein Kind,« war ihr einziger Gedanke.

Entsetzt stand Inez im Türrahmen und glaubte ihren Augen nicht trauen zu dürfen.

Entsetzt stand Inez im Türrahmen und glaubte ihren Augen nicht trauen zu dürfen.

Am Boden lagen sechs Männer, zusammengekrümmt, halb sitzend, die Oberkörper weit vornübergebeugt.

Die Lampe beschien schreckliche, in Schmerz verzogene Gesichter; Schaum stand vor den Lippen; die Finger krallten sich in die Kleider.

Einer lebte noch etwas, der Körper zuckte, und die Augen rollten noch schwach. Die übrigen lagen starr und trugen den Stempel des Todes auf den fahlen Stirnen.

Zwischen ihnen lag ein umgeworfener Krug, der Krug, den Pueblo mit Wein hatte füllen lassen – er war leer.

Wo war Pueblo, wo war ihr Kind?

Da raschelte etwas im Winkel, ein Händchen streckte sich unter am Boden liegenden Kleidern hervor, und ein weinerliches Stimmchen wurde hörbar.

Mit einem Sprunge stürzte Inez vor und hatte im nächsten Moment ihr Kind auf dem Arme. Es lebte und lachte die Mutter mit verschlafenen Augen an.

Wo war Pueblo, wo waren die Gäste? Waren nur diese sechs Fischer dagewesen? Sprach Pueblo nicht von elf verkleideten Weibern?

In Inez' Kopfe begannen sich die Gedanken zu verwirren, sie konnte nicht mehr klar denken.

Sie drückte das Kind fest an die Brust und stürzte zurück nach den Häusern. Der Wind trieb sie vor sich her, schneller als er flog das Weib seinem Ziele zu.

»Mord, Mord!« gellte es durch die um diese Zeit sonst so stillen Dorfgassen. Die müden Fischer und Arbeiter fuhren aus ihrem Schlafe auf, konnten aber nur schwer dazu gebracht werden, die Ursache der Hilferufe zu erforschen. Die Erzählung des Weibes schien ihnen unglaublich, wenn nicht einige darunter gewesen wären, die Pueblos Rede in der Schenke angehört hatten. In der nächsten halben Stunde war die Nachricht verbreitet, Pueblo wäre von seinen Gästen ermordet worden.


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