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11.

Ein Wiedersehen auf dem Meere.

Einen besseren Namen als ›Swift‹ – hurtig, geschwind – konnte die Kreuzerfregatte nicht führen, welche mit vollen Segeln gegen den Wind aufluvte. Trotzdem dieser fast von vorn kam, von Norden, fuhr das wie ein Vollschiff getakelte Fahrzeug ihm doch schnell genug entgegen, und jedesmal, wenn die Raaen gewendet wurden, was alle Stunden geschah, flogen diese mit einer wunderbaren Schnelligkeit herum; das Schiff legte sich auf die andere Seite, und wieder ging es mit zwölf Knoten Fahrt dem Norden im Zickzack entgegen.

Wie der Name ›Kreuzerfregatte‹ schon sagt, war es ein Kriegsschiff; man hätte dies schon an der Bauart, an den durch die Bordwand lugenden Kanonenmündungen erkannt, auch wenn nicht am Großmast der lange Kriegswimpel geweht hätte, das Zeichen, daß die Kanonen ge, laden waren, daß sich das Schiff in Kampfbereitschaft befand.

Als Kreuzerfregatte führte der ›Swift‹ natürlich eine Maschine, aber sie wurde trotz des ungünstigen Windes nicht benutzt, denn Kapitän und Mannschaft verstanden es, ihr Schiff auch gegen den Wind schnell segeln zu lassen; es mußte ihrem Willen gehorchen; sie waren Meister in der Kunst des Segelmanövers.

Der Matrose auf dem Ausguck meldete ein Segel, das vom Norden her der Fregatte entgegenkam.

»Eine Bark,« sagte der aus der Kommandobrücke stehende Kapitän, der das Schiff durch das Fernrohr gemustert hatte, zu den beiden wachestehenden Offizieren.

»Sie ändert ihren Kurs, als fürchte sie ein Zusammentreffen mit uns,« rief sofort einer der letzteren.

»Kurs Nordost zu Ost,« rief der Kapitän den steuernden Matrosen zu und wandte sich dann wieder an seine Offiziere.

»Sie weicht uns sichtlich aus, was mag sie dazu veranlassen? Sollten wir abermals einen Fang machen?«

Die Fregatte war von der nordamerikanischen Regierung ausgeschickt worden, den Sklavenhändlern das. Handwerk zu legen, weil zwischen Afrika und Brasilien wieder einmal ein lebhafter Handel mit schwarzer Ware entstanden war.

Der ›Swift‹ kreuzte als sogenannter Sklavenjäger an der brasilianischen Küste.

»Die Bark sieht nicht verdächtig aus, sie ist zu sauber.«

»Der Schein trügt oft,« erwiderte der Kapitän, »jedenfalls scheint es ein schnellsegelndes Schiff zu sein.«

Das stimmte allerdings, denn die Bark flog wie ein Pfeil vor dem Winde dahin, den sie seit der neuen Wendung etwas von links bekam. Da aber auch der ›Swift‹ seinen Kurs geändert hatte, mußte er der Bark den Weg abschneiden.

»So treffen wir gerade mit ihr zusammen,« sagte der Kapitän. »Bin begierig, was für ein Schiff es ist, segelt prachtvoll. Alle Wetter!« rief er plötzlich aus.

Nur noch einige hundert Meter waren sie von der Bark entfernt; schon konnten sie deutlich die Matrosen auf Deck arbeiten und den Kapitän und noch einen anderen Mann auf der Kommandobrücke sehen, als plötzlich gleichzeitig alle Raaen auf der Bark herumschwenkten. Die Matrosen warfen das Besansegel am hintersten Maste nach Steuerbord, und sofort fiel das Schiff nach der anderen Seite ab und schoß, ehe der amerikanische Kapitän noch ein Kommando geben konnte, in einer Entfernung von hundert Metern am ›Swift‹ vorüber:

»Er will uns entschlüpfen,« rief der Amerikaner »Hißt die Flagge – wir wollen seinen Namen haben!«

Das Sternenbanner der Vereinigten Staaten stieg an dem Flaggenstock empor, aber die Bark gab keine Antwort, sie zeigte weder ihre Nationalität, noch ihren Namen an. Mit unveränderter Schnelligkeit schoß sie dahin und hatte bald den ›Swift‹ weit hinter sich gelassen.

Das merkwürdigste aber war, daß das Heck der Bark mit einem großen Segel verdeckt war, durch das der Name des Schiffes verhüllt wurde.

Doch im nächsten Augenblick donnerte ein Kanonenschuß vom ›Swift‹ hinüber, welcher dem ungehorsamen Kapitän sagen sollte: ›Halt, oder wir bringen dein Schiff mit Gewalt zum Stillstand!‹

»So etwas ist mir doch noch nicht vorgekommen,« rief der Amerikaner. »Es ist das erstemal, daß mir ein Schiff Trotz zu bieten wagt. Hollah, Jungens, jetzt bietet eure ganze Kraft auf, es gilt eine Wettfahrt! Wir entern die Bark.«

»Hip, hip, Hurra.« jauchzte es aus dreihundert Kehlen auf.

Das war so etwas für die amerikanischen Blaujacken, eine Wettfahrt, ohne die Maschine zu gebrauchen, nur mit den Segeln die Schnelligkeit ihres Schiffes zu zeigen.

Wie die Eichhörnchen jagten sie die Wanten hinauf, enterten auf die Raaen, spannten die Segel straffer und ließen sich nicht in ihrer Arbeit stören, wenn sie auch wie Bälle in der Luft herumgeschleudert wurden.

Der ›Swift‹ flog herum; es wurden noch mehr Segel gesetzt, und wie ein Pfeil schoß die Fregatte der Bark nach, um ihr zu zeigen, daß ein Handelsschiff es nicht mit einem schnellsegelnden Kriegsschiffe aufnehmen könnte.

Aber schon nach den ersten fünf Minuten zeigte sich, daß die Bark ein vorzüglicher Segler war und unter der Führung seines Kapitäns wohl mit der Fregatte an Schnelligkeit wetteifern konnte.

»Fünf Minuten warte ich noch,« sagte der Amerikaner, die Uhr in der Hand. »Zeigt sich dann, daß wir noch nicht naher kommen, so lasse ich Dampf aufnehmen.«

»Schicken Sie ihm eine Kugel in den Bauch, das wird ihn mürbe machen,« schlug ein Offizier vor.

Der Kapitän schüttelte den Kopf.

»Ich habe noch niemals zu einem solchen Mittel gegriffen und werde es auch jetzt nicht tun,« erwiderte er. »Es ist mir immer, als wäre jedes Schiff ein lebendes Wesen, welches gleich uns Schmerz empfindet. Was kann das Schiff dafür, wenn es mit verbotener Fracht beladen wird? Es müßte ebenso unschuldig leiden, wie das Pferd, welches erschossen werden sollte, weil es von einem Räuber genommen worden war. Aber fangen wollen wir es und den Kapitän und die Mannschaft für ihren Ungehorsam büßen lassen.«

»Die Bark manövriert wieder,« unterbrach ihn ein Offizier plötzlich.

Matrosen waren aufgeentert und beschäftigten sich mit den Segeln. Schon wollte der Fregattenkapitän den Befehl geben, die Kessel heizen zu lassen, als auf der Bark plötzlich einige Segel eingezogen wurden, wodurch ihr Lauf bedeutend verringert wurde.

Schnell näherte sich ihr die Fregatte.

»Klar zum Entern!« kommandierte der Kapitän.

In einigen Minuten mußte sein Schiff an Steuerbord der Bark liegen.

Da aber, fast hatte man die Bark schon erreicht, die Yankee-Matrosen legten schon die Enterhaken bereit, schwenkte das verfolgte Schiff plötzlich nach Osten herum, die Segel rollten herunter, und schnell wie der Wind fuhr es in der neuen Richtung davon, während der ›Swift‹ über sein Ziel hinausschoß und einige vorzeitig geworfene Haken sogar ins Wasser klatschten.

» Damn it,« schrie der Kapitän, war aber doch erstaunt über die Geschicklichkeit, mit welcher der fremde Schiffer sein Fahrzeug lenkte.

Das Manöver grenzte fast an Zauberei.

Die Offiziere und die Matrosen fluchten laut; die Mannschaft auf der Bark dagegen schwenkte die Mützen, und man konnte noch ihr fröhliches Lachen hören.

»Sie halten uns zum Narren. Ein Sklavenhändler ist er nicht; er spielt nur mit uns. Aber jetzt wollen wir einmal Ernst machen. Dampf auf!«

Dem Schlot der Korvette entstieg eine wirbelnde Rauchwolke; bald durchzitterte die tätige Maschine den Schiffsrumpf des ›Swift‹. Jetzt gab es kein Entkommen mehr, die Bark mußte eingeholt werden.

Aber dennoch war es nicht so leicht, sie zu nehmen. Bald sprang sie mit dem Winde von hinten wie ein Känguruh übers Wasser, und hatte die Fregatte sie schon erreicht, so entschlüpfte sie schnell zur Seite, aber endlich war ihr der Wind abgeschnitten worden, sie konnte nicht mehr am ›Swift‹ vorbei, nicht mehr gegen den Wind ansegeln und mußte in kürzerer oder längerer Zeit doch an den Enterhaken liegen.

Der Kapitän der unbekannten Bark sah dies ein, doch wollte er sich nicht fangen lassen, sondern tat so, als ergäbe er sich seinem Schicksal. Auf sein Kommando rollten die Segel auf, die Barke legte bei, und einige Minuten später befand sich der ›Swift‹ dicht an ihrer Seite.

Mit dem gezogenen Degen in der Faust, vor Zorn dunkelrot im Gesicht, sprang der Kapitän als erster an Bord der Bark. Ihm nach folgten zwei Offiziere und ein Trupp Matrosen, alle den blanken Stahl in der Hand.

Doch sie trafen auf keinen Widerstand, die Matrosen des genommenen Schiffes standen auf der anderen Seite an der Bordwand und sahen den Drohenden lächelnd entgegen. Einige stopften sich sogar nach der harten Arbeit eben gemütlich eine Pfeife. Der Kapitän stand nach wie vor auf der Kommandobrücke und betrachtete ruhig die Szene da unten, nur den Kopf über der Schutzvorrichtung sehen lassend.

»Im Namen der Vereinigten Staaten von Nordamerika,« rief der Korvettenkapitän, über den Gleichmut noch mehr aufgebracht, »wo ist der Kapitän dieses verdammten Schiffes?«

»Hier ist der Kapitän dieses verdammten Schiffes,« antwortete da eine lustige Stimme, und hinter der Treppe der Kommandobrücke trat eine hell gekleidete Frauengestalt hervor. »Hätten Sie nicht Dampf aufgemacht, würden Sie uns doch nicht bekommen haben. Meinen Sie nicht, Kapitän Staunton?«

Salutierend legte die junge Dame die Hand an die Mütze, die keck auf dem blonden Lockenkopf saß.

Sprachlos starrte der Angeredete in das lachende Gesicht der Sprecherin, desgleichen seine Offiziere und Leute, und die Matrosen der Bark verzogen die Mundwinkel von einem Ohre bis zum anderen.

»Jesus Christus und General Jackson,« brachte der Kapitän endlich hervor, »nun bleibt mir aber der Verstand stehen.«

Dann warf er plötzlich den Degen weg und lief mit ausgebreiteten Armen auf die Dame zu.

»Hope,« rief er jubelnd, »hole mich dieser oder jener! Bist du es, oder bist du es nicht?«

»Gewiß bin ich es,« lachte das übermütige Mädchen und flog dem Offizier in die Arme. »Aber nun sage erst einmal, hättest du uns bekommen, wenn der ›Swift‹ keinen Dampf aufgemacht hätte?«

»Nein denn, zum Teufel, wenn du es so gerne hören möchtest, aber wo steckt denn dein Mann? Ist es denn möglich, ist das wirklich die ›Hoffnung‹, mit dem Freiherrn von Schwarzburg als Kapitän an Bord?«

»Gewiß, siehst du Hannes nicht da oben stehen, wie er sich über dein dummes Gesicht halbtot lachen will?«

Schmeichelhaft war diese Antwort eben nicht, aber sie veranlaßte den Kapitän doch, sein Auge nach der Kommandobrücke zu wenden, und er entdeckte dort wirklich ein Gesicht, das vor unterdrücktem Lachen ganz rot war.

Mit einem Satze sprang ein junger Mann die Treppe herunter und streckte dem verblüfften Kapitän die Hand entgegen.

»Schwager, ich und meine Frau sind Ihre Gefangenen,« rief er, »verfahren Sie gnädig mit uns!«

»Freiherr von Schwarzburg,« entgegnete Kapitän Staunton, die Hand an die Mütze legend, »habe ich die Ehre?«

»Nichts da,« unterbrach ihn Hannes, »ich bin einfach Kapitän Schwarzburg; das Meer und der Wind machen sich den Teufel daraus, ob ich Freiherr bin oder nicht; sie reden mich auch nicht mit ›Baron‹ an, wenn sie mit mir Fangball spielen. Und das hier,« er deutete auf Hope, »ist der erste Steuermann; er leitete die Manöver, durch welche die ›Hoffnung‹ Ihnen entkommen wäre, wenn Sie nicht Dampf angewandt hätten.«

»Macdonald, zürnst du mir?« wandte sich Hope in bittendem Tone an ihren Bruder.

»Meine liebe Schwester, hast du nicht die Depesche erhalten, die ich dir nach Hamburg sandte?«

»Nein.«

»Sie enthielt meinen Glückwunsch zu eurer Hochzeit und zugleich die Versicherung, daß der Vermittler ganz und gar nicht meinen Instruktionen nach gehandelt hat, wie ich später erfuhr. Er handelte nach eigenem Ermessen; nie würde ich meiner Schwester solche harte Worte haben sagen lassen. Du weißt ja ...«

»Ich weiß, wie sehr du mich liebst,« sagte Hope zärtlich, »ich besann mich auch später, daß du mir so etwas sicher nicht hättest sagen lassen, es wäre zu hart gewesen.«

»Wie kommt es aber, daß ihr die Depesche nicht erhalten habt? Ich erfuhr von eurer Hochzeit zwei Tage zuvor und gab das Telegramm sofort auf, es muß euch doch also noch am Tage der Hochzeit erreicht haben?«

»Wir hatten aber keine Zeit mehr,« lachte Hannes. »Der Boden brannte uns unter den Füßen. Wir mußten wieder auf schwankenden Planken stehen. Kaum hatte der Pfaffe Amen gesagt, so rannten wir gestreckten Laufes nach dem Hafen, die ›Hoffnung‹ war fix und fertig, uns aufzunehmen; meine Matrosen, alles alte Freunde, hatten sie prachtvoll ausgeschmückt, füge ich Ihnen, alles mit Tannenreis und Flaggen deklariert ...«

»Dekoriert,« verbesserte ihn Hope.

»Richtig, dekoriert,« fuhr der Baron fort. »Als unser Boot das Schiff erreichte, lagen schon die Anker an Deck; die Leute am Ufer schrieen Hurra, meine Matrosen schwenkten ihre funkelnagelneuen, roten Schnupftücher, die sie sich extra gekauft hatten, weil meine Frau an Bord kam; ich brauchte bloß zu pfeifen, die Segel flogen 'runter, und fort ging's, die Elbe herunter und hinaus!«

»Und wohin geht die Fahrt jetzt?« fragte Kapitän Staunton, im stillen über diesen freimütigen, tatkräftigen Freiherrn lächelnd.

»Wir suchen die ›Vesta‹ auf,« sagte Hope lachend.

»Wissen Sie noch nicht, daß dieselbe untergegangen sein soll?« wandte sich Staunton an Hannes.

»Erfahren haben wir es. Wir sind über ihr und des ›Amor‹ Schicksal ganz genau unterrichtet worden,« antwortete dieser, »aber Sie haben recht, wenn Sie das ›soll‹ betonen. Ich glaube noch lange nicht, daß die ›Vesta‹ untergegangen ist. Die Mädchen sollten das Boot ohne Korkfassung ausgesetzt haben? Glaube ich nicht, dazu war immer noch Zeit, und wenn das Deck schon unter Wasser stand. Sie sagen, die Korkfassung könne von der Brandung abgerissen worden sein? Geht nicht, ich kenne die Boote der ›Vesta‹ so genau wie meinen Wachstuchhut hier. Nein, der Schiffbruch ist nur simuliert. Die Vestalinnen wurden stets verfolgt, eine Bande Schurken versucht beständig, sie zu fangen, und das ist ihr nun auch gelungen; sie haben die Boote ausgesetzt, vielleicht auch ein paar Planken von der ›Vesta‹ abgerissen, um die Welt glauben zu machen, sie sei untergegangen. Aber, ob ich nun Freiherr oder bloß Hannes Vogel bin, glauben tut das keiner; ich kalkuliere, die ›Vesta‹ lebt noch, ebenso wie ihre Besatzung. Und wir werden sie suchen und auch finden, oder ich will Freiherr von Matz heißen.«

»Ich werde Ihnen auf die Spur helfen können,« sagte Staunton. »Wir haben heute morgen nämlich einen seltsamen Fang gemacht, Personen, welche Sie kennen werden und die Ihnen mehr Aufschluß geben können.«

Nun erzählte Kapitän Staunton den aufmerksam Zuhörenden, wie er, als er an der Küste von Brasilien kreuzte, einem Schiffe begegnet sei, dem er als Sklavenhändler schon lange auflauere. Dasselbe verhielt sich auch sehr verdächtig, es wendete sich und fuhr zurück, steuerte dann aber wieder denselben Kurs, das heißt, es kam dem ›Swift‹ entgegen.

Eine Untersuchung an Bord ergab nichts; das Schiff mußte freigelassen werden.

Als der ›Swift‹ den alten Kurs weiterfuhr, entdeckte er plötzlich ein Boot auf dem Meere schwimmen, voller Menschen, und zu seinem Erstaunen fand Staunton in diesen Personen Mädchen, meist Kreolinnen und Mestizen aus Südamerika.

Die dreizehn Mädchen waren äußerst ängstlich, nur schwer konnte man aus ihnen etwas herausbringen, aber man erfuhr so viel, daß sie diejenigen waren, welche einst von den Vestalinnen befreit wurden.

Wie sie hierherkamen, konnte man nicht verstehen. Staunton sagte, sie sprächen ganz ungereimtes Zeug zusammen. Bald schwatzten sie von den Vestalinnen, von einer Insel, auf der es Geister gäbe, von Löwen, von Piraten, die ebenfalls auf der Insel wohnten, dann wieder von einem Ueberfall, abermals von der Insel und Geistern, kurz und gut, sie sprachen solchen Unsinn zusammen, daß man annehmen könne, schloß Staunton, sie seien geistesgestört.

»Sie sind es,« rief Hope, »unsere befreiten Sklavinnen! Leben sie, dann leben auch noch die Vestalinnen! Sind sie an Bord, Macdonald? Schnell, führe uns zu ihnen, damit wir sie ausfragen können, mich kennen sie und werden vernünftiger antworten.«

»Gemach, gemach,« unterbrach ihr Bruder sie. »Sie sind allerdings drüben an Bord, und ihr könnt sie nachher sprechen. Erst laß mich weiter erzählen. So viel erfuhr ich doch, daß sie auf demselben Schiffe gewesen waren, welches ich eben durchsucht hatte. Der schlaue Sklavenhändler hatte mein Schiff entdeckt und als eins erkannt, welches auf seinesgleichen Jagd macht. Er wußte, daß er mir nicht entkommen konnte und setzte deshalb seine Ware in einem Boote aus. Ich fuhr sofort zurück und begann ihn zu suchen, konnte ihn aber nicht finden. Deshalb lief ich den nächsten Hafen an, gab Namen und Signalement des verdächtigen Schiffes an und fuhr weiter. Mehr konnte ich nicht tun.«

»Wird nicht viel Erfolg haben,« meinte Hannes. »Diese Sklavenhändler verstehen ausgezeichnet, das Aeußere ihrer Schiffe zu ändern. Ich wette, daß es niemals wieder in irgend einem Hafen erblickt wird. Solche Schufte haben immer genügend falsche Papiere bei sich.«

»Möglich. Ich konnte nichts anderes tun.«

»Wo befinden sich die Mädchen jetzt?«

»Im Zwischendeck, sie schlafen. Ich traf sie in einem sehr erschöpften Zustande; der Sklavenhändler wird ihnen übel mitgespielt haben. Ich habe ihnen einen abgeschlossenen Raum angewiesen, damit sie von der Mannschaft nicht belästigt werden.«

»Kapitän,« sagte Hannes, »wollen Sie mir diese Madchen überlassen?«

»Die Mädchen? Nein, das geht nicht,« rief Staunton, »es ist meine Pflicht, sie abzuliefern.«

»Sie sind doch unumschränkter Herr Ihres Willens. Warum sollten Sie uns die Befreiten nicht überlassen, wenn wir Sie davon überzeugen, daß dies einmal für die Mädchen selbst und dann auch für die Vestalinnen von größtem Vorteil ist?«

»Wie meinen Sie das?«

»Sehr einfach! Erst vernehmen wir einmal die Mädchen, wann sie die Vestalinnen verlassen haben.«

»Das können Sie auch an Bord meines Schiffes tun,« erwiderte ihn Staunton.

»Das wohl, aber wir brauchen die Mädchen auch fernerhin. Ich kalkuliere nämlich, die Vestalinnen sind auf einer Insel, und die Sklavinnen sind ihnen von dort entführt worden, wie es schon öfters passiert ist. Nun gilt es, diese Insel aufzusuchen, und zwar mit Hilfe der Aussagen dieser Mädchen.«

»Das ist ein schwieriges Geschäft.«

»Aber nicht unmöglich! Jedenfalls müssen die Befreiten noch viel genauer vernommen werden, als es von Ihnen geschehen ist. Täglicher Umgang mit ihnen ist nötig, und zwar ein ganz vertraulicher. Hope wäre dazu geeignet, um so mehr, als sie diese kennen. Gelingt es uns aber dennoch nicht, die Vestalinnen zu finden, so gebe ich diesen Plan vorläufig auf und schaffe die Mädchen, wenn ich alles erfahren habe, was sie aussagen können, einzeln in ihre Heimat, führe also die Absicht aus, welche die Vestalinnen schon vorhatten. Wollen Sie mir die Mädchen jetzt noch vorenthalten?«

Kapitän Staunton sah die Richtigkeit des Planes ein, zögerte aber noch, einzuwilligen.

Da nahm Hope das Wort.

»Bruder,« sagte sie, »bedenke doch, diese Mädchen sind dem Schutze der Vestalinnen nur entzogen worden; du hast den Räubern ihre Beute wieder abgenommen, aber keine Zeit, sie den Damen zurückzugeben, weil die Pflicht dich an der Küste von Brasilien hält. Nun kommen wir, die wir die Vestalinnen aufsuchen wollen; ich selbst war oder bin sogar noch eine Vestalin und fordere dir die Mädchen ab. Traust du uns etwa nicht?«

Staunton lächelte.

»Es ist aber keine gewöhnliche Ware, es sind Sklavinnen, Menschen,« sagte er.

»Ja, doch das bleibt sich gleich. Dich kann kein Gerichtshof der Welt verurteilen, wenn du uns die von dir befreiten Sklavinnen überläßt. Hast du sie überhaupt befreit? Nein, du hast sie nur gefunden, vielleicht sind es Schiffbrüchige, und solche uns zu überlassen, wirst du dich wohl nicht weigern. Also liefere sie uns aus!«

Es wurden noch mehr Gründe vorgebracht, und schließlich sah der bedrängte Kapitän ein, daß er wirklich ohne Gewissensbisse die dreizehn Mädchen an Bord der ›Hoffnung‹ bringen könnte.

Aber er verlangte, daß Freiherr von Schwarzburg und dessen Frau ein Protokoll unterschrieben, in dem die ganze Sache dargelegt wurde, so daß Staunton keiner Pflichtverletzung beschuldigt werden konnte. Die Offiziere seines Schiffes, sowie der zweite Steuermann der ›Hoffnung‹, früher der erste Steuermann der ›Kalliope‹, fungierten als Zeugen.

Die Schiffe blieben bei dem ruhigen Wetter nebeneinander liegen, während die Sache an Deck der ›Hoffnung‹ vorschriftsgemäß abgemacht wurde. Die dabei nicht gerade beteiligten Personen gaben sich unterdes der Freude des Wiedersehens hin, es gab ja noch so viel zu erzählen.

»Also habe ich wirklich alles durchgebracht?« lachte Hope sorglos, als ihr Bruder mit eigenem Munde bestätigte, daß von dem Vermögen des Vaters nichts mehr vorhanden wäre.

»Du hättest mich eher über die Verhältnisse aufklären sollen, damit meiner leichtsinnigen Verschwendung ein Ziel gesetzt wurde.«

Der Bruder versuchte vergebens, ihr eine andere Ansicht beizubringen; Hope hielt sich nun einmal für schuldig an dem Familienruin, fügte dann aber auf ihre gewöhnliche, naiv-gutmütige Art hinzu:

»Na, Macdonald, wenn du einmal in Verlegenheit bist, dann komme nur zu uns. Wir beide zerbrechen uns schon manchmal den Kopf, wie wir das viele Geld auf eine möglichst anständige Weise durchbringen sollen. Aber sag', was macht Leutnant Murbay, er hat die Sache doch nicht etwa tragisch genommen und den verschmähten Liebhaber gespielt?«

»Er hat sich wie ein Mann benommen,« antwortete Staunton einfach, »indem er sich in das fügte, was nun einmal nicht mehr zu ändern war.«

»Und seine Schwester ist auch ohne mich gesund geworden! Es ist ein Glück, daß ich nicht zu ihr ging, ich hätte sie mit meinen Launen doch nur zu Tode gequält.«

Hannes rief die Geschwister an den Tisch. Nach einigen Minuten war alles erledigt.

»Was hätten Sie gemacht, wenn ich mich unserer Verwandtschaft nicht erinnert, sondern Sie, Hope und die ganze Mannschaft in einem nordamerikanischen Hafen zur Bestrafung wegen Ungehorsam gegen ein Kriegsschiff ausgeliefert hätte? Würden Sie sich das ruhig haben gefallen lassen?«

»Warum denn nicht?« lachte Hannes, »viel kann dies Vergehen doch nicht kosten.«

»Außer einer Geldstrafe gibt es immer ein paar Monate Gefängnis.«

»Wenns weiter nichts ist! Das wäre nicht das erstemal, daß ich wegen eines Vergehens gegen die Gesetze im Loche säße, manchmal war ich schon unschuldig darin: viel schöner ist es aber doch, wenn man sich schuldig weiß. Sind Sie schon einmal eingesperrt worden, Schwager?

Staunton bedauerte lächelnd, dieses Glück noch nicht genossen zu haben.

»Das ist prachtvoll, sage ich Ihnen, wenn so die ganze Mannschaft, sogar der Kapitän mit, in einem Loche zusammensitzt. Ganz wunderbare Sachen werden da ausgeheckt, um die Langeweile nicht aufkommen zu lassen, wie man sie am Lande gar nicht kennt. In Valparaiso wurde einmal die ganze Besatzung der ›Kalliope‹ eingelocht, weil wir den Lootsen gekielholt hatten.«

»War dies nicht früher die ›Kalliope‹?«

»Es ist dasselbe Schiff noch, ist nur lange in Dock gewesen. Ein schönes Schiff, nicht? Auch die Mannschaft ist fast noch dieselbe. Weißt du noch, Bootsmann, wie wir in Valparaiso dem schlafenden Posten Gewehr und Hirschfänger gestohlen haben und ihm dafür einen Besen in den Arm und einen Löffel in den Gurt gesteckten?«

Der Bootsmann, ein alter Bekannter aus dem ›Schiffsanker‹ zu Sidney, hatte, etwas seitwärts stehend, der Unterredung seines jungen Kapitäns mit dem Offizier gelauscht. Jetzt antwortete er:

»Ja, und als der revidierende Offizier kam, präsentierte der Kerl mit dem Besen. Ich glaubte schon, jene goldenen Zeiten wären vorbei, jetzt scheinen sie aber wiederzukommen. Mit der ›Hoffnung‹ ist wieder ein Schiff jener Art entstanden, die wie Schwäne das Meer befuhren, wie Möwen sich vom Sturme treiben ließen, ohne die Segel zu bergen, und die noch keinen Dampfer kannten, welcher sie in den Hafen schleppte. Ob Vor- oder Achterwind, wir segeln in den Hafen und bergen die Leinwand erst, wenn der Anker sich in den Grund bohrt.«

»Wir vergessen über dem Gespräch unsere Aufgabe,« unterbrach Hope. »Wir wollen die Mädchen jetzt an Bord der ›Hoffnung‹ nehmen.

»Noch eins,« sagte Hannes zu seinem Schwager. »Mir kam die Nachricht zu, die Herren des ›Amor‹ hielten sich im Innern von Südamerika auf. Wissen Sie vielleicht, was sie dazu veranlaßt?«

»Auch ich bin darüber noch nicht aufgeklärt worden,« entgegnete der Fregattenkapitän. »Ich bin schon lang auf der See, und in dem Hafen, welchen ich heute morgen anlief, erfuhr ich nichts auf meine Erkundigungen hin. Was wissen Sie darüber?«

»Nur soviel, daß die Engländer die Küste abgesucht haben, wo der Schiffbruch der ›Vesta‹ stattgefunden haben soll. Es verlautete ja, das Schiff wäre dort an einem Felsenriff zerschmettert worden. Ich hoffe, wenn ich nach Chile komme, alles zu erfahren, vielleicht auch schon eher, in einem anderen großen Hafen; die Berichte darüber müssen ja nun heraus sein. Ich vermute bestimmt, es liegt wieder eine Teufelei vor, die vielleicht den Zweck hatte, die Herren ins Innere zu locken und sie nach und nach aufreiben zu lassen. Bestätigt sich das, so werde ich den Engländern beistehen.«

»Sie haben viel vor.«

»Eins nach dem anderen; erst will ich den Aufenthalt der Vestalinnen aufspüren. Also bitte, lassen Sie die Mädchen an Deck kommen!«

Mit niedergeschlagenen Gesichtern kamen die jungen Geschöpfe nach oben; sie meinten nicht anders, als neues Ungemach harre ihrer. Sie kamen aus dem Unglück nicht heraus. Glaubten sie sich schon sicher, so wurden sie wieder fortgeschleppt und fielen abermals in fremde Hände.

Ach, was für Freude entstand unter ihnen, als sie in Hope eine der Vestalinnen erkannten, eine ihrer Retterinnen! Neue Hoffnung tauchte in ihnen auf, abermals schien ihnen der Weg in ihre Heimat geöffnet zu sein. Der Kapitän, der sie aufgenommen hatte, war also kein Pirat gewesen. Hope unterhielt sich ja liebevoll mit ihm.

Das junge Paar, Hope und Hannes, verzichtete jetzt darauf, aus den Mädchen irgend etwas herauszubringen. Dieselben waren in ihrer Freude zu aufgeregt, um klare Antworten geben zu können.

Es wurde ihnen an Bord der ›Hoffnung‹ ein bequemer Aufenthaltsort angewiesen. Später erst sollte Hope versuchen, alles von ihnen zu erfahren, was das Schicksal der Vestalinnen betraf. Es war schwer, von diesen Mädchen, denen jede Kenntnis einer Ortsbestimmung abging, die Lage einer Insel zu erforschen, aber vielleicht war es doch möglich, daß Geduld zu einem guten Resultate führte.

Die Offiziere beider Schiffe nahmen voneinander Abschied. Nach einer herzlichen Umarmung wurden die Enterhaken gelöst, der›Swift‹ gab Dampf, um sich von der Bark freizumanövrieren, aber ehe noch die Schraube sich drehen konnte, war es der ›Hoffnung‹ schon gelungen, nur unter Anwendung der Segel abzusetzen.

Noch einen Abschiedsgruß, ein Tücherschwenken, und die beiden Schiffe verloren sich in der Weite des Ozeans. Der ›Swift‹ steuerte nach Norden, die ›Hoffnung‹ nach Süden.

Hope konnte ihre Neugier nicht unterdrücken. Sie befragte noch an demselben Tage die Mädchen und erfuhr überraschende Neuigkeiten: die Aussetzung Johannas, die Geschichte mit dem ungenießbaren Trinkwasser, von Miß Morgans Verrat, von der Felseninsel mit ihren Wundern und dem Besuch der Piraten auf derselben.

So unklar die Erzählung der Mädchen auch war, man konnte doch allerlei Schlüsse aus ihr ziehen.

Hannes erkundigte sich so genau wie möglich, wie lange die ›Vesta‹ gefahren war, ehe sie wegen Wassermangel eine kleine, schönbewaldete und wasserreiche Insel angelaufen sei, besprach sich hierauf lange mit Hope und dem zweiten Steuermann und gab dann den Kurs nach den Juan-Fernandez-Inseln an.


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