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43.

Zu Tode gemartert.

Es war den Waldläufern, selbst unter der Führung von Deadly Dash, nicht so leicht geworden, die Fährte der flüchtigen Indianer zu verfolgen. Dieselben hatten sorgfältig darauf geachtet, ihre Spur zu verwischen, und da sie mehrere Male in Kanoes auf kleinen Flüssen gefahren waren, so fand sich selbst Lizzard nicht immer zurecht.

Die Indianer waren jedenfalls schnell marschiert, hatten sich aber doch alle nur erdenkliche Mühe gegeben, die Verfolger irrezuleiten, bis man endlich gegen Abend Spuren von Pferdehufen bemerkte. Die Indianer hatten sich beritten gemacht und waren in gestrecktem Galopp davongejagt.

Die Spuren wurden deutlicher, aber man durfte nicht hoffen, die Rothäute bald einzuholen, denn jedenfalls ritten sie die ganze Nacht hindurch.

Natürlich blieben auch die Trapper die ganze Nacht im Sattel, immer hinter dem spürenden Hunde her, zuerst Deadly Dash und an seiner Seite Lord Harrlington, welcher vor Sorge um Ellen sich halb wahnsinnig fühlte.

Der erste Sonnenstrahl fand sie noch immer im Walde, aber die Gegend war hügeliger geworden. Man ritt über Berge und durch Täler, und aus Vorsicht rekognoszierte Deadly Dash stets selbst von einem Hügel das Tal, welches sie passieren wollten, denn leicht konnte ihnen dort ein Hinterhalt gestellt worden sein.

So sehr Harrlington auch diesen oftmaligen Aufenthalt verwünschte, mußte er sich doch den Anordnungen des Waldläufers fügen.

Wieder ritt Deadly Dash auf den Rücken eines Hügels voraus, während die anderen hinter einem Busch regungslos halten mußten. Als er einen Ort erreicht hatte, von dem er freie Umschau halten konnte, zügelte er sein Roß und spähte in den Talkessel hinunter.

So kalt und unempfindlich gegen alle äußeren Eindrücke Deadly Dash sonst auch war, in diesem Augenblick verlor er seine Selbstbeherrschung. Er riß dem Pferde in die Zügel, daß es hoch aufbäumte, und schrie laut auf. Im nächsten Augenblick jagte er in voller Karriere den steilen Hügelabhang hinunter, daß sich das Pferd zu überstürzen drohte.

Er hatte seine Begleiter zwar nicht aufgefordert, ihm zu folgen, aber als sie erst gesehen hatten, was den Waldläufer zu solcher Eile anspornte, hieben auch sie wie wahnsinnig auf die Pferde ein, allen voran Lord Harrlington.

Ein weiter Talkessel breitete sich vor ihnen aus, zu welchem der Abhang hinabstürzte. Das Tal war so groß, daß man eben noch die Gruppe von Menschen erkennen konnte, die am anderen Ende des Tales zusammengedrängt stand.

Harrlingtons Haare sträubten sich vor Entsetzen. Er schrie gellend auf und stieß dem Rosse die Sporen bis an die Hacken in die Seite, so daß es wie ein Pfeil dahinflog, aber wahrscheinlich auch seinen Reiter zum letzten Male trug.

Und sollte er dennoch zu spät kommen?

Die Indianer dort marterten nach ihrer Weise einen Gefangenen zu Tode, und diese Person konnte niemand anderes sein als Ellen.

So weit auch die Entfernung war; die klare Morgenluft ließ die Indianer scharf erkennen, wie sie in grotesken Sätzen um den Pfahl herumsprangen, an dem die Gefangene stand, allem Anschein nach nackt. Selbst die Flammen konnte man sehen, die zu ihren Füßen emporleckten, und sie waren schon so hoch, daß sie ihre gefräßige Arbeit begonnen haben mußten.

Ein entsetzlicher Anblick bot sich den Reitern: Indianer verbrannten am Marterpfahl ein Weib, das sie schreiend umtanzten.

»Zu spät, zu spät!« gellte es in Harrlingtons Ohren.

Das Blut drang ihm in die Augen; es flimmerte ihm vor denselben, dennoch aber mußte er alles sehen.

Die Gefangene schien schon ausgelitten zu haben; das Haupt hielt sie weit nach vorn geneigt, sie sträubte sich nicht.

Doch was war das?

Da stürzte ein anderes Weib hervor auf die Gefangene zu, zerstörte das Feuer mit den Füßen und wendete sich dann mit heftigen Bewegungen an die Indianer. Diese hielten in ihren Tänzen inne, deuteten auf die Gefangene und schienen ebenso hastig zu antworten.

Mehr konnten die Heranjagenden nicht sehen, denn sie selbst waren von den Indianern bemerkt worden, und wollten diese nicht von den Trappern überrascht und durch die Gewalt des Angriffes niedergeworfen werden, so mußten sie an Gegenwehr oder an Flucht denken.

Sie zogen das letztere vor.

Kaum erblickte einer von ihnen die ansprengende Reiterschar, als er die anderen schnell darauf aufmerksam machte. Sie erschraken, schwangen drohend die Tomahawks nach den Ankommenden und verschwanden im Walde, wo ihre Pferde jedenfalls angebunden waren. Gleichzeitig mit ihnen verschwand auch das Weib im Walde.

Die Gefangene war allein; aber die Flammen leckten jetzt hoch an ihrem Körper empor.

Lord Harrlington hatte das fliehende Weib wohl erkannt, es war keine andere, als Miß Morgan, die einstige Freundin Ellens, von deren eigentlicher Natur er nun aber schon genug erfahren hatte. Doch jetzt dachte er nicht an Rache, sondern nur an Ellen.

In einer Minute hatte er den Pfahl erreicht. Das Pferd brach unter ihm zusammen, der Reiter wurde zu Boden geschleudert, er raffte sich auf und stürzte auf die Unglückliche zu, doch er vermochte nicht mehr, ihr Hilfe zu leisten, er kam zu spät.

Der Anblick, der sich ihm bot, war so entsetzlich, daß dem starken Manne die Sinne schwanden und er schwer zu Boden schlug. Jetzt waren alle seine Hoffnungen zu schanden gemacht worden, er war für alle Zeiten ein unglücklicher Mensch.

Auch die nachkommenden Waldläufer waren außer sich über die Szene, die sich ihnen darbot.

Die Unglückliche war von den Indianern nackt ausgezogen worden, ehe sie an den Marterpfahl gebunden wurde, und auch den Skalp hatte man ihr nicht gelassen. Sie hing nur noch an den Stricken, welche ihren Körper an dem Pfahl festhielten, die unteren Glieder waren vollkommen verkohlt und noch immer leckte die Flamme empor. Der Tod mußte sehr bald eingetreten sein, aber auf eine furchtbare Weise. Die Gesichtszüge waren vom höchsten Schmerze verzerrt, und doch konnte man an ihnen noch Ellen erkennen

Deadly Dash sprang hinzu, um die Stricke zu durchschneiden, aber schon fiel ihm der Leichnam entgegen, die Fesseln waren durchgebrannt. Der Waldläufer kannte keinen Ekel. Er fing den verkohlten Leichnam auf und ließ ihn ins Gras gleiten.

Deadly Dash schämte sich nicht, daß ihm die Tränen über die Wangen flossen, und auch den anderen Trappern stahlen sich die Tränen in die Augen. Scheinbar am teilnamlosesten verhielt sich Harrlington. Er lag mit dem Gesicht auf der Erde und hatte die Hände fest ins Gras gekrallt. Kein Zucken, kein Schluchzen verriet seinen inneren Schmerz, er hätte für ohnmächtig gelten können, wenn er nicht so tief geatmet hätte.

»Was wollt Ihr tun?« fragte Deadly Dash den Waldläufer, welchen wir als Joe kennen.

Der Mann wollte eben sein Pferd besteigen.

»Dasselbe wie die anderen, die Indianer verfolgen und nicht eher zurückkehre«, als bis der letzte dieser apachischen Bluthunde tot ist,« antwortete Joe mit rauher Stimme, die seine Bewegung verdecken sollte.

»Begrabt erst diese Unglückliche.«

»Nein, keinen Augenblick Verzögerung wegen der Toten,« rief Joker, »Auf, Burschen, diesmal gilt es eine Jagd nach Skalpen! Wenn ich auch ein Weißer bin, so schwöre ich diesmal aber doch, jedem, der von meiner Hand fällt, den Skalp zu rauben.«

»Und ich schwöre, nicht eher zu ruhen, als bis ich den Hunden mit ihren eigenen Tomahawks ihre ruchlosen Hände abgehauen habe,« fügte Joe hinzu.

»Und ich reiße ihnen die Zungen heraus, so wahr mir Gott helfe!« ein Dritter.

Die sechs Männer saßen schon zu Pferde, die Büchsen diesmal schußbereit in den Armen. Ihre finsteren Gesichter drückten die furchtbarste Entschlossenheit und die rücksichtsloseste Grausamkeit aus

»Kommt mit, Deadly Dash!«

»Ich muß erst den Leichnam begraben und kann diesen Mann nicht verlassen! Ihr seid genug, dies Dutzend elende Feiglinge zu bestrafen.«

»Das sind wir, bei Gott,« rief Joker. » Good bye, Dash, du siehst mich entweder mit den Skalpen oder gar nicht wieder.«

Die Reitertruppe setzte sich in Bewegung. Auf seine Büchse gestützt sah ihnen der Waldläufer nach, bis die Bäume sie seinen Blicken entzogen.

Dann ging mit dem Waldläufer eine seltsame Veränderung vor. Hatte er bis jetzt nur Tränen gezeigt, so begann er nun mit einem Male laut aufzuschluchzen, und unaufhaltsam rollten Tränen über die wettergebräunten Wangen. Lange blieb er so mit gesenktem Kopfe stehen, ohne sich zu rühren, und auch Harrlington lag noch ebenso bewegungslos auf der Erde, wie zuvor.

Endlich ermannte sich der Waldläufer. Leicht berührte er mit dem Kolben der Büchse die Hand des Daliegenden, und als dieser die Berührung nicht zu bemerken schien, faßte er ihn an.

»Kommt, wir wollen sie begraben!« sagte er leise.

Lord Harrlington blickte auf. Deadly Dash sah in ein zusammengefallenes Gesicht mit glanzlosen Augen. Der Lord war plötzlich um zehn Jahre gealtert.

»Begraben?« murmelte er.

Dann sprang er auf, stürzte auf den verkohlten Leichnam zu, sank in die Knie und führte die noch unverletzte Hand an die Lippen.

»Ellen!« stöhnte er.

Weiter brachte er nichts hervor, in diesem einen Worte lag alles, sein namenloser Schmerz und seine grenzenlose Verzweiflung.

»Wir wollen sie begraben,« wiederholte der Waldläufer, ebenso leise wie zuvor.

»Begraben?« schrie da Harrlington auf. »Nimmermehr. Ich muß sie mit mir nehmen.«

»Armer Mann, das könnt Ihr nicht! Euer Pferd ist unfähig, sich wieder zu erheben, und wir haben kein Tuch, um den Leichnam einzuschlagen. Wir wollen sie hier im Walde begraben, sie hat ihn stets geliebt. Nachdem sie ausgelitten, ist es ihr gleich, wo sie ruht. Jetzt ist ihr wohl. Tröstet Euch damit, armer Mann!«

Hilfesuchend blickte sich Harrlington um, er wollte den Körper der Geliebten nicht zurücklassen.

Da sah er plötzlich einige Schritte entfernt neben einem Strauche etwas am Boden liegen. Er sprang hin und hob es vom Boden auf. Es war eine Art von Umschlagetuch, welches infolge der Aufregung den sonst so scharfsichtigen Waldläufern entgangen war.

Ein Indianer mußte es im Augenblick der Gefahr weggeworfen haben. Sonst hatten sie alle Kleider des Mädchens als Beute mitgenommen.

»Das letzte Andenken!« murmelte Harrlington. Zum ersten Male zeigten sich Tränen in seinen Augen.

Schnell trat Deadly Dash auf ihn zu.

»Das ist kein Tuch von Miß Petersen,« rief er. »Die Damen waren in Männerkleidung und hatten keine anderen Kleider oder Tücher mit sich.«

Harrlington blickte auf und ließ das Tuch wieder zu Boden fallen.

»Es wird jenem Weibe gehört haben, welches vorhin zwischen die Indianer trat,« fuhr der Waldläufer fort.

»Was sagt Ihr?« schrie da der Lord auf. »Auch Ellen hatte die Schiffskleidung an?«

»Gewiß, sie hatte gar keine anderen Sachen bei sich, ebensowenig wie die anderen.«

In dem Gesichte Harrlingtons ging plötzlich eine Umwandlung vor, es leuchtete darin wie Hoffnung auf.

»Ihr irrt Euch wirklich nicht?« rief er atemlos. »Ellen hatte keine Frauenkleider an?«

»Nein, ganz bestimmt nicht. Aber was soll das?«

»Nun denn, hört mich, Mann, so wahr, wie ich hier stehe, ich habe mich nicht getäuscht. Das Mädchen, welches vor meinen Augen von den Indianern weggeschleppt wurde, war wie ein Weib angezogen, es trug ein helles, schleppendes Kleid, welches beim Laufen aufgehoben werden mußte.«

Sprachlos starrte der Waldläufer den Sprecher an. Gegen diese Art von Ueberraschung war er nicht gefeit.

»Dann war die Gefangene auch nicht Miß Petersen,« stammelte er endlich. »Sie kann es nicht gewesen sein.«

»Mein Gott, wer sonst soll es denn aber gewesen sein?« rief Harrlington, der nicht wußte, ob er jubeln oder weinen sollte.

»Sagt mir's nochmals, trug sie keine Männerkleidung?«

»Nein, aber dennoch ...«

Harrlington blickte verstört nach dem Leichnam hinüber.

»Was denn?«

»Ich stand dicht vor ihr und habe ihr in's Gesicht gesehen. Es war dennoch Ellen, wie sie leibte und lebte.«

Lange stand der Waldläufer mit gesenktem Kopfe da. Er hörte nicht mehr auf die angstvollen Fragen des Lords, er ging nicht wie dieser zu der Leiche, um nach irgend einem Erkennungszeichen zu suchen, sondern überlegte nur, ohne aufzuschauen.

»So sprecht doch!« rief Harrlington außer sich, »Flößt mir nur eine Hoffnung ein! Was meint Ihr, sollte es gar nicht Miß Petersen sein?«

Endlich hob der Waldläufer den Kopf.

»Ich glaube, das Rätsel lösen zu können. Es ist nicht Miß Petersen, vor deren Leiche wir stehen, sondern ein anderes, uns ganz fremdes Weib,« sagte Deadly Dash, und so ruhig er sich auch stellte, so hörte der Lord doch die innere Freudigkeit heraus.

»Sprecht Ihr die Wahrheit?«

»Vorläufig nur eine Vermutung, aber bald werden wir die Wahrheit erfahren. Jetzt legt mit Hand an! Wir wollen die Unglückliche begraben. Wer es auch gewesen sein mag, ein solch furchtbares Schicksal, lebendig skalpiert und verbrannt zu werden, hat sie nach irdischer Gerechtigkeit nicht verdient. Wir wollen sie anständig begraben, so weit es unsere Hilfsmittel ermöglichen.«

Harrlington half dem Waldläufer, ein Grab herzustellen, aber so sehr er auch in den Mann drang, Deadly Dash gab keine Antwort mehr. Stumm grub er in die Erde, und Harrlington peinigte sein Herz fast bis zu Tode; er war ruhelos.

War es Ellen, oder war sie es nicht, die sie jetzt in die Erde legten? Diese Frage brachte ihn bald dem Wahnsinn nahe.

Noch war die Erde nicht über den Leichnam gedeckt, als der Klang flüchtiger Rossehufe erscholl, und eine kleine Kavalkade Reiter angesprengt kam. Der an der Spitze trieb sein Pferd zum raschestem Lauf an und schwenkte schon von weitem ein Tuch.

Harrlington erkannte in ihm Nick Sharp, der nicht mehr die Rolle eines Dieners spielte, sondern als Gesellschafter der Herren reiste.

»Wir kommen zu spät, ich dachte es mir,« rief der Detektiv und schwang sich vom Pferde.

Er kniete neben der Leiche nieder und blickte der Toten aufmerksam in's Gesicht.

»Sie ist es,« murmelte er und stand auf. Selbst er war erschüttert. »Lord Harrlington, hier liegt das Weib, welches Sie und Ihre Genossen unter dem Namen von Miß Petersen nach Südamerika lockte, es ist die Doppelgängerin jener, und als solcher ist ihr das Schicksal widerfahren, welches für Miß Petersen bestimmt war. Miß Morgan wollte ihre Feindin durch Indianer des qualvollsten Todes sterben lassen. Durch einen Zufall fiel ihnen dieses Mädchen, Miß Leigh, in die Hände, sie glaubten die Richtige zu haben, entführten sie und verbrannten sie, der Anweisung von Miß Morgan gemäß, sobald sie Gelegenheit dazu hatten.«

Erschüttert hörten Lord Harrlington und Deadly Dash diese furchtbare Nachricht.

»Wo ist Miß Petersen?« fragte Harrlington dann leise.

»In den Ruinen. Sie hatte sich verirrt und war von dem Indianer, welcher durch Euch, Deadly Dash, dingfest gemacht wurde, angesprochen worden. Schmalhand sagte, er wäre gekommen, sie zu suchen, ein Herr folge ihm, und führte sie der Richtung zu, wo die von Miß Morgan gemieteten Indianer sich aufhielten, welche sie rauben sollten.

»Miß Petersen war erst etwas mißtrauisch, dann aber folgte sie dem Indianer. Plötzlich erblickte Schmalhand seinen Feind Stahlherz. Er erschrak furchtbar und floh, doch jener war gleich hinter ihm her. Ich schoß nach ihm, und so wurde er gefangen.

»Bei dieser Aufregung achtete niemand auf Miß Petersen. Schmalhand war ziemlich weit geflohen, und so vergingen einige Minuten, ehe sie die Gruppe erreichte, die sich um den gefangenen Indianer gebildet hatte.

»Ihr waret unterdessen schon aufgebrochen, um der vermeintlichen Miß Petersen zu folgen.

»Denkt Euch unser Erstaunen, als wir die richtige Miß Petersen plötzlich in unserer Mitte sahen. Lord Harrlington wollte Miß Petersen bestimmt gesehen haben, und sofort fiel mir Miß Leigh ein, deren Namen ich erfahren hatte. So war sie also den Indianern in die Hände gefallen, welche von Miß Morgan auf Miß Petersen gehetzt worden waren. Die Indianer kannten wahrscheinlich Miß Leigh nicht, die Beschreibung aber paßte auf sie, und so wurde sie mitgeschleppt und anstatt Miß Petersen gemartert. Ihr geschah recht, ich kann sie nicht im mindesten bedauern. Wer anderen eine Grube grabt, fällt selbst hinein, ist ein altes Sprichwort, das sie hätte kennen müssen, und der Miß Morgan wird es einst auch nicht anders ergehen.«

»Aber was wollte Miß Leigh in der Ruine?« fragte Lord Harrlington.

»Das weiß ich noch nicht. Wir konnten von Schmalhand nur eben das notdürftigste erfahren, dann saßen wir auf den Pferden und jagten Euch nach, um Euch von einer vergeblichen Verfolgung abzuhalten. Jedenfalls aber ist die Tote von Miß Morgan ausgeschickt worden, um in der Ruine zu spionieren, oder sie hat sich verirrt und ist in den Tod gelaufen.«

»Dann steht sie jedenfalls noch immer mit Miß Morgan in Verbindung,« meinte Deadly Dash, somit verratend, daß er viel mehr von den Verhältnissen wußte, als er gewöhnlich vorgab. Doch Lord Harrlington achtete jetzt nicht darauf, er war außer sich vor Freude.

»Sicherlich!« entgegnete Sharp auf des Waldläufers Ausruf. »Wie käme sie sonst hierher? Doch jetzt suchen Sie sich ein Pferd aus,« wandte er sich an Lord Harrlington, »Miß Petersen erwartet Sie sehnlichst, sie wollte durchaus mit, aber ich ließ es nicht zu.«

Harrlington brauchte dies nicht zweimal gesagt zu werden.

In Sharps Begleitung waren zwei Waldläufer und drei englische Herren, Harrlington bestieg das Pferd eines Waldläufers, welcher zu Fuß nachkommen wollte, und schlug mit den übrigen die Richtung nach der Ruine ein

Wäre es nach seinem Wunsche gegangen, so wären sie ununterbrochen geritten, bis sie diese erreichten. Das wäre gegen Ende der Nacht gewesen, aber Sharp setzte es durch, daß die Pferde auf einige Stunden Ruhe erhielten.

Es wurde ein Lager im Walde hergerichtet, und trotzdem Harrlington vor Aufregung und Freude erst nicht die Augen schließen konnte, fiel er doch schließlich in einen tiefen, erquickenden Schlaf. Er hatte ja auch die vorige Nacht nicht geschlafen, und die Natur forderte jetzt eigensinnig ihr Recht, dem die stärksten und energischsten Menschen sich nicht entziehen können.

Er schlief schon lange fest, während Nick Sharp und Deadly Dash ins Gespräch vertieft waren. Hauptsächlich sprach der Detektiv, und der Waldläufer hörte ihm unter Zeichen der Beistimmung zu. Endlich aber, als der Morgen im Osten schon zu dämmern begann, legten auch sie sich eine Stunde an dem kleinen Feuer nieder. – –

Man erreichte ungefährdet die Ruine, und als den Reisenden die ersten Steintrümmer zu Gesicht kamen, konnte Lord Harrlington seine Ungeduld nicht mehr zügeln. Ueber Felsen und Steine lenkte er das Pferd. Kein Hindernis war ihm zu hoch, es wurde genommen, und der letzte Satz brachte ihn so nahe an die Herren und Damen, daß diese vor dem schäumenden Pferde entsetzt auseinanderstoben.

Niemand hatte sobald auf die Ankunft des Lords gerechnet, er erschien völlig unerwartet.

»Wo ist Ellen?« schrie Harrlington, mit einem Satze vom Pferde springend.

Er brauchte nicht lange zu fragen, noch hatte er kaum den Boden berührt, als schon eine Gestalt auf ihn zugeflogen kam.

»James,« schluchzte eine Stimme an seiner Brust.

»Ellen, endlich!« stöhnte der Mann auf und preßte die Geliebte an sich, als wollte er sie nie wieder von sich lassen. – –

Des zurückkehrenden Waldläufers erste Frage war nach Stahlherz, und er fand seinen roten Freund in einem Grabgewölbe, wo er vor der Bahre hockte, auf welcher der verwundete Schmalhand lag.

Stahlherz hatte diesen bisher mit einer Sorgfalt gepflegt, als wäre er sein bester Freund, und doch zitterte Schmalhand, wenn ihn Stahlherz berührte, und er blickte in ein Paar funkelnde Augen, wenn er ihn ansah. Stahlherz hatte ihn keine Minute verlassen, ja, er gestattete nicht einmal, daß jemand diesen Raum betrete, auch John Davids nicht, welcher die Wunde untersuchen wollte. Nick Sharp war es erst nach langem Versuchen gelungen, den verwundeten Indianer auf wenige Minuten zu sprechen, wobei ihn aber Stahlherz mit den glühenden Augen eines Jaguars beobachtete, als fürchte er, man könne ihm seinen Pflegling entführen.

Aber es war kein Mitleid, welches Stahlherz am Krankenbette wachen ließ, sondern die Angst, daß der Gegenstand seiner Rache sterben könne.

Nick Sharp hatte aus den Fieberträumen des Verwundeten nur wenig Wichtiges hören können, aber es war genug, um alles andere zu erraten. Was der Kranke verschwieg, das ergänzte des Detektiven ungemein scharfer Verstand.

Es war gut, daß Schmalhand im Fieber lag und schwatzte, sonst hatte man wohl nichts von ihm erfahren. Indianer sind nicht leicht zum Verrate eines Geheimnisses zu bringen, selbst wenn sie die äußersten Folterqualen ertragen müssen.

Stahlherz' Augen leuchteten auf, als Deadly Dash das Krankenzimmer betrat.

»Gut, daß mein Bruder kommt, Stahlherz hat lange auf ihn gewartet.«

»Was macht Schmalhand?«

»Er wird sterben!« antwortete der Indianer im Tone des tiefsten Bedauerns.

Deadly Dash nahm die Hand des Kranken und fühlte sofort, daß derselbe vom Fieber geschüttelt wurde.

»Hat sich dir nicht ein Mann angeboten, diesen hier zu heilen?« fragte er.

»Ja, er war hier, ich ließ ihn aber nicht herein.«

»Warum nicht? Er kennt viele Medizinen, es würde ihm ein leichtes sein, Schmalhand zu heilen, denn das ist doch dein sehnlichster Wunsch.«

»Aber du kannst es auch, auf dich habe ich gewartet.«

»Doch Schmalhand hätte unterdes sterben können!«

»Ich hätte trotzdem nie jemanden zu ihm gelassen.«

»Aber warum nicht, Stahlherz?« fragte Deadly Dash verwundert. »Sprich offen, ich bin dein Freund!«

»Eben deshalb lasse ich dich herein, und du darfst ihn auch berühren, aber niemand anders. Ich habe Tag und Nacht hier gewacht. Wäre ich nicht Stahlherz, ich wäre gestorben; doch Stahlherz braucht keinen Schlaf. Jede Nacht wurde der Versuch gemacht, hier einzudringen, und Schmalhand mir zu nehmen. Ich scheuchte sie zurück, doch immer kamen sie wieder.«

Jetzt wurde der Waldläufer aufmerksam.

»Wer war es?«

»Indianer, ich kenne sie nicht.«

»Konntest du keinen der nächtlichen Besucher fangen?«

»Sie entweichen wie Geister, und zu weit durfte ich mich nicht von Schmalhand entfernen. Es gibt verborgene Zugänge zu diesen Gräbern, doch Stahlherz ist nicht so klug wie du, er kann sie nicht finden, und hätte Stahlherz die nächtlichen Geister verfolgt, so wären sie anderswo hereingekommen und hätten Schmalhand geraubt oder getötet.«

Deadly Dash blickte lange nachdenklich vor sich hin.

»Du magst recht haben, Stahlherz,« sagte er dann, »du weißt, was ich dir über diese Ruinen erzählt habe.«

»Stahlherz erinnert sich und gibt es seinem weißen Bruder jetzt zu, was er früher nicht glaubte. In diesen Ruinen herrschen keine Geister, sondern böse Menschen, und zu diesen gehörte Schmalhand. Seine Brüder wollen ihn befreien oder auch töten, damit er nichts verraten kann.«

Deadly Dash nickte lebhaft mit dem Kopfe.

»So wird es sein. Schade, daß die beiden Mädchen, welche von jenen in Schutz genommen worden sind, nicht über ihren Aufenthalt in den Ruinen sprechen wollen.«

»Stahlherz wird selbst nachsehen.«

»Wir haben versprochen, das zu unterlassen.«

»Aber nicht Stahlherz,« entgegnete der Indianer finster, »er muß erfahren, wer in diesem Tempel wohnt.«

»So hast du auch jetzt noch Hoffnung?«

»Hier hat Stahlherz Schmalhand gefunden und wird vielleicht auch die finden, die er seit zwölf Jahren sucht.«

»Das war auch meine Meinung, welche ich dir nicht sagte. Du aber wolltest mir nicht glauben.«

»Ich glaube es dir jetzt. Will mein kluger Bruder den Verwundeten heilen?«

»Ja, ich verstehe das Fieber zu bannen.«

»Willst du auch für mich wachen? Schmalhand darf nicht entkommen.«

»Ich will kein Auge von ihm wenden, während du schläfst. Du kennst mich.«

Stahlherz erwiderte nichts mehr, er streckte sich auf den Boden aus, und schon nach wenigen Minuten verrieten seine tiefen Atemzüge, daß er schlief.

Wie leicht er aber schlummerte, zeigte er dadurch, daß er, als der Waldläufer an die Tür trat und laut den Namen John Davids rief, sofort zusammenzuckte.

Doch er sprang nicht auf, er wußte ja, daß sein Freund für ihn wachte.

»Sie sind Arzt?« fragte der Waldläufer den Ankommenden.

»Ich verstehe die Heilkunde.«

Der Waldläufer führte den schweigsamen Engländer an die Bahre, und Davids erklärte sich bereit, für den Kranken zu sorgen. Es wäre die höchste Zeit, meinte er, sonst hätte der Indianer an der brandigen Wunde sterben müssen. Stahlherz hätte bis jetzt alle seine Hilfsanerbieten abgeschlagen.


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