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1.

Der neue Freiherr.

Das Land war damit beschäftigt, sich aus den Gerüchten, welche täglich die Zeitungen brachten, ein Ganzes zusammenzusetzen, aber aus den Gerüchten wurden Tatsachen, und man erfuhr, daß nichts erlogen war.

Am meisten war dabei eine große, blühende Stadt am Rhein interessiert, denn der sensationelle Roman, wie er nicht besser erdacht werden konnte, spielte sich unmittelbar in ihrer Nähe ab, auf jenem Schlosse, welches hoch auf dem Felsen den Rhein übersah, dessen Besitzer einst die Schutz- und Schirmherren der Stadt gewesen waren, ein edles und beliebtes Geschlecht.

Wochen auf Wochen waren vergangen, ehe der Roman zum Abschluß kam, schließlich aber lag alles offen vor den Augen der Welt, und amtliche Berichte bestätigten die anfänglichen Mutmaßungen.

Freiherr Rudolf von Schwarzburg war gestorben, sein Sohn Johannes, der bei der Kaiserlichen Marine als Kadett die Seeoffizierskarriere begonnen, hatte an seinem Sterbebette gestanden und den letzten Segen empfangen; die Stadt trauerte um ihren Schirmherrn, aber vergebens erwarteten die Bürger den neuen Freiherrn, um ihm zujauchzen zu können – er ließ sich nicht sehen.

Und doch war es nicht der Schmerz um den verlorenen Vater, welcher den Sohn zurückhielt! Woher das Gerücht kam, wo es entstanden war? Man wußte es nicht. Aber mit Blitzesschnelle durchlief die Nachricht die Stadt, Johannes sei gar nicht der Sohn des alten Freiherrn, er sei ein untergeschobenes Kind. Oben im Schlosse befände sich ein Mann, welcher dies haarscharf bewiese und Zeugen anführe, welche dies eidlich bekunden würden.

Noch war man sich nicht darüber einig, ob man dies glauben sollte oder nicht, als schon wieder ein neues Gerücht unter die Menge gesprengt wurde.

Eine Karosse war vor das Schloß angejagt gekommen, einige ältliche Herren ihr entstiegen, einen jungen Mann, der sich zu sträuben schien, mit sich schleppend, und wenige Minuten später hatte sich schon wieder die Nachricht verbreitet, der richtige Sohn des Freiherrn wäre gefunden, in einigen Wochen würde erwiesen sein, daß er wirklich Anrechte auf das Majoratserbe des Freiherrlichen Geschlechts derer von Schwarzburg zu erheben habe.

Diese einigen Wochen waren vorüber, und es hatte sich alles bewahrheitet. Nach und nach erfuhr man das Staunenswerte vollkommen, ohne daß noch Zweifel aufsteigen konnten.

Emil von Schwarzburg, dessen fluchwürdiger Sohn wegen Wechselfälschung im Zuchthaus saß, dieser Auswuchs des edlen Geschlechtes, hatte die Amme von Johannes bestochen, ihm ein anderes Kind unterzuschieben und ihn in Pflege einer Frau zu tun, welche Kinder dunkler Herkunft aufzog.

Diese Pflegemutter lebte noch, und vor Gericht machte sie Aussagen, welche den Betrug bestätigten. Ebenso fand man Papiere bei dem in Mgwana verstorbenen Freiherrn Emil, aus denen die Wahrheit ersichtlich war.

Die Amme selbst war zwar noch nicht aufzufinden, vielleicht war sie tot, vielleicht nur verschollen, doch brauchte man sie nicht, um Hannes Vogel, den Matrosen, als Majoratsherrn proklamieren zu können; er hatte warme Freunde, die energisch für ihn auftraten.

Kein Streit war zwischen den beiden Rivalen entstanden.

Als der ehemalige Freiherr, der Seekadett, noch tiefbetrübt über den Tod seines vermeintlichen Vaters, von dem wirklichen Sachverhalt erfahren, war er wohl eine Zeitlang niedergeschlagen, dann aber nahm er die dargebotene Hand des neuen Freiherrn und erwiderte den herzlichen Druck derselben. Er war ein Mann, kein empfindsames Kind, das über eine Laune des Schicksals in Tränen ausbricht.

Der Seekadett verwünschte nicht seine Geburt, er bejammerte nicht sein Los, auch zürnte er nicht dem jungen Manne, der nun an seine Stelle trat, noch dessen Ratgebern, er zürnte höchstens den Personen, welche sich mit frevelnder Hand in sein Schicksal gemischt hatten. Doch derjenige, der die Hauptschuld daran trug, war tot, er lag in fremder Erde, gleich einem Abenteurer, der hinter einem Busch sein Leben aushaucht, und das Herz des Seekadetten war edel, es verzieh auch diesem irrenden Manne.

Die beiden jungen Männer, die sich einst schon in Batavia im Garten des Holländers als Rivalen gegenübergestanden und dann noch einmal bei der Ersteigung des Berges in Neu-Seeland, während deren es dem Seekadetten zum Bewußtsein gekommen war, daß er diesem fröhlichen Matrosen gegenüber keine Hoffnung bei der jungen Amerikanerin zu erwarten habe, befanden sich lange allein in einem Zimmer, und als sie dasselbe wieder verließen, da gingen sie Arm in Arm, und ihre Züge waren ernst und heiter zugleich – innerhalb einer halben Stunde waren sie Freunde geworden, die sich offen aussprachen, und von denen der eine vom anderen ein Geschenk anzunehmen, sich nicht schämte.

Johannes blieb Seekadett, und so lange er Unterstützung gebrauchte, erhielt er dieselbe vom neuen Freiherrn. Das offene Anerbieten von Hannes, alles miteinander zu teilen, schlug er dagegen energisch aus.

Dann war das Nächste, was der Kadett tat, daß er seine noch lebenden Eltern aufsuchte, einfache, in ärmlichen Verhältnissen lebende Handwerksleute, die ihren ersten Sohn als Säugling auf rätselhafte Weise verloren hatten.

Sie wurden auf den Empfang des wiedergefundenen Sohnes vorbereitet. Wohl jauchzte das Herz der Mutter beim Gedanken auf, den lange beweinten Sohn wieder in die Arme schließen zu können, und doch wurde sie von einem ängstlichen Gefühl befallen, erinnerte sie sich daran, daß der Erwartete zwanzig Jahre lang Freiherr tituliert worden und jetzt Offizier des Kaisers war.

Noch ängstlicher war der Vater. Je näher die Stunde des Wiedersehens kam, um so öfter betrachtete er unruhig seine harten Arbeitshände, und um so nervöser zupfte er an dem ungewohnten, steifen, leinenen Kragen, der den braunen Hals umschloß.

Die jüngeren Kinder waren eher neugierig, als verlegen, machten aber durch ihre fortwährenden Fragen, ob Hans einen großen Säbel trage, ob er zu Pferd käme, und ob er Orden auf der Brust hätte, die Eltern noch unruhiger.

Da öffnete sich die Tür; jetzt mußte der Erwartete eintreten; ratlos standen die guten Leutchen da.

Aber es kam kein sternbesäeter Offizier mit einem Säbel herein, ein einfacher, junger Mann war es, welcher mit ausgebreiteten Armen auf die bleiche Frau zuging, sie umarmte, wieder und immer wieder küßte und sie Mutter nannte, so zärtlich, daß ihr die Tränen unaufhaltsam aus den Augen stürzten. Vorbei war alle Zaghaftigkeit. Die Mutter lag weinend und lachend an der Brust des stattlichen Sohnes, sie schämte sich nicht, ihn mit Kosenamen zu überschütten, die ihm in seiner Kindheit aus ihrem Munde zu hören versagt blieben; der Vater war außer sich vor Freude und zugleich stolz darüber, daß die Hand seines Sohnes weder an Härte, noch an Kraft der seinen nachgab, obgleich er als Freiherr gelebt hatte, und daß sein braunes Gesicht dem des Sohnes gegenüber an Farbe noch weiß zu nennen war.

Ein einfacher, junger Mann war es, welcher die bleiche Frau umarmte.

Und der Seekadett? Eben noch eine Waise, saßen ihm jetzt rechts zur Seite die Mutter, links der Vater, auf beiden Knieen die Geschwister, und um alles in der Welt hätte er nicht mehr mit dem neuen Freiherrn auf dem verlassenen Schlosse getauscht, er lachte und weinte und war glücklich. – –

Zu derselben Zeit stand im Schlosse von Schwarzburg ein in Schwarz gekleideter Herr an einem Fenster und schaute hinaus auf die Landschaft, die sich vor ihm eröffnete. Es war ein weißes Leichentuch, welches der Winter über Felder und Fluren gebreitet hatte. Etwas weiter erhob sich der mächtige Wald, dessen Bäume unter der Last des Schnees die Zweige neigten, und am Fuße des Felsens floß der Rhein. Er war noch nicht zugefroren; aber lange konnte es nicht mehr dauern, dann bedeckte eine dicke Eiskruste den Strom, denn schon trieben große Eisschollen denselben hinab, stauten sich am Ufer und zogen sich immer mehr der Mitte zu.

Die Aussicht war jetzt zwar traurig genug, aber im Sommer, wenn die Felder im Aehrenschmuck prangten, die Wiesen, vom Rhein bespült, in frischem Grün, und wenn im herbstlichen Wald das Jagdhorn lustig erschallte, dann mußte es hier prächtig sein, umsomehr, als der Besitzer dieses Schlosses, welcher jetzt durch das Fenster schaute, alles Land, das er übersehen konnte, als sein Eigentum betrachten durfte.

Für ihn wurde das Feld im Tale bestellt, für ihn weideten drunten die Herden auf den Wiesen, wurde das Wild im Walde gehegt; die Berge dort in der Ferne, mit Weinreben bedeckt, gehörten ihm, und die Schiffe, welche hier anlegten, um die Erzeugnisse des Bodens einzuladen, zahlten ihm den Preis dafür.

Der junge Mann ließ lange das blaue Auge sinnend auf den weißen Fluren ruhen, dann seufzte er tief auf; im nächsten Augenblicke aber huschte ein flüchtiges Lächeln über sein hübsches, tiefbraunes Gesicht. Er wandte sich um und ließ sein Auge über die gegenüberliegende Wand schweifen, welche mit Gemälden bedeckt war, seine Ahnen vorstellend; am rechten Flügel Ritter in eisernen Rüstungen, dann kamen einige in Rokoko-Kostümen, mit bauschigen Aermeln und hoher Halskrause, nach und nach paßte sich die Kleidung mehr der jetzigen Mode an, und schließlich blieben die Blicke des jungen Mannes auf dem linken, letzten Bilde haften, einem alten Herrn mit weißem Vollbart und ernsten, aber milden Augen darstellend.

Langsam ging der Einsame auf das Bild zu, stellte sich mit gekreuzten Armen ihm gegenüber hin und blickte ihm fest in die gemalten Augen.

»Was siehst du mich so ernst an?« murmelte er nach einer Weile. »Bist du nicht zufrieden, daß ich dein Nachfolger geworden bin? Warst du mein Vater, dann mußt du es sein, und daß ich bisher nur Matrose gewesen bin, dafür kann ich wahrhaftig nichts. Armer, alter Mann, du hast Schweres durchmachen müssen! Ein Glück ist es, daß du nicht noch das Letzte erfahren hast, daß der, den du geliebt, gar nicht dein Sohn gewesen ist. Armer Mann! Ich soll dich betrauern, und doch, ich kann es nicht. Aber man hat mir gesagt, die schwarze Kleidung schon drücke die Trauer aus, nun, die kann ich dir zu Gefallen schon tragen. Ich habe zwar noch nie getrauert, aber ich glaube, hätte ich es je getan, ich würde mich nicht deswegen anders angezogen haben.«

Seufzend blickte der junge Mann nach der leeren Stelle neben dem letzten Bilde.

»Dort also soll ich einmal hängen, als Freiherr Johannes von Schwarzburg, einstiger Matrose, der nun von allen als Herr Baron angeredet wird. Hätte ich es mir doch nicht träumen lassen, als ich einst in Alexandrien von den Eselsjungen immer mit Herr Baron angeredet wurde, weil ich viel Geld in der Tasche hatte und freigebig war, daß die Kerle die Wahrheit sagten. Dies also sind meine Vorfahren, und dort,« er sah nach der anderen Wand, wo nur Frauengestalten hingen, »dort baumeln meine Urgroßmütter. Mein Platz ist noch frei, aber der Nagel zum Bild ist schon eingeschlagen, und dort zu den Frauenzimmern soll einst meine Frau hinkommen, Freiherrin Hope vom Schwarzburg. Hm, klingt ganz hübsch, wenn ich sie nur erst gefunden hätte.«

Der junge Freiherr hatte vergebens gesucht, sich in einen scherzhaften Ton hineinzureden; aus den letzten, leise gesprochenen Worten klang ein tiefer Schmerz hervor.

Er wandte sich wieder dem Fenster zu und blickte auf den Rhein, in dessen Wasser sich die Nachmittagssonne spiegelte, und dessen Eisschollen die Strahlen derselben reflektierten.

Eben fuhr ein kleiner Kahn stromab, und so groß die Entfernung auch war, die scharfen Augen des einstigen Seemanns konnten deutlich wahrnehmen, was auf dem kleinen Fahrzeug vor sich ging.

Der Kahn war gedeckt. Vorn entquoll einer Esse dünner Rauch, die Schiffersfrau bereitete dem Manne also unten in dem engen Raume den Kaffee, und der Schiffer selbst saß am einfachen Steuerbaum. Hannes sah, wie der Mann seine Pfeife ausklopfte, in die Tasche griff, einen Beutel zum Vorschein brachte, frisch stopfte und den Tabak anzündete.

Hannes blickte dem kleinen Fahrzeug nach, so lange er konnte, bis er nicht mehr zu unterscheiden vermochte, ob die Rauchwolke dem Schlot oder der Pfeife entquoll.

Plötzlich überflog die Züge des jungen Mannes ein halb glückliches, halb pfiffiges Lächeln. Noch einmal schaute er sich in dem reich möblierten, mit weichen Teppichen belegten Salon um, dann fuhr er mit den Händen in die Hosentaschen und wühlte darin herum, aber er mußte nicht finden, was er suchte, denn er zog die Hände mit einem unwilligen Gebrumme wieder heraus und begann die anderen Taschen zu untersuchen.

»Freiherr, Baron oder Matrose,« murmelte er, »ist mir ganz Wurst, der Geschmack bleibt doch immer derselbe, und wenn ich auch auf dem feinsten Smyrnaer Teppich stehe. Ach so,« unterbrach er sich und zog die Hände aus den Rockschößen, »daran habe ich ja gar nicht gedacht. Na, brauche ja nur zu klingeln, dann kommen meine Diener.«

Er ging an die Tür und setzte einen Klingelzug in Bewegung. Er mochte aber wohl zu heftig daran gerissen haben, denn die golddurchwirkte Borte löste sich ab und fiel ihm auf den Kopf.

»Alle Mann an Deck,« lachte der Freiherr und zog den Kopf ein, »die Takelage kommt von oben.«

Er öffnete die Tür.

»August, Johann, Friedrich oder wie du heißt,« schrie er hinaus, »fix einmal herein, die Takelage kommt von oben.«

Ein eiliger Schritt ward auf dem Korridor hörbar, ein betreßter Diener trat in den Salon und blieb nach einer Verbeugung an der Tür stehen, die Befehle des neuen Freiherrn erwartend.

»Wie heißt du, mein Sohn?« fragte Hannes, während er die Borte vom Boden aufhob und das obere Ende und die Stelle, wo sie losgerissen, prüfte.

»Georg, Herr Baron,« antwortete der backenbärtige Diener, der Hannes' Vater sein konnte.

»So, also Georg – hatte einmal einen Bootsmann, der so hieß. – Sag' mal, Georg, das ist ja ein merkwürdiges Gerümpel hier im Hause, vorgestern breche ich mit dem Tische zusammen, auf den ich mich setzen wollte, gestern trete ich durch einen Rohrstuhl, und jetzt kommt hier dieses Zeug von oben. Hol' der Teufel das ganze Haus, zuletzt fällt es mir noch über dem Kopf zusammen!«

»Es wird sofort repariert werden, Herr Baron,« antwortete der Diener, ohne eine Miene zu verziehen.

»Unsinn, ich will es lieber selbst machen, dann hält es wenigstens. Bring' mir mal eine Malspike und zöllige Drahtstifte, und dann, Georg, gehe in das Zimmer, wo meine Lumpen liegen, welche ich hier auszog, in der Büx an Steuerbordseite steckt mein Pip und greifst du an derselben Seite in meinen Flaus, so findest du eine Tüte mit swartem Krusen, das bringe alles her, und dann kannst du mir helfen, denn ich habe schon gesehen, ihr faulen Schlingel lungert den ganzen Tag im Bedientenzimmer herum und scharwenzelt mit den Dienstmädchen.«

Stumm stand der Bediente wie eine Statue in der Tür und schaute den neuen Freiherrn fragend an.

»Nun, was gibt es noch?«

»Ich habe den Herrn Baron nicht verstanden.«

»So! Habe ich mich dir nicht deutlich genug erklärt?«

»Ich weiß nicht, was eine Malspike ist, und auch das andere ist mir nicht bekannt, Herr Baron.«

»Du weißt nicht, was eine Malspike ist?« fragte der Baron erstaunt. »Herr Gott, du bist wohl in gar keine Schule gegangen? Ach so, ihr Landratten habt für alles eine andere Bezeichnung.«

Nun erklärte er, daß er Hammer und Nägel haben wolle, daß ›Steuerbord‹ rechts, ›Büx‹ Hose, ›Flaus‹ Jacke und ›Pip‹ Pfeife heiße, und daß ›schwarzer Krauser‹ seine Lieblingssorte Tabak wäre.

Bald brachte der Diener das Verlangte, das Handwerkszeug in der einen Hand, die Kalkpfeife und den Tabak auf einem silbernen Teller in der anderen tragend.

Erfreut griff der junge Baron nach der schmutzigen Kalkpfeife, stopfte sie schmunzelnd und sog mit wonnigem Behagen den Dampf ein.

»Haha, das ist ein Tabakchen, nicht?« rief er, und blies dem Diener die grauschwarzen Rauchwolken ins Gesicht, so daß dieser zu niesen anfing und scheu zurückwich. »Ja, ja, wenn den einer raucht, dann fallen zehn Mann um.«

»Nun rücke einmal mit mir diesen Bücherschrank hierher,« kommandierte der Baron, »dann werde ich wohl hinauflangen können; den Hammer kannst du einstweilen an Deck legen! Herr Gott, Mensch, stell' dich doch nicht so ungeschickt an! So kannst du ihn doch nicht heben, unten mußt du ihn anfassen. So, eins – zwei – drei – hoch!«

Krach, ging es in diesem Augenblicke.

»Was war denn das?« fragte Hannes, setzte den Schrank wieder hin und ging zum Diener. »Na, deine Hose sieht gut aus, die ist ja hinten von oben bis unten geplatzt!«

»Auch Ihr Beinkleid hat Schaden gelitten, Herr Baron,« meldete der Diener.

Hannes besah sich im Spiegel und lachte.

»Wir sehen beide famos aus,« lachte er, »gerade wie kleine Kinder, denen das Hemdchen hinten heraushängt, macht aber nichts, besser als ein Bein gebrochen.«

Der Schrank wurde an die bestimmte Stelle gerückt.

»Nun stelle dich hierher,« fuhr Hannes fort, »ziehe den Kopf etwas ein, und wenn ich auf dich springe, dann brich nicht zusammen. Paß auf: eins – zwei – drei – hopp!«

»Au,« rief der Diener und sank in die Knie, aber der Baron stand schon oben auf dem Schranke.

»Himmel, Donnerwetter,« fluchte jetzt Hannes, »hier sinkt man ja bis an die Knöchel in Staub ein! Na wartet, morgen lasse ich die gesamte Mannschaft mit Besen an Deck treten. Das ganze Schloß wird von oben bis unten unter Wasser gesetzt, und so lange ich irgendwo auch nur ein Spinngewebe entdecke, bekommt ihr nichts zu essen. Ich will euch schon kriegen, euch faules Pack! Jetzt hole mir einmal einen Eimer mit Wasser und einen Lappen.«

Während der Diener das Verlangte holte, trieb der Baron mit wuchtigen Schlägen die Nägel in die Wand und befestigte die Klingelschnur so daran, daß sie drei Männer getragen hätte.

Dann begann der Freiherr mit eigener Hand sämtliches Inventar abzuwischen, wobei der unter seiner Last seufzende Diener oft als Leiter dienen mußte.

»Herr Berger,« meldete ein anderer Diener dem mit herabhängenden Beinen auf einem hohen Schranke sitzenden Baron.

»Immer herein,« rief Hannes fröhlich.

Herr Berger, der Detektiv und Freund von Nick Sharp, trat herein und war nicht wenig erstaunt, den neuen Freiherrn in einer solchen Situation zu finden.

Mit einem Sprunge war der Baron vom Schrank herunter und stand vor dem Eintretenden, ihm die staubige Hand entgegenstreckend.

»Nur keine langen Komplimente,« rief er, als Herr Berger sich verbeugen wollte. »Gott sei Dank, daß ich wieder einmal jemanden habe, mit dem ich vernünftig sprechen kann, ohne Baron hinten und Baron vorn zu hören. August oder Gustav, nimm den Eimer heraus und komme nicht wieder herein, ich mag deine pomadisierte Haarfrisur nicht mehr sehen.«

»Ist sie gefunden?« fragte er dann, als er Herrn Berger gegenübersaß.

»Ja und nein,« antwortete dieser.

»Wie soll ich das verstehen?«

»Sie war gefunden, ist aber wieder entschlüpft. Ich muß Ihnen ausführlicher erzählen, Herr Baron, was sich alles seit der Ankunft der ›Urania‹ ereignet hat, damit Sie ein klares Bild erhalten.«

»Dann fangen Sie an, vermeiden Sie aber das Wort Baron,« sagte Hannes, »ich denke immer, man will mich damit höhnen.«

»Unser Telegramm hatte die Polizeibehörde in Hamburg vorbereitet,« begann Berger, »um beim Einlaufen der ›Urania‹ Herrn Renner wegen Mordversuchs zu verhaften und sich zugleich Miß Stauntons zu vergewissern und ihr mitzuteilen, daß Sie am Leben wären.«

»Das weiß ich. Ich war ja selbst mit dabei, als Sie das Telegramm in Sierra Leona Eine Stadt an der Westküste Afrikas. aufgaben.«

»Wie ich nun erfahren habe, machte die Verhaftung des Herrn Renner bedeutende Schwierigkeiten, er war ein baumstarker Mann, und die ganze, nach der ›Urania‹ abgesandte Polizei mußte eingreifen, um denselben zu bändigen; daher konnte niemand ein Auge auf Miß Staunton haben, und als man das junge Mädchen suchte, hatte es mit dem wenigen Gepäck das Schiff bereits verlassen. Alle Nachforschungen innerhalb Hamburgs während einer Woche nach ihr blieben erfolglos.

»Da kam mit einem Schnelldampfer ein Bevollmächtigter ihres Bruders an – gleich nach uns – und während wir damit beschäftigt waren, ihre Legitimität zu beweisen, gelang es diesem Herrn unter Aufwendung großer Geldmittel, den Aufenthalt Miß Stauntons zu erfahren. Sie wohnte unter einem angenommenen Namen in einem Hotel Hamburgs.

»Entweder war nun dieser Bevollmächtigte ein sehr schlechter Diplomat, oder Kapitän Staunton hat ihm sehr schlechte Ratschläge gegeben, wie er das junge Mädchen ihrem Bruder wieder zuführen sollte. Ich kenne Miß Staunton zwar nicht, aber ich glaube, daß kein Mädchen, welches liebt, unter solchen Angeboten einen Fehltritt bereut und wieder gutzumachen sucht, indem es zurückkehrt.«

»Hope hat keinen Fehltritt begangen, Mister Berger,« unterbrach ihn Hannes unwillig.

»Ich weiß, das Wort war falsch gewählt,« fügte der Erzählende schnell hinzu. »Ich meinte, kein liebendes Mädchen würde unter solchen Bedingungen seiner Liebe entsagen.«

»Was für Bedingungen waren es?«

»Zuerst erklärte ihr der Bevollmächtigte des Bruders rücksichtslos, daß sie ein armes Mädchen geworden wäre, welches nichts weiter besäße, als dasjenige, was es mitgenommen habe, ein paar Hundert Dollar und dann –«

Der Sprecher zögerte plötzlich.

»Und dann?« fragte Hannes unruhig.

»Und dann gab der Bevollmächtigte Hope zu verstehen, daß sie nur für den Fall Unterstützung bei ihrem Bruder fände, wenn sie gewillt wäre, dem Leutnant Murbay, der sie liebe, die Hand zu reichen.«

»Verdammt,« platzte Hannes heraus und sprang mit geballten Fäusten auf.

»Er verstand sehr gut, dem jungen Mädchen die Vorteile der reichen Heirat auszumalen.«

»Was entgegnete ihm Hope?« stieß Hannes mit funkelnden Augen hervor.

»Miß Staunton entgegnete ihm stolz, auf solche Vorschläge würde sie nie eingehen. Sie würde niemals heiraten, um in bessere Vermögensverhältnisse zu kommen, sie wäre sich selbst genug, Unterstützung brauche sie nicht und nähme von jetzt ab nicht einmal solche von ihrem Bruder mehr an.«

»Bravo,« schrie Hannes freudig, »daran erkenne ich Hope, sie konnte nicht anders antworten. Sprach dieser Bevollmächtigte nicht auch von mir? War es Hope nicht schon zu Ohren gekommen, daß ich noch lebte und Aussicht besaß, Freiherr zu werden? Damals war es doch bekannt geworden.«

»Allerdings, er sprach von Ihnen, sagte auch, daß Sie als Freiherr anerkannt wären, aber Miß Staunton wußte dies schon.«

»Und was sagte sie dazu?«

Berger zögerte etwas und sagte dann:

»Sie brach plötzlich in Tränen aus und bat den Vermittler, sie allein zu lassen.«

»Sie weinte?« rief Hannes erstaunt. »Ja, aber warum denn? Sie sollte sich doch darüber gefreut haben.«

»Der Vermittler wird ihr etwas gesagt haben, was sie sehr gekränkt hat.«

»Was sollte das gewesen sein?«

»Etwas, was sie vielleicht auch schon gedacht hat und was von diesem unklugen oder vielmehr boshaften Vermittler grausam bestätigt wurde.«

»So sprechen Sie doch,« drängte Hannes.

»Er hat ihr angedeutet, daß Sie als Freiherr, reich, mächtig und bald viel umschwärmt, nichts mehr von dem verarmten Mädchen wissen wollten.«

»Donner und Doria,« schrie Hannes und rannte mit großen Schritten im Zimmer auf und ab. »So ein Halunke, so ein Spitzbube; ich suche ihn auf, ich reise ihm nach, und habe ich ihn, so prügle ich ihn windelweich.«

»Geben Sie dem Manne nicht alle Schuld,« sagte Berger schnell, »ich glaube, Sie täten ihm unrecht. Ich vermute, daß Miß Staunton selbst schon derartiges gedacht hat.«

Wie erstarrt blieb Hannes stehen, und seine Stimme bebte, als er nach einer stummen Pause fragte:

»Woraus schließen Sie das?«

»Aus ihrem Benehmen und daß sie bei dieser Andeutung in Tränen ausbrach; ja,« fügte Berger leise hinzu, »sie gab es selbst zu. Sehen Sie, Miß Staunton hielt sich für eine reiche Erbin, Sie für einen armen Matrosen, und sie war stets stolz darauf, daß sie Ihretwegen alles aufgab. Sie selbst haben es erzählt, daß sie gern Anspielungen darauf machte, natürlich ganz unschuldig, sie freute sich eben darüber wie ein Kind, welches ein Spielzeug mit Freuden verschenkt – dieser Stolz war nichts Unrechtes. Nun erfährt sie aber plötzlich, wie töricht ihr Benehmen gewesen ist, und nun, da Sie reich geworden, schämt sie sich, arm zu Ihnen zu kommen. Wie wäre es sonst übrigens möglich, daß Miß Staunton sich Ihnen noch nicht genähert hat, da Ihr Aufenthaltsort doch bekannt ist?«

Lautlos und unbeweglich hatte Hannes dem Sprecher gelauscht, dann aber mußte sich sein Herz Luft machen, ein unbeschreiblicher Jammer übermannte ihn. Wie ein Rasender begann er plötzlich durchs Zimmer zu laufen.

»Das also hat mir mein Freiherrntitel eingebracht,« rief er dabei. »Zum Teufel mit dem Freiherrn, zum Teufel mit dem Baron, ich bin Hannes Vogel, der Matrose, und wer mir dies von jetzt an abstreiten will, den prügele ich tot. Mein Gott,« rief er plötzlich, blieb stehen und bedeckte sich das Gesicht mit beiden Händen, »Hope, wie kannst du so kleinlich von mir denken, da ich dir gern alles opfern würde, da ich dir zuliebe betteln gehen wollte! Ich soll deiner jetzt nicht mehr gedenken, weil ich einen Titel und Geld bekommen habe!«

»Halten Sie ein,« sagte Berger, der zu ihm getreten war und ihm sanft die Hand auf die Schulter legte, »noch ist ja nichts verloren! Wie können Sie zürnen, daß Gott Ihnen Macht und Reichtum beschert hat? Sie sollten sich darüber freuen, denn ein um so angenehmeres Leben können Sie Ihrer Geliebten dadurch verschaffen.«

»Hope, was gilt mir alles, wenn ich dich verloren habe!«

»Sie ist Ihnen doch nicht verloren,« sagte Berger freundlich, »sie lebt ja. Denken Sie nur an das Wiedersehen! Wie sich das junge Mädchen freuen wird, wenn Sie es wiedergefunden haben und als Freiherrin auf Ihr Schloß führen! Wie wird es sich in seinem Glücke schämen, daß es auch nur einen Augenblick an Ihrer Treue hat zweifeln können.«

Ein Hoffnungsstrahl blitzte in Hannes' Seele auf; fragend schaute er den Sprecher an.

»Glauben Sie, daß ich Hope finden kann?«

»Aber warum denn nicht?« rief der Tröster fröhlich. »Es ist doch in Deutschland eine Kleinigkeit, jemanden aufzufinden, der sich verbirgt. Selbst die abgefeimtesten Personen findet man, um wieviel mehr ein unschuldiges Mädchen! Bei Ihrem Ansehen und Ihren Mitteln ist es Ihnen ein Leichtes, den Aufenthaltsort von Miß Staunton zu erfahren, ja, ich will sie auf eigene Faust bald gefunden haben, und sicher ist es doch, daß, wenn Sie öffentlich nach ihr suchen lassen, sie sich bald einstellen wird, denn daraus erkennt sie doch Ihre Liebe! Aber unterlassen Sie dies, erlassen Sie keinen öffentlichen Aufruf! Lassen Sie das junge Mädchen nur einige Zeit in dem Glauben, Sie kümmerten sich nicht um es, das schadet dem kleinen Trotzkopf gar nichts. Und habe ich den Aufenthaltsort gefunden, so kommen Sie unvermutet, holen es fort, und dann passen Sie auf, was das für eine Freude sein wird.«

Hannes' Züge hatten sich bei diesen Worten immer mehr aufgeklärt.

»Einverstanden,« rief er und schüttelte dem Detektiven die Hand, »ja, so wird es gemacht. So lange wir sie nicht gefunden haben, mag sie für ihren Eigensinn zappeln, dann aber hole ich sie als Freiin von Schwarzburg heim, und dann soll in diesen alten Räumen ein Leben beginnen, daß meine Ahnen und Großmütter dort an der Wand Tag und Nacht lachen.«

Berger mußte über den neuen Burgherrn lachen; er wußte schon, wie wenig derselbe zu dieser Würde passe.

»Haben Sie schon Besuch empfangen?« fragte er. »Als Freiherr haben Sie Pflichten übernommen, von denen Sie vorher wohl wenig Ahnung hatten.«

»Ach, wenn ich nur von diesen Besuchen verschont bleiben wollte,« rief Hannes in komisch verzweifeltem Tone. »Denken Sie nur, fast jeden Tag erhalte ich Besuch von irgend so einem Grafen oder Baron oder Von aus der Nachbarschaft, meist noch ganz junge Burschen mit pomadisierten Köpfen und nach Parfüm duftenden Schnurrbärten, gekleidet sind sie wie Harlekins, blau oder rot oder grün, und die heulen mir dann mit schnarrender Stimme die Ohren voll, wie sehr sie sich freuten, mich als Kameraden begrüßen zu können; von etwas anderem aber, als von Pferden, ist mit ihnen gar nicht zu sprechen, und ich bin gewöhnlich so grob gegen sie, daß sie froh sind, wenn sie die Tür von draußen wieder zumachen können.«

»Hat Ihnen der alte Haushofmeister nicht schon etwas erzählt?« fragte Berger.

Hannes wurde etwas verlegen.

»Ich glaube,« sagte er dann kleinlaut, »ich habe den alten Mann sehr gekränkt. Er wollte mir nämlich eine Lektion im Anstand geben, und da wurde ich furchtbar grob und gab ihm deutlich zu verstehen, ich brauche keinen Hofmeister mehr, und auf seinen Vorschlag, in den nächsten Tagen alle adeligen Nachbarn einzuladen, männliche und bezopfte, verbat ich mir dies ganz energisch. Ich sagte, ich würde die Schloßbrücke aufziehen und ›Verbotener Eingang‹ daranschreiben lassen.«

»Sie müssen sich aber Ihren Nachbarn vorstellen und später auch noch andere Besuche machen, werden wahrscheinlich selbst um eine Audienz beim Landesfürsten nachsuchen müssen.«

»Unsinn,« rief Hannes energisch. »Lassen Sie mich nur erst einmal Hope gefunden haben, dann ade Schloß Schwarzburg. Glauben Sie etwa, ich könnte es hier an Land aushalten? Gott bewahre, ich muß sofort wieder aufs Meer, sonst werde ich krank. Jetzt habe ich Geld, ich kaufe mir ein fixes Schiff, besorge eine tüchtige Mannschaft, und dann fahren wir beide, Hope und ich, wieder in der Welt herum. Das Schifferexamen zu machen habe ich nicht mehr nötig, die Sonne aufnehmen kann ich, Hope ebenso, und noch vieles mehr, was mancher Kapitän nicht kann. Wir werden uns wieder dem ›Amor‹ und der ›Vesta‹ anschließen und denen einmal zeigen, wie ein richtiges Segelschiff bedient werden muß.«

»Mein Freund Sharp hat mir schon von diesem Ihren Lieblingsplan erzählt. Also das Leben, welches Sie jetzt führen, hat für Sie keinen Reiz?«

»Ganz und gar nicht, ich fühle mich als Matrose auf einem Schiffe am wohlsten. Das Meer ist nun einmal meine Heimat geworden. Ich werde schon wehmütig, wenn ich auf den Rhein dort unten blicke.«

»Nun, Herr Baron,« sagte Berger und stand auf, »ich werde also mein möglichstes tun, um Miß Staunton zu finden, und sobald ich ihren Aufenthalt weiß, teile ich Ihnen denselben mit.«

»Tun Sie das und scheuen Sie keine Ausgabe! Eilen Sie, als gälte es Ihre Seligkeit zu retten! Und wissen Sie, was ich einstweilen tun werde? Ich habe meinen Entschluß geändert, ich werde diesen adeligen Leutchen einmal zeigen, daß ein Matrose sich auch in den feinsten Salons zu benehmen weiß; ich werde Besuche empfangen und erwidern, sonst denken sie, ich sei so ein ungelenker Kerl, dem beim Anblick einer Dame gleich das Herz in die Hosen fällt.«

»Der Haushofmeister wird Ihnen mit Winken zur Seite stehen.«

»Bah,« sagte Hannes verächtlich, »den brauche ich nicht. Bücklinge mache ich sowieso nicht, na, und tanzen kann ich wie nur irgend einer. Wenn ich aber mit der Sprache ins Holpern komme, dann fang ick plattdütsch to snacken an, darin bin ick en Düvel.«


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