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29.

In der spanischen Weinschenke.

Gegenüber vom Leuchtturm von Matagorda liegt, wie schon früher erwähnt wurde, eine Art kleiner Werft. Die Arbeiter wohnen in zerstreut liegenden Hütten, die Beamten in besseren Häusern, die armseligsten Behausungen aber liegen dicht am Strand, denn hier wohnen die Fischer, deren mühsamer, undankbarer Beruf ihnen keine Bequemlichkeit gestattet.

Die Bevölkerung ist meist spanischer Abkunft, höchstens die Beamten, welche die Werft- und Dockarbeiter beaufsichtigten, sowie die Besitzer von mehreren Fischerfahrzeugen sind Yankees. Diese letzteren lassen die armen Strandbewohner für sich fischen und zahlen ihnen einen geringen Tagelohn.

Ehe man die Ansiedelung betritt, kommt man an einem grünangestrichenen Häuschen vorüber, das, über und über mit Weinreben bewachsen, einen besseren Eindruck als die anderen Häuser macht. Hier versammeln sich abends nach harter Arbeit die Fischer und Tagelöhner, um noch einen Schoppen Wein zu trinken.

Es ist eine spanische Weinschenke.

Die dicke Wirtin, eine Spanierin, saß hinter der B [Wort unleserlich] daß sie nicht aufzustehen brauchte, um die Hähne der beiden Fässer zu drehen, aus denen weißer und roter Wein, die einzigen Sorten welche verschenkt wurden, in die tönernen Krüge floß.

Die Bedienung der an Tischen auf Schemeln sitzenden Gäste besorgte Inez, eine junge, flinke Spanierin, die Nichte der Wirtin.

Inez hatte bei ihrer Tante kein leichtes Los.

Das mutterlose Mädchen war von jener aufgenommen worden und mußte sich sein Brot durch Hausarbeit redlich verdienen. Vor zwei Jahren war sie sogar von der Tante aus dem Hause gestoßen worden, weil sie sich einem Fischerknecht, einem häufigen Gaste der Schenke, an den Hals geworfen hatte, wie die Tante sagte, und diese in ihrem spekulierenden Geiste schon große Pläne mit der schönen Nichte vorgehabt hatte.

Mancher gutgestellte Beamte, ja, sogar mancher reiche Fischereibesitzer hatte ein Auge auf die reizende Inez geworfen, aber, da kam der Tunichtgut, der leichtsinnige Pueblo, der weißen und roten Wein über alles liebte, und gleich waren er und Inez ein Herz und eine Seele.

Sie heirateten sich, die Hochzeit ging ohne Sang und Klang vor sich, denn die aufgebrachte Tante weigerte sich, auch nur einen Peso herauszugeben. Sie schliefen auf Stroh und waren doch glücklich.

Die Tante nahm ein anderes Mädchen ins Haus, jagte es fort, nahm wieder ein anderes, und so ging es weiter, nie war sie mit einem zufrieden, weil die fremden Mädchen entweder faul oder nachlässig waren oder Liebeleien mit den jungen Leuten anfingen, denen sie noch Geld aus der Kasse zusteckten, während die dicke Wirtin schlief und sie das Geschäft allein führen mußten.

Inez genas eines Kindes, und von da ab wurde Pueblo ein anderer Mensch. Er arbeitete nur noch für Weib und Kind, und während es früher öfter vorgekommen war, daß kein Brot im Hause war, wenn er zu oft ins Glas gesehen hatte – was übrigens keinen Streit hervorrief – so konnte er sich jetzt mit seiner Familie zwar ärmlich, aber rechtschaffen durchschlagen.

Dann wurde das Kind krank, der Vater ebenfalls, Inez bat die Tante um Verzeihung und Unterstützung, sie wurde für einen Sündenlohn wieder aufgenommen, weil sie ehrlich war und das empfangene Geld stets richtig ablieferte. Das Kind genas, ebenso der Vater, aber Inez blieb doch als Kellnerin im Hause der Tante, während Pueblo arbeitete.

Wenn die Schenke geschlossen wurde, was nicht zu spät geschah, so eilte Inez nach Hause und teilte mit Pueblo und dem Kinde das Essen, das sie sich tagsüber vom Munde abgespart hatte, und kam das Ende der Woche, so erhielt sie noch ein großes Silberstück.

Noch einige Jahre dauerte es höchstens, so konnte sich Pueblo ein eigenes Fischerboot kaufen, und Inez brauchte nicht mehr zu dienen.

Diese Geschichte hatte die Wirtin eben selbst einem jungen Manne erzählt, der an der Bar stand und ein Glas Wein schlürfte. Er paßte nicht in diesen Kreis, er war zu modern angezogen, aber es konnte ja ein Herr sein, der hier Geschäfte zu tun hatte und vor dem Sturm Unterschlupf suchte.

Denn draußen herrschte ein abscheuliches Wetter, der Wind pfiff und heulte und ließ oft einen Regenschauer gegen die Fenster prasseln.

Die Wirtin war sehr stolz auf sich, sie konnte es nicht oft genug wiederholen, wie sie doch Mitleid mit Inez und ganz besonders mit dem armen Wurm empfunden hätte, so daß sie Inez wieder in ihr Haus aufnahm, ›um Gottes willen‹.

Sie sprach so oft von ihrer Herzensgüte, daß der junge Mann endlich sein Lächeln hinter dem Glase, das er emporgehoben hatte, als wolle er den Inhalt prüfen, verbergen mußte. Er hatte aus der Erzählung recht gut herausgehört, daß nur der Eigennutz die Frau zu dieser Handlung getrieben hatte, weil sie von den anderen Kellnerinnen betrogen worden war, Inez dagegen ehrlich, fleißig und willig ihres Amtes waltete und sich viel sagen ließ.

»Man hat ja auch ein Herz in der Brust,« schloß die gesprächige Wirtin und bückte sich, um den ihr gereichten Krug mit Wein zu füllen.

Sinnend betrachtete der Herr das junge Weib in dem nach spanischer Art spitzenbesetzten, kurzen, roten Röckchen, dem kreuzweise über das schwarze Mieder gelegten Tuch, das den vollen Busen verbarg, die schwarz- und weißgestreiften Strümpfe, die bis an die Kniee sichtbar waren, und die schnallenbesetzten Goldschuhe.

Inez war schön. Man sah es ihr nicht an, daß sie bereits Mutter war, sie glich noch völlig einer Jungfrau. Die schwarzen Locken beschatteten ein reizendes, schelmisches Gesichtchen, in dem die überstandene schwere Zeit keine Spuren zurückgelassen hatte. Die schwarzen Augen blitzten noch ebenso heiter, wie in ihren Mädchenjahren, und selbst die harte Arbeit im Hause der Tante hatte weder die wie aus Marmor gemeißelten Arme, noch die schlanken Finger verunstalten können.

Leicht wie eine Libelle schwebte sie durch das Gastzimmer, nahm hier ein Glas, dort einen Krug vom Tische, hüpfte an die Bar, kehrte mit dem vollen Kruge zurück, schlug einem schwarzlockigen, braunäugigen Burschen, der den Arm um ihre schlanke Taille zu legen versuchte, derb auf die Hand, setzte das Glas, welches sie einem weißhaarigen Alten kredenzte, erst an die Purpurlippen, und dies alles mit lachender Miene und strahlenden Augen, welche auch nicht das fortwährende Gekeife trüben konnte, mit dem die unzufriedene Tante sie jedesmal empfing.

Der Fremde hörte schon lange nicht mehr auf das Gewäsch der Tante; er hatte nur noch Augen für Inez.

Es waren keine unsauberen oder begehrlichen Gedanken, die ihm bei diesem reizenden Bilde aufstiegen.

Was war es, das die Züge der jungen Frau in so kindlichem Glänze erstrahlen ließ?

Hatte die Alte nicht eben gesagt, welchen Kummer Inez durchgemacht hatte? Krankheit, Armut, Not, Verstoßung von der, auf deren Unterstützung sie gerechnet hatte?

War es nicht schon traurig genug, daß sie hier bis in später Nacht fremde Gäste bedienen mußte, während der müde Mann zu Hause saß? Er durfte ja nicht hierherkommen, weil er das Kind zu warten hatte, bis Inez die Hütte betrat und zu essen mitbrachte.

War diese Freundlichkeit, dieser Frohsinn nur erkünstelt, weil die Tante es so verlangte?

Wahrscheinlich.

Der Fremde verweilte in Gedanken einen Augenblick bei dem Moment, wenn Inez die Hütte betrat, ihr Mann, das Kind auf dem Arme, ihr entgegeneilte, sie es ihm abnahm und liebkoste, dann ihren Mann, hierauf das Tuch auf dem Tische ausbreitete und dem Körbchen die Ueberreste ihrer spärlichen Malzeit entnahm; das Kindchen klatschte in die Hände und streckte sie dann begehrlich nach den Speisen aus, Inez lachte, und Pueblo freute sich.

Himmel und Hölle, was schwatzte da das Weib von Gott, Maria und allen Heiligen, was scherten ihn die? Hatte er durch Zwischenfragen – der Fremde konnte zugleich denken und von etwas anderem sprechen – verraten, daß er in religiösen Fragen bewandert war?

Blitzschnell hatte er begriffen, was die Freude auf Inez' Züge zauberte. Auch sie freute sich schon auf den Moment, wenn sie die Hütte betrat, sie freute sich auf Mann und Kind, bei denen sie bis Anbruch der Morgendämmerung bleiben durfte.

Arm, von Not und Kummer bedrückt, und doch glücklich! Reich, frei und unabhängig, und doch unglücklich! Seltsam! Genügsamkeit und Unzufriedenheit, die Sucht nach mehr, das ist der Schlüssel zu diesem Rätsel der Menschenseele.

Fieberhaft jagten dem Fremden die Gedanken durch den Kopf. Wohl hörte er das Schwatzen der Alten, aber seine Augen hingen wie gespannt an Inez.

»Seid Ihr in einer Priesterschule erzogen worden?« fragte die Tante. »Ihr wißt wahrhaftig mehr, als der Kapuziner, bei dem ich beichte, aber ich denke fast, Ihr habt nicht den wahren Glauben.«

»Ich habe ihn,« murmelte der Fremde, schob die Kanne zurück und schritt durch das Gemach, sich an einen entfernten Tisch niedersetzend.

In der Stube befanden sich nur Fischer und Werftarbeiter, fast alle Spanier. Das Gespräch, welches von Tisch zu Tisch gerufen wurde, erstreckte sich ausschließlich aus die rätselhaften Vorkommnisse, die vor einigen Tagen passiert waren.

Der Leuchtturm von Matagorda hatte plötzlich versagt, ebenso wie der in Galveston und noch ein anderer, alle drei gleichzeitig; ferner waren überall die Telegraphenkabel zerstört worden und eine Verbindung nicht mehr möglich gewesen.

Die Männer erschöpften sich in Vermutungen verschiedener Art, wer daran schuld gewesen. Die wenigsten schoben diese Störung Menschenhänden zu, doch diese ernteten nur Spott wegen ihrer Behauptungen. Wie konnten Menschen so geschickt arbeiten, daß das Licht gleichzeitig erlosch, und wie konnten alle Kabeldrähte gleichzeitig zerstört werden? Es hätte ja eine ganze Bande von Spitzbuben dabei tätig sein müssen, und wozu sollten sie es getan haben?

Nein, der Teufel selbst war es gewesen, das war die Meinung der meisten, und dieser Behauptung konnte nicht widerstritten werden. Gab es etwa keinen Teufel?

War er nicht ein Feind der Menschen? Suchte er ihnen nicht in jeder Weise zu schaden?

Viel Schaden war durch das Versagen der Leuchttürme angerichtet worden. Unzählige Fischerboote waren auf den Strand gelaufen und vernichtet worden; zahllose Menschen hatten ihr Leben lassen müssen, weniger Fischer, die kannten ja die Küste wie ihre Tasche, aber viele Menschen von gescheiterten Schiffen.

Noch jetzt funktionierte die elektrische Maschine in Matagorda nicht, man half sich mit großen Petroleumlampen und Reflexspiegeln.

Was für ein Mensch hätte das sein müssen, der solches Unheil anstiftete! War er nicht der Teufel in Menschengestalt, so war er mindestens ein vom Teufel besessener Mensch, und das war einerlei, darüber waren sich alle Gäste einig.

»Hat Pueblo die Einfahrt in jener Nacht gut gefunden?« fragte ein Fischer eben Inez. »Soviel ich weiß, war er damals gerade draußen.«

Ueber das fröhliche Gesicht der jungen Frau flog erst ein trüber Schatten, dann aber strahlte es in seinem alten Glanze.

»Er war in großer Gefahr, auch sein Boot ist gescheitert,« sagte sie, »aber sein Herr machte ihn nicht verantwortlich dafür, sondern gab ihm ein anderes. Gott segne ihn dafür! Pueblo kam mit dem Leben davon, aber den Schreck vergesse ich nicht, als er mit nassen Kleidern und verstörtem Gesicht des Nachts zu mir kam und wie ein Kind weinte.

»Inez!«

Die junge Frau sah auf: der Ruf kam von dem Tisch, an welchem der Fremde saß.

Sie fürchtete sich vor diesem Gesichte, sie wußte nicht warum. Es war so bleich, ganz anders als wie das von denen, die hier lebten, und doch war etwas in seinen Augen, was sie anzog. Sie mußten einst anders, nicht so finster geblickt haben.

Inez bekam von dem Fremden den Auftrag, ihm ein Glas Rotwein zu bringen, und sie wunderte sich nicht wenig, als die dicke Tante auf das Wort hin, der Fremde habe das Glas bestellt, sich erhob, in den Hintergrund wackelte und das Glas aus dem Fäßchen füllte, welches nur bei ganz besonderen Feierlichkeiten und höchstens für Brüder des naheliegenden Klosters benutzt wurde.

Der Fremde mußte also bei ihrer Taute einen Stein im Brett haben. Natürlich, er konnte ja so vernünftig über religiöse Dinge sprechen.

Der bleiche Gast legte ein Zweidollarstück auf den Tisch. Inez wechselte es und wollte aufzählen.

»Behaltet es!« sagte der Fremde kurz.

Erstaunt blickte Inez auf, sie glaubte nicht richtig gehört zu haben und zählte weiter.

»Behaltet es,« wiederholte der Fremde diesmal freundlicher, »schenkt es Eurem Kinde!«

Inez begriff jetzt, der Fremde wollte das viele Geld nicht haben, es sollte ihr gehören. Jesus Christus, soviel nahm ja die Tante den ganzen Abend nicht ein.

»Ich darf es nicht annehmen,« sagte sie kleinlaut.

»Warum nicht?«

»Sieht die Tante nur, daß ich etwas einstecke, so wird sie schon argwöhnisch, und ist es gar Geld, so jagt sie mich sofort aus dem Hause.«

»Nehmt es, ich verantworte es!«

»Ich darf nicht, Herr, ich mache mich unglücklich.«

Wortlos strich der Fremde das Geld zusammen und steckte es in seine eigene Tasche. Er hatte seinen Entschluß plötzlich geändert.

Es war augenblicklich wenig zu bedienen, der Fremde ließ sich daher mit Inez in ein Gespräch ein. Er fragte freundlich nach dem Namen ihres Kindes, erkundigte sich teilnehmend, wie sich ihr Mann beim Scheitern des Bootes gerettet habe, und Inez gab offene Antworten; sie verlor jede Angst vor dem Fremden. Jeder, der sich nach Pueblo und ihrem Kinde erkundigte, hatte ihr Herz gewonnen, vor dem kannte sie keine Scheu mehr.

Dann stellte auch sie naive Fragen, wer er sei, woher er käme, warum er so bleich aussehe, ob er krank oder unglücklich sei.

Der Fremde sagte, er sei oben aus dem Norden und sei Arzt, aber weder krank noch unglücklich.

Das wollte Inez nicht glauben, sie scherzte mit ihm, drohte ihm lächelnd mit dem Finger, kam wieder auf Pueblo und ihr Kind zu sprechen, auf ihr Heim, und als ein Gast endlich ihre Bedienung forderte, wußte der Fremde nicht nur, wann Pueblo und das Kind geboren, wie alt sie selbst sei und so weiter, sondern auch, wie es in ihrer zweiräumigen Hütte am Strande aussah, was sie für Gerätschaften darin hatte, wie sie sich dieselben erworben, und den Weg zur Hütte hätte er mit verbundenen Augen finden können.

Der Fremde stützte den Kopf in die Hand und sah träumend vor sich hin. Nur, wenn die Tür aufging, wandte er die Augen dorthin, versank aber dann gleich wieder in sein Brüten.

»Pueblo,« schrie plötzlich Inez, »warum kommst du? Es ist doch nichts passiert – das Kind?«

Ein junger Bursche war hereingekommen, einen großen Krug und ein Fischnetz in der Hand tragend.

»Nichts! Alles in Ordnung,« lachte der junge Bursche, die ängstliche Frau, die ihm in den Arm gefallen war, sanft von sich drängend. »Das Haus brennt nicht, und das Baby schläft. Nun paß aber auf, Inez, was jetzt kommt. So etwas hast du dein ganzes Lebtag nicht gesehen.«

Er trat an die Bar, lachte die dicke Tante an, setzte den Krug auf die Bank und rief:

»Einen Krug vom besten Roten, aber, vom besten dort hinten aus der Ecke, mag er kosten, was er will, und dann noch eine ganze Menge aus Eurer Speisenkammer. Ich bezahle heute mit Gold.«

Damit warf er ein großes Goldstück auf den Tisch, in diesem Hause eine seltene Münze.

Erstaunt horchten die Gäste auf, die dicke Tante sprang vom Stuhle empor, Inez schrak zusammen, und nur Pueblo und der Fremde blieben die Alten, ersterer lustig, letzterer ernst und gelassen.

Was, Pueblo, dieser arme Teufel, hatte ein Goldstück? Woher hatte er es bekommen?

»Ja, ja, Mutter,« lachte der Bursche und ließ das Goldstück wiederholt klirren. »Jetzt her mit dem Wein, und dann schneidet Eure Vorräte in der Rauchkammer an und greift tief in den Semmelkorb. Ich habe heute abend Hunger, und das Gold ist echt, probiert es!«

»Aber, Pueblo,« stammelte endlich Inez, während die Tante sich schon des gelben Metalls bemächtigt hatte und es sorgsam prüfte, »woher hast du so schrecklich viel Geld? Du hast doch nicht etwa –?«

»Die Sparbüchse erbrochen?« unterbrach sie ihr lustiger Mann. »Gott bewahre, Gäste haben wir in unserem Hause, Inez, die mit Gold bezahlen, als wären es Kupfermünzen. Ja, ja,« fuhr er dann zu den verdutzten Gästen fort, »in meiner Hütte sind heute abend elf Damen eingekehrt.«

Plötzlich brach Pueblo in ein Gelächter ohne Ende aus, die Tränen flossen ihm über die Wangen.

»Aber denkt euch nur, die Damen haben keine Weiberröcke an, sondern Männersachen, sie sehen überhaupt ganz gefährlich aus und sind mit Waffen förmlich gespickt.«

»Du bist wahnsinnig, du weißt nicht mehr, was du sprichst,« rief ihm ein Kamerad zu.

»Ich spreche die Wahrheit,« versicherte Pueblo, jetzt ernst werdend. »Es ist noch nicht eine Stunde her, als an die Tür meiner Hütte gepocht wurde, und denkt euch meinen Schrecken, wie ich im Scheine des Herdfeuers elf bewaffnete Gestalten erblickte. Der Schrecken wurde aber zum Erstaunen, als mich eine sanfte Frauenstimme um ein Glas Wasser bat und nach dem Wege nach Matagorda fragte. Daran erkannte ich, daß alle elf als Männer verkleidete Frauen waren. Sie sahen aber furchtbar aus, zerrissen und zerfetzt, von Schmutz und Schlamm bespritzt, und so müde, daß sie kaum noch auf den Füßen stehen konnten.

»Ich ließ sie eintreten, machte ihnen Sitzplätze, so gut es gehen wollte – deine Kleider mußten herhalten, Inez – ich gab ihnen Wasser und das wenige, was unsere Hütte aufzuweisen hatte, und wunderte mich, mit welchem Heißhunger sie über das Brot herfielen.

»Dann erfuhr ich, daß es Schiffbrüchige waren, sie nannten auch den Namen des Schiffes, auf dem sie waren, habe mir ihn aber nicht gemerkt. Ueberhaupt schwatzten sie ganz seltsames Zeug, was ich nicht verstehen konnte. Ich glaube sogar, sie sagten, sie wären Matrosen und von Strandräubern überfallen worden. Weiß der liebe Gott, wie ich mir das zusammenreimen soll.

»Sie wollten in die nächste Herberge, machten mir aber dann das Angebot, mich zu bezahlen, wenn sie bei mir bleiben dürften. Ich fügte zu, denn, Mutter, es sind Ketzer, wie ich bald aus ihnen herausbrachte.«

»Um Gottes willen,« kreischte die Tante auf, »die kommen nicht in mein Haus.«

»Sie wollen ja auch gar nicht, sie bleiben bei mir und haben es sich ganz gemütlich eingerichtet. Du bist doch damit einverstanden, Inez?« wandte sich der Fischer an seine Frau, dabei unmerklich mit den Augen zuckend.

Inez nickte nur.

»Sie müssen furchtbar viel ausgestanden,« fuhr Pueblo fort, »und tagelang nichts gegessen haben, denn das Brot und die paar Fische, die ich ihnen briet, waren im Nu verschwunden. Jetzt gaben sie mir das Goldstück, damit ich Wein und mehr Essen holen sollte. Reich müssen sie sein, denn als die Dame das Gold aus der Börse nahm, sah ich lauter Goldstücke schimmern.«

Er winkte Inez zu sich heran und flüsterte ihr ins Ohr:

»Sie bleiben bei uns, sie wollen für alles gut bezahlen und mich extra belohnen.«

Inez freute sich jetzt auch. Nun begriff sie, warum Pueblo so lustig war. Er sah einen ehrlichen Nebenverdienst vor sich, der ihm vielleicht zu einem eigenen Boote verhalf.

»Es werden Schiffbrüchige sein, die damals gescheitert sind, als das Licht des Leuchtturms nicht brannte,« meinte ein Fischer.

»Das glaube ich auch,« entgegnete Pueblo, nahm den Krug mit Wein, hing das Netz, welches unterdes mit Brot, kalten, gebratenen Fischen und Fleisch gefüllt worden war, über die Schulter, steckte das herausgegebene Geld ein und schritt der Tür zu.

Der Fremde hatte teilnahmlos zugehört, das Gesicht mit der Hand bedeckend; wer ihn aber beobachtete, hätte doch gemerkt, welche Erregung sich seiner bemächtigt hatte.

Bei Beginn der Erzählung Pueblos schrak er erst zusammen. Sein bleiches Gesicht wurde noch blasser, in seinen Zügen zuckte es, dann aber hörte er ruhig weiter zu.

Als Pueblo, von Inez gefolgt, der Tür zuschritt, stand er auf und trat ihnen in den Weg.

»Es waren Damen?« fragte er.

»Ja,« entgegnete Pueblo, den eleganten Herrn von oben bis unten musternd, als aber Inez ihm etwas ins Ohr flüsterte, nahm er ein freundliches Gesicht an.

»Elf?«

»Elf.«

»Wißt Ihr, wie ihr Schiff heißt?«

»Nein, ich habe den Namen vergessen.«

»Wißt Ihr denn, wie die Damen heißen?«

Der Fischer blickte erstaunt auf.

»Nein. Kennt Ihr sie?«

»Ich? Nein, nein,« rief der Fremde schnell, »ich dachte nur an etwas.«

Trotzdem er seine Aufregung mit aller Anstrengung unterdrücken wollte, gelang es ihm doch nicht. Als er sich auf seinen Stuhl fallen ließ, klang es wie ein Aechzen aus seinem Munde.

Doch die Gäste, wie auch Pueblo waren jetzt mit anderem beschäftigt, als ihre Aufmerksamkeit dem Fremden zu schenken. Sie bemerkten sein sonderbares Wesen nicht.

Pueblo ging hinaus, gefolgt von Inez, welche mit ihm wahrscheinlich noch über die Beherbergung der vielen Gäste sprechen wollte.

Wie ein Raubtier blickte ihnen der Fremde nach. Keine Muskel zuckte mehr in dem bleichen Gesicht. Er hatte die Zähne fest zusammengebissen.

Als sich die Tür hinter den beiden geschlossen hatte, murmelte er etwas vor sich hin, griff in die Tasche und ging ebenfalls hinaus.

Der Sturm hatte aufgehört, aber die Nacht war durch schwarze Wolken undurchdringlich finster geworden.

»Setze deinen Krug hierher und komm einen Augenblick unter die Bäume, damit uns niemand sieht,« hörte der Fremde Inez flüstern.

Vor dem Hause befand sich ein Garten mit Obstbäumen. Der Fremde konnte eben noch sehen, wie zwei Gestalten zwischen den Bäumen verschwanden, dann befand er sich allein.

Aber dort, dicht an dem Hause, stand der Krug mit Wein, den Pueblo hingesetzt, weil er den einen Arm um die Taille seiner Frau geschlungen hatte.

Der Fremde, im Schutze der Mauer stehend, lauschte.

»Bist du einverstanden damit, mein Schätzchen?« erklang es.

»Gewiß, was du willst, ist mir stets recht.«

»Es bringt mir guten Verdienst ein, die Damen zahlen sicherlich nobel, wenn wir sie gut beherbergen. Und du weißt, wie langsam es geht, bis wir das Geld für das Boot zusammenhaben.«

»Werden wir auch alle Platz in der Hütte haben?« fragte scherzhaft die junge Frau.

»Wir müssen es. Sie bleiben ja nur diese eine Nacht bei uns, um sich zu erholen.«

»Und wohin wollen sie dann?«

»Nach Matagorda. Sie sagten, sie wollten etwas zur Anzeige bringen. Ich werde nicht klug aus ihren Reden.«

Der Fremde hatte unterdes aus seiner Tasche ein Fläschchen gezogen, entkorkte es, machte einen Schritt nach links und stand vor dem Kruge.

Wieder lauschte er. Die beiden unterhielten sich noch über die Damen; sie sahen ihn nicht, konnten ihn nicht sehen.

Die Hand des Fremden hob sich, eine Bewegung, und der Inhalt des Fläschchens ergoß sich in den Krug mit Wein.

Das Fläschchen verschwand wieder in der Tasche, dafür kam ein Revolver zum Vorschein.

Das Pärchen unterhielt sich jetzt über etwas anderes.

»Schlief das Kind, als du es verließest?« fragte die helle Stimme von Inez.

»Nein. Durch das Geräusch, das die vielen Menschen verursachten, wachte es auf, aber eine schöne, junge Dame hielt es auf dem Schoße und spielte mit ihm.«

»Es sah in letzter Zeit so kränklich aus,« sagte Inez besorgt, »ich habe manchmal rechte Sorge. Drinnen ist ein Herr, der sagt, er wäre Arzt, und scheint ein guter Mann zu sein, der für Fremde Mitleid hat. Was meinst du, soll ich ihn einmal fragen, ob er sich unser Kind ansehen will? Ich glaube ganz sicher, er tut es, er hat ein gutes Herz, weil er so unglücklich aussieht.«

Der Fremde zuckte zusammen, entfernte sich aber noch nicht.

»Ach was,« lachte der Vater, »das sind nur die Zähne. Ich traue keinem Arzt, das sind alles Leute, die ihre Mitmenschen mit Pillen und Tränkchen vergiften.«

Der Fremde schmiegte sich dicht an das Haus, rückte Zoll für Zoll nach der anderen Seite, bog dann um die Ecke, blieb noch einen Augenblick stehen, vor sich hinmurmelnd, und stürzte dann mehr als er ging, durch die Nacht der Richtung zu, in welcher Pueblos Hütte lag. Ein unnennbares Gefühl trieb ihn zum eiligsten Laufe, er glich dem Verbrecher, der nach der Sage der Alten von unsichtbaren Mächten zum Schauplatz seiner Tat geschleppt wird.


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