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26.

Das Blockhaus im Walde.

Es gäbe keine Trapper mehr? Die neueren Erzählungen, in denen Trapper, Fallensteller, Waldläufer u.s.w. vorkommen, müßten erdichtet sein, weil auf der Erde kein Platz mehr für solche Leute sei, behauptet man.

Nun, einen kleinen Gegenbeweis kann sich jeder selbst vor Augen führen, daß noch eine große Anzahl von Menschen einzig und allein von dem Ertrage ihres Gewehres leben, daß ihre Heimat der grüne Wald, die einförmige Steppe oder das wilde Gebirge ist. Man trete einfach vor einen Laden mit Pelzwaren und überlege sich, wer die Felle von all diesen Mardern, Zobeln und Nerzen, Ottern, Bibern und Dachsen, Füchsen, Wölfen, Luchsen, wilden Katzen, Bären und Bisams abgezogen, nachdem er die Tiere mit der Kugel getötet hat. Noch besser aber ist es, man wohne einmal einer Auktion von Pelzwaren bei, wie sie zum Beispiel in Leipzig stattfinden, dann wird man erst einen Begriff davon bekommen, wieviele Menschen von der Jagd auf Pelztiere ihr Leben fristen. Und die Zahl der Pelze, die zum Verkauf kommen, ist noch immer im Wachsen begriffen.

So betrug der Wert der in den Handel kommenden rohen Pelze (von der ganzen Erde) im Jahre 1874 vierzig Millionen Mark, im Jahre 1880 wurden aber allein in Leipzig für dreißig Millionen Mark Felle verkauft – vorher waren sie eingetauscht worden – jetzt kamen sie zum ersten Male unter den Hammer. Nach der nächsten Bearbeitung waren sie bereits um das doppelte teurer.

Leipzig ist der internationale Markt für Pelzwaren, dann kommt London, dann Petersburg. London besitzt einen speziellen Markt für Bärenfelle. Und hat man einer solchen Auktion beigewohnt, so glaubt man, es könnten gar keine Bären mehr auf der Erde existieren, so ungeheuerlich ist die Anzahl der Felle, und doch findet jedes Jahr viermal eine gleiche Auktion statt.

Dies genügt wohl, um zu beweisen, wie stark die Erde noch mit wilden Tieren bevölkert ist, und schon ein Blick auf die Landkarte zeigt, wo sie sich noch aufhalten. Ihre Heimat sind hauptsächlich die menschenöden Territorien von Asien und Amerika, und manches Jahrhundert wird noch vergehen, ehe die Zufuhr von Pelzhäuten wegen Mangel an Raubtieren aufhört.

Wer aber schießt nun alle diese pelztragenden Tiere? In Amerika tun dies hauptsächlich Indianer, von denen die Felle eingetauscht werden, ferner aber auch eine Unzahl von weißen Trappern. An der Nordküste Amerikas existieren mehrere Gesellschaften, englische, amerikanische und französische, die hauptsächlich Tauschhandel mit Indianern treiben und Trapper unterhalten, die Tiere für sie erlegen. Um von der Größe der Hudsonsbay-Gesellschaft nur einen Begriff zu geben, sei hier erwähnt, daß es in London ein Geschäft gibt, welches ausschließlich für diese Kompagnie Ausrüstungsgegenstände liefert: Decken, Ranzen, Stiefel, Jagdkleider, und so weiter, wie sie die Trapper nötig haben.

Um bei der Hudsonsbay-Kompanie als Kommis angestellt zu werden, ist eine völlige Lehrzeit nötig. Der Lehrling muß für einige Jahre an den Jagdexpeditionen teilnehmen, auf dem Flusse im Boote rudern, auf Landwegen diese tragen, mit den Indianern Tauschhandel treiben und im Winterquartier, mitten in endlosen Schneewüsten, undurchdringlichen Wäldern und eisigen Gebirgen Bären, Füchse und andere Tiere schießen oder in Fallen fangen, weil zu dieser Zeit ihre Pelze am dichtesten sind. Dann erst findet er einen Platz im Kontor der Gesellschaft.

Solch einen Trapper, der seine Lehrzeit durchmacht, nennt man Volontär. Diejenigen, welche ihr ganzes Leben Jäger bleiben, heißen dort Voyageur, und das sind in jener Gegend die richtigen Trapper, die sich nur von der Jagd ernähren. Je nachdem sie zu den verschiedenen Kompanien gehören, werden sie anders benannt, und nicht selten kommt es vor, daß zwei Jäger von zwei verschiedenen Kompanien eines elenden Fuchses wegen Kugeln wechseln, bis einer von ihnen tot in den Schnee sinkt.

Andere Trapper gehören keiner Kompanie an, sie jagen auf eigene Faust, leben mit den Indianern in Freundschaft und tauschen ihnen Felle aus, wo sie gerade Gelegenheit finden. Diese Trapper treiben sich besonders im südlichen Teile Nordamerikas umher. Ihr Leben gleicht in einem Punkte fast ganz dem eines Matrosen, auch sie müssen nämlich ein Jahr lang in hartem Kamps und schwerer Arbeit ihr Dasein verbringen, und wenn sie dann Geld für ihre Mühe erhalten haben, verschleudern sie es innerhalb einiger Tage in Saus und Braus.

Cheyenne ist einer der Orte, wo Trapper im Frühjahr ihre gesammelten Felle verkaufen. Der erste Trapper, der mit einem solchen auf einem gekauften oder gestohlenen Pferde ankommt, findet alles bereit, um ihm die kleine Summe, welche er löst, wieder abzunehmen. Es beginnt ein tolles Leben, und die drei Gegenstände, die ihm das Geld sofort wieder aus der Tasche locken, sind Whisky, Spiel und vor allen Dingen Weiber. Als arme Teufel ziehen die Jäger dann wieder hinaus in die Wildnis, den Weg mit guten Vorsätzen pflasternd, nach einem Jahre aber wieder ebenso leichtsinnig handelnd. Die gebotenen Zerstreuungen und Versuchungen nach einem mühevollen Leben reißen sie stets wieder in den Strudel hinein, ebenso wie den Matrosen, den Cow-boy und den Pferdebändiger auf den Plantagen.

Außer diesen Trappern und Fallenstellern, welche aus der Jagd ein Geschäft machen, gibt es aber noch andere, die wahren Könige der Wildnis, die sich nicht im Walde aufhalten, um aus der Jagd Nutzen zu ziehen, sondern nur aus Liebe zur Freiheit: die sogenannten Waldläufer, englisch Scouts genannt, von denen uns Cooper in seinem ›Lederstrumpf‹ ein so prächtiges Exemplar schildert.

Auch sie leben von der Jagd, schießen aber nur, was sie zu ihrem Unterhalt brauchen, essen das Fleisch, kleiden sich in die Felle, aber nie zielen sie nur aus Jagdlust nach einem Tiere. Sie stillen ihren Hunger lieber mit Beeren und Wurzeln, ehe sie ein tragendes oder säugendes Tier töten, und beachten eine Schonzeit wie der gewissenhafteste Waidmann Deutschlands.

Ferner haben sie im Gegensatz zu den Trappern keinen festen Wohnort, etwa ein Blockhaus, oder auch nur eine Laubhütte, der erste beste Baum ist ihr Zelt, das Gras ihr Bett, und wo sie sich eben befinden, da ist ihre Heimat. Ziellos streifen sie im Walde umher, harmlose Menschen denen gegenüber, welche sich freundlich zeigen, gefährlich gleich dem schlauesten Indianer, wenn sie bedroht werden. Gern folgen sie Einladungen, seien diese von Indianern oder von Weißen an sie ergangen, sie schlafen ebenso gern manchmal im Wigwam der Rothaut wie in der Villa des Pflanzers.

Ab und zu dient der Waldläufer auch einer Expedition oder Jagdgesellschaft als Führer, weniger des Lohnes willen, als aus Gefälligkeit, läßt sich aber dabei keine Vorschriften machen. Mit Geld weiß er wenig anzufangen; gewöhnlich setzt er es in der nächsten Wirtschaft, die er trifft, im Postgebäude auf einsamer Landstraße in Spirituosen um; trotzdem aber sind solche Waldläufer doch im Besitz von ganz hübschen Summen, nämlich von rohem Gold, das sie während ihres unsteten Lebens gefunden und gesammelt haben. Im übrigen gilt unter ihnen der Satz: ›was dir ist, ist auch mir,‹ und sie geben daher gern alles, was sie haben, bedürftigen Genossen.

Merkwürdig ist, was für Menschen man unter diesen Waldläufern trifft, alle Klassen sind vertreten. Solche, welche die beste Erziehung genossen, studiert haben, und dann aus Liebe zur Freiheit und Romantik das wilde Leben begonnen, Leute, welche weder schreiben noch lesen können, denen aber die Freiheit über alles geht und nebenbei die eigentümlichsten Sonderlinge, welche sich mit der Welt und deren Einrichtungen nicht vertragen konnten und sich daher zurückgezogen haben.

Gutmütigkeit ist der Hauptzug ihres Charakters; sie lieben die Freiheit, ziehen sich gern in die Einsamkeit zurück, wissen aber unter Umständen auch eine fröhliche Gesellschaft zu schätzen, und werden selbst heiter und witzig, wenn sie unter ihresgleichen sind.

Fein ist allerdings ihr Witz nicht zu nennen, und ihre Heiterkeit würde bei uns als Roheit bezeichnet werden, aber man muß dies eben ihrer Lebensweise zu gute rechnen, ebenso wie dem Seemann. Wer unter ihnen gelebt oder doch mit ihnen verkehrt hat, wird zugeben, daß es ein gemütliches Völkchen trotz einer rauhen Außenseite ist.

Um Trapper und Fallensteller kennen zu lernen, muß man im Frühjahr nach den Städten reisen, in denen sie die Felle umtauschen. Die Scouts oder Waldläufer aber, diese Einsiedler der Wildnis, trifft man auch dort nicht. Sie hassen das Stadtleben mit seinem geräuschvollen Treiben, dennoch aber gibt es Orte, wo auch sie sich zusammenfinden – die sogenannten Stores.

Unter einem Store versteht man in Amerika eine Niederlage, in welcher alles, was zum Leben notwendig ist, aufgestapelt ist. Besonders oft sind solche Stores an Landstraßen gelegen, oft zugleich mit Poststation verbunden, in welcher die Pferde gewechselt werden. Man findet sie aber auch oft mitten im Walde, in völlig einsamen Gegenden, im Gebirge an einer fast unzugänglichen Stelle, und hier besonders stellt sich der Waldläufer von Zeit zu Zeit ein, wenn er seinen Bedarf an Pulver, Blei, Tabak, Salz und so weiter ergänzen muß. Er bezahlt mit Fellen oder Goldkörnern, trinkt sein Glas Whisky und geht dann wieder in den Wald zurück, trifft er aber andere Waldläufer oder auch Trapper, die aus der Umgegend regelmäßig hierherkommen, so bleibt er wohl auch längere Zeit da, um in sein stilles Leben eine Abwechselung zu bringen.

Die Stores sind die Hotels der Wildnis. Trapper, Fallensteller, Waldläufer und Indianer sind ihre Stammgäste, nur selten einmal verirrt sich ein zivilisierter Reisender dorthin. – – –

Im Walde erhebt sich ein Blockhaus, aus rohen Balken zusammengefügt, die Ritzen mit Moos verstopft, die Fenster ohne Glasscheiben und die Tür ohne Schloß, nur mit einem hölzernen Riegel versehen.

Das Haus besteht aus zwei Räumen. In einem, dem größeren, werden die Vorräte aufbewahrt, das kleinere ist der Laden und Aufenthaltsort der Gäste. Hier schlafen sie auch, ebenso wie der Wirt, kurz, dieses Zimmer ist Schank- Schlaf- und Rauchstube, in welcher auch gekocht wird.

Der Besitzer des Store, von dem hier die Rede ist, heißt Bill, ist aber in einem großen Teile von Texas nur unter dem Namen Revolver-Bill bekannt. Er hatte früher Pferde zugeritten und war sehr tüchtig in seinem Berufe gewesen, hatte aber die schlechte Angewohnheit, zu leichtsinnig mit seinem Revolver zu spielen. So war er ihm einmal losgegangen, als ein Pferdebesitzer ihn um eine Summe Geld betrügen wollte, indem er ihm gesagt, er habe nicht zehn, sondern nur acht Pferde an einem Tage gebändigt; der Lügner that seinen Mund niemals wieder auf. Dann hatte einmal der Revolver geknallt, als Bill seinen Partner beim falschen Spiel ertappt hatte, und kurz vor Uebernahme dieses Stores erschoß Bill den Mann, der ihm sagte, Bill würde seine Kunden immer betrügen.

Aber Bill war ein ehrlicher Kerl, darüber waren sich alle Trapper und Waldläufer einig; er log nie, maß immer volles Gewicht, schenkte die Gläser bis an den Rand voll und griff nie nach dem Revolver, ohne vorher in ruhigem Tone gesagt zu haben:

»Sagst du das noch einmal mein Junge, so machst du mit diesem Dinge Bekanntschaft,« oder, »du bist nicht wert, mein Herzchen, daß dich die Sonne noch bescheint.«

Bill war eben ein braver Kerl, der nie log, ehrlich verkaufte und tauschte und nie jemanden in den Rücken schoß, und wer das Gegenteil behauptete, der bekam es mit einem jener Gesellen im ledernen Jagdhemd, breiten Schlapphut und hohen Stiefeln oder leichten Mokassins zu tun.

Wenigstens zehn solcher wilder Gestalten waren am Abend in Bills Store zusammengekommen, Trapper. Fallensteller und auch einige Waldläufer. Es war keine Einladung zu einer Zusammenkunft an sie ergangen, sie hatten sich eben zufällig hier eingefunden, und groß war die Ueberraschung, so viele Bekannte anzutreffen, denn auf einen Umkreis von vielen Meilen kannten sich alle und hielten Freundschaft.

Jeder neue Ankömmling machte mit Bill erst seinen Tauschhandel ab, empfing Pulver, Blei und alles, was er begehrte, schnitt das Blei mit dem Messer und kostete das Pulver auf Salpetergehalt. Bill dagegen prüfte die Felle und wog die Goldkörner. Dann gesellte sich der Neue zu den übrigen, welche sich die Zeit mit Plaudern, Trinken und Vergnügungen ihrer Art vertrieben.

Die Schenkstube ward von dem offenen Küchenfeuer erleuchtet, dessen Rauch durch ein Fenster abziehen sollte. Tat er dies nicht, und blieb er in der Stube, so störte das die Männer auch nicht. Der von der Decke herabhängenden Petroleumlampe fehlte es seit längerer Zeit an Nahrung.

Ein großer, massiver Tisch, einige Holzstühle, diverse Wandschränke mit Flaschen und Gläsern bildeten das ganze Mobiliar des Raumes, man müßte denn die zerstreut umherliegenden Bärenfelle dazu rechnen, aus denen sich die Gäste ihre Lager für die Nacht bereiteten. An Zimmerschmuck fehlte es nicht, die Wände hingen voll von Hirschgeweihen und anderen Jagdtrophäen, Gewehren, Bogen und Pfeilen, Pferdesätteln, Lassos, Zäumen und so weiter.

In Revolver-Bills Store ging es zwar etwas laut, aber sehr gemütlich zu.

»He! Bill,« rief eben ein vierschrötiger Trapper dem Wirte zu, der Holzklötze in das Feuer warf, »zwei Glas Brandy hierher, ohne Wasser, und dann tritt etwas aus dem Licht, wir können nichts sehen. Wer hatte das vorige bezahlt, John?« wandte er sich dann an seinen Nachbar am Tisch, den Fangschnüren nach, die er vor sich liegen hatte, ein Fallensteller.

»Ich hatte gewonnen,« antwortete John.

»Richtig, nun, diesmal wird sich das Blatt wohl wenden, oder ich will keinen einzigen Waschbären mehr fangen,« sagte der erste und griff in den Gürtel.

An einem Schranke standen zwei andere Männer, beide in hohen Stiefeln und Schlapphüten – es waren Waldläufer. Der Kleinere sprach zu dem Größeren, einer Gestalt von über sechs Fuß, und dieser hörte aufmerksam zu.

»He, Charly,« rief der Trapper dem Großen zu, »nimm doch den Kork da vom Boden und setze ihn wieder auf die Flasche«

Der Große blickte nach dem Trapper, nickte ihm zu, setzte den aufgehobenen Kork auf die leere Weinflasche, hatte aber die Hand noch nicht zurückgezogen, als schon ein Schuß krachte, und der Kork ihm aus den Fingern geschossen wurde.

»Verflucht, alte Biberratte,« rief der Trapper dem Fallensteller zu, der den abgeschossenen Revolver senkte, »wo hast du denn das Schießen gelernt? Hättest Jäger werden sollen, aber kein elender Fallensteller. Nun komme ich an die Reihe, treffe hoffentlich auch.«

Charly, der Scout, mußte nochmals einen Kork auf die Flasche setzen, war aber so vorsichtig, einen Schritt zurückzutreten, und das war gut, denn im nächsten Augenblick flogen ihm bei Splitter der Flasche um den Kopf herum.

»Ein elendes Spiel, so um zwei Gläser Whisky nach Korken zu schießen,« lachte Charly, »aber ein größeres Vergnügen kennen diese Leute nicht.«

»Mich kostet ein solcher Spaß zwei Finger,« sagte der Kleine, die linke Hand ausstreckend, an der zwei Finger fehlten. »Kanntest du den einarmigen Tom, der am Crab-River seine Hütte stehen hatte? Der wettete mit mir, mir dreimal ein Centstück aus den Fingern zu schießen. Zweimal glückte es ihm, beim dritten Male schoß er vorbei, ich hatte die hundert Dollar gewonnen, aber zwei Finger verloren. Seitdem gehe ich solche Wetten nicht mehr ein.«

Der andere lachte.

»Doch nun laß uns weitersprechen,« sagte er dann. »Du weißt also bestimmt, daß Deadly Dash »Deadly Dash« heißt auf deutsch: Tötender Schlag. bald hierherkommen wird?«

»Unter uns gesagt, ich weiß es bestimmt, aber ich vertraue es nur dir an, denn er will nicht erkannt sein. Ich weiß, du bist verschwiegen.«

»Von wem hast du es erfahren?«

»Von ihm selbst.«

»Wie?« rief Charly erstaunt. »So kennst du Deadly Dash persönlich? Offen gestanden, ich hielt seine Existenz nur für eine Fabel. Wo hat er sich diese vielen Jahre hindurch aufgehalten? Man hörte nichts mehr von ihm.«

»Weiß nicht,« entgegnete der kleinere, allerdings noch immer recht ansehnlich lange Waldläufer. »Er band sich ja schon früher niemals an eine bestimmte Gegend und mag weite Wanderungen gemacht haben, aber ich kenne ihn, ich habe einst im Norden einen Schneesturm mit ihm zusammen in einer Blockhütte verlebt. Wäre stolz, wenn wir Freundschaft geschlossen hätten.«

»Und jetzt hast du ihn wiedergesehen, Joe?«

»Ja, doch ich darf nicht weiter darüber sprechen.«

Das genügte, um Charlys Mund zu verschließen. Die mit den Indianern verkehrenden Weißen nehmen meist deren Angewohnheiten an, halten es also auch für schimpflich, Neugierde zu zeigen.

Die beiden Männer wandten sich der übrigen Gesellschaft zu, die ihr Lärmen eingestellt hatte und der Erzählung eines jungen Burschen zuhörte, welcher bereits Anstalten zur Nachtruhe getroffen, sich ausgezogen hatte, auf einem Bärenfelle saß und nun seine Erzählung unter heftigen Gestikulationen mit Armen und Beinen zum besten gab.

Es war ein Cow-boy, ein blutjunger, aber baumstarker Kerl, der sich hatte abbezahlen lassen und nun auf dem Wege nach einer Stadt war, um dort sein Geld so schnell und so angenehm wie möglich zu verjubeln, wobei ihm Dirnen getreulich mithelfen sollten.

Wie sein richtiger Name war, wußte niemand, überall, wo nur seine breite und zerfetzte Physiognomie auftauchte, wurde er Joker gerufen, was auf deutsch etwa soviel wie Spaßmacher bedeutet. Er steckte voller Tollheit und wußte beim Erzählen seiner Streiche auch noch ganz unglaublich aufzuschneiden, ohne daß er verlangte, man solle ihm Glauben schenken. Er war ein texanischer Münchhausen.

»Revolver-Bill,« sagte er nach Schluß der Erzählung zum Wirt, »nun gib nur ein paar Nägel und einen Hammer her, oder, verdamm' meine Augen, ich schlafe nicht in dieser blutigen Kammer.«

»Wozu, Joker?« fragte Bill, der für den jungen Cowboy eine ganz besondere Vorliebe besaß und sich von ihm manchen Spaß gefallen ließ.

»Damit ich das Bärenfell festnagle,« schrie der Bursche, sich die Stiefeln ausziehend, »oder glaubst du, ich will die ganze Nacht im Zimmer herumrutschen?«

»Was, Joker, du willst das Fell annageln?« rief ein Trapper lachend.

»Natürlich! Haltet nur einmal Eure Augen während der Nacht offen und schlaft nicht wie die Ratten, dann könnt Ihr bemerken, wie die Felle in dem Zimmer herumkriechen. Als ich das letzte Mal hier schlief, wurde mir angst und bange. Ich konnte nicht schlafen, obgleich ich zwei Pinten Whisky im Leibe hatte, denn plötzlich, denkt Euch mein Erstaunen, fängt das Bärenfell, auf dem ich liege, an, sich unter mir zu bewegen. Erst läuft es ganz gemütlich durch die Stube, kriecht unter den Tisch, mich mit sich nehmend, dann unter einem Stuhl weg; der fällt auf mich, und schließlich, verdammt will ich sein, wenn ich nicht die Wahrheit rede – klettert es die Wand hinauf. Dabei fiel ich natürlich herunter.«

»Oho, Joker,« lachte ein Trapper, »nicht aufschneiden! Ihr wart betrunken.«

»Durchaus nicht,« versicherte Joker, »ich war so munter wie jetzt, hatte ja nur zwei Pinten getrunken. Ich ließ mich aber nicht irremachen, riß das Fell von der Wand herunter, setzte ein Holzscheit in Brand, und was meint Ihr wohl, was ich entdeckte, als ich das Fell untersuchte?«

»Nun?«

»Ich hatte das Fell aus Versehen verkehrt umgelegt, so daß die Haare nach unten kamen, und nun liefen die paarmal hunderttausend Flöhe, die in den Haaren sahen, mit dem Felle spazieren. Nein, Bill, das lasse ich mir nicht noch einmal gefallen, gib mir Nägel und Hammer her, daß ich es festnageln kann.«

»Schnalle deine Sporen wieder an und reite das Fell zu,«, riet Bill.

»Werde mich hüten, der Racker beißt mit unzähligen Mäulern.«

»Seit wann hast du denn solche Angst vor den niedlichen Tierchen bekommen?« lachte Charly, der Waldläufer.

»Seit sie mich das vorige Mal bald aufgefressen haben. He, du alte Biberratte,« fuhr er, zu dem Fallensteller gewendet, fort, der sein Fell in die Ecke tragen wollte, um sich dann zur Ruhe zu legen, »kannst du hier nicht deine Schlingen legen, damit ich diese Nacht verschont bleibe?«

Der Fallensteller war müde, er brummte etwas Unverständliches vor sich hin, warf sich angezogen auf das Bärenfell und fiel sofort in Schlaf.

Auch die übrigen legten sich, einer nach dem anderen, nachdem sie ihre Toilette gemacht, das heißt, die Büchse an der Wand aufgehängt, eine Decke unter den Kopf geschoben und den Gürtel mit Messer und Tabaksbeutel neben sich gelegt hatten.

Doch zum Schlafen zeigten sie noch keine Lust. Alle hörten noch dem Geplauder des lustigen Joker zu, dessen Mund nicht zum Stillstehen gebracht werden konnte, solange die Augen offen standen, und jetzt, da er die Tasche voll Geld hatte, noch viel weniger.

»Noch einen Schlaftrunk, Bill,« rief er. »Ob das Geld hier draufgeht oder wo anders, ist doch gleichgültig. Da seht, die Biberratte leckt sogar im Schlaf mit der Zunge, der Kerl hat es gehört und wird gleich aufwachen.«

Der Wirt brachte das Verlangte und mußte dann dem wirklich erwachten Fallensteller auch noch einen Zinnbecher füllen.

»Habe gehört, Joker,« sagte Bill, als er dem jungen Burschen den Becher nach der Lagerstätte brachte, »du sollst ein neues Lied singen können. Jimmy sagte es mir, als er vorbeiritt. Gib es zum besten.«

Der junge Cow-boy sah im Kreise umher, und überall fand der Vorschlag Beistimmung. Er war sehr stolz auf seine Sangeskunst und vor allen Dingen darauf, daß er nur eigene Lieder sang, nach irgend einer schon bekannten Melodie.

» All right, boys,« rief er, schwang den Becher und erhob sich halb von dem Fell, »jetzt sollt Ihr eins zu hören bekommen, was ich bei der Hochzeit auf meiner Plantage vorgetragen habe.«

Die Zuhörer erhoben sich ebenfalls, stützten den Oberkörper auf die Ellenbogen und blickten gespannt nach dem Cow-boy.

Sie wußten, was er meinte. Der Haziendero, dessen Rinder er ein halbes Jahr bewachte, hatte seinen Sohn vermählt, und bei der Hochzeit mußte der sangeskundige Joker die Gaste unterhalten.

Joker räusperte sich und begann dann mit rauher, aber nicht übel klingender Stimme ein Lied zu singen, in dem er das Leben der Cow-boys verherrlichte und als das schönste pries, welches man sich erwählen kann.

Er begann mit dem Verse:

»Die Prärie unermeßlich
Selbstbewußt und stolz und kühn
Auf dem wilden Roß durchstreif ich,
Kenne weder Sorg', noch Müh'n.
Lach' dem Feinde ins Gesicht,
Meine Kugel fehlet nicht,
Richterhand mich nicht erreicht,
Denn, wer wagte, mich so leicht
Zu verfolgen? –
Hei, lustig darf der Cow-boy leben!«

schloß der Mann mit einem langgezogenen Rufe, sprang aus und hielt dem Wirte den leeren Zinnbecher zum Füllen hin.

»Hei, lustig darf der Cow-boy leben!«

jubelten die Zuhörer ihm zu, von der wilden Fröhlichkeit des tollen Burschen angesteckt, und forderten den Wirt ebenfalls auf, mit der Kruke zu ihnen zu kommen.

Dann fuhr der Cow-boy mit flammenden Augen fort zu singen:

»Auf Don Ramos reichem Rancho
Feiert man mit Pracht und Glanz
Hochzeit seines Sohnes Carlo,
Cow-boy, darf nicht fehl'n beim Tanz.
Durch den Klang der Silbersporen
Ging schon manches Herz verloren.
Feurig perlt im Glas der Wein.
Schönstes Mädchen, du bist mein.
Wein und Liebe!

Hei, lustig kann der Cow-boy lieben.
Hei, lustig kann der Cow-boy lieben.«

echote es aus zehn Kehlen nach, selbst Revolver-Bill wurde von der Lustigkeit angesteckt; er fühlte sich noch einmal jung, er war wieder zum kecken Burschen geworden.

So fuhr Joker mit seinem Gesang fort, der das schöne, ungebundene Leben des Cow-boys schilderte. Jeder Vers schloß mit einem anderen Refrain, in dem aber immer das Wort ›lustig‹ vorkam, und jedesmal fiel der Chor der Trapper und Waldläufer ein.

Joker begann den letzten Vers zu fingen:

»Cow-boys Stündlein hat geschlagen:
Er steht an des Abgrunds Rand,
Hinter ihm Apachen jagen,
Weit entfernt ist Freundes Hand.
Er faßt fester in die Zügel,
Stellt sich höher in dem Bügel,
Himmelwärts den Blick er hebt,
Wie er überm Abgrund schwebt,
Gellt es lachend:
Hei, lustig will der Cow-boy sterben!«

Diesmal blieb der Refrain aus, der Chor hatte einen anderen Schluß erwartet, dieser Paßte nicht zu dem lustigen Joker.

»Wollt ihr nicht mitsingen?« fragte dieser, und seine Stimme nahm plötzlich einen ganz anderen Ton an. »Ja, ja, auch ich kann einmal ernst werden. Der letzte Vers ist keine Dichtung, ich habe einer solchen Tat vor einem Monat selbst beigewohnt.«

»Wo, wie?« erklang es durcheinander.

»Wir, mein alter Freund Dick und ich,« erzählte der Cow-boy niedergeschlagen, »waren von den anderen versprengt worden, als die Rinderherden, durch ein Gewitter erschreckt, davongestoben waren und wir sie wieder zum Stehen bringen wollten. Dick und ich fanden uns zusammen und trieben die Tiere dein Weideplatz zu, als wir Apachen auftauchen sahen, die uns den Weg abzuschneiden suchten. Wir konnten uns nur durch Flucht retten und ritten so schnell als möglich, um den Apachen auf einem Umweg zu entkommen. Beim Ueberspringen eines ausgetrockneten Baches trat mein Gaul auf einen spitzen Stein, er konnte nicht weiter, ich sprang ab und kroch in dem Bache weiter. So bin ich den Apachen entgangen, wurde aber noch Zeuge davon, auf welch elende Weise der lustige Dick sein Leben lassen mußte. Die Apachen schnitten ihm den Weg ab, trieben ihn nach einer Schlucht zu, weil sie wußten, daß er ihnen dort in die Hände fallen mußte. Aber sie hatten sich in Dick getäuscht. Natürlich schoß er noch so viele seiner Verfolger als möglich nieder, als die Nächsten ihn aber greifen wollten, gab er seinem Rosse die Sporen und trieb es in den Abgrund hinein. Dabei stieß er ein gellendes Lachen aus, noch jetzt klingt es mir in den Ohren, ich sehe ihn noch, wie er auf dem dampfenden Pferde saß, den Kopf hintenübergebeugt, einen Augenblick über dem Abgrund schwebte und dann hinabsauste.«

Joker schüttelte sich und fuhr sich dann mit der harten Hand über die Augen.

Unter den Trappern war tiefe Stille eingetreten; sie ehrten die Trauer des Cow-boys um seinen Freund.

»Was für Apachen waren es?« fragte endlich Joe, der kleinere Waldläufer.

»Sie gehörten zur Bande des weißen Wolfes.«

Alle Zuhörer fuhren auf; der große Waldläufer, Charly, runzelte finster die Stirn.

»Es wird bald Zeit, daß diesem Schurken sein Handwerk gelegt wird,« sagte er leise.

»Und das soll fernerhin auch meine Aufgabe sein,« donnerte der Cow-boy, mit der Faust auf die Diele schlagend, fügte aber dann, wieder zurücksinkend, hinzu, »nur will ich mich erst noch etwas amüsieren, habe zu hart gearbeitet.«

»Solltest es aufgeben, das wüste Leben,« meinte Joe, »du hast keinen Vorteil davon.«

»Weiß es. Was kann man aber gegen die Natur machen? Geld brennt mir nun einmal wie Feuer in der Tasche, ich habe keine Ruhe, bis ich es an den Mann gebracht habe.«

»Gegen die Apachen sollten wir uns alle verbinden, die wir hier sind,« sagte ein Trapper. »Diese Geschöpfe sind doch nichts weiter wert, als daß sie niedergeschossen werden.«

»Malt sie nicht an die Wand,« rief ihm der alte Fallensteller, wegen seines mürrischen Wesens Biberratte genannt, zu, »mir ist es schon öfters passiert, daß sie kamen, wenn man von ihnen sprach, und besser ist es, man ...«

Ein gellendes Geheul unterbrach den Sprecher, und gleich darauf krachten zwei Gewehrsalven.

Blitzschnell fuhr alles auf, die Büchsen flogen in die Hand; im Nu saßen die Gürtel an den Lenden, und ebenso schnell hatte der Cowboy die Stiefel an den Beinen und den Revolver in der Hand.

»Was ist denn das? Indianer?«

Da donnerte es schon gegen die verriegelte Tür.

Mit einem Sprunge stand Revolver-Bill davor und gleichzeitig die übrigen Waldbewohner an den Fenstern, um die Blockhütte gegen einen Angriff verteidigen zu können.

Die Nacht war pechschwarz, erkennen konnte man draußen niemanden, wenigstens vorläufig nicht.

»Aufgemacht,« rief draußen eine tiefe Männerstimme hastig, »schnell, der Tod ist hinter uns.«

»Wer ist es?«

»Gut Freund, wir werden von den Apachen verfolgt,« erscholl es als Antwort.

Revolver-Bill war kein Freund von Zögern oder langem Nachdenken, sollte es einmal jemand versuchen, in sein Blockhaus einzudringen, ohne daß er es erlaubte. Schnell schob er den Riegel zurück und öffnete die Tür.

Ein riesiger Mann, wie ein Waldläufer gekleidet, sprang ins Zimmer.

»Deadly Dash,« rief Joe, halb erstaunt, halb erfreut, aber die Worte erstarrten ihm auf den Lippen, als sich dem Manne noch ein ganzes Dutzend Personen nachdrängte, mit Schmutz bespritzt, die Kleider von Dornen zerfetzt, aber die Augen der Trapper erkannten doch sofort, daß sie Weiber in Männerkleidern vor sich hatten. Als letzter trat ein Indianer ein, der die Tür hinter sich zuschlug und den Riegel vorschob.


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