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19.

Moderner Sklavenhandel.

Es war schon gegen Abend, als zwei Mädchen an die Tür des Vermittlungsbureaus klopften und auf das sofort gerufene ›Herein‹ eintraten.

Senor Rodrigo, der Besitzer des Bureaus, war trotz seiner Körperfülle schnell aufgesprungen, sank aber beim Anblick der beiden Mädchen, Kreolinnen, in armseligen, aber bunten Kleidern, ebenso schnell wieder in den Lehnstuhl zurück und murmelte einen Fluch in seinen Bart.

»Was wollt ihr?« herrschte er in grobem Tone die beiden an.

»Haben Sie eine Stellung für uns?« sagte die eine und trat vor.

»Haben Sie eine Stellung für uns?« fragte eines der Mädchen.

Der Dicke schüttelte unwillig den Kopf, doch gab er sich wenigstens Mühe, die Fragenden anzusehen. Er schraubte die Lampe höher, setzte einen Klemmer auf die Nase und wandte den Kopf nach dem Mädchen, sie von oben bis unten prüfend betrachtend.

Diese Untersuchung hätte jedem anständigen Mädchen das Blut in die Wangen gejagt, aber nicht diesen; ruhig hielten sie seinen Blicken stand und sahen ihm frech lächelnd in die Augen.

Die eine mochte etwa zwanzig, die andere fünfundzwanzig Jahre alt sein. Beide waren hübsch zu nennen, aber der Beruf, dem sie oblagen, hatte seinen Stempel auf ihr Gesicht gegraben, das eingefallene, hohle Züge, tiefliegende Augen und eine gelblich graue Hautfarbe aufwies. Die Hände zeigten, daß sie nicht zu arbeiten gewohnt waren, obgleich der Kleidung nach die beiden doch zum Arbeiterstande gehören mußten.

»Weggelaufen, he?« fragte der Dicke dann in rohem Tone.

»Ja,« entgegnete die ältere, die Sprecherin, »wir kommen von Iquique.«

»Warum?«

»Wir bekamen nicht genug zu essen.«

»Bah, das ist kein Grund. Habt ihr Schulden gemacht?«

»Gemacht haben wir keine, aber es bleiben noch welche übrig.«

»Da haben wir's ja,« rief der Dicke entrüstet und schlug mit der Faust auf den Tisch, »und woher bekamt ihr das Reisegeld?«

»Wir verkauften unsere Kleider.«

»Und da wagt ihr, mich nach einer anderen Stellung zu fragen?« rief der Biedermann und tat, als wäre er vor Entrüstung außer sich.

»Was sollten wir denn machen?« lachte das eine Mädchen höhnisch.

»Aushalten solltet ihr, bis ihr euren Vorschuß abverdient hattet, dann konntet ihr hingehen, wohin ihr wolltet.«

»Da könnte man Großmutter werden, ehe man dazu käme.«

»Was geht das mich an? Schert euch zum Teufel! Ich kann euch unter solchen Verhältnissen keinen anderen Platz verschaffen! Schließlich sendet euch euer Mietsherr die Polizei nach, weil ihr ihn bestohlen habt, und auch ich bekomme sie über den Hals.«

»Unser Herr wird sich hüten, sich mit der Polizei einzulassen, und Sie, Senor Rodrigo,« sagte das Mädchen drohend, »wissen auch recht gut, daß Sie nichts gegen uns machen können.«

Wütend sprang der Dicke auf.

»Hinaus mit euch,« rief er, »oder ich lasse euch fortjagen, ihr Gesindel!«

Die Mädchen wurden eingeschüchtert.

»Was sollen wir denn machen,« sagte die jüngere in bittendem Tone. »Geben Sie uns Stellung, wir nehmen jede an.«

Der Dicke wurde etwas besänftigt.

»Habt ihr Geld?« fragte er.

»Nein, keinen Peso.«

»Schmuck?«

»Nichts.«

Noch einmal warf der Dicke einen prüfenden Blick auf die beiden Mädchen und fand, daß deren Kleider nichts wert waren.

»Ich habe nichts für euch,« jagte er dann.

»Wir sind mittellos,« sagte wieder die jüngere in stehendem Tone. »Bedenken Sie doch, daß Sie es gewesen sind, der uns in das Unglück gestürzt hat.«

Der Mann brach in ein lautes Lachen aus.

»Schwatzest du auch noch solchen Unsinn?« lachte er. »Ich dachte doch, du könntest nun endlich klug geworden sein. Ich euch ins Unglück gestürzt? Ihr waret anständige Dienstmädchen, wer hieß euch denn, euch jedem Kerl hinzugeben?«

Die Mädchen schwiegen, sie wußten besser, was Hunger und schlechte Behandlung auf der einen Seite, gutes Leben, Vorspiegelungen schöner Kleider und gleißenden Schmuckes – wenn er auch nur geliehen ist – auf der anderen Seite, bewirken können.

»Ich habe nichts für euch,« wiederholte der Dicke hartnäckig.

»Wir haben seit heute morgen nichts gegessen, verschaffen Sie uns irgend etwas.«

»Geht mich nichts an!«

»Wir nehmen alles an!«

Der Dicke nahm aus seiner Westentasche zwei Blechmarken und hielt sie den Mädchen hin.

»Wollt ihr da schlafen?«

Ein langes Schweigen folgte. Mit glanzlosen Augen betrachteten die beiden Mädchen die Marken, sie verschafften ihnen den Eintritt zu den gewöhnlichsten Arbeiterschenken in Santiago. Dort erhielten sie Essen und Schlafstelle und ab und zu auch von einem Gaste ein Glas Bier oder Branntwein, aber eine Woche mußten sie bleiben, ehe sie wieder freigelassen wurden.

Es braucht wohl nicht näher angedeutet zu werden, auf welche Art die Mädchen dort ihr Brot verdienen mußten.

»Ja,« hauchte endlich die jüngere und griff nach einer Marke, »ich habe Hunger.«

Stumm griff auch das andere Mädchen zu. Sie verließen das Zimmer, ohne ein Wort zu sagen.

»Sind das dumme Geschöpfe,« murmelte der Dicke, als er allein war. »Rennen aus dem Regen in die Traufe. Kann mir aber gleichgültig sein, zwei Dollar habe ich wenigstens verdient.«

Er sah nach der Uhr.

»Wo zum Teufel bleibt aber Jerome? Es wird die höchste Zeit, daß er das Mädchen bringt, der Senor hat schon dreimal nach ihm gefragt.«

Da erscholl draußen ein Männerschritt, die Tür wurde aufgerissen, ein ›Bitte‹ erscholl, und herein trat eine junge Dame. Aber ihr Begleiter kam nicht mit, er machte die Tür von draußen zu, und man hörte ihn sich wieder entfernen.

Der Dicke war aufgesprungen, machte vor der jungen Dame eine tiefe Verbeugung und rückte ihr einen Stuhl hin, war überhaupt ganz Höflichkeit.

»Miß Eugenie Ebeling?« fragte er auf englisch. »Sehr angenehm, mein Name ist Rodrigo, mein Hamburger Agent wird Ihnen diesen Namen schon genannt haben.«

Er hatte bei Eintritt der Dame ihre Gestalt schnell von oben bis unten gemustert und war mit ihrer schlanken, doch üppigen Erscheinung zufrieden, und dieses kindliche, unschuldige Gesichtchen, welches beim Lachen reizend aussehen mußte, entzückte selbst sein hartes Herz.

Die Dame war etwas befangen gewesen, sie hatte sich linkisch auf den Stuhl gesetzt; jetzt aber schlug sie die blauen Augen voll zu dem Herrn auf und sagte mit wohltönender Stimme:

»Ich bin Eugenie Ebeling und von Herrn Jerome, der sich mir vorstellte, vom Schiff abgeholt worden. Hier sind meine Papiere,« sie entnahm einem Ledertäschchen einige Schriftstücke und übergab sie dem Herrn. »Bitte, überzeugen Sie sich von der Richtigkeit!«

Rodrigo hielt dies nicht für nötig; er legte die Papiere einfach auf den Tisch.

»Waren Sie mit Senor Jerome zufrieden? Haben Sie keinen Anlaß zur Klage gehabt?« fragte er.

»Durchaus nicht, er war sehr zuvorkommend.«

Dann kamen die Fragen über die Reise, ob sie gutes oder schlechtes Wetter gehabt habe, ob sie seekrank gewesen sei und so weiter, bis Eugenie der Zweck ihres Hierseins einzufallen schien.

»Wie steht es mit meiner Stellung als Erzieherin, kann ich bald antreten? Nicht wahr, mein Engagement bringt mich auf eine Plantage in der Nähe von Santiago? O, wie ich mich darauf freue!«

»Liebes Fräulein,« begann Rodrigo nach einer kurzen Pause, verlegen mit der goldenen Uhrkette spielend. »Leider muß ich Ihnen eine unangenehme Mitteilung machen. Jene Stellung als Lehrerin ist bereits vergeben.«

»Bereits vergeben?« rief das Mädchen erschrocken.

»Das hat aber nichts zu sagen,« beeilte sich Rodrigo hinzuzufügen, »mein Bureau ist imstande, Sie jederzeit mit einer anderen, angemessenen Stellung zu versorgen.«

»Ah so,« atmete die Dame erleichtert auf.

»So zum Beispiel können Sie Stellung als Erzieherin für die Kinder eines hiesigen Hoteliers erhalten, ein sehr angenehmer Platz. Nebenbei führen Sie die Wirtschaft, haben die Wäsche unter sich und sind völlig Herrin des Hauses. Der Hotelier hat zu viel in seinem Geschäfte zu tun.«

»Ist er ein ehrenwerter Mann?«

»Durchaus. Er ist der Besitzer des feinsten Hotels in Santiago und allgemein als ein braver, ehrenwerter Mann bekannt. Sein Hotel wird nur von der Aristokratie besucht.«

Er sprach noch lange über den grundehrlichen Charakter dieses Mannes, eines Franzosen Namens d'Aubertin, den Ruf des Hotels, und schließlich war Eugenie einverstanden, diese Stellung anzunehmen.

»Werden meine Kenntnisse aber auch genügen?« warf sie noch einmal ein. »Ich bemerke, daß ich des Spanischen nicht mächtig bin.«

»Macht nichts,« versicherte Rodrigo, »die Kinder des Hoteliers sprechen Französisch, und die Hauptsache ist, daß Sie Deutsch und Englisch lehren können.«

»Und wie steht es mit meiner Gage?«

»Darüber müssen wir erst den Senor selbst sprechen, jedenfalls aber werden Sie vollkommen damit zufrieden sein. Soviel ich weiß, hat die vorige Gesellschafterin Toilette extra geliefert erhalten.«

»Gesellschafterin?« fragte Eugenie erstaunt. »Was habe ich mit einer Gesellschafterin zu tun?«

Rodrigo wurde für einen Augenblick verlegen, sammelte sich aber schnell wieder, so schnell, daß das unerfahrene Mädchen seine Verlegenheit sicher nicht wahrgenommen hatte.

»Nun, der Hotelier liebt kleine Gesellschaften, und in solchen Fällen müssen Sie nicht nur als Lehrerin der Kinder, sondern auch als deren Mutter auftreten, das heißt, die Repräsentation des Hauses übernehmen. Es sind sehr anständige Gesellschaften, welche d'Aubertin gibt.«

In dieser Versicherung lag etwas, was das Mädchen mißtrauisch hätte machen sollen.

»Wo werde ich diese Nacht zubringen?«

»Gleich in dem Hotel.«

»In welchem Hotel?«

»Nun, in demselben, in welchem Sie die Stellung antreten.«

»Das geht so schnell?« rief das Mädchen verwundert.

»Natürlich, warum sollte es nicht? Hier in Chile geht alles schnell, wie Sie noch manchmal bemerken werden.«

»Aber ich glaubte, ich sollte nicht im Hotel, sondern im Hause des Herrn d'Aubertin bleiben,« sagte das Mädchen ängstlich.

»Seine Wohnung befindet sich nicht im Hotel,« erklärte der Agent, »Ihre Sachen sind von Senor Jerome bereits dorthin gebracht worden. Sind Sie bereit, mir nach dort zu folgen? Ruhe wird Ihnen nach der anstrengenden Reise wohltun, und ich kann Ihnen versichern, daß Sie mit offenen Armen aufgenommen werden.«

»Ich bin bereit, Ihnen zu folgen, doch kann ich mich nicht genug wundern, wie schnell das alles geht.«

Senor Rodrigo ging nach der Tür, um einen Klingelzug zu ziehen, und es war schade, daß er daher den Gesichtsausdruck seines Schützlings nicht sehen konnte. Er wäre darüber nicht wenig erstaunt oder erschrocken gewesen.

Auf sein Klingeln kam Jerome herein, machte vor der Dame eine Verbeugung und entfernte sich wieder um dem Auftrage, einen Wagen zu holen.

»Nun wollen Sie, bitte, dieses Formular unterzeichnen,« sagte Rodrigo zu dem Mädchen, »wodurch Sie bescheinigen, daß Sie durch meine Vermittlung die Stellung erhalten haben.«

»Es ist spanisch gedruckt, ich kann es nicht lesen.«

»Ich werde es Ihnen übersetzen.«

Rodrigo füllte einige freigelassene Stellen im Druck aus und las dann vor, daß Eugenie Ebeling durch seine Vermittlung freiwillig bei dem Hotelier d'Aubertin eine Stelle als Gesellschaftsdame angenommen habe.

»Gesellschaftsdame?« fragte Eugenie.

»Als Gesellschafterin der Kinder.«

Das Mädchen unterschrieb; der Vermittler war somit gedeckt, was auch kommen mochte.

»Für meine Bemühungen erhalte ich den Betrag von zehn Dollar,« sagte darauf Rodrigo, »die Reisekosten und so weiter hat Herr d'Aubertin zu tragen.«

»Der Agent in Hamburg hat mir fast gar nichts gelassen, nur einiges deutsches Geld ist noch in meinem Besitz. Der Herr sagte, bis zum Antritt der Stellung hätte ich kein Geld nötig, ich habe auch wirklich keins gebraucht, aber vor Antritt der Reise desto mehr.«

»So geben Sie mir das, was Sie haben; seien Sie aber so gut und sagen Sie dem Hotelier das nötige, damit ich von ihm das übrige Geld erhalte.«

Seufzend gab Eugenie ihr letztes Zehnmarkstück hin, sie hatte nichts mehr.

»Der Wagen,« meldete Jerome.

»Sie kommen mit,« rief Rodrigo.

»Gewiß.«

Die Dame ward von den beiden Herren hinuntergebracht, sie stiegen in den Wagen, und dieser rollte davon, nachdem Rodrigo dem Kutscher eine Adresse zugerufen hatte.

Es war Nacht geworden, ehe die Fahrt angetreten wurde. Der geschlossene Wagen rollte erst durch breite, erleuchtete Hauptstraßen, schien sich aber immer mehr von der inneren Stadt zu entfernen, denn die Straßen wurden schmäler und waren, spärlicher beleuchtet.

Rodrigo suchte dem Mädchen soviel wie möglich von der Annehmlichkeit der neuen Stellung zu erzählen, von dem Herrn, einem Witwer, von seinen Kindern, die er genau zu kennen vorgab, und so weiter.

Bis jetzt hatte Jerome ruhig zugehört, da aber unterbrach er den Erzähler plötzlich mit einer überraschenden Frage.

»Ich habe noch gar nicht gehört, daß Monsieur d'Aubertin Kinder hat?«

Rodrigo war anfangs sprachlos. So weit das schwache Licht der Wagenlaternen es erlaubte, musterte er die Züge seines Helfers, und fast schien es ihm, als ob er auf dem Gesicht desselben ein teuflisches Lächeln bemerken könne.

»Jerome, was fällt Ihnen denn ein? Monsieur d'Aubertin hat keine Kinder?« stammelte er endlich.

»Nicht, daß ich wüßte,« entgegnete Jerome ruhig, »und im übrigen sind Sie im Irrtum, wenn Sie mich für Ihren Kompagnon halten. Ihr sauberer Gefährte sitzt bereits im Gewahrsam und erwartet Ihre Gesellschaft.«

Rodrigo sank, wie vom Schlage getroffen, in die Kissen des Wagens; das Bewußtsein drohte ihm zu schwinden.

Der junge Mann, den er schon seit Jahren kannte, und der für ihn arbeitete, hatte plötzlich den Schnurrbart abgerissen, ein bartloses, energisches Gesicht zeigte sich, welches nicht mehr die geringste Aehnlichkeit mit Jerome hatte, und ein paar finstere Augen blitzten drohend dem Schinken entgegen.

Das war es aber nicht allein, was den Vermittler so fassungslos machte; fürchterlicher war die Mündung eines Revolvers, die auf seine Brust gerichtet war.

»Einen Laut, eine Bewegung, und ich spreche deutlicher mit Ihnen, Halunke!« raunte ihm der Mann zu.

»Und wenn Sie glauben, ich sei Eugenie Ebeling, so sind Sie gleichfalls im Irrtum,« sagte neben ihm mit bebender Stimme das Mädchen. »Gott sei gedankt, daß das arme Mädchen nicht in Ihre Klauen geraten ist! O, wir kennen das Hotel des Monsieur d'Aubertin ganz genau; wir werden nachher noch ein Wörtchen miteinander darüber sprechen.«

Mit entsetzlicher Angst ließ der Agent seine Augen von dem einen zu dem anderen rollen; er sah nur erbarmungslose Gesichter und den drohenden Revolver.

»Die Dame hat unterschrieben. Ich habe das Recht auf meiner Seite. Niemand kann mir etwas anhaben,« stöhnte er.

»Das wird sich bald finden, ob Ihnen jemand etwas anhaben kann oder nicht,« sagte das plötzlich so entschlossene Mädchen an seiner Seite, während der Mann keine seiner Bewegungen aus dem Auge ließ, bereit, jeden Fluchtversuch zu verhindern.

»Wohin fahren Sie?« fragte der Agent.

Er hatte bemerkt, daß der Wagen einen anderen Weg fuhr, als den zum Hotel.

»Nach dem Hotel jedenfalls nicht. Monsieur d'Aubertin wartet vergebens auf sein Opfer, und ebenso der Dragoneroffizier auf sein neues Liebchen.«

Der Agent erstarrte immer mehr. Dieser Mann wußte alles. Jerome mußte ihm alles verraten haben. Aber der Schurke war zu weich, um irgend etwas zu unternehmen, was einem Fluchtversuch oder einer Gegenwehr ähnlich sah. Der Revolver bändigte ihn vollkommen.

Jetzt rollte der Wagen aus der Stadt. Vollkommene Dunkelheit herrschte ringsum, und die schlechten Wege verrieten, daß man sich auf einer Landstraße befand. Noch eine halbe Stunde dauerte es, ehe der Wagen hielt.

»Aussteigen,« herrschte Sharp, denn dieser war es natürlich, den Agenten an.

Willenlos gehorchte der Vermittler und sah sich sofort von dunklen Gestalten umgeben, die ihn in die Mitte nahmen und über ein Stoppelfeld führten.

Es gab kein Entrinnen mehr. Der Vermittler, der moderne Sklavenhändler, welcher sich raffiniert gegen jede gesetzliche Anklage wegen seiner Vergehen zu schützen wußte, war in die Hände von Männern gefallen, welche sich zu Richtern über ihn aufgeworfen hatten.

Nach einem kleinen Marsche wurde die Gegend hügeliger als zuvor, und endlich befand man sich vor dem Eingange eines Schachtes.

Rodrigo wußte jetzt, wo er sich befand. Es war eine verlassene, ehemalige Silbermine. Die Gegend rings umher war vollkommen öde; er hätte noch so laut schreien können, niemand hätte seinen Hilferuf vernommen.

»Hier hinein!« sagte ein Mann barsch zu ihm, und mit Faustschlägen und einem Fußtritt wurde der Zögernde in den Eingang des Schachtes befördert.

Ein heller Lichtschein leuchtete den Kommenden entgegen, und kaum waren sie um eine vorspringende Ecke des Ganges gebogen, so befanden sie sich in einem hohen, gewölbten Räume, von dem aus die Einfahrt in die Tiefe ging. Jetzt aber war das finstere Loch in der Erde mit Brettern zugedeckt; eine Menge Fackeln erleuchteten den Raum, und rings an den steinernen Wänden standen Männer.

Erschrocken fuhr Rodrigo zurück. Es sollte also wirklich Gericht über ihn gehalten werden. Noch mehr steigerte sich sein Entsetzen, als er Jerome mit gebundenen Händen in einer Ecke stehen sah, und ferner in einer anderen Ecke sechs Mädchen. Das Gewissen schlug ihm bei deren Anblick. Waren sie vielleicht auch seine Opfer, derentwegen er zur Verantwortung gezogen wurde? Leicht möglich!

Rodrigo wurde von seinen Begleitern in die Mitte des Raumes geführt und von den Männern umringt. Ein noch junger Mann trat auf ihn zu – es war Hannes.

»Haben Sie dieses Mädchen,« er deutete dabei auf die angebliche Eugenie Ebeling, »von Deutschland kommen lassen, um ihr hier eine Stelle als Erzieherin zu verschaffen?«

»Ja, und ich hätte auch Wort gehalten, aber die Stelle war schon vergeben,« stammelte der Vermittler.

»Wohin wollten Sie das Fräulein jetzt bringen?«

»Nach dem Hotel des Monsieur d'Aubertin,« entgegnete Rodrigo, wohl wissend, daß ihm Lügen nicht half.

»Als was?«

»Als Gesellschaftsdame.«

»Was für ein Hotel ist das?«

Rodrigo schwieg.

»Es ist ein bekanntes Freudenhaus von Santiago. O, Sie brauchen mich nicht zu unterbrechen, Ihre Ausreden würden Ihnen gar nichts helfen. Wir wissen recht gut, was das Los des Mädchens gewesen wäre. Noch in dieser Nacht würde ihr klar gemacht worden sein, wo sie sich befand, und wäre sie nicht willig gewesen, so hätte man sie gezwungen oder sie durch Schlafmittel willig gemacht. Aus diesem Hause käme sie nicht eher, als bis sie wegen Unbrauchbarkeit entlassen würde. Die Behörde kann ihr nicht helfen, denn sie selbst hat, des Spanischen unkundig, einen Kontrakt unterschrieben, in dem sie sich damit einverstanden erklärt, in dem Freudenhaus oder Hotel als öffentliches Mädchen einzutreten, und sie kann dasselbe nicht wieder verlassen, weil sie durch die ihr aufgedrungene Toilette und Schmuckgegenstände Schulden gemacht hat, die sie erst abverdienen muß.«

Hannes schwieg, und ebenso Rodrigo, er wagte nicht zu antworten, denn er war sich seiner Schuld bewußt und sah diesen Mann in alle Verhältnisse eingeweiht. Was half hier Leugnen? Er war auf Gnade und Ungnade seinen Richtern überlassen.

Auf einen Wink von Hannes traten die sechs Mädchen, alles Spanierinnen aus Chile, hervor.

»Kennen Sie diese Mädchen?«

»Nein.«

»Vor zwei Jahren suchten Sie für ein spanisches Hotel in Konstantinopel, wie Sie sagten, Dienstmädchen, und diese fünf hier haben sich dazu gemeldet. Entsinnen Sie sich jetzt?«

Der Agent schwieg.

Da näherten sich ihm von hinten zwei Männer, Matrosen der ›Hoffnung‹, und ehe Rodrigo noch ihre Annäherung merkte, lag er schon am Boden, und ein Tauende sauste einigemale auf seinen Rücken herab.

»Ja, ja,« heulte er jetzt, »ich entsinne mich.«

Er war geständig.

»Wußten Sie, wozu diese Mädchen gebraucht wurden?«

»Ja.«

»Wußten Sie, wer der Schiffer war, welcher Ihnen die Mädchen gegen Geld abnahm?«

Rodrigo zögerte, aber das Tau brachte ihn schnell zum Reden.

»Er suchte Mädchen für türkische Harems,« wimmerte er, auf den Knieen liegend.

»Und Sie haben ihm dieselben als Sklavinnen verkauft, ebenso, wie Sie heute abend diese Dame in ein Freudenhaus verhandeln wollten.«

Hannes deutete auf die angebliche Eugenie – es war Hope, deren Ähnlichkeit mit Eugenie es möglich gemacht hatte, daß sie die Rolle der unerfahrenen, ängstlichen Eugenie übernehmen konnte.

»Sie haben kein Recht, sich als Richter meiner Handlungen aufzuwerfen,« sagte Rodrigo, noch einmal sich aufraffend, »ich wünsche, dem Gericht übergeben zu werden, wenn Sie mich eines Verbrechens schuldig finden.«

Alle Männer brachen in ein Gelächter aus. Rodrigo sank wieder zusammen, er hatte keine Hoffnung mehr.

»Jetzt wirst du deine Strafe empfangen, Mädchenhändler,« donnerte ihn Hannes an, »und mit dir dein sauberer Kompagnon Jerome, welcher noch viel mehr gestanden hat. Kommt,« wandte er sich an die fünf Mädchen und seine Frau, »ihr sollt der Bestrafung dieser Elenden nicht beiwohnen.«

Einige Matrosen wurden auserlesen, unter deren Schutze sie an Bord gebracht werden sollten, während Sharp und Hannes zurückblieben. Die Mädchen waren noch nicht weit gegangen, als schon ein entsetzliches Jammergeschrei ihr Ohr traf.

»Das tut ihnen gut,« meinte Karl, der Bootsmann, zu Hope, »schade, daß ich der Exekution nicht beiwohnen und mitschlagen darf.«

In einer Viertelstunde wurden sie von den übrigen wieder eingeholt, aber Rodrigo und Jerome waren nicht unter ihnen.

»Sie werden morgen früh den Weg wohl allein zurückfinden,« sagte Hannes, »heute können sie doch nicht mehr gehen. Vielleicht schicke ich morgen einen Vertrauensmann hin, der sie zufällig findet, sollten sie sich nicht allein forthelfen können. Ihr braucht keine Sorge zu haben,« fuhr er, zu den Kreolinnen gewendet, fort, »daß euch dieser Mann etwas anhaben kann, wir bringen euch schon morgen zu euren Eltern und lassen euch unter dem Schutze von Freunden zurück, welche auf euch und Rodrigo ein scharfes Auge haben werden.«

»Ich kalkuliere,« meinte Sharp, »Rodrigo und Jerome werden auf einige Zeit verschwinden, aber das Geschäft werden sie nicht aufgeben. Dieser Mädchenhandel ist zu einträglich. So lange es Fliegen gibt, gibt es auch Spinnen.«


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