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Fünfzehntes Capitel.
Eine Ministerialaudienz.


Am nächsten Morgen, ein Halbstündchen bevor Hermann aufs Bureau kam, saß Frau von Bülow im Negligée einer Mullpelerine mit gefälteltem stehenden Kräglein im Arbeitszimmer ihres Mannes, während dieser im Hausüberrocke, die Hände rückwärts gefaßt, offenbar verdrießlich, hin- und wiederschritt. Die Unterhaltung betraf Hermann. Der Minister war eben benachrichtigt worden, daß der König morgen Nachmittag vor Tafel die drei nach Holland Abgeordneten von ihm vorgestellt haben wollte. War's eine Ahnung oder nur ein Argwohn – der Minister sah in dieser Vorführung, da der König die beiden Reichstagsmitglieder sehr genau kannte, nur eine auf Hermann zielende Absicht.

Ganz gewiß! rief er bitter aus – Jerôme will unter diesem Vorwande nur den jungen Mann sehen, den ihm Marinville zum Chevalier d'honneur für das königliche Liebchen zugedacht hat; er will ihn kennen, der – im Cotillon der kleinen Tänzerin mit ihm abwechselt!

Frau von Bülow teilte die Sorge, aber nicht die Entrüstung ihres Mannes. Sie fürchtete, Hermann werde getäuscht; er aber zürnte, daß er sich täuschen lasse. – Mag sein, sagte er, daß er das Verhältniß dieser Heberti, die Vorgeschichte einer Tänzerin, nicht kennt; ich gebe dir auch zu, daß er nicht gemein, nicht niederträchtig denkt; aber warum verblendet er sich aus kindischem Ehrgeiz über das lockere Persönchen, und läßt sich von diesem Marinville hinter's Licht führen, hinter dies Nachtlicht? Er ist an der Falle des Polizeidirectors nicht, noch nicht, klug geworden, und beißt jetzt den Köder eines Kupplers an. Mein Weg der Beförderung geht ihm zu langsam; er läßt sich eine Winkeltreppe gefallen.

Die er aber als solche nicht kennt, – gibst du ja selbst zu. Drum denk' ich, lieber Hanns, wir müssen ihm einen Wink geben.

Untersteh' dich, Auguste! rief er heftig. Dieser Handel ist noch delikater und gefährlicher als sein früherer. Soll er sich auf uns berufen, wenn er sich dort zurückzieht und von Marinville zur Rede gestellt wird? Und was weißt du denn von der Person? Oder willst du dich auf die Geheimnisse des französischen Gesandten berufen, und den Finanzminister in Widerspruch mit einer Liaison seines Königs setzen? Wollen wir denn überhaupt nur für solche Geschichten interessirt erscheinen? Laß du der Sache ihren Lauf! Auch bin ich eigentlich nicht um des jungen Mannes willen in dieser Entrüstung. Mag er sich doch mit einer abgelegten Mode des Königs aufputzen! Mag er diese Desserte – diesen Abhub vom königlichen Nachtisch, auf seinem häuslichen Herd aufwärmen, in der verlassenen Pfütze sein Herz baden! Nein! Aber daß man mich zum Werkzeug, zum Vermittler brauchen will, das empört mich.

Du vergissest aber, lieber Victor, daß du ja nur thun sollst, was du später mit dem jungen Manne selbst gethan hättest – ihn dem König vorstellen. Was ist da Ehrenrühriges drin?

Was? fuhr Bülow auf. Zu welchem Ziel und Zweck aber soll ich es thun? Und wem dien' ich damit, wer misbraucht mich damit? Wem arbeit' ich in die Hände? Daß ein glücklicher Gedanke, auf den ich zum Besten des jungen Mannes so froh war, diesem Marinville, diesem marinirten Schelm, apropos kommt, und ihm zum Angelhaken für den albernen Burschen dient, dem ich damit helfen will – das soll doch der Teufel holen! Nein, dazu gibt sich kein Bülow her!

Die Baronin schwieg – nicht vor ihres Mannes Zorn, sondern weil sie eben doch mit ihm fühlte, daß es diesmal um etwas mehr gelte, als was früher einmal der jetzige Generalmajor Scharnhorst gegen ihren Vater geäußert hatte – alle Bülow's seien für ihre Meinung eingenommen und nicht sehr verträglich. Eine Pause entstand, in welcher, ehe noch des Ministers Aufwallung sich gelegt hatte, Hermann eintrat, um wie gewöhnlich die Arbeitsanordnung Sr. Excellenz zu empfangen.

Bülow setzte sich mit stummer Verneigung an seinen Schreibtisch, während die Baronin, um ihrem Manne Zeit zur Fassung zu lassen, Hermann heranrief und heiter fragte, ob er schon dem jungen Bräutigam Nathusius gratulirt habe.

Die scherzhafte Laune, womit Hermann auf den Gegenstand erzählend entging, schien den Minister aufs neue zu verdrießen. Wenigstens stand er plötzlich auf, und mit barscher Würde vortretend fragte er:

Sagen Sie mir doch, Herr Teutleben, ist der Baron Marinville leicht oder ungern darauf eingegangen, Sie Sr. Majestät vorzustellen?

Mich vorzustellen, Excellenz? erwiderte Hermann betroffen. Davon weiß ich nichts.

Ich habe hernach auch noch eine neubegierige Frage, lieber Doctor, aber – davon müssen Sie mir wissen, das bitt' ich mir aus! fiel Frau von Bülow ein, mit einem Blick für ihren Mann, der wie Oel auf ein knarrendes Rad dienen sollte. Auch fuhr der Minister in sanfterm Tone fort:

Herr von Marinville hat viel Einfluß beim König, Einfluß im Cabinet – das will noch mehr sagen, weil der Hausrock eines Monarchen mehr durchläßt, als das Staatskleid. Er hat Sie bei Frau Simeon getroffen, und sich günstig über Sie geäußert. Daß mir Alles lieb ist, was Ihnen nützt, das wissen Sie; nur möcht' ich Sie nicht in einen Zusammenstoß entgegengesetzter Absichten gerathen sehen. Marinville ist ein heiterer Lebemann ohne weitreichende – nein, ich will sagen ohne hochgelegene Gesichtspunkte; daß er aber mehr dem französischen Interesse zuneigt, ist begreiflich; er ist Franzose und – der König ist Franzose. Sobald er Ihnen Propositionen macht, kann es etwas sein, was ihm oder dem König dient, aber gegen meine auf den Staat und das Volk gerichteten Absichten verschlägt. Das wäre nicht zu Ihrem Besten; Sie müßten sich für Eines oder das Andere entscheiden. Ich will Sie zu nichts bestimmen, lasse Ihnen freie Wahl, und nehme auch keinem jungen Mann übel, hoch zu streben. Nur Offenheit erwarte ich von Ihnen, schon damit ich Ihrem Glücke nicht entgegenarbeite, wenn Sie Ihr Glück auf nicht-Bülow'schen Pfaden suchen.

Der Ton des Ministers, aus welchem Hermann eine Empfindlichkeit herausfühlte, die er sich nicht erklären konnte, mußte seine Erwiderung ins Weichmüthige stimmen, indem sein Verstand nichts zu widerlegen fand und sein Herz doch einer Rechtfertigung bedurfte.

Excellenz, sagte er leiser und etwas stockend, es ist gar nichts der Art vorgekommen, weder daß Herr von Marinville mir einen Vorschlag gethan, noch ich auch nur einen Wunsch ausgesprochen hätte. Wir haben uns nur mit der Conversation des Salons berührt. Und, erlauben Sie mir zu bekennen, ich fühle mich über alle Erwartung so hoch gestellt in Ihrem Hause und ich schmeichelte mir – in Ihrem Herzen, daß ich mir bis zu diesem Augenblick höher hinaus auch nicht hätte träumen lassen. Ich bin durchdrungen von Ew. Excellenz Wohlwollen für mich, und – ich bin nicht undankbar. Es ist mir noch keine Minute in die Seele gekommen, ohne Ihr Vorwissen, ohne Ihr Gutheißen einen Weg einzuschlagen anders als an Ihrer Hand oder nach Ihrem Fingerzeig.

Ich hege kein Mistrauen in Ihre Gesinnung und Ehrenhaftigkeit, erklärte der Minister; nur kann in der casseler Gesellschaft ein unerfahrener junger Mann leicht auf einen Kreuzweg gerathen, wo man vor bösen Anfechtungen nicht sicher ist und sie vielleicht gar nicht vermuthet. Wenn Sie mir aber, wie eben jetzt zugesagt, in Allem, was Ihr bürgerliches Glück angeht, ein offenes Vertrauen vorbehalten, so bin ich ganz beruhigt. Unter bürgerlichem Glück verstehe ich aber nicht blos Angelegenheiten, die ins Ressort des Ministers schlagen, sondern auch solche, die Sie – vielleicht lieber meiner Frau anvertrauen. Sie interessirt sich sehr für Haus und Herzenssachen, und kennt auch – die hiesigen Verhältnisse. Wenn Sie denn Ihr gutes Vertrauen soweit ausdehnen wollen –

Mit diesem, im Frageton vorgebrachten Wenn reichte Herr von Bülow seine Hand hin, und als Hermann sie mit lebhafter Rührung und einigen Worten des Dankes ergriff, schloß er:

So bleibt's darauf beim Alten!

 

Als der Freund sich jetzt gegen Frau von Bülow wendete, als ob er ihre vorbehaltene Frage vernehmen wollte, ward dem Minister eine Deputation angemeldet und angenommen. Frau von Bülow entschlüpfte mit einem zulächelnden Blicke gegen Hermann durch die Tapetenthür in ihre Zimmer.

Der Minister winkte dem jungen Freunde, der sich ebenfalls entfernen wollte, zu bleiben, und empfing die Eintretenden mit jener entgegenkommenden Freundlichkeit, die unerkünstelt aus wohlwollender Gesinnung floß und auch so empfunden wurde. Diese Humanität, in männliche Anmuth gekleidet, hatte dem Finanzminister in den wenigen Monaten seiner Administration entschiedene Gunst und Vertrauen im Volke gewonnen. Dies Zutrauen war so fest, daß er es sich selbst unter der Besorgniß des Landes wegen der Finanzbedürfnisse, ja neben der Unzufriedenheit mit den Finanzgesetzen und trotz der wachsenden Unruhe unter dem Finanzdruck zu erhalten wußte.

Es waren Abgeordnete aus den Handwerken und dem Handelsstande, die ihr Anliegen durch einen Zeuchmacher Büchling als Hauptsprecher vorbrachten. Es betraf das neue, dem Reichstag vorgelegte Patentgesetz. Man sah die Patentabgabe für eine neue Steuer und französische Einrichtung an, die, für die westfälisch-deutschen Verhältnisse durchaus ungeeignet, in einer Zeit so vielfältigen Drucks die bürgerliche Betriebsamkeit lähme, und – nach – Büchling's Ausdruck – dem Faß des zünftigen Handwerks den Boden ausschlage, der längst kein goldener mehr sei.

Muth zu solchen Gegenschritten hatte ein jüngster Vorfall im Reichstag gegeben. Dieser hatte nämlich ein vom Staatsrathe Malchus eingebrachtes Grundsteuergesetz abgelehnt. Malchus, in seinem Aerger über solche »unerhörte Anmaßung«, war in beleidigende Aeußerungen ausgefallen, und die Stände hatten dagegen eine nachdrückliche Beschwerde an den König gelangen lassen.

Mit mehr Artigkeit und Würde hörte Herr von Bülow, die Hände hinter den Hüften gefaßt und freundlich vorgeneigt, den Vortrag der Deputirten an, fragte nach den verschiedenen Gewerben der anwesenden Bürger, ließ sich dies und jenes über ihren seitherigen Betrieb erklären, und suchte dann mit der ihm eigenen Klarheit des Ausdrucks den Irrthum in ihren Ansichten und Begriffen, den Ungrund ihrer Voraussetzungen, und die Selbsttäuschung in ihren Befürchtnissen darzulegen. Unter Anderm sagte er:

Der Gedanke der Neuzeit, eine einzige, auf den Reinertrag des Landbaues gegründete Steuer einzuführen, hat in Deutschland nie großen Beifall gefunden. Er hielt auch die nochmalige Prüfung in unserm, wie Sie wissen, mit den einsichtsvollsten Männern besetzten Staatsrathe nicht aus. Wir mußten, um die Last der Abgaben, die eine vom Himmel uns so schwer beschiedene Zeit auf uns wälzt, möglichst auf gleiche Schultern zu vertheilen, zugleich den Besitz, den Genuß und den Erwerb in richtigem Verhältniß heranziehen. Wir befolgten hierin eine Ueberzeugung, die ein so patriotischer und noch heut in geehrtem Andenken stehender Mann, wie der vor acht Jahren verstorbene Professor und Vorstand der hamburger Handelsakademie, Herr Büsch, in seinem unvergleichlichen Buche über den Umlauf des Geldes ins klarste Licht gesetzt hat. Trifft nun Sie, meine Herren, jener Theil der Last, der durch die auf die Gewerbe gegründete Personalsteuer geregelt wird, so dürfen Sie nur keine eigentlich neue Abgabe darin erblicken. Nein, sie ist vielmehr nur unter anderm Namen und oft mit andern Steuern sonderbar vermengt, seither blos weniger gerecht und vielleicht in höhern Beträgen erhoben worden, als unsere jetzige Patentsteuer mit ihrem offenen Namen fodert. Bisher versteckte sie sich hier unter die Grundsteuer, dort hinter die städtischen Abgaben, die in der neuen Municipalordnung ganz verschwinden. Ich wiederhole Ihnen, es ist von keiner neuen Last, sondern nur von einer richtigern Vertheilung derselben die Rede. Die frühere maskirte Last fiel sehr ungleich auf die einzelnen Provinzen, und hier sehr ungleich auf die einzelnen Professionen.

Wenn Sie nun aber dessenungeachtet, um des Namens willen, die Patentsteuer für eine französische Einrichtung ansehen wollen, so darf ich meinen geehrten Mitbürgern die Versicherung geben, daß wir blos die Erfahrungen benutzt haben, die Frankreich über die Patentsteuer gemacht hat, die dort im Jahre 1791 eingeführt, 1793 wieder aufgehoben und 1795 auf durchaus verbessertem Fuß wieder hergestellt wurde. Fremde Erfahrungen haben das Lehrgeld bestritten für eine Maßregel, die wir nun auch ganz den Umständen und Bedürfnissen Westfalens angepaßt haben. So werden Sie, bei nur flüchtiger Vergleichung, unsere Abgabensätze durchweg geringer als die französischen finden. Ueberdies haben wir das Anhängsel der französischen Sätze, das sogenannte droit proportionel, wornach zu der Abgabe vom Gewerbe noch ein verhältnißmäßiger Theil des Miethwerthes der gewerblichen Gebäude kam, ganz fallen lassen. Im Weitem haben wir dem neuen Gesetz, damit es gleichmäßiger auftrete, mehr als einen Fuß gegeben. Manche Industriezweige konnten nämlich auf eine Stufenleiter der Ortsbevölkerung gestellt werden; für andere dagegen gibt die Bevölkerung keinen Maßstab; wir mußten diesen in den Graden der Ausdehnung ihres Betriebs suchen, und wo dieser unbestimmbar blieb, einen Bewegungsraum zwischen einer Meist- und einer Mindestabgabe gewähren. Hiernach, meine Herren, kann ich Sie getrost auffodern, dem wohlberechneten Gesetz Ihr gutes Vertrauen zu schenken. Wir sind sogar individuellen Berücksichtigungen, die ein Gesetz in seine Dictate nicht aufnehmen kann, dadurch entgegengekommen, daß die Contributionsdirectoren unter Aufsicht des Generaldirectors einen zu hoch gegriffenen Gewerbsmann in den Abgabenclassen herunterzusetzen ermächtigt werden.

Die Abgeordneten, so freundlich widerlegt, zogen sich hinter andere Beschwerden zurück. Sie klagten, wie sehr ihnen die fremden Händler und Handwerker das Brot vor dem Munde wegnähmen, indem man den französischen Artikeln einen Vorzug gäbe; sie ereiferten sich gegen die Betrügereien französischer Lieferungsunternehmer und dergleichen.

Hier, meine lieben Nachbarn, versetzte Herr von Bülow mit lächelndem Achselzucken, berühren Sie Misverhältnisse, die Sie sich wenigstens zum Theil selbst beimessen dürfen. Daß Sie unter den Fremden auch deutsche Landsleute verstehen – Braunschweiger, Preußen u.s.w. – thut mir herzlich leid. Wie unbillig, wenn die eingeborenen Casselaner die schönen Vortheile allein genießen wollen, die unsere Residenz dem Gewerbsleben bietet, – Vortheile, die doch großentheils aus den neuen Provinzen kommen, mit deren einzelnen Söhnen Sie dennoch nicht theilen wollen, und die hier Fremde gescholten werden! Was aber die französischen Einzügler betrifft, so – wissen Sie – bin ich ihr Freund nicht; daß sie aber oft geschickter sind und geschmackvollere Arbeiten liefern, muß ich zugestehen. Dieser Umstand sollte Ihnen aber nicht unbedingt zur Beschwerde, sondern in etwas auch zur Nacheiferung dienen. Ich weiß, daß es besonders auch hier zu Land an Gelegenheit zu gewerblicher Ausbildung gefehlt hat, und es muß daher von Staatswegen, neben unsern vortrefflichen Gelehrtenschulen, für tüchtige Realschulen gesorgt werden, die dem Volk zeitgemäße, vom Handwerker bis zum Künstler aufgestufte Bildungsmittel darbieten. Inzwischen kann ich auf diese Ihre Beschwerden nur sagen: Nehmen Sie sich zusammen, lernen Sie, überbieten Sie! Seien wir nicht verdrossen, von den Franzosen anzunehmen, was sie an staatlichen Einrichtungen und bürgerlichen Geschicklichkeiten uns voraushaben. Nur dadurch können wir zu einigem Ersatz Dessen kommen, was sie uns entreißen. Verdrossen sage ich, denn ihr Casselaner laßt euch auch aus Unmuth, Verdrossenheit, und man weiß ja schon, aus welchen voreiligen Erwartungen manche Vortheile vor dem Munde wegnehmen. Bei gewinnbietenden Unternehmungen, z. B. Lieferungen für die französischen Truppen, für unser Militär, für den Hof, treten die sogenannten Althessen mit thörichter Verbissenheit zurück und überlassen französischen Abenteurern das Feld. Warum? Ihr denkt, morgen könnte der Kurfürst zurückkommen und würde eure Foderungen an den westfälischen Staat nicht anerkennen. Was? Habt ihr keine bessern patriotischen Erwartungen von der Gerechtigkeit, der Billigkeit und Staatsklugheit eines Fürsten, den ihr doch zurückwünscht? Und was gewinnt ihr bei dieser Vorsicht? Ihr habt diesen hergelaufenen Franzosen Gardien und Laget für ihre unternommenen Lieferungen an Naturalien, an Tüchern, Leinenwaare, Schuhen, Lederwerk u. s. w. eure Arbeiten und Stoffe hingegeben, euch auf die Foderung derselben an den Staat vertrösten lassen, bis die Spitzbuben mit der aus der Staatskasse erhaltenen Zahlung über Nacht verschwunden sind. Nun habt ihr zum Schaden auch noch den Spott. Laßt euern Groll und schickt euch in die Zeit! Macht es wie die Juden, die in Erwartung des Messias ihren Rebbes nicht versäumen. Die Zukunft ist keine Summe auf Einem Bret: sie trägt sich in Centimen und Franken von Stunden und Tagen ab.

Einige lächelten beschämt, Andere schienen von dem wohlgemeinten Tadel verletzt, und Einer der Letztern fuhr heraus:

Ja doch, wenn die Zahlmeister mit den Lieferanten unter derselben Spitzbubendecke stecken, da läßt sich 'was unternehmen!

Können Sie diese harte Beschuldigung gegen irgend einen Kassebeamten begründen, Herr – – wie Sie heißen? fragte Bülow mit Würde, und Jener antwortete:

Ja, Eure Excellenz! Es ist stadtkundig, daß der Generalintendant Dupleix habsüchtig und parteilich verfährt. Die Lieferanten kriechen vor ihm, und er läßt sie an wie ein Tyrann, winkt ihnen aber zuletzt nach seinem Cabinet und bringt dort Alles in Ordnung – heißt das, er steckt ihre Spendagen ein und signirt ihre Rechnungen. Er läßt seine Commis schreiben und hat alle Hände voll mit Umsetzen der Geldsorten zu seinem Vortheil zu thun, und wenn's in der Kasse fehlt, bestimmt er die Reihenfolge, in der bezahlt wird, nicht nach dem Datum der Rechnungsanweisungen, sondern nach der Größe der empfangenen Bestechungen.

So? sagte Bülow. Ich erwarte, daß Sie diese schwere Anklage schriftlich beim Ministerium einreichen oder bei meinem Generalsecretär zu Protokoll geben. Ich erwarte das!

Eine Krähe hackt der andern die Augen nicht aus! rief Jener hin. Worauf Bülow mit Aufwallung versetzte:

Ich bin der Minister, ich, Sie vorlauter Mensch! Und ich bin keine französische Krähe, sondern ein deutscher Mann, an dem jeder rechtschaffene Bürger und guter Westfale einen Vertreter, einen Vermittler seines Rechts finden wird. Wissen Sie das!

Ja, das sind Ew. Excellenz! riefen alle übrigen Bürger, und wir verehren Sie darum.

Als zugleich Etliche dem beschämten Mitbürger sich zu entfernen winkten, sagte Bülow:

Nein, liebe Nachbarn, behaltet ihn unter euch und bringt ihn zur Einsicht, damit er, wenn er wieder einmal zu einer Deputation gewählt wird, etwas Klügeres vorbringe! Er hat nicht überlegt, daß ich es bin, der gegen Dupleix Abhülfe schaffen kann. Aber euch Alle fodere ich auf, Muth gegen französische Gauner zu fassen, ihre Nichtswürdigkeiten nicht zu dulden. Ihr findet an mir, Ihr findet auch an dem braven Justizminister, Herrn von Simeon, Schutz und Hülfe. Auch der König will dergleichen nicht. Muth, ihr Männer, für jeden Tag, und – Hoffnung für morgen. Adieu!

Kaum hatten sie sich unter Bücklingen entfernt, als Herr von Bülow, heftig hin- und herwandelnd, gegen Hermann ausrief:

Ja, das ist dieser Dupleix! Früher Makler der niedrigsten Classe in Paris, war er mit der Nase eines Raubthiers der Armee gefolgt, hatte mit jüdischer Geschäftigkeit dem Marschall Victor einige Dienste geleistet, und ward mit seinem Spitzbubentalent zum Bureau des Kriegsministers empfohlen.

Nach einer Pause der Ueberlegung trat er zu Hermann und sprach gelassen:

Sehen Sie, junger Geschäfts- und Lebenspraktikant, so geht's in der Welt! Unsere neuen Gesetze sind gut; aber sie fallen in die Unzufriedenheit, die einmal in den Gemüthern gährt, und – vermehren die Gährung. Die neue Verfassung, besonders die selbständige öffentliche Gerichtsverfassung mit dem Institut der Friedensrichter und Notare, die einfache Administration u. s. w. lassen sich mit den frühern Einrichtungen in den verschiedenen Landestheilen des Reichs gar nicht vergleichen. Allein diese Verfassung ist Vielen unbequem und daher zuwider. Die Staatsdiener haben an steifem Ansehen eingebüßt, Einzelne ihre Stellen verloren, da der neue Wein der jungen Reben sich in keine geflickten alten Schläuche fassen ließ. Der Adel des Grundbesitzes hat die Patrimonialgerichtsbarkeit, den Vorzug in den Aemtern und in der Armee nebst andern Vorrechten schwinden sehen, und hockt grollend auf seinen Landsitzen; der Hofadel wird durch den Aufwand des hohen Lebens in Schulden gestürzt, und Einer um den Andern erwacht mit moralischem Katzenjammer aus der lustigen Ueppigkeit. Nun fangen auch die Gewerbsteuerpflichtigen zu murren an. Dies Alles verstärkt den Grundstock der Unzufriedenheit, der im Unglücke Deutschlands angelegt ist, und arbeitet den still betriebenen Aufständen in die Hand. Aufständen da und dort – nun ja! Soll man darauf hoffen? Aber da ist ja von keiner stolzen Nationalerhebung gegen den fremden Druck die Rede! Jeder wird nur bei seinem particularen Egoismus gefaßt, und greift selbst nur nach seinen particularen Verlusten. Diese liegen aber in dem alten gesunkenen Zustand, im Kastengeiste des Erbadels, in der Abgeschlossenheit der Hofgunst, in der Pedanterei des Staatsdienstes, im Unfug der Privilegien und Monopole, in der Verkümmerung der Gewerbe und Industrie, und dieser Egoismus, indem er nur hungrig wieder nach dem alten Jammer greift, prahlt sogar noch damit, und macht sich breit als Treue und Anhänglichkeit an das Angestammte Und so schließt sich denn auch diese Audienz, der ich Sie habe beiwohnen lassen, mit dem einfachen Resultat ab: der Minister hat das letzte Wort behalten, und die guten Bürger behalten ihren ersten Glauben.

Aber, versetzte Hermann mit Nachdruck, Excellenz haben ihnen doch über das Gewerbegesetz, über das Bedürfniß des Landes, über die hohen Absichten der Staatsregierung so beruhigende Ueberzeugungen gegeben –!

Bülow sah ihn ein Weilchen lächelnd an, eine anmuthige Schalkheit spielte um seinen freundlichen Mund, und indem er Hermann auf den Arm klopfte, sagte er:

Lieber junger Aspirant – ein Schelm gibt's besser als er's hat!



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