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Zweites Capitel.
Assister au grand Couvert.


Beim Kapellmeister Reichardt wurden einige der Abgeordneten aus dem Saaledepartement, alte Bekannte von Halle her, zum Mittagstische erwartet. Auch Hermann und der Baron Rehfeld waren eingeladen. Sie erschienen den Deputirten voraus, da diese auf ihrem Umwege zur Stadt wahrscheinlich auch erst noch mitgefahrene Collegen in der untern Stadt abzusetzen hatten.

Der junge Freund kam von dem feierlichen Vorgang noch mächtig ergriffen. Wie er nach seiner Geistesstimmung und durch seine speculativen Studien dazu neigte, die Erscheinungen des Lebens in ihrer höhern Bedeutung zu erfassen, so sprach er sich auch über den eingeleiteten Verkehr zwischen einem Monarchen und seinem Volke in gehobener Anschauung aus. Gerade dadurch, wie er meinte, verzichte der Monarch darauf, ein Alleinherrscher zu sein, und das Gesetz, das den ältesten Völkern als Gebot der Gottheit und vielen Nationen als der Eigenwille eines Despoten gegeben worden sei, erscheine nun als der allgemeine Wille des Vaterlandes, aus dem Munde des Königs verkündigt und von seinem Arme beschützt. Dabei mußte Hermann an sich selbst inne werden, daß jener mächtige Eindruck noch andere Wirkung zurückgelassen hatte. Wenn er nämlich mit seinem Vorhaben, sich dem praktischen Dienste zu widmen, noch zuweilen schwankend geworden war, so stand sein Entschluß nun fest. Die Feierlichkeit, der er beigewohnt, warf eine Verklärung auf das sonst so unerquickliche Feld der Taglöhnerei des öffentlichen Dienstes; die hohe Bedeutung des freien Staates durchschimmerte auch die Widerwärtigkeiten der Schreibstube, gleichwie die Abendsonne verklärend in den Staub eines bewegten Zimmers fällt.

Reichardt war nicht gestimmt, diese Ansichten seines jungen Gastes beifällig aufzunehmen. Er lächelte von den hohen Sitzen eines englischen Parlaments herab auf diese blauseidenen Mäntelchen und Straußfeder-Toquen des westfälischen Reichstags. Doch war er als Wirth und vor seiner Weinlustigkeit zu artig, um in seiner gewöhnlich etwas barschen Weise zu widersprechen Er brach den Gegenstand mit der Bemerkung ab:

Folgen Sie nur erst ein wenig der Entwickelung der Dinge. An den Verhandlungen des Reichstags kühlt sich vielleicht die Begeisterung, die Ihnen die Eröffnung desselben angefacht hat. Sie werden bald genug inne werden, daß unsere Reichsstände so staatsklug gestellt sind, daß sie der Allgewalt Napoleon's durch ihre Zustimmung einen guten, vaterländischen Schein verleihen, aber nichts an derselben verändern und bessern können. Ich meine des Kaisers Napoleon; denn unser Jerôme ist doch nur für jenen großen Acteur Dasjenige, was die Alten die persona des Schauspielers nannten, die Maske, durch welche die hohen Befehle hindurchtönen.

In Einem aber wollen wir uns die Losung dieses Tages gefallen lassen, und uns mit dem jungen Freunde freuen, versetzte Rehfeld. Der König will nämlich die Bevölkerung der verschiedenartigen Länderbrocken seines Reichs zu einer Gesammtheit mit Gemeingeist verschmelzen. Sehr gut! Deutschland kann nicht auf einmal ein großes einheitliches Reich werden, sondern nur in der Weise, wie ich als Knabe auf meinem Teller Suppe die schwimmenden kleinen, vereinzelten Fettaugen mit der Löffelspitze nach und nach in größere zusammenzog, bis endlich alle in einer umfassenden Fettscheibe verschmolzen waren. Recht gut, wenn diese norddeutschen Länderstücke fest zusammengeballt werden; unsere Erhebung macht dann einen fertigen Gewinn. Diese Napoleons bilden aus den einzelnen Stäben der deutschen Stämme – Fasces mit dem Richtbeil für den großen Tag ihrer Schuld. Fasces – zu deutsch Stockbündel, Strafbündel. Dies Westfalen gibt dann gleich für unser Preußen ein fertiges Einsatzstück seines erweiterten Reichs.

Heißt das, fiel Reichardt ein, wenn der König Verstand und Muth genug hat, ein deutscher König zu sein: wenn er sein engbrüstiges, hausväterliches Gewissen in dem großen nationalen Bewußtsein aufgeben kann. Wer Deutschland befreit, nimmt Deutschland; wer sein Land in der Noth verläßt, verwirkt sein Land. – –

Luise lächelte heut nur zu dieser ins Weite greifenden Unterhaltung. Sie war wieder einmal in der Stimmung innerlichen Gleichgewichts, das ihr gar oft fehlte. Was sie auch an Hermann's Schwärmerei zu tadeln hatte, in ihrem tiefsten Gemüthe war sie dennoch idealistisch wie er, nur daß sie mit ihrem Idealismus an andern Gegenständen hing. Ueber den warmen, grünen Thälern dieses Gemüths hatte sich aber ihr verhängnißvolles Erlebniß wie ein Gletscher aufgeschichtet, der dann und wann die Temperatur ihres Herzens störte. Sie war dann unzufrieden, daß Hermann eben nicht ihren politischen Idealismus theilte, und konnte eine Art von Eifersucht empfinden gegen Jeden, der – wie Lina – sich am sittlichen oder poetischen Idealismus des jungen Freundes entzückte.

 

Inzwischen waren zwei von den eingeladenen Deputirten angefahren, und ließen sich im Vorzimmer von der Mutter Reichardt in ihrem Costüm besehen. Sie hatten den Anzug nicht gewechselt, weil sie um 5 Uhr wieder nach Hof mußten, dem Festmahle der Majestäten anzuwohnen. Es war Baron Branconi, als Gutsbesitzer gewählt, und Kanzler Niemeyer, als Repräsentant wissenschaftlichen Verdienstes abgeordnet. Der dritte Gast, Gutsbesitzer Keferstein, ließ absagen und wollte sich noch selbst entschuldigen. Hermann begrüßte besonders den Kanzler, der ihm Briefe von Haus mitgebracht und mündlich noch Manches zu sagen hatte.

Ueber Tische brachte Reichardt das Gespräch auf Spanien, indem er es als interessanten Zufall oder wundersame Fügung bezeichnete, daß mit der Feier des westfälischen Reichstags die Nachricht in den Journalen über die Eröffnung der spanischen Junta zusammenfiel, die der Kaiser Napoleon nach Bayonne berufen hatte. König Karl war nämlich veranlaßt worden, mit Zustimmung seiner Infanten die Krone von Spanien an Joseph Napoleon abzutreten. Der neue König hatte an sein Volk eine Proclamation erlassen, und die Junta beschloß, demselben in Gesammtheit die Huldigung der Treue darzubringen, der Nation die großen Vortheile des neuen Regiments auseinander zu setzen, und sie zur Ruhe und zum gesetzlichen Gehorsam zu ermahnen.

Unser Kapellmeister, wenn er erst einmal in seine tolle Laune kam, pflegte wenig Rücksicht auf die Denkungsart und Ueberzeugung seiner Zuhörer zu nehmen. Auch heut bedachte er seine hallischen Gäste nicht. Nun war Niemeyer von Haus aus kein ängstlicher Mann; allein er saß im Reichstagsornat und im Gefühl seiner Repräsentation bei Tische unter jüngern und ihm zum Theil unbekannten Mitgenossen. Ueberdies war er im laufenden Jahre Kanzler der Universität geworden, und hatte noch im allzu lebhaftem Andenken, welch' ein Unheil vor anderthalb Jahren durch die Unbesonnenheit einiger Studenten über die hohe Schule und die ganze Stadt gebracht worden war. Es läßt sich daher denken, wie unbehaglich, ja verletzt er sich durch Reichardt's Schwadroniren fühlte. Dies besonders, als der Schwätzer die Politik des neuen Königs Joseph mit der von Jerôme verglich, die Beide den Beistand der hohen Geistlichkeit zur Unterstützung ihrer Regierung aufgeboten hatten.

Unser vortrefflicher Minister Simeon, sagte er, begleitete damals das königliche Schreiben an die Bischöfe mit einem erbaulichen Erlaß, worin er auch des schweren Regierungswerks gedenkt. Die Fürsten, hieß es darin, hätten im Mittelpunkte der Größe und des Glücks, womit sie umgeben schienen, die schwere Stellung, sich Tag und Nacht mit Unterdrückung der Lasterhaften, mit Unterstützung der Rechtschaffenen und mit Erhaltung der gesellschaftlichen Ordnung beschäftigen zu müssen. – Denkt euch nur den armen Jerôme, rief er lachend aus. Tag und Nacht mit Unterdrückung der Lasterhaften beschäftigt zu sein!

Keine Ruh' bei Tag und Nacht,
Nichts, was ihm Vergnügen macht!

Ist's ein Wunder, wenn er oft genug des Morgens erschöpft und unfähig ist, dem Staatsrath vorzusitzen? Und das nennt man – parties fines?

Rehfeld, der des Kanzlers schweigsame Unruhe bemerkte, lenkte mit den Worten ab:

Der gute Simeon hat mich heut recht erschreckt. Wenn uns nur der Himmel nicht ohne des Ministers Absicht und – jedenfalls hinterm Rücken desselben, ein schlimmes Vorzeichen gegeben hat!

Man sah ihn mit Befremden an, und er sprach weiter:

Wir haben doch Alle gesehen, wie mitten unter der Feierlichkeit, durch die sich das neue Königthum recht zu bestätigen sucht, dem Minister der Justiz und des Innern plötzlich ein Zopf auf den Mantel seiner Würde sprang und lustig hin- und herhüpfte. Der Zopf ist aber in Cassel das Wahrzeichen der kurfürstlichen Regierung. Wie, wenn es nun ein Vorzeichen wäre, daß plötzlich in unsere westfälische Herrlichkeit der alte Zopf hereinspränge und den lustigen Liebeshof hinwegfegte?

Man lachte, und der Kanzler, um die Unterhaltung ins Lehrsame hinüber zu spielen, sagte mit Hinweis auf das Zeitungsblatt, worin er für sich gelesen hatte:

Es ist doch merkwürdig, wie die Franzosen und ihre Freunde Phrasen lieben! Unter uns gesagt! So drückt sich in ihrem Erlaß die Junta, um anzudeuten, daß Spanien und Frankreich künftig unter Joseph Napoleon nur ein gleiches Interesse hätten, mit dem übertriebenen Wort aus: Qu'il n'y ait pas des Pyrenées! Es soll keine Pyrenäen mehr geben! Das heiß' ich doch mit einem Wort – Berge versetzen!

Sie haben Recht, Herr Kanzler! rief Reichardt mit steigender Weinlaune. Und um den ängstlichen Mann, dessen ablenkende Absicht er merkte, zu durchkreuzen, setzte er hinzu:

Wann werden aber wir einmal rufen können: Es gibt keinen Harz, keinen Thüringerwald, kein Fichtelgebirg mehr, die uns hindern könnten, die Unterdrücker Deutschlands über die Vogesen zu vertreiben.

Bei diesen lauten Worten stand Niemeyer erschrocken auf, unruhig umherblickend, indem er zu Branconi sagte:

Wir vergessen über die angenehme Unterhaltung ganz, Herr Baron, daß Präsident Ritzenberger uns erwartet. Wir sollen ihn nämlich nach Hof abholen. Sie entschuldigen, Herr Kapellmeister! Und irre ich nicht, so habe ich auch schon unsern zeitig bestellten Wagen anfahren hören.

Er trat ans offene Fenster und erblickte den Wagen wirklich an der Thüre wartend.

Lassen sich aber die lieben Andern ja nicht stören, fuhr er fort. Wir nehmen keinen Abschied, sondern stehlen uns hinaus. Um 5 Uhr präcis findet le grand Couvert der Majestäten statt, dem wir zuzusehen die Gnade haben.

Man bedauerte ihren unvermeidlichen Aufbruch und ließ sie ohne Complimente abziehen. Als sie das Vorzimmer verlassen hatten, schalt Frau Reichardt ihren Mann aus, daß er seine Gäste nicht mehr berücksichtige und mit seiner kecken Zunge die Aengstlichen ängstige. Aber du wirst auch nicht ruhen, bis dir das lose Maul gestopft wird, sagte sie. Gib nur Acht, Fritzchen, gib nur Acht! Und sie setzen den Kapellmeister nicht in Noten, das kannst du mir glauben!

Sophia, geliebte Weisheit, du hast Recht! lachte Reichardt. Ich hätte ihnen, oder wenigstens diesem Niemeyer, – diesem nunquam Major, die Angst nicht einjagen sollen, die ihm am Ende zu Rhabarber wird, just wenn er dem grand couvert anwohnt.

Hiermit war einigermaßen das Stichwort für den nächsten Auftritt gegeben, indem der Deputirte Keferstein im Costüm eintrat, sich flüchtig zu entschuldigen, da sein Wagen unten warte.

Ich fand nach meiner Annahme Ihrer gütigen Einladung diese Karte da, sagte er, worin ich zum großen Repas Ihrer Majestäten geladen bin. Solche Gnade darf man doch nicht ablehnen, wissen Sie; aber um der Prachtmahlzeit Ehre anzuthun, durft' ich auch vorher nicht schon gespeist haben, zumal so üppig, wie's hier bei Ihnen vorgefallen zu sein scheint.

Oho! lachte Reichardt. Da misverstehen Sie aber die Einladung gründlich. Sie sind begnadigt, dem Essen zuzusehen.

Keferstein hob die Karte hervor, auf die er so stolz war, und sagte mit belehrendem Lächeln:

Zusehen heißt nach meinem Dictionnaire regarder, être spectateur. Hier aber, lieber alter Freund, heißt es ausdrücklich assister au repas de Leurs Majestés.

Nun ja! versetzte Reichardt, und assister heißt dabeistehen.

Bitt' um Verzeihung! entgegnete der Andere. Es heißt beizustehen. Sagt man nicht: Que le bon Dieu vous assiste! Gott steh' Ihnen bei.

Gut! wendete Reichardt etwas ungeduldig ein. Sie wollen also den Majestäten beistehen: Wollen Sie dem Könige den Löffel führen? Den Braten auf seinem Teller zerschneiden? Oder der Königin die Serviette unter's Kinn binden? Oder – was? Auf keinen Fall heißt assister mitessen!

Nun, nun, lächelte Keferstein, so handgreiflich müssen Sie es freilich nicht nehmen! Sie müssen sich nur ein wenig in die kühne Artigkeit des französischen Ausdrucks oder vielmehr in den kühnen Ausdruck französischer Artigkeit hineinfühlen, mein lieber Kapellmeister. Es ist wunderbar, was die Franzosen für eine Zartsinnigkeit und Feinfühligkeit besitzen, von der wir noch viel lernen dürfen. Ich will Sie durchaus nicht belehren, bewahre! Aber hören Sie meine Explication! Der König nimmt also ein hohes Festmahl zur Feier der Eröffnung des Reichstags ein. Wie er nun bei dieser Eröffnung den Beistand, die Assistenz der Landesrepräsentanten für die Gesetzgebung, die Schuldentilgung u. s. w. aufgeboten, so fodert er jetzt, heißt das bildlich, den Beistand beim Mahl. Diejenigen, die ihm schaffen helfen, sollen ihm auch verzehren helfen; sie sollen ihm beistehen, ein so reiches Mahl, wie es ihm die fünf Millionen Francs Civilliste, die er bezieht, gestatten, zu bewältigen. Sehen Sie, das ist der feine, sehr feine Sinn dieses – assister au repas. Fein und sinnbildlich!

Während dieser Auseinandersetzung hatte Rehfeld im Rücken des Sprechenden dem Kapellmeister zugewinkt, den Narren gewähren zu lassen. Reichardt konnte aber in seiner aufgeregten Weise nur soweit eingehen, daß er sagte:

Ihr Scharfsinn ist zum Erstaunen! Dennoch, damit Sie sehen, daß ich mit meiner Art von Feinfühligkeit nicht ganz auf den Kopf gefallen bin, so soll Ihnen meine Frau noch von den Resten unsers undiplomatischen Mahls Ihre Portion warm halten. Versprechen Sie mir daher, da Sie doch so eilen, als ob Sie hungrig wären, daß Sie, wenn's mit dem assister doch wirklich beim Zusehen bleiben sollte, alsbald hierherkommen und sich sättigen wollen. Wir fahren dann von hier aus in die Oper. Also – Hand darauf!

Mit einer Art von unüberzeugtem Lächeln schlug Keferstein ein.

Es ist Freitheater? fragte er.

Ja, und ich dirigire in Person den »Don Juan«, versetzte Reichardt. Ist es nicht auch eine wunderbare Feinfühligkeit, daß Jerôme seinen Ständen zur hohen Feier den »Don Juan« aufführen läßt? Und Ihre Majestäten assistiren dabei in der großen Loge.

Man hatte des fortgeeilten und belachten Keferstein kaum vergessen, als ein neuer Kanonendonner wieder an die Tafel im Schloß erinnerte. Mehre zweifelten, ob der beschämte Gast zurückkommen werde, als nach kurzer Frist sein Wagen wirklich am Hause anfuhr und Keferstein mit verlegenem Lächeln eintrat. Man empfing ihn mit verabredetem Ernst, und er sagte:

Sie hatten doch Recht! Das assister bei einem königlichen Couvert werde ich mein Lebtag nicht vergessen. Ich bringe einen wahren Wolfshunger mit, und nehme Ihr Warmgehaltenes oder Kaltgewordenes mit Vergnügen an, Frau Reichardt.

Man lachte herzlich, und Keferstein lachte mit, gespannt auf die Schüsseln, die ihm nun rasch angerichtet wurden, und die er sich mit Heißhunger schmecken ließ.

Aber, wie war's denn eigentlich, und was ging denn vor? fragte Hermann mit ernstlicher Neubegierde. Es war ja so kurz abgethan. Erzählen Sie doch!

Nur erst einen Löffel Suppe gönnt einem ausgehungerten Deputirten, einem abgemagerten Assistenten! Laßt ihn nur erst zu Kräften kommen! flehte Keferstein, und nachdem er gehörig angebissen hatte, fuhr er sprechend und essend zugleich fort:

Prachtvoll Alles angeordnet. Auf Ehre! Alles, was wahr ist! Die Tafel goldglänzend, mit kostbarem Vermeil besetzt – heißt das mit vergoldetem Silber. Ihro Majestäten saßen auf zwei prachtvollen, thronähnlichen Sesseln erhöht, unter einem Baldachin, ganz allein.

Gewiß! unterbrach ihn Reichardt. Kein Unterthan kann an der königlichen Tafel speisen. Wir haben große Etiquette angenommen! So sind auch im Schloß die Zimmer in Rangordnung gesetzt, wieweit sie von dem Einen betreten, von Andern nicht betreten werden dürfen. Unsere Feierlichkeiten werden nach Zeichnungen aus Paris angeordnet.

Keferstein erzählte dann weiter:

Der Bischof, als Großalmosenier mit den Attributen seiner Würde, auf dem über dem Rücken hangenden Mantel den Stern des preußischen Rothen Adlerordens, sprach vor und nach Tische das Gebet aus einem goldbeschlagenen Buche. Die Großbeamten des Reichs und die Hofämter bedienten das hohe Paar in den Abstufungen ihrer Würde und ihres Ranges, einer dem andern zureichend, was die Pagen ab- und zutrugen. Dabei arbeiteten die deutschen Grafen und Barone mit pedantischer Würde, genau, mit der feierlichen Miene: »Seht ihr, wir an den alten Höfen geschult, wir verstehen's!« Wogegen die Franzosen, ich glaube jenen zum Possen, leicht und lächelnd, mit anmuthiger Nachlässigkeit zu Werke gingen. Dabei donnerte fortwährend das Geschütz. Wir Abgeordneten, die Minister und die Hofbeamten umgaben in anständiger Entfernung die Tafel – wir Reichsstände mit dem Vorrecht zu sitzen, die Toquen auf dem Kopf.

Also das heißt im Französischen Assister au grand Couvert! sagte mit ironischer Selbstbelehrung Baron Rehfeld.

Nun ja, ich habe gute Gelegenheit gehabt, mich in der Sprache zu verbessern! lachte Keferstein. Uebrigens so, wie da gegessen wurde, hätte ich's gar nicht einmal mithaben mögen. Es war nur so zum Schein, theatralisch. Ei was! Nicht einmal theatralisch! Die Komödianten auf der Bühne essen rechtschaffener, reeller, wahrhaftiger, sage ich Ihnen! Jerôme und die Königin leckten nur so von den Schüsseln, nippten nur von den Weinen. In zwanzig Minuten war das ganze große Repas vorüber, Alles vorbei, nur mein Hunger nicht. Im Gegentheil!

Die Gesichter der Umstehenden, der begnadigten Assistenten möcht' ich gesehen haben, bemerkte Luise. Hat nicht Mancher in Gedanken mitgekaut? Nicht Manchem der Mund gewässert?

Wenigstens erkennt man bei solcher Gelegenheit die wahren Anbeter des Thrones, fiel Reichardt ein. Sie haben eine ganz aparte Art, das Maul aufzusperren, sodaß es Hunger und Staunen zugleich ausdrückt. Auch gehen bei unsern Leutchen hier am Hofe beide gar oft Hand in Hand.

Keferstein brach in Lachen aus, als er eben an einem Stückchen Mandelbrezel kaute. Er verschluckte sich, oder bekam's – wie man zu sagen pflegt – in die unrechte Gurgel. Ein heftiger, krampfiger Husten von der gereizten Luftröhre trat ein, das Athmen ward pfeifend, das Gesicht röthete sich. Man sprang ihm bei, klopfte ihn in den Rücken, reichte ihm einen Schluck Wasser, und dergleichen. Als die Noth sich endlich gab, und Keferstein nur noch räuspernd zu sich kam, sagte Reichardt:

Sehen Sie, auch das kann man ein assister au repas nennen, was Ihnen eben geleistet worden ist.

Worauf Keferstein erst schluckend und dann lachend versetzte:

Auch! Ja wohl. Ich werde das französische Wörterbuch bereichern. Vielleicht gelingt mir's, in die pariser Akademie zu kommen. Was aber diese Assistenz beim Verschlucken betrifft, so ist doch jenes assister bei Hof viel ungefährlicher: man bekommt da nichts in die unrechte und nichts in die rechte Gurgel.

Als es nun Zeit war, nach dem Theater zu gehen, bezeigte Keferstein wenig Lust, die Oper zu sehen. Es wird mir zuviel für Einen Tag, sagte er. Erst die ermüdende Feierlichkeit im Orangerieschloß am Vormittag, sodann die erschöpfende Assistenz beim Königsmahle, jetzt die angreifende Oper und nachher noch das Feuerwerk und die Illumination des Schlosses – nein, das hält ein Keferstein aus dem gottseligen Halle nicht aus!

Aber gerade diese Oper, Freund –! erinnerte Reichardt.

Ja, gerade dies Prachtstück, zu dem man einer unerschöpften Sammlung bedarf, versetzte Keferstein. Ich kenne die Oper, ich habe Gelegenheit gehabt, die Milder aus Wien darin zu hören

Was? Sie haben die Milder gehört? rief Reichardt begeistert aus. Das ist ein Wort! Ich kenne sie aus Glucks »Iphigenia«. Es ist ausgemacht die schönste, vollste, reinste Stimme, die ich in meinem Leben in Italien, Deutschland, Frankreich und England je gehört habe. Auch ihre Gestalt und ihr Spiel ist edel und groß. In der Declamation und im Vortrag des Recitativs hat sie vielleicht nicht den Geist und das Feuer unserer braven Schick in Berlin. Aber im Ganzen ist mir die Milder durch ihre Stimme, ihre heroische Gestalt und Action unendlich lieber. Nun ja, so 'was bietet Ihnen unsere deutsche Oper in Cassel nicht; aber das Stück selbst hat heut seine hohe, symbolische Bedeutung besonders in den Augen der Landstände, und Sie sollten wirklich – assistiren!

Sie haben schon vorhin eine Aeußerung gethan – wie meinen Sie es denn damit?

Auf diese Frage Keferstein's versetzte der Kapellmeister mit einer gewissen Feierlichkeit:

Ich meine es nicht in dem Sinn, nach welchem die Intendanz für das heutige Fest gerade diese Oper gewählt hat. Mir gilt auch eine gewisse hohe Person für keinen Don Juan. Mit solchem olivenfarbenen, mark- und muskellosen Aussehen kann man nicht sagen: Ich bin ein Mann, sodaß es alle Frauenherzen ahnungs- oder erinnerungsvoll durchschauert. Den Bezauberer unserer Hofdamen, den Besieger der Schwertdamen meine ich nicht. Aber wir haben doch einen Don Juan, der keine Kreise reiner und heiliger Liebe achtet, weder jungfräuliche Ehre, noch kindliche Liebe, keine eheliche Treue und keine bräutliche Neigung. Dieser unpersönliche Don Juan ist der Geist des sieghaften französischen Uebermuths, der seinen lebendigen Rächer herausfodert, wie der persönliche Don Juan in der herrlichen Oper von dem verletzten, verhöhnten Geist der Familie, der aus dem Grabe steigt, für seine an aller sittlichen Liebe begangenen Frevel dem Gericht der Ewigkeit überantwortet wird. Drum kommen Sie, Freund, begleiten Sie uns ins Theater! Hören Sie wieder einmal diese bezaubernden und diese erschütternden Melodien, diese Stimmen der innigsten, zärtlichsten, klagendsten, seligsten Liebe, und diese Posaunenrufe, die hinter den zerstörenden Siegen genußsüchtigen Leichtsinns und verwegenen Frevels die Wiederherstellung der Herrschaft des Sittlichen verkünden. Genießen Sie mit uns diese ewig junge Tondichtung, dies Spiel des Lebens und der Weltgeschichte! Es schließt ja auch mit Feuerwerk, wenn Sie vielleicht etwas von den Kindereien der Raketen und Feuerräder auf dem Schloßplatze einbüßen sollten. Nehmen Sie es als ein Vorspiel unserer Zukunft, und träumen Sie bei diesem Knattern und Knallen der Nacht von den siegreichen Feuerschlünden, die unser misachtetes Deutschland wieder herstellen!



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