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Elftes Capitel.
Zweierlei Wahrnehmungen.


Unter solcher Unruhe und Geschäftigkeit war man in die letzte Juniwoche gekommen. Peter und Paul, der hohe katholische Feiertag, wurde vom Hof begangen, und die reformirte Stadt war durch anderes Interesse festlich mitgestimmt. Auf Napoleonshöhe fand große Tafel statt, zu der auch verschiedene Deputirte, die Grafen Schulenburg-Angern und Schulenburg-Altenhausen, Baron von Brenken und von Arnstedt, Präsident von Strombeck, Fabrikant Lutterroth aus Mühlhausen, Graf Stolberg-Wernigerode, Kanonicus Dammers aus Paderborn, Kanzler Niemeyer aus Halle, Professor Wachler aus Marburg und Andere geladen waren. Bei solchem Anlaß wurden auch die Wasser angelassen, und Hermann, seit dem ersten Besuche mit Baron Rehfeld nicht wieder hinaufgekommen, nahm sehr gern eine Fahrt dahin an, die ihm Provençal bei seinem Gegenbesuche anbot.

Mein Minister ist nach seiner Rückkehr so mit aufgelaufenen und vorbereitenden Arbeiten überladen, sagte der Generalsecretär, daß er sich von der königlichen Tafel entschuldigt hat. Ich habe nun den Auftrag, einen alten Freund des Hauses in unserer Equipage nach Napoleonshöhe zu bringen. Es ist Herr Nathusius, Fabrikant aus Magdeburg, der als Abgeordneter aus dem Elbedepartement auch zur Tafel geht. Es ist mir sehr lieb, daß Sie mitfahren und den vortrefflichen Mann kennen lernen, aber auch – um mich selbst nicht zu vergessen –, daß ich in Ihrer angenehmen Gesellschaft zurückkehren kann.

Sie sind sehr freundlich, erwiderte Hermann. Unter den Umständen werde ich aber wol dem Herrn Minister meine Aufwartung nicht machen können?

Ich habe schon mit ihm gesprochen, sagte Provençal; er erwartet Sie nach der Eröffnung des Reichstags. Zu dieser Feierlichkeit soll ich Ihnen aber eine Einlaßkarte vom Präsidenten der Stände verschaffen. Es wird Sie gewiß lebhaft interessiren, die bedeutsame Feierlichkeit mitanzusehen.

 

Nathusius war kein junger Mann mehr; doch merkte man ihm bei so gutem Aussehen und lebhaftem Geiste, als er hatte, seine vorgerückten Jahre weniger an. Ein schlanker Wuchs ohne die gewöhnliche Wohlbeleibtheit des höhern Mannesalters, heiteres Benehmen bei sehr einfachen, verbindlichen Manieren und ein sorgfältiger, geschmackvoller Anzug liehen ihm ein jüngeres Ansehen, als das eines Vierzigers. Er gab sich unterwegs auch gegen Hermann leicht und heiter, wie ein längst Bekannter. Seine Gespräche verriethen den Mann von Verstand, von Einsicht und Wohlwollen, der in der Welt zu Hause ist, und das Leben mit Ueberblick und ins Große zu behandeln weiß. Er erzählte von den herzlichen Stunden, die er bei Bülows und sie bei ihm gehabt, als der Baron noch Präsident in Magdeburg gewesen. Plötzlich aber kam er, und nicht ohne innere Bewegung, auf die Familie zu reden, bei der er Quartier gefunden hatte.

Ich bin da allerliebst aufgenommen, sagte er, und konnte gleich bei einem häuslichen Fest so recht in das Familienherz hineinblicken. Sie feierten auf eine recht anmuthige Weise den Namenstag der Mutter Philippine, der auf vorigen Montag fiel. Ich merkte wohl, daß es mit dieser in einem nichtkatholischen Hause ungewöhnlichen Feier blos einen heitern Scherz der sieben charmanten Töchter galt.

Aha! rief Hermann vergnügt, also bei Appellationsrath Engelhard!

So? Sie kennen also schon – haben wahrscheinlich Verbindung mit der lieben Familie? fragte Nathusius mit einer für den weltgewandten Mann sehr bedeutsamen Spannung. Man hätte nicht sagen können, ob er sich eines theilnehmenden Hausfreundes freue, oder einen störenden fürchte.

Verbindung gerade nicht, antwortete der Freund. Meine persönliche Bekanntschaft beschränkt sich darauf, daß ich bei Gelegenheit eines Polterabends mit Theresen, Nummer Zwei von den Sieben, getanzt und später einen Besuch bei der Mutter gemacht habe. Aber ich weiß, daß es eine vortreffliche Mutter von Töchtern ist, die – möcht' ich sagen – echte Perlen unter den falschen Brillanten unserer sogenannten guten Gesellschaft sind.

Nathusius, indem er den Freund mit forschendem, aber freundlichem Blick ansah, erwiderte:

Ich glaube, lieber Herr Doctor, Sie haben das rechte Wort gesprochen. Ein warmes Herz für das Haus und die Familie, ein schlichter, gesunder Verstand im Verkehr mit dem Leben, und ein stiller Sinn für das Höhere in der Welt, was ich gerade als die Grundlage der weiblichen Bildung schätze, hat eben nichts Funkelndes, Blendendes, nichts von dem scharfen Schliff, der die Flammen des Kronleuchters und die Frivolitäten der Gesellschaft zurückblitzt. Es sind vielmehr jene Tugenden, die unter den schreienden Farben der Conversation, wie die reinen Perlen unter überladenem Putze, ein wenig erblassen. Nun, wir wollen hoffen, daß es davon noch recht viel in Deutschland gibt; aber so echt deutsch, gesund und fröhlich, anspruchslos und fleißig, einfach in Bedürfnissen und dabei so lebensfroh ohne Neid oder Kummer inmitten einer üppigen Residenz, wie diese allerliebsten Mädchen sind, ist mir doch lange nichts aufgestoßen. Ich habe sie so unvermerkt beobachtet, ihr Thun und Lassen, und behaupte, kein solider Mann greift hier fehl, der sich aus den Sieben eine Gefährtin sucht. Jede ist des schönsten Glückes werth.

Ganz gewiß, meinte Hermann. Aber hiermit – ich meine, mit dem Freien um solche Töchter – bezeichnen Sie den Punkt, wo jene Vorzüge gewissermaßen auf den Markt des Begehrs kämen. Da hat aber selbst das Gold, wie Sie wissen, einen wechselnden Preis, je nachdem es gesucht wird. Jene siebenfältigen Tugenden stehen aber bei uns dermal unter pari; denn unsere jungen Männer suchen nach andern Artikeln und Mitgiften. Sie wollen zu einer hohen Stelle gelangen, ein kostbares Haus machen, Wagen und Pferde halten und was noch alles weiter, und darnach werben sie. Sie betrachten die Frau nicht als die Krone, sondern als die Wurzel ihres Glücks; sie wollen überhaupt nicht beglücken, sondern genießen.

Hierauf versetzte mit schlauem Lächeln der Fabrikant:

Ein junger Mann, der so spricht, so tadelt, macht wol auch eine Ausnahme von dem herrschenden Geschmack. Ich wäre begierig zu wissen, welche von den Sieben Sie sich erwählen würden?

Ich bin noch nicht im Stand, an eine Wahl zu denken, antwortete Hermann. Und solchen Sieben gegenüber nenne ich es ein Glück; die Wahl könnte leicht eine Qual werden, wie man zu sagen pflegt.

Nathusius schmunzelte ein Weilchen in sein nachträumendes Innere hinein, bis er endlich seufzend sagte:

Ja, ja, wer noch in den glücklichen Jahren wäre, wo die Wahl dem Wählenden und nicht der Gewählten zur Qual wird! Aber, nehmen Sie sich in Acht, mein lieber Doctor! Man ist in seinen jungen Jahren so lange wählig, bis man zuletzt froh ist, wenn man nur genommen wird. Für uns Männer, die wir oft die rechte Zeit versäumen, ist es eine schadenfrohe Strafe der Natur, daß wir niemals für unsern Geschmack an der Jugend, sondern nur für den Geschmack der weiblichen Jugend an uns zu alt werden. Ich stand auch einmal in den Jahren, wo mein Wohlgefallen an den eben aufbrechenden Rosen in der Ordnung war. Aber freilich, in damaliger Zeit konnte Mancher vor lauter Erwerben nicht zum Werben kommen; während man heute, wie Sie mir sagen, mit Werben anfängt, um dadurch leichter zu erwerben. Ihnen fehlt noch, wie Sie sich ausdrücken – die Wurzel, um eine Krone zu haben; hüten Sie sich, wenn Sie einmal angewurzelt sind, daß Sie nicht zu viel in die Blätter treiben, und setzen Sie bei Zeiten eine hübsche Krone an.

All' diese Aeußerungen und die Mienen, mit denen sie gethan wurden, brachten Hermann auf die Vermuthung, daß Nathusius ein alter Junggesell sein möchte, den beim Anblicke von sieben so frischen Kindern noch einmal verspätete und darum verzagte Heirathsgedanken anwandelten. Zu dieser Vermuthung schien es zu stimmen, daß derselbe mit nicht ganz gelungener Gleichgültigkeit fragte, ob denn wirklich noch keine der sieben Töchter verlobt oder umworben sei, und daß er auf Hermann's Nein ein zufriedenes Lächeln zeigte. Ernstlich zu fragen schien unserm jungen Freunde gerade hinter solcher an sich haltenden Bedächtigkeit des ältern Mannes her zu unbescheiden, und für eine scherzhafte Anspielung sah ihm derselbe zu achtunggebietend aus. Nur als Nathusius mit leise tastender Verzagtheit die Bemerkung machte: »die sieben Engel (die Silbe »hard« am Namen ließ er mit lächelndem Witze weg) seien freilich für einen gesetzten Bewerber noch gar zu jung – versetzte Hermann mit bezüglichem Nachdruck:

Ei, zum Theil doch schon in die Mitte der Zwanzig vorgerückt! Und Sie müssen bedenken, wie gediegen in ihrer Denkungsart die liebenswürdigen Schwestern sind und den innern Werth eines ausgezeichneten Mannes zu schätzen wissen. Der Sinn eines Mädchens gleicht ja gar leicht einigen Unterschied des Alters aus.

Diese Antwort, die der allgemeinen Bemerkung des Fabrikherrn eine persönliche Beziehung zu geben schien, befremdete ihn einen Augenblick. Als er aber Hermann's unbefangene Miene sah, lächelte er etwas verlegen, drückte ihm die Hand und sagte:

Sie haben wieder Recht, herzenskundiger Doctor. Und was der Sinn eines jüngern Frauenzimmers unausgeglichen läßt, übernimmt die Liebe des Mannes, der vielleicht auch vom Glücke begünstigt genug ist, um die äußern Lagen des Lebens auszugleichen und so mancher bescheidenen Mädchentugend einen weiten Kreis liebreichen Schaffens zu bereiten.

 

Auf der Höhe angelangt, bemerkten die Aussteigenden schon ziemlich viel Männer und Frauen, die unter den Bäumen der Esplanade wandelnd die Stunde der königlichen Tafel und des Empfangs abwarteten – Uniformen, gestickte Dienstkleider, Roben mit Schleppen. Indem unsere Ankömmlinge sich nach einem Bekannten umsahen, an den sich Nathusius zum Gang nach dem Schloß anschließen mochte, fiel ihnen manche interessante Persönlichkeit in die Augen. In einem kleinen Kreise von Männern stand der Fürstbischof von Corvey, der zur Eröffnung des Reichstags gekommen war und diesen Morgen die Peter- und Paulsmesse celebrirt hatte, in der Haltung und im Anzuge seiner hohen hierarchischen Würde. Er unterhielt sich eben lebhaft mit einem Manne in Generalsuniform, der im Gesichtsausdrucke auffallend an den durch gute Kupferstiche bekannten Alten Fritz von Preußen erinnerte.

Es ist der Graf Schulenburg-Kehnert, der jetzige Staatsrath im außerordentlichen Dienst, sagte Provençal.

Ja, ja, wir kennen den Vogel schon! flüsterte an sich haltend der Fabrikherr. Jener Minister-General aus den unglücklichsten Tagen Preußens, der hinter dem abreisenden König her die viel verhöhnte Mahnung: »Ruhe ist die erste Bürgerpflicht« den empörten Berlinern, und das preußische Pulver und Blei den einziehenden Franzosen zurückließ. Dieser liebenswürdige Gesell hatte schon für die zweite Theilung Polens und für den Feldzug nach Frankreich gestimmt, und stellt nun hier am westfälischen Hofe das lebendige Kerbholz der unglücklichsten Momente Preußens vor. In den üppigen Tagen vor dem jenaer Verhängniß unterhielt er den guten König gern mit Liebeshändeln aus der Stadt, und hatte als Chef der geheimen Polizei, wenn er nach Hofe ging, hundert Schwänke in der Tasche, den Agreablen zu machen. Nachmals gab er sich, mit jüdischen Banquiers verbunden, beim niedern Cours der Banco- und Seehandlungs-Obligationen mit Ankäufen derselben ab, und machte gelegentlich auch gute Geschäfte in Korn. An Menschenfreundlichkeit fehlte es ihm aber gerade nicht; wenigstens hatte er kriechende Juden und gefällige Frauenzimmer sehr gern. Aber – tausend Blitz! wer ist diese schöne Dame, die uns da entgegenwandelt?

Ah, das ist die schöne Bianca Lafleche! flüsterte Provençal; die Frau des Generalintendanten des Königs, eine geborene Carregha aus Genua.

Wahrhaftig, eine wahre venetianische Schönheit! erwiderte Nathusius. Seh' doch ein Mensch diese antike Gestalt, diesen griechischen Kopf mit blendend weißem Teint!

Eine Bekanntschaft Jerôme's aus Genua! flüsterte ihm Provençal zu.

Aus Genua? fragte Nathusius. Wann war denn der König in Genua?

Erinnern Sie sich nicht, fuhr Jener fort, als Jerôme sich in Mailand zur Scheidung von Elisabeth Patterson verstanden hatte, wurde er vom Kaiser nach Genua geschickt, um eine Expedition nach Algier zur Befreiung der dort gefangenen Genuesen auszuführen. Er brachte wirklich ein dritthalbhundert derselben zurück. In dem Volksjubel, der ihn damals emportrug, machte er die Bekanntschaft der schönen Frau des Banquiers Lafleche, und wurde von dieser bezaubernden Coquette gefesselt. Als er König wurde, kam sie mit ihrem ganzen Anhang hierher, mit zwei Schwägern und einem Bruder.

Er schwieg, denn eben begegneten sie ihr wieder in heiterer Unterhaltung mit einem Franzosen, dessen schmächtiger Wuchs und scharfgeprägtes, geistreiches Gesicht von dunkler Färbung einen Mann von leidenschaftlicher Seele verriethen. Man sah es seinen altfranzösischen Manieren an, wie sehr er es sich angelegen sein ließ, die schöne Frau liebenswürdig zu unterhalten. – Chevalier Pichon, nannte ihn Provençal, den Hauptsprecher im Staatsrathe. Herr von Bülow achtet ihn sehr hoch, sagte er, als einen Mann von Ideen und Kenntnissen, dem ein zuvorkommendes Gedächtniß und ein feuriger Ausdruck der Rede zu Gebote stehen sollen. Die Parteien bewerben sich um ihn; aber er ist stolz und zurückhaltend.

 

Eben war Banquier Jacobson aus Braunschweig angefahren, ein guter Bekannter und alter Geschäftsfreund von Nathusius. Sie begrüßten sich, und die beiden jüngern Freunde begleiteten sie dem Schlosse zu, wohin sich die Versammelten in Bewegung setzten. Dort bestieg eben die Königin, aus dem Park kommend, die hohe Treppe, begleitet von ihrem ersten Kammerherrn, Baron von Schele, und von ihrer Vorleserin, Madame Mallet de la Rochette, deren Mann Capitän und Untergouverneur der Pagen war.

 

Als Hermann und Provençal sich von den beiden Männern verabschiedet hatten, schlugen sie den Weg ein, den die Königin eben gekommen war. Hier begegneten sie, zu nicht geringem Schreck für Hermann, der Oberhofmeisterin, die in neckender Unterhaltung mit zwei Pagen der Monarchin langsam folgte. Sie blieb mit erwartender Miene gegen Hermann stehen, und entließ die Pagen mit ihren dicken Blumensträußen. Auch Provençal wandelte mit ehrerbietiger Verneigung weiter, und sie drückte nun lächelnd ihre Zufriedenheit aus, den Herrn Doctor noch am Leben zu finden. Aber, setzte sie hinzu, daß Sie mich so lang Ihre Schuldnerin für die Lectionen bleiben lassen, ischt nicht artig von Ihnen.

Ueberwältigt von der Erinnerung rief Hermann:

Ew. Durchlaucht sind so gnädig –! Sie sehen vielmehr einen Tiefverschuldeten vor sich.

Doch erschrocken vor einem Bekenntniß, das sich aus seiner Brust drängen wollte, verstummte er, in seiner grenzenlosen Verlegenheit sich tief verneigend.

Mit dem Blicke nach der Gesellschaft, die eben die Treppe des Schlosses emporstieg, ließ sie ihn absichtlich mit entblößtem Haupte stehen, indem sie in der Haltung weiter zu gehen rasch sagte:

Es ischt jetzt nicht der Augenblick – ich hab' Ihnen noch Manches zu sagen. Sie melden sich einmal, wenn ich wieder in der Stadt wohne. Besinnen Sie sich auch, was ich für Sie thun kann, mich Ihnen erkenntlich zu zeigen. Adieu! Nein, noch Eins! General Morio weiß jetzt von den deutschen Stunden. Das Geheimniß ischt ausgeplagt. Erschrecken Sie nicht! Der Polizeipräfect hatte ihm einen Wink gegeben. Haben Sie bei Ihrem Aus- und Eingehen nichts von Kundschaftern der Polizei wahrgenommen?

Nein, Durchlaucht! – Freilich kenne ich sie auch nicht; doch ist mir im Palais nie ein Unbekannter aufgestoßen.

Ich bin recht in Verlegenheit, wer etwa von meinen Leuten treulos ischt. Aber wissen muß ich's. Meiner Französin trau' ich am wenigsten; sie schminkt sich. Und Morio, muß ich Ihnen noch sagen, möcht' Ihnen eine Artigkeit erweisen. Er hat Sie einmal verletzt, und fühlt sich jetzt so glücklich durch Adelen. Weichen Sie ihm nicht aus, wenn er Ihnen entgegenkommt. Lehnen Sie keine Freundlichkeit ab, um – nun ja, um Adelens willen! Adieu!

In den Worten »um Adelens willen«, wie solche von der Gräfin betont worden, lag für Hermann etwas ahnungsvoll Unbegreifliches, was ihn nachdenklich machte. Er konnte sich kaum an Provençals Seite seiner Zerstreuung entschlagen. Erst an der Wirthstafel, bei einer Flasche Burgunder, und als die Musik der Garde sich vom Schlosse her vernehmen ließ, erheiterte sich der Freund, und bei der Erinnerung an das vertrauliche Lächeln seiner Gönnerin ward ihm zu Muth, als sei nunmehr der letzte Schatten aus jener verhängnißvollen Stunde, der noch zuweilen seine Brust verdüstert hatte, durch diese. heitere Güte hinweggebannt.

In solcher guten Stimmung vom Tisch aufstehend, sagte er scherzend:

Da wir so kostbar gespeist haben, Freund Provençal, so müssen wir's am Kaffee wieder ersparen. Hier kostet die Portion einen halben Thaler. Ich denke, wir fahren hinab zu Herrn Keilholz in der Allee. Ich war noch nie dort, und höre –

Allons! erwiderte Provençal. Ein glücklicher Gedanke! Dort findet man oft eine ganz interessante Herrngesellschaft und jedenfalls eine gute und billige Tasse Kaffee.

 

Sie trafen wenigstens einen ungewöhnlich zahlreichen Besuch, indem zu den einheimischen Kunden sich auch fremde Gäste eingefunden hatten. Zwischen solche auswärtige Besucher hatte sich der Agent Würtz in bürgerlichem modischen Anzug eingedrängt. Er mochte sich von der unbedachten Unterhaltung der Fremden ein gutes Geschäft versprechen, oder auch von seinem Chef dahin beordert sein. Indeß spielte er den heitern Gast, und ließ sich eine gute Collation mit einer Flasche Rothwein behagen. Dazwischen sprach und erzählte er viel, und wenn er dabei im Allgemeinen eine prahlende, barsche Art und Weise hatte, und das Unglaubliche mit einem: »Auf Ehre!« oder: »Parole d'honneur« begleitete, so bewies er doch gegen Einzelne auch wieder eine kriechende, schmeichelnde Gefälligkeit, und that nicht sparsam mit der Versicherung, daß er ein ehrlicher Mann sei. Mit Fremden knüpfte er vertraulich an, erzählte ihnen Hofgeschichten und ließ sich tadelnd über die öffentlichen Zustände und über die »Männer am Ruder« aus – wie er sie bezeichnete, ohne daß er sie bei Namen nannte.

Indeß war nicht leicht Jemand so unvorsichtig, in die Falle zu gehen, oder die Umhersitzenden winkten dem Arglosen sogleich eine Warnung zu. Nur Einer, der Deputirte Meilhaus aus dem Harzdepartement, unachtsam dieser Winke, ließ sich mit ihm auf Erwiderungen und Fragen ein. Da rief ihm ein junger Militärarzt von der Linie zu:

Geben Sie Acht, Herr Meilhaus, und vertrauen Sie dem Herrn Agenten Würtz nicht mehr an, als er den weiten Weg bis zur Polizei tragen kann! Er hat schon seine Last an einer guten Collation, die er zu sich genommen. Man muß einem »ehrlichen Manne« nicht zu viel zumuthen.

Was ist das? rief Würtz, sich erhebend. Was wollen Sie damit sagen, Herr Klinkerfuß? Ich will nicht hoffen, daß Sie mich verdächtigen wollen. Sonst, Herr Chirurgien aide-Major –! Sie kennen mich!

Gewiß kenne ich Sie! Eben darum –! lachte Jener.

Und ich kenne Ihren Obersten Ruelle! drohte Würtz. Ich habe schon Manchem gezeigt, was ich vermag.

Und Ihren Strafantheil davon in die Tasche gesteckt! lachte der Andere noch lauter. Weiß es, o ja wohl! Aber an mir ist nicht viel zu verdienen,

Sprechen Sie gegen die Dienstordnung – puncto der Strafantheile? fragte Würtz mit Nachdruck. Tadeln Sie die Bestimmungen des Gesetzes in Strafsachen?

Ich verbitte mir diese Auslegung! entgegnete der Militärarzt. Im Gegentheil, ich freue mich immer neuer guter Gesetze und Einrichtungen, z. B. auch der zwei Institutionen, die Cassel aus Frankreich erhalten hat, und die viel Menschen ernähren; ich meine die geheime Polizei und die patentirten Frauenspersonen.

Die Umhersitzenden erschraken bei diesem Spott eines vom Wein angeregten jungen Menschen. Einer und der Andere schlichen sich davon. Zum Erstaunen der Zurückbleibenden aber erwiderte Würtz mit beifälligem Nicken:

Vernünftig, sehr vernünftig! Sonst hatte man für den Ueberschuß brauchbarer Menschen die Klöster für Mönche und Nonnen. Da herrschte fromme Eintracht. Bei unsern zwei Anstalten ist nur der Unterschied, daß man bei dem einen Institut vom Hasse, bei dem andern von der Liebe lebt. Ja, ich darf sagen, man hat Feinde in meiner fatalen Stellung. Und was für Feinde? Thörichte Menschen, die doch nur ihre eigenen Feinde sind, indem sie polizeiwidrig handeln.

Bravo! rief der Andere. Nur sollte man sie nicht verführen, nicht auslocken, ihnen die Worte nicht verdrehen.

Was verstehen Sie unter Auslocken? fiel Würtz ein. Ein vernünftiger Mann, wie Sie –! Wissen Sie nicht, daß in jedem Menschen eine angeborene Gesetzwidrigkeit, eine politische Erbsünde, steckt, die heraus muß, wenn er ein gesunder Staatsbürger werden will? Und wenn diese Feindseligkeit durch innerliche Verschlimmerung, oder auch zur unrechten Zeit ausbricht – in welch' Unheil kann da Einer gerathen! Nennen Sie es nicht auslocken, wenn ein bürgerfreundlicher Beamter Das, was einen sonst vielleicht ganz rechtschaffenen Menschen dann und wann einmal unter der Haut juckt, – wenn er es ihm herauskitzelt, herausstreichelt! Denn – verkennen Sie mich nicht, meine Herren! – an mir hat man bei solchen Vorkommenheiten doch immer einen Mann, der ab- und zuzugeben weiß. Verstehen Sie?

An verschiedenen Tischen wurde gelacht, und Würtz rief gebieterisch:

Was soll das Lachen? Gilt etwa mir das Lachen? Soll das Lachen mir gelten?

Nehmen Sie das nicht übel! wendete der Militärarzt ein. Wir lachen in Ihrem Interesse. Sie treten sich selber zu nahe: Sie geben sich für ein Zugpflaster aus, für eine häßliche Salbe oder dergleichen, und wir haben Sie Ihrem Namen nach für eine Würze der Gesellschaft gehalten, für guten Senf, für moutarde de Paris. Verstehen Sie mich ja nicht unrecht! Ich sage moutarde, nicht mouchard!

Aber jetzt brach ein Tuttigelächter aus. Würtz erhob sich, riß das Schnupftuch aus der Tasche, wischte sich die Stirne und machte heftige Geberden der Entrüstung. Dann schenkte er sich den Rest seines Weines ein, und sprach, das Glas in der Hand und zuweilen nippend, mit affectirtem hohen Ton:

Ich sehe wohl, ich bin hier in einer unsociablen Societät, in einer unwürdig – ich sage, unzusagenden Gesellschaft. Herr Wirth! Herr Keilholz!

Der Wirth, der sich absichtlich zurückgehalten, kam auf dies Anrufen geschäftig herbei.

Haben Sie befohlen, Herr Würtz? fragte er sehr unterwürfig, wobei er aber hinter seinem eigenen Rücken Schnippchen schlug, und seinen Gästen schalkhaft zublinzte, als ob er den gefürchteten Menschen zum Besten hätte. Herr Keilholz war ein gewandter Schauspieler gewesen für mehr als eine Rolle.

Ich wollte Ihnen nur rathen, Herr Keilholz, sagte Würtz mit grimmigem Gesicht, daß Sie mehr auf eine Gesellschaft, auf eine Kundschaft halten, die in einem so von der Stadt entfernten öffentlichen Local – Was ich sagen wollte – es kann nämlich von Polizeiwegen nicht geduldet werden, daß man an Wirthstischen Anekdoten vom Hof erzählt, sich über Verfassung und öffentliche Zustände ausläßt, und die Staatsanstalten in ihren Vertretern verhöhnt.

Bei den letzten Worten schlug er mit seinem zusammengeballten Sacktuche auf seine Brust, worauf er fortfuhr:

Schreiben Sie sich das hinter die Ohren, Herr Keilholz! Ich werde nachsehen, wann Ihr Patent abläuft! Ich kenne sie Alle, die gelacht haben!

Dabei drohte er forteilend nach verschiedenen Tischen, und schwenkte das Taschentuch wie eine Peitsche heftig in der Luft.

Seht, jetzt gibt er ab und zu! lachte ihm der Chirurgien aide-Major nach; er fand aber wenig Mitlachende: die Drohung des Commissars, daß er Alle kenne, ängstigte wenigstens Einige.

Hermann hatte mit Provençal während dieser Scene ziemlich entfernt gesessen. Im Augenblick, als Würtz an ihnen vorüberkeuchte, hatte er das seltsamste innere Erlebniß, sozusagen eine Erleuchtung durch die Nase, eine Offenbarung, ebenso lächerlich, als sie ernste Folgen haben konnte. Auch der Geruch vermittelt nicht selten Erinnerungen und Ideenverbindungen in unserer Seele, und so war dem jungen Freund an dem scharfen Wohlgeruche, den der Vorübereilende um sich verbreitete, jene Situation lebhaft eingefallen, als er, aus dem Zimmer der Gräfin Antonie kommend, auf dem Corridor von Mademoiselle Angelique, der geschminkten Zofe, angeredet wurde. Es war noch dieselbe stark duftende Essenz von damals. Er erinnerte sich selbst noch, daß er auch die Zofe mit dem Wohlgeruche geneckt, und daß sich etwas hinter der Thür geregt hatte. Kein Zweifel, daß es dieser Würtz gewesen. Dies bestätigte den vorhin ausgesprochenen Argwohn der Gräfin, der vielleicht in dunkler Seelenregung bei Hermann's Wahrnehmung mitgewirkt hatte.

Was war aber nun zu thun? Hermann mußte jedenfalls seine Vermuthung der Gräfin mittheilen. Darüber blieb er keinen Augenblick zweifelhaft. Seine Wahrnehmung, der Grund zu seiner Vermuthung, rührte ja aus ihrer eigenen Wohnung her; die edle Dame erschien ihm wie verrathen und verkauft durch ihre Zofe, gegen die sie selbst schon Argwohn gefaßt hatte. Und welchen Verdruß, welche Widerwärtigkeiten konnte diese Person noch durch ihre wahrscheinlich fortdauernde Verbindung mit der geheimen Polizei über das hochgestellte und mit dem Hofe so innig verbundene Haus bringen!

Der Freund würde sich in diese Betrachtung noch tiefer verloren haben, wenn ihn Provençal nicht auf den Wirth aufmerksam gemacht hätte, der sich hinter dem fortgeeilten Würtz her sehr pathetisch vernehmen ließ, indem er sich wieder einmal wie auf der Bühne fühlte.

Ein vollständiger, ein vollendeter Schurke das! declamirte er. Haben Sie gehört, mit welcher Drohung gegen mich er fort- und dort hinausstürzte? – die Luft verpestend mit seinem Wasser, das freilich ein anderes Wasser ist, als welches der kranke Fallstaff seinem Arzte zur Besichtigung schickte. Das Wasser an sich, sagte der Shakspeare'sche Doctor, ist ein gutes Wasser; aber die Person, von der es herrührt, ist mit schweren Uebeln behaftet. Und ich sage – ist mit allen Schurkereien behaftet! Ich fürchte seine Drohung nicht. Nein, meine Herren, haben Sie keine Sorge um mich! Mit solcher Drohung wollte er nur die genossene feine Collation und den edeln, echten Chambertin bezahlen. So treibt's der Elende, sage ich Ihnen; er läßt sich in allen Gasthäusern köstlich bewirthen, ohne je zu zahlen, und löscht sozusagen mit Drohungen die Kreide aus, die schuldlose, ihm schuldenlose! Unverschämt, auslockend, denuncirend, Strafantheile ziehend, spielt er den ehrlichen Deutschen, wo er ungekannt ist, und verwünscht, wo man ihn kennt, den Polizeidienst, der ihn um die Liebe und das Vertrauen seiner Mitmenschen bringe. O der Heuchler und Hippogryph! Er knüpft mit den weiblichen Dienstboten an, um durch sie die Herrschaften zu belauschen und in die Geheimnisse der Familien einzudringen. Und der Himmel weiß, welchen Schlangenzauber der widerliche Mensch auch manchmal auf sonst sehr ordentliche Dienstboten ausübt! Kennen Sie seinen jüngsten Streich? Sie wissen, Sie kennen den Bureauchef im Kriegsministerium, der jüngst entlassen worden? Nun hören Sie, wie's zugegangen! Würtz kundschaftet beim Hausmädchen aus, daß der besagte Bureauchef seiner Frau ein kostbares Geburtstagsgeschenk gemacht hat, von Geldern bestritten, mit denen er sich von einigen reichen Bauern, um ihren Söhnen bei der Conscription durchzuhelfen, hat bestechen lassen. Würtz denuncirt, der Bureauchef wird entlassen, und sieht sich nun mit sieben Kindern dem Elend zur Beute hingeworfen. Da ruf' ich mit Karl Moor: »Weg, weg von mir! Ist dein Name nicht Mensch? Hat dich das Weib nicht geboren? Aus meinen Augen, du mit dem Menschengesicht!« – –

Eine augenblickliche Stille folgte auf diesen Erguß. Einige Spötter applaudirten, und der Militärarzt versetzte:

Nun ja, es ist ein verächtliches Benehmen, aber man muß auch in solchen Stücken – ab- und zugeben, wie der Monsieur Würtz. Bestechungen von Seite der Reichen zum Schaden der Vermögenlosen wollen wir nicht in Schutz nehmen. Aber allerdings bleibt ein Blutegel ein widerliches Gewürm, wenn man ihn auch heilsam applicirt.

 

Als hierauf unsere beiden Freunde den Garten verließen und nach der Stadt wandelten, sagte Provengçal mit einer eigenen Befangenheit:

Sie sind mir so nachdenklich vorgekommen, mein Freund, und ich habe Sie dazwischen so träumerisch lächeln sehen – beides aber erst seitdem Sie die Gräfin gesprochen. Verzeihen Sie! Ich will durchaus nicht in Ihr Geheimniß eindringen, nein! Aber es machte mich vorhin glücklich, zu denken, daß uns eine geheime Sympathie der Seele verbinden könnte. Nicht wahr, es gibt Geheimnisse des Herzens, die ein unaussprechliches Glück in dem Verständniß einer ähnlich bewegten Seele finden. So will ich Ihnen denn voraus bekennen, daß auch ich eine edle Dame liebe, freilich noch unausgesprochen und – ich fürchte unverstanden in meiner stummen Hingebung.

Verzeihung, daß ich Sie unterbreche! fiel Hermann ein. Ich weiß Ihr Vertrauen zu schätzen, mein geehrter Freund, und ich würde es zu verdienen wissen; allein vorher muß ich Ihnen sagen, daß durchaus kein Verhältniß der Art, wie Sie vermuthen, zwischen mir und jener hohen Dame besteht, die mich vorhin angesprochen hat. Es hat blos eine geschäftliche Beziehung betroffen, die noch nicht ganz erledigt ist. Meine Zerstreuung und mein träumendes Lächeln hangt allerdings damit zusammen. Es galt nämlich um eine Entdeckung, die ich auch unerwartet und auf die drolligste Weise gemacht habe – vorhin nämlich durch den vermeintlichen Wohlgeruch dieses Würtz, der selber moralisch in so übelm Geruche steht. Man sollte glauben, er wolle den einen mit dem andern verbessern oder decken. Ich bin durch jenen starken Parfüm hinter ein Geheimniß gekommen, an welchem jener mir sehr verehrten Gönnerin viel gelegen ist – ein wichtiges Geheimniß durch die Nase! Aber allerdings sind Polizeigeheimnisse von der Art, daß man sie nur durch den Geruch entdecken kann. Wahrhaftig, man muß zum Trüffelhund werden wider solche Schnüffelhunde! Sie verstehen mich nicht, mein Freund; sobald ich aber überlegt habe, was mir nun zu thun bleibt, werde ich Ihnen das Nähere mittheilen; denn ich werde vielleicht Ihres Rathes bedürfen.

So wandelten Beide Arm in Arm, aber eine lange Strecke nachdenklich und schweigsam, der Stadt zu.



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