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Zwölftes Capitel.
Ein vertraulicher Abschied.


Es gibt Glückskinder und gibt sogenannte Pechvögel in der Welt. Aber so bekannt diese Doppelerscheinung ist, und so vielfach sie vorkommt, so räthselhaft bleibt sie in ihrem Grund. Oder woher rührte es, daß die nicht nach eigener Willkür, sondern nach ewigen Gesetzen dahinrollende Flut des Lebens den Einen, wie er sich auch drehen und wenden möge, von oben trifft und in seinem Bestreben abseits oder zu Boden wirft, während sie den Andern mit all' seiner Sorglosigkeit hebt und dahin trägt, wohin er sich wünschte und noch ehe er sich nur wagte? Man nennt es kurzweg – Glück, und läßt diesen Zufall für einen Halbgott gelten, der einer gerechten, mithin bewußten Weltmacht nach eigener Laune in ihr Walten pfuschen dürfe.

Vielleicht wäre es aber für einen Nachdenkenden, der nichts Besseres zu thun hätte, des Erforschens werth, ob und inwiefern es vielleicht nur in der ursprünglichen Eigenthümlichkeit einer menschlichen Seele liege, sich durch unbewußten Takt, durch einen höhern Instinkt mit den Begegnissen des Lebens in Uebereinstimmung zu setzen, oder ob es auch von dem Moment abhange, in welchem der Mensch ins Leben tritt, um fortan hebenden oder hemmenden Lebenswogen zu begegnen.

Hermann durfte sich gestehen, daß ihm bei edlem Sinn und gelassenem Gemüthe Vieles mehr nach Gunst als nach Verdienst, mehr nach Wunsch als nach Willen zu Theil wurde. Luise hatte es ihm schon in einem bestimmten Falle mit den Worten angedeutet, er habe mehr Glück als Recht gehabt. Seitdem war er inne geworden, daß er mit dem Leben oder – wie er es scherzend nannte – mit seinem Nicht-Ich auf ganz gutem Fuße stehe. Solches Vorurtheil gibt viel eher eine gute Zuversicht, als daß es die Willenskraft eines jungen Mannes stählte, wie es die Misgeschicke zu thun pflegen. Hermann achtete jetzt auf diese Gunst als auf etwas, womit er ganz zufrieden war, und was er durch kein weiteres Nachgrübeln stören mochte.

Allerdings waren schon Zeit und Ort für sein Bestreben ein günstiges Element. Es war die Residenz eines jungen Monarchen, den in der Zeit der Auflösung aller hergebrachten Zustände das luftige Glück aus einem Handelscomptoir oder doch aus einer Kaufmannsfamilie auf einen Thron gehoben hatte, und der nun den lachenden Purpur seiner Macht nur mit dem weichen Unterfutter des Lebensgenusses tragen mochte. Das Scepter begünstigte den Leichtsinn, die Lust und Liebenswürdigkeit. Fremde Abenteuerer mischten sich mit dem einheimischen Adel unter einem Thron, auf den sich zu einem französischen Emporkömmling eine deutsche Fürstentochter gesetzt hatte. Die Etiquette war weit genug, um adelige Ritterschaft und bürgerliche Glücksritter zu umspannen. Das Leben galt für ein Spiel mit allen Karten, worin zu den Bildern auch die kleinen Blätter gemischt wurden – Coeur aufgelegter Atout, Herz immer Trumpf war, und die Sechse, die zwischen den Buben und die Dame fiel nicht an das Sechste Gebot erinnerte.

So war an den Platz des Kurfürstenhutes, der mit seinem einfachen Filze die stille Stadt im Dunkel gehalten hatte, eine strahlende Königskrone getreten, die sich mit einem glänzenden Hof umgab. Und wenn sich doch auch an diesem Freuden- und Liebeshofe das Ceremoniel nach der pariser Schablone verstärkte und versteifte, so galt es doch nur als die Coulissen und Versetzstücke zu mancherlei Lustspielen. Man konnte – wenn auch in etwas anderm Interesse, als man sich damals in politischen und poetischen Kreisen mit Spanien beschäftigte – bei dem an Jerôme's Hof eingeführten halbspanischen Costüm an spanische Stücke denken – an die Comedias de capa y espada, jene Mantel- und Degenstücke aus dem eleganten Leben voll verwickelter Intriguen, oder an die Comedias de figuron, worin Glücksritter und fahrende Damen die Hauptrolle spielten, an die Entremeses oder Zwischenspiele politischer Verlegenheiten, oder an die mit Musik und Tanz begleiteten Saynetes, die man auch Parties fines, Notturnos, überhaupt – Nachtstücke nannte.

Indem nun ein dunkles Vorgefühl Hermann's oder ein überlegender Gedanke seines weltkundigen Vaters den jungen Freund nach dieser neuen Residenz getrieben hatte, sein Glück zu suchen, bereiteten ihm seine auffallende Erscheinung, seine leicht aufnehmende Bildung und anmuthigen Gaben und Manieren ein leichtes Fortkommen, um so mehr, als er sich mittels der beiden ihm geläufigen Sprachen in der gemischten Atmosphäre der Gesellschaft frei bewegen konnte. Ein gemäßigtes Temperament, eine sittliche Gesinnung bewahrten ihn dabei vor falschen Richtungen; sein Herz und seine Phantasie hielten ihn hoch über diesem schäumenden Sinnenleben unter der himmelblauen Anschauung des Idealen.

So begriffen es die Freunde, die seinem Wandel zusahen, daß er mehr gesucht wurde, als selber suchte, indem er da, wo ihm Liebe und Freude nicht halben Wegs entgegenkamen, sich immer wieder der Freude und Liebe zu den Ideen und Dichtungen der Alten und Neuen Welt in die Arme warf. Der Realismus des Lebens ließ ihn durchaus nicht gleichgültig; aber er hatte das Ideale noch nicht eingebüßt, und der Schüler Fichte's versuchte sich eben praktisch zwischen diesen beiden Lebenspolen, just ein Jahr später, als Schelling, der beidlebige Denker, in einer besondern Schrift »das Verhältniß des Realen und des Idealen« philosophisch ins Licht zu setzen versucht hatte.

 

Eine Woche wechselnder Abendgesellschaften waren zu Hermann's Zufriedenheit abgelaufen, während dieselben Tage für Freund Reichardt manche Unruhe mit sich gebracht hatten. Das Amtsgeschäft des Kapellmeisters mußte in verschiedenen kleinen und persönlichen Beziehungen abgelöst werden, und hinter demselben blieben ihm ebenso viele Vorkehrungen zu seiner Reise übrig. Alle diese abhetzenden Geschäftchen, die der etwas ungestüme Mann Plackereien nannte, waren nun aber glücklich abgethan, die Abschiedsbesuche gemacht, ja Koffer und Reisebehälter gepackt, und Reichardt sehnte sich recht nach einem letzten musikalischen Abende zum Abschiede von Cassel und von seinen vertrauten Freunden.

Hermann fand sich bei guter Zeit ein, und Luise, etwas festlich gekleidet und feierlich gestimmt, nahm ihn unter dem Vorwand, ihm einige Aufträge zurückzulassen, mit auf ihr Zimmer.

Zurückzulassen? fragte er auf dem Gange dahin. Wie verstehe ich denn das, liebe Luise?

Aber erst auf dem Zimmer, und indem sie sich mit ihm auf das Kanapee, setzte antwortete sie:

Ja, lieber Freund, ich will Ihnen hier in herzlichem Vertrauen Lebewohl sagen – nicht auf immer, doch immer auf einige Wochen. Und wer kann voraus wissen, wie man sich nach Wochen wiederfindet! Sie schwimmen jetzt so im lustigen Strom der Gesellschaft –! Ich begleite nämlich den Vater nach unserm Giebichenstein. Sie kennen ja diese anmuthige Nachbarschaft von Halle. Unsere Besitzung hat sehr vom Kriege gelitten; hoffentlich aber können wir die nöthigen Einrichtungen treffen, um vor Winter überzusiedeln, die Mutter und ich, und wollen den Vater von seiner Reise zurück erwarten.

Der Ton und die innere Bewegung Luisens gab ihrer Mittheilung noch etwas Aengstliches zu der Betrübniß, die für Hermann ohnehin darin lag. – Mein Gott, Luise, sagte er, Sie haben mich wahrhaft erschreckt. Das hätte ich nicht erwartet, als ich jenen Abend mit dem Auftrag Ihrer Freunde vom hochzeitlichen Fest hinweg zu Ihnen eilte. Die Besorgniß Aller, Ihr Vater könnte vielleicht den klugen Absichten für sein Bestes widerstreben, hatte mich so mitergriffen, daß ich nicht ahnen konnte, ich sei auf dem Weg, eine wahre Zerstörung in Ihrem Lebenskreise anrichten zu helfen, und die gerade mich am schwersten treffen sollte. Ich war so stolz auf meine vertraute Sendung –! Ach, wüßte man, wohin man so oft mit seiner besten Zufriedenheit gerathen kann! Denn was verliere ich nun nicht Alles – Sie, Luise, und das liebe Haus, wo ich meine erste Zuflucht, eine neue Heimat, das reinste Wohlwollen, die herrlichste Theilnahme, Rath, Anleitung, Förderung aller Art empfangen und meine glücklichsten Abende verlebt habe!

Es ist mir lieb, Hermann, daß du das so empfindest! erwiderte sie mit Herzlichkeit. Aber deine Betrübniß als Zeichen deiner Anhänglichkeit an uns nimmt ja der Zufriedenheit nichts, mit der du als Bote der jetzigen Wandlung unsers Lebens erschienst. Wüßtest du nur, welche Herzenserleichterung du mir damals überliefert hast! Wie lange lebte ich nicht schon in der täglichen Sorge um meinen unvorsichtigen Vater! Wir konnten ihn ja nicht ändern, ihm die Klugheit und Mäßigung nicht einflößen, die ihm seine Jahre und seine sonstige Lebenskenntniß nicht beibrachten. Wie dankbar war ich daher für die glückliche Auskunft, die mein edler Freund, Baron Reinhard, für uns gefunden hatte! Und du, als Ueberbringer dieser guten Versicherung unserer Zukunft, erschienst damals wie nach trübem bedrohlichen Wetter das Abendroth, das uns einen heitern Tag verkündet.

Und nun wollt ihr doch diese ruhige, gesicherte Zukunft nicht in Cassel verleben? wendete Hermann ein. Nicht im Kreise desto innigerer Freunde, als es wenige sind? Und warum deinen Vater nicht hier erwarten, wo ihn doch das Ergebniß seiner Reise zuerst wieder hinführen muß.

Einen bleibenden Platz hat mein Vater hier nicht wieder zu erwarten, erwiderte sie, und ich wünsche es unter den dermaligen Verhältnissen auch nicht. Vielleicht findet er einen ihm zusagendern anderwärts, in Prag oder sonst in Oestreich, wo ohnehin bald alle die Männer werden eine Zuflucht suchen müssen, deren Herz von Nationalweh überfließt, und die an den großen Unternehmungen sich betheiligen, die dort vorbereitet werden. Und ich –? Ich hätte gedacht, du fühltest es mit mir, wie wenig ich hierher gehöre, wie tief verhaßt mir diese Residenz einer lustigen Frivolität, einer herzlosen Leichtfertigkeit und einer fremd parlirenden, würdelosen Selbstvergessenheit ist. O mein Herz zuckt hier wie in einer Eisspalte versunken und eingeklemmt.

Entsetzt vor der schmerzlichen Erinnerung, die in ihrem Vergleich laut wurde, sank sie, das Gesicht mit beiden Händen bedeckt, in das Sopha zurück, indem sie ausrief:

Ach, ach! mein Eschen! Mußte ich so dein Verhängniß mittragen, seliger Geist?

Doch schnell sich wieder fassend, stand sie auf, nach ihrem Schnupftuche zu gehen. Sie trocknete die, Augen, und nahm dann beruhigter ihren Sitz wieder ein.

Du sprichst von Freunden, sagte sie. Eigentlich habe ich doch nur Reinhard und seine Frau hier. Nur wir verstehen uns ohne Erklärung. Aber ich sehe eine Zeit kommen, wo ich den Freund Reinhard mit dem französischen Gesandten Reinhard in Widerspruch setzen könnte. Und wer weiß, ob der gute Diplomat diesen Fall nicht mit in Berechnung gebracht hat bei seiner Operation für den Vater! Doch genug davon – von mir! Gerade wegen Reinhard's wollte ich mit Ihnen reden, lieber Freund. Schon die ganze Zeit her habe ich – und in den letzten Tagen besonders lebhaft, empfunden, wie sehr mein Vater gegen dich verschuldet ist.

Dein Vater gegen mich? fiel Hermann verwundert ein, und Luise fuhr fort:

Ich war gleich dagegen, wenn du dich erinnerst, daß er dich am ersten Tage nach deiner Ankunft in der Au dem General Salha und dem Grafen Fürstenstein zum Sprachmeister für Melanie Salha antrug. Ich suchte es zu hindern – nicht sowol aus Abneigung vor diesen Franzosen, nein, du konntest dich ja hier in Cassel mit französischen Familien nicht außer Verbindung halten; sondern weil die Empfehlung von ihm kam, und weil er dergleichen mit Uebertreibung thut und mit Uebereilung that. Er bedachte nicht, wie tief er im Mistrauen der Hofpartei stand, und durch seine aufdringliche Empfehlung dich selbst übel signalisiren und in schlimmen Verdacht setzen konnte. Und kam's denn nicht auch, wie ich es geahnt hatte? Die Lehrstunden wurden fein und artig hinausgeschoben, und du an Bercagny überliefert, der durchtrieben, wie er ist, leicht entdeckte, daß du kein preußischer Spion warst, sondern vielleicht zu einem westfälischen mouchard zu machen wärest. In welche Verwickelung du dadurch geriethest, wirst du hoffentlich dein Lebtage nicht vergessen. Heut nun darf ich dir sagen, daß du die glückliche Lösung derselben auch dem Baron Reinhard verdankest, der durch seine geheime Verbindung hinter Bercagny's Rücken zu einer Abschrift deines Berichts gekommen war, und mir alsbald Kenntniß und guten Rath gab. So haben denn seine Freundschaft für mich und sodann dein gutes Glück dich damals vor einer schmählichen Gefahr gerettet. Aber du bist dabei doch allmälig in Verbindungen und in eine Richtung gekommen, die mir bange um dich machen. Du gefällst dir nur zu sehr in diesen Kreisen, und bald wirst du dich auch ihrem Treiben nicht mehr entziehen können. Deine Aufnahme bei Herrn von Bülow meine ich nicht; diese freute mich. Bülow ist ein deutscher Mann, ein guter Preuße, der den Fremden nur dient, um dem Vaterlande zu nützen und der herstellenden Zukunft eine Pforte offen zu halten. Dieser Verbindung magst du treu bleiben. Laß dich ja in keine andere Strömung ein! – Aber außer seinen Mittwochs-Assembléen besuchst du auch die Freitags-Gesellschaften und vertrauliche Abende bei Simeon; hast dich dort von Marinville, dem Jerôme'schen Maître de la garderobe einnehmen lassen, wirst zu Morio's Hochzeitfest eingeladen und – so bist du im lockendsten Zuge, schwimmst seelenvergnügt in diesem Wasser, und wenn ich nach Wochen wiederkehre, werde ich mit guten Freunden – im Trüben fischen müssen, um zu erfahren, wo du bist, und welchen Köder du verschlungen hast.

Hermann, von Luisens Rede und Stimmung betroffen und ein wenig beschämt, erwiderte zuerst mehr ausfluchtweise:

Ich weiß nicht, Luise, ob du Marinville persönlich kennst; aber man thut ihm wahrlich Unrecht – glaub' ich wenigstens. Sein Leichtsinn hat etwas Unbefangenes, Argloses. Er ist mir ein Mensch, der –

Ein entsetzlicher Mensch, unterbrach ihn Luise, viel entsetzlicher als du ahnest und als ich dir sagen kann, am entsetzlichsten, weil er gerade eine so liebenswürdige Erscheinung macht, die ebenso leicht besticht als berückt. Doch – wir können das jetzt nicht abhandeln, wir müssen hinüber. Ich wollte dir nur sagen, daß ich deinetwegen mit dem Gesandten gesprochen habe. Er hat alles Vertrauen zu deiner Vorsicht und Klugheit gefaßt. Seine Stellung zwischen den Parteien und zum König ist sehr kitzlich und erfodert die größte Behutsamkeit in seinem Benehmen und im Verkehr mit Andern. Er hat nicht Ursache, seinen Kaiser zu lieben, und sein würtembergisches Herz fühlt innig genug für die deutsche Sache. In diesem Sinne wird er dir Winke über Menschen und Verhältnisse, Rath für dein Thun und Lassen gehen. Geh' nur in einigen Tagen zu ihm und bitte ihn um die Antwort auf Das, was ich deinetwegen mit ihm besprochen hätte. Er wird dir dann vorerst offen sagen, wie du dich zu ihm zu stellen, dich gegen ihn zu benehmen hast. Und so hoffe ich denn durch einen solchen Freund gut zu machen, was der Vater mit dir übereilt hat. Nur versprich mir jetzt auch, daß du dich nicht auf dein bisheriges gutes Glück verlassen, sondern mit einigem Mistrauen gegen dich selbst –

Alles, Alles, Luise! fiel er ihr mit leidenschaftlicher Hingerissenheit ins Wort, indem er die Hand, die sie seinem Versprechen entgegenhielt, heftig ergriff. Alles will ich geloben! Nur sprich es nicht aus! Ich weiß, was du meinst. Demüthige mich nicht so im Augenblicke, wo mein Herz von deiner Theilnahme an mir vergeßlichen Menschen, von deiner Fürsorge für mich Unachtsamen bewegt ist. Du knüpfest diesen betrübten Augenblick deines Lebewohls an jene erste Frühlingsbegegnung, da dein Vater mich zu euch in die Au mitbrachte. Ach, wie stand ich damals schon feierlich athmend vor deiner wunderbaren Erscheinung, und mit der Ahnung deiner erhabenen Seele kam ein Vorgefühl alles Dessen über mich, was du mir werden solltest. Wie fühlte ich mich gehoben durch deine bloße Gegenwart! Und im Nu eines innern Gesichts, einer blitzenden Offenbarung meiner Seele lag alles Hohe, wornach ich strebte, wornach ich von daheim ausgegangen und eben bei euch angekommen war, in lachender Fernsicht und Erfüllung vor mir da, und du schwebtest mir entgegen und reichtest mir, wie eben jetzt, was ich festhalte – deine Hand, und die ich für immer festhalten möchte.

Hermann glitt, wie von seinen Empfindungen gebeugt, vom Kanapee auf ein Knie, und preßte, von so lebhaften Erinnerungen überwältigt, die zarte Hand an seine Lippen, an seine Augen, die er dann feuchtglänzend zu ihr aufschlug, indem er mit seiner weichen Stimme fortfuhr:

Ja, Luise, wir fühlen oft den ganzen Inhalt von Segen oder Entsagen unserer Zukunft in einem flüchtigen Augenblicke, wie uns ein funkelnder Thautropfen den ganzen Himmel mit Blau und Grau abspiegelt. Du hast das äußere Verhängniß bezeichnet, das sich an jenen Moment heftete, an deines Vaters Empfehlung; aber eine innere Wandlung meiner Empfindungen rührt aus demselben ersten Augenblick. Ich sollte singen, wenn du dich erinnerst, und mir fiel zuerst eine Melodie ein, die mich gleich bei meiner Ankunft im Gasthofe, den Abend vorher, wie eine Losung meiner Zukunft, aus einer nachbarlichen Clarinette begrüßt hatte – fiel mir ein im Moment, wo ich bei der innern Anschauung meiner Zukunft dich als das wünschenswertheste Glück empfand, das einem Manne auf der Höhe seines Strebens zu Theil werden könnte. Und mit dieser Empfindung – soll ich sagen mit dieser Herausfoderung meiner liebenden Zukunft – sang ich:

Komm' heraus, komm' heraus, du schöne, schöne Braut.

Aber mit dieser Melodie, die – mir unbekannt – dein eigenes Werk war, und womit ich dir gleich so weh that, traf ich die schwerste Schickung deines Lebens. Und – wie durchkreuzten sich nun die bedenkliche Empfehlung deines Vaters und mein schöner Traum derselben Stunde! Jene Empfehlung wendete sich noch zu meinem Glück, mein Traum aber sollte in das schmerzlichste Mitgefühl ausgehen, als ich erfahren mußte, daß jenes mir unbekannte Verhängniß deines Lebens dich über alle Bewerbung der Liebe, über alles Verdienst der Treue unerreichbar hinausgehoben hatte.

Hermann schwieg und eine tiefe Stille folgte. Luise schien sehr bewegt. Ihre Züge wechselten von Rührung und Schmerz; ihre Brust kämpfte, wie es schien, mit widersprechenden Empfindungen. Endlich siegte ein Ausdruck von Resignation, und eine edle Fassung verklärte mit einem höhern Anhauch von Röthe das seelenvolle Gesicht. Sie richtete sich auf, und indem sie den Freund mit sich emporhob, sagte sie feierlich, aber mit beklommener Stimme:

Ja, lieber Hermann, man kann nicht zweien Seelen in zwei verschiedenen Welten angehören. Und diese Hand, wo sie dem Lebenden helfen kann, waltet doch immer nur im Amte des Abgeschiedenen – als Priesterin der Freundschaft, die kein Herzensbündniß schließt. – – Aber jetzt komm' mit hinüber! Fasse dich heiter, und dein Herz, das so nach Liebe sucht – wahre es wohl! Denn, glaube mir, du kennst die Liebe noch nicht!

Sie schritt mit stolzer Haltung nach der Thür, und Hermann folgte. Auf dem Corridor blieb sie stehen, athmete auf und sagte dann leise und vertraulich:

Ich höre – von Rehfeld, du bist nun im Vertrauen mit den Kurfürstlichen für ihre Absichten zur Herstellung des Kurfürsten; stehst aber noch in Bedenkzeit. Nach meiner Rückkehr sprechen wir darüber. Was ist dir der Kurfürst! Und ein so vereinzeltes Unternehmen kann nur mislingen. Nur eine große, umfassende Erhebung hat die Macht und das Vorgefühl zu siegen in sich. Dann aber gilt es auch keiner bloßen Herstellung des Alten – es gilt ein großes, einiges Deutschland!

Sie winkte ihm Schweigen zu und betrat mit ihm das Gesellschaftszimmer.



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