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Fünftes Capitel.
Zehn Gebote der Frauenliebe.


So war nun Hermann in einen thätigen Lebenskreis eingeführt, und durch eine so bedeutsame und bezügliche Unterhaltung zweier Männer von hoher Einsicht in die Geschäfte des Staats und des bürgerlichen Lebens gleichsam eingeweiht worden.

Gegen Abend desselben Tages saß Lina einsam auf ihrem Zimmer. Das äußerste Fenster nach der Fuldabrücke stand offen; ein lebhafter, aber lauer Wind stieß in die Vorhänge, und wenn sie hinaussah, wozu eine unbestimmte Sehnsucht sie öfter antrieb, so erblickte sie nach Nordwest hinziehend ein bedrohliches Gewölk, hellgraue Schichten in Dunkelgrau, glänzend weiße Massen, die, bräunlich durchsetzt oder umkantet, tief herabhingen. Ein schauerliches Licht fiel auf das graue Castell, an dem die Fulda trüb und in Wirbeln hinfloß. Lina athmete eine müde, weiche Stimmung, die sie der Gewitterluft beimaß, die aber vielleicht noch mehr aus einem unruhigen, suchenden Herzen kam. Luise Reichardt hatte ihr absagen lassen, weil sie – wahrscheinlich auch durch Einfluß des Gewitters – an ihren kleinen Krämpfen litt. Es that der einsamen Frau leid, daß sie abermal um die kleine Vergeltung kam, die sie sich für die ungerechten Warnungen der Freundin ausgedacht hatte. Und doch – der Unruhe, mit der sie Hermann zu diesem Vorhaben, auch nachdem es aufgegeben war, noch immer erwartete, lag etwas zu Grunde, was Luisens Warnungen hätte rechtfertigen können, wenn es sich die liebenswürdige Frau nur klar gemacht hätte.

Das Blatt von Schleiermacher's Hand, mit den Zehn Geboten aus dem Katechismus der Vernunft für edle Frauen beschrieben, lag noch auf dem Arbeitstische. Sie hatte es, nach genommener Abschrift, der Freundin heute zurückgeben wollen; indem sie es aber nun wieder zusammenfaltete, um es aufzuheben, durchlief sie es noch einmal, da manches Dunkle darin sie heimlich und unbegreiflich ängstigte. Sie las:

Erstens: »Du sollst keinen Geliebten haben neben dem Manne; aber du sollst Freundin sein können, ohne in das Colorit der Liebe zu spielen und zu coquettiren und anzubeten.«

Sie dachte an Hermann, fühlte sich als Freundin bestätigt und lächelte zu der Warnung vor dem Anbeten.

Zweitens: »Du sollst dir kein Ideal machen weder eines Engels im Himmel, noch eines Helden aus einem Roman; sondern du sollst einen Mann lieben, wie er ist. Denn sieh', die Natur, deine Herrin, ist eine strenge Gottheit, welche die Schwärmereien der Mädchen heimsucht an den Frauen bis ins dritte und vierte Zeitalter ihrer Gefühle.«

Sie warf einen Blick nach Ludwig's Bild, das über dem Sopha hing, und nickte ihm lächelnd zu, als ob sie sagen wollte: Kein Ideal, Ludwig, just wie du bist!

Drittens: »Du sollst an den Heiligthümern der Liebe auch nicht das Kleinste misbrauchen; denn Die wird ihr zartes Gefühl verlieren, die ihre Gunst entweiht, und sich hingibt für Geschenke und Gaben oder auch nur, um in Ruhe und Frieden Mutter zu werden.«

Ueber dies Gebot ging die Leserin rasch hinaus, das eine misbilligend, über das andere flüchtig erröthend.

Viertens: »Merke auf den Sabbath deines Herzens, daß du ihn feierst; und wenn sie dich halten, so mache dich frei, oder geh' zu Grund'.«

Der Sabbath des Herzens blieb der nachträumenden Lina etwas räthselhaft. War damals mein Herzenssabbath, als mir Ludwig wie der hohe Priester der Liebe erschien? fragte sie sich. Aber ein Sabbath wiederholt sich – in den wechselnden Lebenswochen. Sie dachte an die schönen und erhebenden Stunden, die Hermann ihr durch seine Vorlesungen und Unterhaltung gewähre; doch kam es ihr vor, als ob noch etwas Tieferes darunter zu verstehen sei, etwas, worüber man eben zu Grunde gehen könnte.

Fünftens: »Ehre die Eigenthümlichkeiten und die Willkür deiner Kinder, auf daß es ihnen wohlgehe und sie kräftig leben auf Erden.«

Sie athmete heiter auf, indem sie an Ludwig's Wunsch dachte, mit Kindern gesegnet zu werden. Dann las sie weiter.

Sechstens: »Du sollst nicht absichtlich lebendig machen.«

Diese dunkeln Worte waren ihr schon früher unverständlich, aber ängstlich gewesen. Jetzt, wo sie Ludwig's Wunsch ebenso lebhaft empfunden hatte, erschrak sie heftig, und las mit Herzklopfen rasch weiter.

Siebentens: »Du sollst keine Ehe schließen, die gebrochen werden müßte.«

Sie begriff nicht, wer eine solche Ehe schließen könnte, von der er das voraus wüßte.

Achtens: »Du sollst nicht geliebt sein wollen, wo du nicht liebst.«

Lina lachte. An unserm Hofe müßte es eigentlich heißen: Du sollst nicht lieben wollen, wo du nicht liebst, dachte sie.

Neuntens: »Du sollst nicht falsch Zeugniß ablegen für die Männer; du sollst ihre Barbarei nicht beschönigen mit Worten und Werken.«

Lina ging über dies Gebot hinaus, indem sie sich glücklich pries, einem Lebenskreise anzugehören, wo sie nie zu solcher Zeugenschaft gezogen würde. Das Beschönigen wird weniger vorkommen, dachte sie, als das gerechte Beschuldigen. Davor behüte der Himmel jede brave Frau!

Zehntens: »Laß dich gelüsten nach der Männer Bildung, Kunst, Weisheit und Ehre!«

Laß dich gelüsten, ist schon gut, meinte sie; wie denn aber das Gelüst befriedigen, wenn die Männer in ihren Geschäften aufgehen? Den Mann soll man lieben, wie er ist; der Freund aber muß desto mehr so sein, wie man ihn braucht. Ihm gehört der Sabbath des Herzens, und er hat einzuweihen in Das, wornach man ja eben gelüsten darf.

Aus der Stille ihres Nachträumens weckte sie von draußen der erste ferne Donner, und hinter demselben her an der nahen Stubenthür ein bekanntes Klopfen, worauf Hermann eintrat.

In der Art und Weise, wie Beide jetzt mit einander verkehrten, fehlte etwas von der frühern unumwundenen Vertraulichkeit. Eine gewisse äußere Zurückhaltung ging von Beiden aus – von Lina mehr bewußt und beabsichtigt, seitdem sie durch Luisens Bemerkungen zweifelhaft über ihre Empfindung für den Freund geworden war; von Hermann mehr unbedacht, durch den höhern, fast etwas tragischen Ernst, den sein Herz seit dem Begegniß mit Adelen im Allgemeinen gegen das andere Geschlecht angenommen hatte. Aber wo sich jetzt die Hände zurückhielten, suchten sich die Blicke auf, und das Wohlwollen Beider für einander schien die äußere Ungezwungenheit nur aufgegeben zu haben, um sich innerlich zu vertiefen.

Hermann war sehr heiter und aufgeregt eingetreten. Er setzte sich Lina gegenüber in die Fensternische, und erzählte von seinem ersten Geschäftstage mit lebhafter Zufriedenheit. Er rühmte die ungemeine Klarheit und Leichtigkeit des Ministers, wenn es galt, irgend eine Arbeit in ihren Gesichtspunkten anzudeuten und in ihrem Material anzuordnen. Nach seinen Fingerzeigen, sagte er, nach seinen Hinweisen auf die ihm genau bekannten Acten und mit Zuratheziehung seiner guten Büchersammlung denke ich in kurzer Zeit ein selbständiger Arbeiter zu werden, der Befriedigung gibt und Beförderung verdient.

Lina sah ihn eine Weile stillschweigend an. Eine leise Empfindlichkeit verlor sich in Weichmüthigkeit, aus der sie sich rasch zu der lächelnden Frage zusammennahm:

Ist Bülow noch klarer als Platon? Und was er dir anrichtet – findest du es noch schmackhafter als das »Gastmahl«?

Was mir der Minister anrichtet, liebe Lina, antwortete er mit einer gewissen Feierlichkeit, ist Arbeit, und durch Arbeit wird jedes Gastmahl erst recht schmackhaft, erholend, erhebend. Das »Gastmahl« Platon's drohte mir zur Arbeit zu werden und mich dadurch zu verstimmen. Meinst du nicht, daß es eine bessere Tagesordnung für einen jüngern Mann sei, durch Arbeit für das Leben den Genuß des Höhern in Wissenschaft oder Kunst zu verdienen, wenn man nicht etwa der Mann ist, dies Höhere zu schaffen?

Wenn dir's nur nicht geht, lieber Freund, wie manchen Arbeitern, die durch Anstrengung und Ermüdung sich um den Appetit bringen, und erschöpft das Gastmahl stehen lassen, oder stumpf es ungenießbar finden!

O nein, Lina! rief er aus. Ich halte es mit den Rüstigen, die sich durch Arbeit einen rechten Appetit holen. Nur nicht, daß ich Alles allein aufzehre. Und siehst du – ich habe davon für dich mitgebracht!

Er zog eine seine Handschrift aus der Brusttasche, und Lina, in die Hände klatschend, rief mit ihrem beliebten Ausdruck:

Ah, du bist ein prächtiger Mensch! Verzeih'! Ich war eben ein wenig eigennützig. Ich dachte, du ließest mich nun hungern, und ich habe doch gelesen, eine ehrliche Frau dürfe sich gelüsten lassen nach der Männer Bildung, Weisheit und Poesie. Aber – was ist das? Eine der Gastmahlsreden!

Sie war lebhaft aufgesprungen, erschrocken, als einige dicke Schloßen hart an das Fenster schlugen oder auf dem Sims emporsprangen. Und nun prasselte das Hagelwetter aus der schweren Wolke nieder. Es donnerte und blitzte dazwischen. Als sie das Fenster öffnen wollte, das durch den Hagel bedroht war, folgte ein Regenguß. Die Hagelwolke zog mit Sturmwind mehr nordostwärts, und trug auch die elektrischen Schläge mit sich fort. Das Wetter ließ nach, der Regen säuselte ruhig nieder, und ein erquickender Duft durchdrang das Gemach. Beide rückten das Tischchen etwas tiefer ins Zimmer, Lina griff wieder nach ihrer Nähterei, und Hermann nahm mit seiner Handschrift spielend das Wort:

Ich hatte mich recht darauf gefreut, Lina, dir die köstliche Rede des Dichters Aristophanes vorzulesen, die er hielt, als an ihn unter den Gästen Agathon's die Reihe der Lobreden auf die Liebe kam. Die Rede stand mir erst nur im Allgemeinen vor. Bei näherm Betracht aber läßt sich das kleine Meisterstück doch einer deutschen Frau nicht gut vorlesen. Denn der Tiefsinn des genialen Dichters ist mit soviel Muthwillen durchrankt, die hohe Wahrheit mit soviel bedenklich spielenden Scherz umgaukelt, der klare umfassende Verstand mit so ausgelassenem Witz versetzt, daß es neben der Bewunderung, die es den Männern abnöthigt, doch zartfühlenden Frauen unserer modernen Bildung, wenigstens aus dem Mund eines Freundes, eine ängstliche Verlegenheit um die andere aufdringt. Der Grundgedanke ist der, daß die Menschen ursprünglich anders als jetzt beschaffen, und zwar durch Vereinigung beider Geschlechter in Einer Person, als Kinder der Sonne und der Erde, vollkommener – gewaltig an Körperkraft und hochstrebend von Sinnesart gewesen seien, sodaß sie zuletzt die Götter auf ihren hohen Sitzen bedroht hätten. Da habe Jupiter, um sich ihrer doch gerade nicht durch Vertilgung zu erwehren, das Mittel ergriffen, sie in zwei Hälften zu spalten – »wie man«, sagt der Poet, »Arlesbeeren, um sie einzumachen, zerschneide«. Die Art, wie Jupiter die neuen Gestalten zugerichtet, ist possirlich erzählt. Seitdem nun, sagt der Dichter, sei jene unaussprechliche Sehnsucht entstanden, mit der die Hälften jede nach der ihr fehlenden sucht, und beide sich umschlingen, um wieder zusammenzuwachsen; seitdem sei die gegenseitige Liebe den Menschen ungeboren und bestrebt, aus Zweien Eins zu machen und den vollkommenen Menschen wieder herzustellen.

Lina hatte, mit etwas angeglühten Wangen auf ihre Nähterei niederblickend, schweigsam zugehört, wobei sie mit hastiger Nadel, in kurzen Stichen, den unschuldigen Zwirn durch das seine Leinen zog, Erst als der Freund zur Betrachtung überging, ruhte die geschäftige Rechte neben dem angeschraubten Nähekissen und die Linke auf der schönen Brust, als ob sie die Empfindungen behüten müßte, die da aufwogen könnten.

Ja, Lina, sagte Hermann, so keck und ausgelassen die Arabesken sind, mit denen der Poet sein Gedankenbild umrankt, so ernst und tiefsinnig ist seine übersinnliche Anschauung selbst. Der Einzelne ist also nie, was er nach der Idee der Menschheit sein sollte, und so entsteht in dem edlern Menschen, der sich mit dem sinnlichen Entzücken, seine gefundene Hälfte zu umfangen, nicht befriedigen kann, ein heißes Verlangen nach Wiederherstellung einer ursprünglichen Vollkommenheit, die nun freilich nicht mehr durch Verbindung zweier verwandten Wesen in Einer Person, sondern eben durch die Liebe erreicht wird. Diese soll das Getrennte herstellen und die zusammengehörigen Personen in einem Bunde vereinigen, was aber menschenwürdig nur unter Anerkennung des Göttlichen geschieht, das, um sich geltend zu machen, jene Spaltung bewirkte. So wird auch die tägliche Erscheinung bedeutsam, daß man sich besonders zu schönen Menschen hingezogen fühlt; es spricht sich darin die Sehnsucht nach dem verlorenen Idealen aus.

Wie herrlich! rief Lina, die zarten weißen Hände über der Brust faltend, aus der ein tiefer Seufzer sich hinter ihrer Bewunderung verbarg. Man kann sich ordentlich freuen, daß schon ein so frühes und heiteres Volk so wunderbare und schöne Anschauungen gehabt hat.

Und in welch' schönem Ausdruck der Sprache, Lina, und mit welchem Verstande der Anordnung! versetzte Hermann. So ist eine Betrachtung über das Krankhafte in der Menschheit, dem Arzt unter den Gästen Agathon's in den Mund gelegt, ein ahnungsvoller Gedanke! Die Heilung der Schäden der Menschheit, meint er nämlich, könne nur von einer übermenschlichen Macht ausgehen, von einer göttlichen Liebe, und die echt menschliche Tugend wurzle eben in dieser der armen Menschheit hülfreichen Liebe.

Eben ließen sich Stimmen und Tritte auf der Treppe hören. Lina reichte rasch dem Freunde die Hand, ihm mehr mit einem seelenvollen Blick als mit Worten zu danken. Aber Eines vergiß nicht, sagte sie. Du mußt dich mit dem Staatsrathe Müller verständigen, der dich zu der schönen Arbeit angeregt hat, und Anderes von dir erwartet, als du jetzt unternimmst. Du mußt dich mit ihm erklären, ich möchte sagen gegen ihn rechtfertigen.

Er nickte ihr seine Zustimmung zu, und sie sagte:

Wen Ludwig nur mitbringt? Ach, ich kenne schon die Stimme!

Ludwig war nämlich einer Einladung Schmerfelds nach einem etwas versteckt gelegenen Privatgarten gefolgt. Unter der lebhaften Bewegung, die mit dem Reichstag in die Residenz gekommen war, trugen die Anhänger des Kurfürsten weniger Bedenken, sich vorsichtig zu versammeln und zu berathen. Auch von auswärts mochten sich Vertraute eingefunden haben. Wenigstens brachte Ludwig den Oberstlieutenant Emmerich mit nach Hause, indem er beim Eintritt ins Zimmer sagte:

Hier bring ich dir einen lieben Gast auf die Nacht mit, Lina!

Sie empfing den ihr nicht gerade sehr angenehmen Mann mit der Heiterkeit der jüngsten glücklichen Stunde. Sie bot ihm die Hand, indem sie sagte:

Willkommen, Herr Oberstlieutenant! So lange noch kein Preis auf Ihrem rebellischen Kopfe steht, kann ich Ihnen ohne Gefahr ein weiches Kopfkissen in unserm Gastzimmer anbieten.

Unberufen drei mal! lachte Emmerich, indem er ihre Hand schüttelte. Frei bin ich wol immer gern gewesen, schöne Lady, aber vogelfrei möcht' ich gerade nicht sein. Habe mich nie gern mit Federn abgegeben.

Dann faßte er in seiner ungestümen Weise Hermann am Kopf, mit dem Ausrufe:

Glückskerl, ich muß dich küssen, als ob du mein Fleisch und Blut wärst! – Damn, lieber Heister! Einen lustigen Abend wollen wir haben. Das Donnerwetter ist glücklich vorüber mit seinen Hagelkartätschen, wie ein gutes Vorzeichen, hinter dem wir, unserm Schockschwerenothswetter voraus, einstweilen wie bei einem Siegesfeste sitzen. Der alte Abenteuerer nimmt Platz zwischen Glück und Klugheit, der Schönheit gegenüber. Vor allem, Mann der Klugheit – Wein herbei! Ich habe mich leck geschwatzt vor diesen dickohrigen Gesellen. Auch haben wir allerlei auszubringen – Pereat den Franzosen, Vivat dem Kurfürsten! Und – haben wir nicht unsern Glücksjungen da in unsern Bund einzuweihen?

Nicht so laut, lieber Oberstlieutenant! warnte Ludwig. Sie sehen, ich bin hier Wirth, und schenke zuerst Klugheit ein. Und schrecken Sie mir den Freund nicht ab, wenn Sie ihn gewinnen wollen! Hermann ist ein guter Stilist und auf solche Bombenworte nicht gefaßt. Wir wollen ihn klar und aufrichtig mit unserm Hessenbunde bekannt machen. Er weiß davon und mag sich prüfen. Aber bestürmen wollen wir ihn nicht. Er ist treu von Haus aus, und hat von Polizei wegen gelernt, vorsichtig zu sein. Dies für den Fall, daß er nichts mit uns zu thun haben will. Aber er wird's überlegen, und ist nicht ohne Edelmuth bei der Schmach, die auf unserm von Fremden unterjochten Vaterlande ruht.

Hermann, nach einigem Besinnen, erwiderte:

Ich danke Euch, daß Ihr so gutes Vertrauen zu mir habt! Ich bin so oft und gern um Euch, und es hat mich schon manchmal gedrückt, daß Ihr Euch in meiner Gegenwart gerade in Dem Zwang auflegen mußtet, worin Euer Herz am liebsten überfließt. Laßt mich also Eure Absichten kennen lernen, Eure Mittel und Wege prüfen. Offen gestanden, kann ich mich für Euern Kurfürsten gerade nicht sehr – exaltiren, oder wie ich's nennen soll. Ich meine nicht seine Person, sondern seine Fürstenansprüche. Ein Anderes aber ist Deutschland, oder wenigstens Preußen. Eine hohe Ansicht Fichte's ist in meiner Seele lebendig geworden – die Auffoderung, thätig, wirksam, sich aufopfernd für das Vaterland zu sein, das nicht entweiht werden darf durch verderbende Einmischung eines fremden, in das eigenthümliche ewige Wesen unsers Volks nicht gehörigen Einflusses. Wer nur sein unsichtbares Leben betrachtet, sagt der edle Fichte, der mag sein Vaterland im Himmel suchen. Aber für unser sichtbares Leben bedürfen wir eines sichtbaren Vaterlandes, das in der Fortdauer des Volks seine sinnliche Ewigkeit findet, und in welchem sich für dies besondere Volk alle Offenbarungen des Göttlichen auf besondere Weise mittheilen und gestalten. Wem ein solches Vaterland überliefert worden ist, und in wessen Gemüth sich Himmel und Erde, Unsichtbares und Sichtbares durchdringen, und so erst einen wahren und gediegenen Himmel erschaffen, der kämpft bis auf den letzten Blutstropfen, um den theuern Besitz ungeschmälert zu überliefern an die Folgezeit.

Herrliche, tiefe Anschauung! rief Ludwig. Wo sagt das Fichte, lieber Hermann?

In den Reden an die deutsche Nation, die er vorigen Winter in Berlin unter den Augen oder vielmehr unter den Ohren der Franzosen offen und muthig gehalten hat.

Ja, es muß ein hoher, prächtiger Mann sein, Euer Fichte! sagte Lina.

Nun ja, die versteht's auch! wendet Emmerich ein. Redensarten und kein Ende! »Hoher Mann, tiefe Gedanken« – Damn! Das sind keine Büchsenkugeln, das ist Vogeldunst für Weiberherzen. Für mich ist es zu tief! Auf Ehre, es ist für mich tiefer als irgend ein gezogener Büchsenlauf aus Birmingham! Aber – ich treffe damit, so wahr ich Emmerich heiße! – in Fichten und Franzosen, wo's Ziel steckt. Auf Ehre!

Man lachte, und Ludwig, indem er einschenkte und die Gläser umherreichte, rief:

Beides ist gut, lieber Alter – unser Fichte und Eure Flinte!



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