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Vierundzwanzigstes Kapitel

Abends saßen wir wieder am Tische im Ritter in der düstern, aber traulichen Gaststube. Beim Essen war Gabelstich zwischen einen Kanzlisten und einen Kaufmann geraten. Ich saß ihm gegenüber. Sein Auge strahlte von den Erinnerungen des Tages. – Zweifelsohne haben die Herren, fragte uns der Kanzlist in einem submissen und pedantischen Tone, heute auch Wilhelmshöhe besucht?

Erasmus ließ mich nicht zu Worte kommen und erwiderte: Zu dienen! es war famos voll dort oben, aber Sie sind zu beneiden um diese Wilhelmshöhe.

Der Kanzlist replizierte: Jawohl! unser liebes Kassel ist reich an Schönheiten. Aber wenn Sie Wilhelmshöhe einmal am zweiten Pfingsttage besuchen, so werden Sie ganz Kassel dort oben treffen.

Darum ist es unstreitig an diesem Tage am schönsten zu Kassel, rief ich, wurde aber nur von Erasmus verstanden.

Um die gegenwärtige Jahreszeit, fuhr der Kanzlist fort und tunkte das Brot in die Bratensauce, findet man selten Fremde hier. Jetzt bringen nur unsere Landstände etwas Leben in die Stadt. Es ist dieses in der Tat recht wünschenswert, immaßen dadurch Geld unter die Leute gebracht wird. –

Während der Kanzlist solchergestalt über die Landstände ein erschreckliches Seil dreht, habe ich Muße, ein Lied zu dichten, das mir schon lange auf dem Herzen gelegen hat. Ich nenne es den Tag der Vereinigung.

Wann kommst du, Tag, mit deinem heitern Glanze,
Der mir das Kleinod meines Lebens bringt?
Wann kommst du, Tag, der mit dem Myrtenkranze
Das teure Haupt der Einzigen umschlingt?
Wann wirst du mir, du sel'ger Tag, gewähren,
Was meine heiße Liebe lang ersehnt?
Tag meiner Tage, der mit Freudenzähren,
Gleich Demantkronen meine Sehnsucht krönt?

Ziel meiner Wünsche, meines ganzen Strebens!
Du Sohn des Himmels, wann begrüß' ich dich?
Tag meiner Liebe du, Tag meines Lebens,
Wann schüttest du das Füllhorn über mich?
Ach, wann mit deiner leuchtenden Aurore
Flammst du herab auf meinen dunkeln Pfad?
Wann öffnest du mir jene gold'nen Tore,
Durch die dem Göttlichen der Mensch sich naht?

Wann wird der Seelenbund geheiligt werden?
Wann werd' ich, Vater, in den ew'gen Höh'n
Mit allem, was mir teuer ist auf Erden,
Vor deinem heiligen Altare steh'n?
Dich bittend: Segne deine frohen Kinder,
Laß über ihrem Glück dein Auge sein!
Wann wird, Allmächtiger, deines Worts Verkünder
Das ird'sche Bündnis durch den Himmel weihen?

Ja, Gott, in deinem Haus, in deinen Hallen,
Wo die Gebete mit dem frommen Lied
An großen Tönen zu dem Himmel wallen,
Wo Glück und Schmerz, und Lieb' und Buße kniet, –
An heil'ger Stufe, wo in sanftem Weinen
Der Knab' einst seinen Glauben aufgebaut,
Wann wirst du dort auf ewig uns vereinen,
Wann gibst du, Herr, dem Jüngling seine Braut?

Komm, schöner Tag, nach dem die Wünsche ringen!
Denk' ich an dich, bin ich ein sel'ges Kind,
O zögre nicht, weil deine bunten Schwingen
Mit Himmeln, ach, so reich beladen sind.
Du wirst den Mut dem heißen Streben lohnen,
Der fernen Sehnsucht den geduld'gen Schmerz.
Komm, sel'ger Tag, mit deinen gold'nen Kronen,
Schütt' deine Himmel in mein glücklich Herz! –

*

Der Kanzlist hatte eben den Geist der Verfassung zitiert, einige Minister abgesetzt, großartige Armeninstitute angelegt und war – durch Gabelstichs Einfälle, mit denen dieser bald in den Kalbsbraten, bald in des Kanzlisten Patriotenherz biß, mißtrauisch geworden – auf das eben erschienene Bürgergardengesetz übergesprungen.

Sind Sie mit diesem Gesetze zufrieden? fragte Erasmus.

Kanzlist: O ja, nur wollen mir die vielen Befreiungen darin nicht gefallen.

Das würde ich weniger tadeln, nahm ein Ökonom, der bisher still dagesessen hatte, das Wort, als vielmehr die Bestimmung im § 145 dieses Gesetzes, daß, wenn eine Bürgergarde einer Landgemeinde keine 50 Mann zählt, sie keinen Hauptmann haben soll, sondern bloß einen Leutnant, einen Feldwebel, und je auf 10 Mann einen Unteroffizier.

Schon diese drei Offiziere, liebster Herr Amtsrat, rief ich, sind zu viel. Nehmen Sie doch an, daß die Bürgergarden mehrerer kleiner Dörfer in Oberhessen nur vier Mann zählen Dies ist in der Tat der Fall.. Dort muß nach § 2 des Gesetzes eine Bürgergarde bestehen. Sie darf zwar keinen Hauptmann haben, da sie nicht die gesetzliche Zahl von 50 erreicht, muß aber mit einem Leutnant, einem Feldwebel und einem Unteroffizier versehen sein. Sonach wird der vierte Mann schon bei weitem von zu vielen Vorgesetzten kommandiert.

Hier unterbrachen uns die Töne einer Drehorgel, welche vor dem Hause auf der Straße heulte. Bald hernach trat auch das Weib, welches die Orgel mit Gesang begleitet hatte, herein und sammelte Geld. – Nach einiger Zeit verloren sich die Gäste, und wir verlangten zu Bette. Erasmus und ich schliefen in einem Zimmer. Beim Auskleiden war er nachdenklich. Auf meine Frage nach der Ursache erwiderte er langsam: Ich denke eben darüber nach, wie der vierte Bürgergardist, von dem der Amtsrat sprach, und welcher ganz allein von den andern dreien befehligt wird, einige namentliche Kommandos exekutieren will, z. B. »in Sektionen brecht ab, vorwärts marsch!« Wahrlich, Eduard, dieser vierte Kerl dauert mich.

Mich nicht, sagte ich, denn es tritt ihm kein Hintermann auf die Fersen.

Das freilich, auch das Schritthalten wird ihm leicht werden. Aber gesetzt den Fall, er soll eine Straße sperren, Eduard, oder er soll ein Spalier bilden. Wie macht er's?

Dagegen gereicht's ihm zum Vorteil, sagte ich, daß, wenn er wegen Dienstvergehen eingesteckt wird, er sogleich wieder losgelassen werden muß, sobald die bewaffnete Macht des Ortes requiriert wird.

Richtig! sagte Erasmus und sprang ins Bett. Aber wenn ihn nun der Kommandeur versammelt und ihn in einen Kreis formieren läßt und am Ende ruft: »Auseinander, marsch!« Was soll er anfangen? Oder posito, er wird im Notfalle zur Landesverteidigung gebraucht und erhält Befehl, sich auf ein feindliches Regiment zu werfen und Bataillonsfeuer zu geben, wie würde er es machen? Oder er soll einen Kegel formieren, solchergestalt vorrücken und im entscheidenden Momente beide Flügel entfalten, – welche Anstrengung würd's ihn kosten, da er nicht einmal einen Flügel hat! – »Auf den ersten Zug links deployiert, Division links um!« Wie soll der Kerl deployieren? – »Öffnet die Glieder!« das kann niemand ohne Unbilligkeit von ihm verlangen. Höchstens das Maul würde er aufsperren. – »Auf den ersten Zug schließt die Kolonne!« Der Zug ließe sich wohl tun, aber die Kolonne ist bedenklich. Was kann eine solche Bürgergarde im Felde tun?

»Dritten Mann abschlagen« Ein bekanntes Spiel., sagt' ich.

»Richtpunkte vor!« »Division mit Zügen vom rechten nach dem linken Flügel vorwärts abmarschiert!« oder »In Reihen gesetzt, Division rechts um! Marsch!«

Lassen wir ihn! fiel ich ein, als Gabelstich im Bette immer fortkommandierte. Ich bin müde und will schlafen.

Das Licht wurde ausgelöscht. Doch der Schlaf schien mich zu fliehen. Es war stockfinster. Keiner von uns rührte sich. Ich überdachte die Begebenheiten des Tages und verlor mich in allerhand Gedanken. Ungefähr nach einer halben Stunde hört' ich plötzlich, wie Erasmus, den ich längst schlafend glaubte, laut wurde und vor sich hin murmelte: rumbumbum! rumbumbum! didirumbumbum!

Was machst du denn, Gabelstich?

Er entschuldigte sich, mich gestört zu haben. Ich dachte mir soeben, sagt' er, wie der Kerl zugleich Tambour sein könnte, und wie er morgens umherwanderte und sich seine eigene Reveille schlüge.

Entschlage dich dessen, rief ich, und schlafe doch endlich. Er versprach es.

Nach einiger Zeit begann ich in das Reich der Träume hinüberzuschlummern. Bilder aus Lenzbach umgaukelten mich, mit denen sich die Abendgesellschaft im Ritter toll vermischte. Ich saß wieder an die Türe der Bodenkammer hingekauert, worin die einsame Harfe stand, und sah Regimenter vorbeimarschieren. Darauf kamen die Landstände in Prozession einhergezogen, mit sanfter lieblicher Harfenmusik, und der Kanzlist marschierte voran und dozierte und jodelte dazu, wie die Gebrüder Leo. Als aber die Harfenmusik begann, da öffnete sich plötzlich die Bodenkammer, und ich hörte meinen Namen rufen. Ich schrak zusammen.

Lieber Eduard, sagte zaghaft Erasmus, eins quält mich noch. Wenn der Kerl ein Karree formieren soll –

Ei, in des drei Teufels Namen, rief ich ärgerlich, so mag er sehen, wie er es zustande kriegt. Höre endlich auf.

Ich bin auch nun vollkommen beruhigt, sagte der Freund, und legte sich auf die andere Seite. Es mag mit dem Kerl gehen, wie Gott will, und die Kavallerie mag ihn meinetwegen nach allen vier Winden zersprengen. – Hier schlief der Theologe ein.


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