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Einundzwanzigstes Kapitel

Ich will die Geschichte des Dachmenschen, da ich noch frohere Dinge im Kopfe habe, später bei Gelegenheit erzählen. –

Es war im nächsten Sommer, als ich ihm den Vorschlag tat, einen Ausflug nach Kassel zu Pferde zu machen. Ich hoffte von dieser Partie die beste Zerstreuung für Gabelstich. Er nahm's an, die Wechsel waren frisch von Hause angekommen.

Am Morgen eines freundlichen Sonntags standen vor der Grundewaldschen Haustür zwei Reitpferde. Christian, der Lehrling, flog die Treppe auf und nieder. Christine, die Magd, war in voller Tätigkeit. Haase, der Stiefelwichserjunge sprang, wie ein gehetzter Hund, treppauf, treppab. Wenn wir noch zum Essen im Ritter zu Kassel anlangen wollten, so war es die höchste Zeit, daß wir uns aufschwangen. Ich war bereit bis auf die Füllung meines Tabaksbeutels. Hiermit in meiner Stube beschäftigt, fragte ich aus Leibeskräften den Theologen, ob er fertig sei? Ich hörte keine Antwort, aber ein Lärmen auf dem Fußboden der Dachstube, so daß die Fenster zitterten, und dabei ein unterdrücktes Stöhnen und Seufzen. Ich eilte hinauf. Der Anblick, der sich mir hier darbot, war sehr traurig, und ich habe keine Farben, um die Qualen, in denen ich Erasmus fand, zu beschreiben. Er stand in der Stube, hatte die Brille auf der Nase, ein paar große steife Vatermörder um den Hals, über welche jedoch kein Tuch gebunden war, keinen Rock an, auf der Brust eine Chemisette, übrigens Reithosen, mit Leder besetzt und am linken Fuß einen neuen Stiefel. In den Strippen des andern aber, der erst halb am rechten Fuße saß, steckten seine Finger, und Gabelstich marschierte auf diese Weise mit dem halb angezogenen Stiefel unter Seufzern, die immer matter wurden, aus einer Ecke der Stube in die andere.

Eile dich doch, rief ich, wir kommen sonst zu spät nach Kassel.

Grimmig, wie ich ihn noch nie gesehen, und mit kirschbraunem Gesicht schrie er: Soll ich denn in der Residenzstadt des Kurfürstentums mit einem Kothurn herumhinken? Den linken zog ich vor einundeinhalb Stunde ohne Schwierigkeit an, nur der rechte – (er schob die Unterlippe weit über die Oberlippe, machte wiederholte Anstrengungen und sprach mit stöhnender Unterbrechung:) Siehst du, es ist ein Elend – ohne Zweifel kommen wir viel zu spät – die beste Zeit geht vorüber – und mich hält hier das Schicksal in Gestalt – eines zweinähtigen Halunken. – Jetzt ließ er resigniert die matten Arme sinken und sagte: Eduard, reis' allein, sei vergnügt und denke mein!

Zeichnung Hans A. Müller

Komm! rief ich dem Verzweifelten zu, ich will dir helfen. Nötigenfalls schmieren wir die Ferse mit Seife. Aber tue doch deine Vatermörder ab, sie genieren dich ja.

Sage mir nur, fragte der Gequälte überrascht und heiter, warum ich diese Vatermörder eher anzog, als die Stiefel? Na, probiere deine Kunst!

Nun tanzten wir beide gemeinschaftlich, zusammen auf drei Beinen, in der Stube umher.

Hätt' ich den Schuhmacher hier, sprach Erasmus keuchend beim Klaviere, ich knüpft' ihn auf. – Es geht nicht, Eduard, rief er beim Sofa, eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als mein Fuß durch dieses Kalbsleder.

Halt still! rief ich, und arbeite nicht mit den Zehen!

Um wieviel Uhr springen die Wasser in Wilhelmshöhe? stöhnte er beim Fenster.

Um drei Uhr. Fühlst du noch nicht, daß der Fuß weiter vorgeschritten?

Nicht eine Linie, seufzt' er. Er hat sich festgefahren. Die Fußspitze steht offenbar nach Norden, während der Stiefel südlich strebt.

Wir waren eben beim Ofen angelangt, als Gabelstich, die Gelegenheit benützend, im hastigen Ärger seine Chemisette wieder abriß und von sich warf. Ach, laß es nur gut sein, (sagt' er kleinmütig, als ob wir mit einem großen Satze wieder beim Fenster angekommen waren) ich will Haase rufen. – Er hinkte nach dem Treppengeländer und rief den Jungen.

Wie heißt der Kerl? schrie er ihm entgegen.

Wer?

Der Schuhmacher.

Stake.

Gott! klagte weinerlich Erasmus, Stake heißt der Kerl! Stake! Stake! Stake! Wie kann man nur Stake heißen? Lieber, guter Haase!

Was befehlen Sie?

Ziehe mir den Stiefel wieder aus!

Ich meinte, Sie wollten nach Kassel.

Drum eben, Schafskopf! Ziehe mir den Stiefel wieder aus und hole Seife!

Die Seife kam. Der Fuß fuhr aus dem Stiefel, und mit ihm der Stiefelwichserjunge in die Stubenecke. Erasmus saß auf dem Sofa, und Haase wichste mit der Seife des Theologen Ferse. – Schmiere nur ordentlich, lieber Haase, sagte in freudiger Hoffnung Erasmus. Wenn alle Stricke reißen, so zieh' ich einen Schuh an den rechten Fuß und reite an deiner linken Seite, Eduard, dann wird's ja niemand sehen. – Der Junge wichste fortwährend mit Eifer.

*

Während Haase seift, sperre ein kurhessischer Obergerichts-Referendar den Mund auf, damit ich ihm ein Gedicht hineinlege, das ich expreß für ihn gemacht habe. Er singe, bis Gabelstich das Kalbsleder angerutscht ist.

Du trauriges Philisterleben,
Was kann mir deine Herrlichkeit
Für einen einzigen Tag nur geben
Aus meiner frohen Burschenzeit?
Am Sessionstisch angebunden,
Dem Sklav' an der Galeere gleich.
Wird, denk' ich an die trauten Stunden,
Vor Wehmut meine Seele weich.

Euch, Brüder, die ihr euch der alten
Fidelen Zeit mit mir gefreut,
Euch, die nun höhere Gewalten
Längst in die neue Welt zerstreut,
Euch, deren ich so oft und gerne
Mit brüderlichem Sinn gedacht, –
Ein treuer Gruß aus weiter Ferne
Sei dieses Lied euch dargebracht!

Drei Farben, wißt ihr, Kameraden?
Drei Farben taten unsern Bund
Der Waffen und der Seelen, taten
Verachtung der Gemeinheit kund.
Ein farb'ges Band den Protektoren
Und Schnuren, schrecklich anzuschau'n,
Umschlang des Jünglings Brust, erkoren,
Darin die Freiheit aufzubau'n.

Drei Farben leuchteten vom Schläger,
Wenn's Rache bitt'rer Kränkung galt.
Es schleppte still den Ehrenträger
Der Fuchs hinaus zum nahen Wald.
Und dort umfing uns Abendmilde,
Die Herden zogen heim durchs Tal,
Und lächelnd ruhten die Gefilde
Ringsum im gold'nen Sonnenstrahl.

Nicht weit, wo von der Felsenmauer
Die klare Well' herniederfällt,
Dort war ein Füchslein auf die Lauer
Als treuer Wächter ausgestellt.
Nun schritt man ernst zum blut'gen Gange,
Und laut am schauerlichen Ort,
Am dumpfen, feierlichen Klange
Ertönte das Kommandowort.

Wir schlugen mutig in die Schanze
Das Leben für die Lieb' und Ehr',
Ernst ging es bei dem Schlägertanze
Und lustig bei Banketten her.
Doch, Brüder, wenn der Schläger ruhte,
Getaucht ins warme Blut hinein,
Dann wuscht ihr mit dem warmen Blute
Mir meine Lieb' und Ehre rein.

O selig, wenn mit Louisdoren
Der Bote von der Heimat kam!
Doch schnell war ihre Spur verloren,
Sobald der Bote Abschied nahm.
Und dennoch sah uns niemand düster
Und traurig, wenn die Kasse litt,
Der untertänige Philister
Bot unverwüstlichen Kredit.

Dann waren wir der Welt Gebieter,
Dann tönten laut in reiner Lust
Die Hochgesänge deutscher Lieder
Von Lieb' und Wein aus freier Brust.
Wir saßen, bis die Sterne sanken.
Verschmähend stiller Nächte Ruh,
Wir saßen fröhlich da und tranken
Dem ernsten Leben Smollis zu.

»Smollis, ihr Füchse! werdet weiser,
Und trinkt, wenn ihr Komment versteht.«
»Smollis, ihr Herrn, ihr alten Häuser!«
»Fiducit, seliger Poet!«
»Ich trinke diesen vollen Becher
Der ganzen linken Reihe vor,«
»Trinkt, Brüder! trinkt, fidele Zecher!
Ertöne, frohes Jubelchor!«

Der schöne Louis sprach von Käthchen,
Auch du, Bartolus, altes Haus,
Du brachtest deinem treuen Mädchen
Manch donnergleiches Vivat aus.
Der blasse Karl sprach von Erschießen
Und von verschmähter Liebe Pein,
Und ließ den Scharlachberger fließen
Und stürzt' ein volles Glas hinein!

Jetzt ward es still, es neigten alle
Ihr Ohr dem ernsten Hochgesang,
Als nun mit königlichem Schalle
Pomphaft »der Landesvater« klang.
Es schnitt die Klinge durch die Hüte,
Der Schläger ging von Hand zu Hand,
Und Schwüre deutscher Männerblüte
Ertönten dir, mein Vaterland.

Den strengen Herrn Prorektor führte
Der Weg just bei dem Haus vorbei,
Magnifizenz skandalisierte
Sich höchlich über das Geschrei.
Den Hofrat aber gegenüber
Floh Morpheus, und er schrie im Bett:
So wollt' ich ja beim Himmel lieber,
Der Teufel hielte dort Bankett!

O hypochondrisches Gemüte!
O grämliche Magnifizenz!
Seht, ich vergeb' Euch, denn es blühte,
Euch damals keiner Jugend Lenz.
Doch merkt, ihr Herrn, auf meine Rede,
Euch warnt der alte Musensohn:
Sprecht nie in eurer Weisheit schnöde
Dem gold'nen Traum der Jugend Hohn!

Ich war ein Gott, ach, damals drückte,
Noch keine Sorge mein Gemüt,
Die Blumen waren, die ich pflückte,
Aus frischem Boden aufgeblüht.
Ja, als die Welt, das ganze Leben
In allen Schätzen vor mir lag,
Schlug meine Seel' in mächt'gem Streben
Noch kühner ihren Flügelschlag.

Nun ist's vorbei, der Traum verklungen,
Die Ideale sind entfloh'n,
Ein Knecht, leibeigen und gedungen,
Ist nun der freie Musensohn.
Die Akten und die gift'gen Sorgen
Umlagern mich, es wiederkäut
Sich heute ekelhaft wie morgen
Die traurige Alltäglichkeit.

Ach, alles hast du mir genommen,
Du ödes Philisterium,
Den Glauben selbst, den kindlichfrommen,
An meiner Freundschaft Heiligtum.
Gib mir die herrlichen Gefühle
Von Leben, Lieb' und Menschenglück,
Gib meiner Träume gold'ne Spiele
Und meine Hoffnungen zurück!

Du trauriges Philisterleben,
Was kann mir deine Herrlichkeit
Für einen einz'gen Tag nur geben
Aus meiner frohen Burschenzeit?
Am Sessionstisch angebunden,
Dem Sklav' an der Galeere gleich,
Wird, denk' ich an die trauten Stunden,
Vor Wehmut meine Seele weich!


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