Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweites Kapitel

Wer verdarb mir wieder dieses Kapitel? Der Probator Lamlius trägt allein die Schuld, obgleich ich selbst auch offenbar zuviel riskiert habe.

War' ich nicht gleich mit dem ersten Kapitel wie mit der Tür ins Haus gefallen, sondern hätt ich eine ordentliche Vorrede geschrieben, wie's einem soliden Bücherschreiber geziemt, so hätt' ich mich darin bequem ärgern können darüber, daß ich den Prinz Rosa-Stramin nun schon zehnmal angefangen habe, und mir allemal was dazwischen gefahren ist. Dann wäre Lamlius in die Vorrede hineingeregnet, statt in das erste Kapitel, und ich hätte ihn bequem benutzen können. Nun er mir oder in das erste Kapitel hineingeriet, wo ich ganz andere Dinge zu erzählen gedachte, hat er um dieses mich und den Leser schändlich geprellt. Nämlich ich schreibe diese gegenwärtigen Zeilen an einem schönen Frühlingsmorgen, während ich zu Kassel auf einer Anhöhe vor dem Frankfurter Tore in der Laube eines öffentlichen Gartens sitze, wohin um diese Tageszeit niemand zu gehen pflegt, und wo ich den Rosa-Stramin glücklich anzufangen gedachte. Die Natur hängt voll Blüten, voll Gesang und Purpurschein. Die Kellner putzen um mich her mit großen Schwämmen die Tische ab. Wie ich eben im besten Schreiben bin, kommt der Probator Lamlius daher und fragt: »Sie dichten wohl schon so frühe, Herr Doktor? sind vielleicht noch nüchtern?« Ich sagte! »Jawohl, Herr Probator, die Morgenstunde hat Gold im Munde, und bei nüchternem Magen geht's am besten.« Aber ich habe mich über diese Philisterei so alteriert, daß ich notwendig das erste Kapitel vor dem Knie abbrechen mußte, habe jedoch mein Unglück der Welt nicht vorenthalten wollen. Es müßte eigentlich von Polizei wegen verboten werden, an schönen Frühlingsmorgen die Lamlii herauszulassen.

Da der Leser nun doch einmal in meine Werkstätte hineingeguckt hat, so mag er auch noch mehr sehen.

Ich habe einen goldenen, heiligen, singenden Frühlingsmorgen vor mir. Die Sonne ist schon vor einer Stunde aufgegangen, obgleich der Leser noch im heißen Federbette steckt.

Die Gegend glüht in einer rosigen, feenartigen Beleuchtung und hat ein so kindliches Ansehen, der Äther ist so klar, so glockenrein, so lauter bis an die fernsten Gebirge, daß es mir ist, als dürft' ich der Natur, weil ich so frühe andächtig vor ihr stehe, einmal recht tief in die seelenvollen Augen blicken. Alles lärmt und jubelt um mich her: der fragende helle Ton der Drossel, das ferne hohe Wirbeln der Lerche, das scharfe Geschrei vorüberrauschender Schwalben, das nahe Ziepen kluger Spatzen, entferntes Hahnengekrähe und Hundegebell. Und wie sich die rötlichen Äcker, an denen ferne gebückte Menschen stehen und arbeiten, abwechselnd mit dunkelgrünen und gelben Vierecks und dem reifenden Hellgrün der jungen Saat, gleich ausgespannten Tüchern vor mir ausdehnen; wie sich der Fluß träumerisch und mit tanzenden Silberblitzen an dem Berge hin in das Tal schmiegt, wo weiße Häuschen wie Punkte im Sonnenscheine leuchten, und wie die glänzende Taube im azurnen Äther sich schaukelt und wiegt, und wie mit blühenden Kastanien besetzt, die lebendige Heerstraße sich vor mir hindehnt und über die Berge läuft und mit sich fortreißt die vergebliche Sehnsucht nach den Alpen und nach dem glücklichen Italien; wie nun da unten die Frachtwagen knarren, und die Pferde klingeln, und die Peitsche knallt, und das rohfröhliche Gespräch der Fuhrleute heraufdringt, und die Steinklopfer gekrümmt an der Straße stehen, und ihr Hammerschlag soviel später zum Ohre dringt, als er fällt, und wie das Hirtenhorn den langen, fröhlichen Ton erschallen läßt, und wie die Kuh zögernd aus dem Stalle tritt, sich umschaut mit dem großen schönen dummen Auge, und mit Anstrengung brüllt, – da läutet plötzlich die Glocke des nahen Dorfes einförmig und singend und summend, und doch so lieblich, so erinnernd, so gemütlich, als sollte in der Natur die Frühmesse beginnen. In der Ferne ruft der prophetische Kuckuck, und ein Schuß tönt weithin verhallend und müde durch die Gebirge. Links unten liegt die düstere Aue mit großartigen Baumgruppen und üppigen gewölbten Wipfeln, und rechts auf einem Hintergrund von Waldwogen und vollem weichem Baumschlage das Wilhelmshöher Schloß, und weiter hinauf die Löwenburg, halb versteckt und bescheiden, wie eine an den Busen von Wilhelmshöhe gesteckte verwelkte Blume liebender Erinnerung. Neben mir blüht die ostereierfarbige Levkoje, der orangenfarbige Lack und der goldregnende Bohnenbaum. Und wenn jetzt die Schwarzamsel dort auf dem Apfelbaum den hellen Metallton durch die Lüfte zieht, und auf- und niedertauchende Schwalben im Schnellfluge sich kreuzen und jubelnd in dem rosigen Lichtmeer sich baden, und im duftigen Äther bis fernhin alles singt und summt und läutet und bellt und jubelt und lärmt, und wie alles Lied, Liebe und Leben ist, – da möcht ich hinsinken auf die Knie und rufen: du unendlicher lieber Vater, wie ist deine Welt so schön!

O, was gleicht diesem Morgen? Rosa-Stramin, nenne mir den teuersten Namen!

»Henriette.«

Henriette ich liebe dich, und du bist schön wie dieser Morgen. – –

Eigentlich hätt' ich Lust, noch ein bißchen in die schöne Natur hineinzuplaudern, aber ich möchte zugleich in etwas anderes hineinplaudern, nämlich in dein Herz, lieber Leser, und ich wollte, du wärest mir gut, dann sähe ich dir mit mehr Mut ins Auge, und plauderte dir so viele Kapitel vor, als du haben wolltest, und riefe aus jeder Falte meines Herzens, aus jedem Kämmerchen meiner Seele, irgend etwas hervor, was dir Freude machte, und holte dir, wie ein glückliches Kind, alle meine Spielsachen und Bilder herbei. – O! sei meinem Rosa-Stramin nicht gram! ich schreib' ihn mit soviel Lust, mit soviel Freude! –

Es soll mich wundern, was dieses Buch eigentlich enthalten wird. Mit größerem Leichtsinne hat noch kein Autor ein Buch begonnen, denn noch kein Sterbenswort weiß ich vom Inhalte der folgenden Kapitel. Der liebe Gott warf mir so viele Blumen und hoffnungsgrüne Zweige in meinen Lebensbach, daß ich nichts Besseres tun kann, als zu jenen Zweigen zu fliegen, mich darauf zu setzen, und solchergestalt dahinschiffend, getrost in die Welt hineinzusingen. Aus welcher Tonart, und ob nach der italienischen oder deutschen, oder welcher andern Schule, weiß der Vogel selbst nicht.


 << zurück weiter >>