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Siebentes Kapitel

Aber wahrlich, wenn auch diese Totenblume darin steht, mein Kinderleben war doch recht schön. Schade, daß es so kurz war! Als die Leute, wie im Alten Testament steht, noch ein paar hundert Jahre alt wurden, wie lange mag da die herrliche Kinderzeit gedauert haben!

Aber sie hat mit dem Lebensalter der Menschen nach und nach abgenommen. – Mir fällt bei dieser Gelegenheit ein, daß es endlich im siebenten Kapitel einmal Zeit ist, mich von einer wissenschaftlichen Seite zu zeigen. Ich tue dies durch Aufstellung zweier Hypothesen.

Erste Hypothese

Der Untergang der Menschheit wird weder durch Feuer, noch durch Wasser, und überhaupt nicht gewaltsam geschehen. Die Lebensjahre der Menschen werden vielmehr in derselben Progression, wie bisher seit Methusalem, nach und nach abnehmen, bis am Ende gar kein Leben mehr ist und jeder Mensch so wenig alt wird, daß er gar nicht einmal geboren wird, und folglich die Menschheit demnächst ausgehet wie ein Nachtlicht. Ich verkenne keineswegs die Zweifelsgründe, welche der Leser opponieren wird, z. B.: das Normallebensalter der Menschen sei einmal so lang gewesen als das andere Mal, aber die Menschen lebten jetzt geschwinder. Von hier bis Braunschweig sei es immer gleich weit gewesen, aber die Eilwagen seien erfunden, und wenn die Eisenbahnen im Gange seien, gehe es noch schneller. Hieraus erwidere ich: Eben das spricht für mich. Es wird in demselben Maße fortgehen. Die Menschen leben und fahren am Ende so schnell, daß das Leben und das Reisen nach und nach in eine Stunde, Minute, Sekunde, Tertie u. s. w. zusammengepreßt wird, und die Menschen das Geborenwerden sich am Ende ganz sparen können. Hiermit ist der Leser aus dem Felde geschlagen.

Zweite Hypothese.

Ein Brief kommt, wenn's so fort geht, am Ende eher an, eh' er geschrieben wird, was weiter keines Beweises bedarf. –

Nicht ohne Geschick knüpf' ich hieran einiges über das Reisen überhaupt. Es wundert mich, wie ich zu diesem Mute komme, da ich selbst so wenig in die Welt gekommen bin, nämlich nicht weiter als nach Berlin, und von dieser Reise weiß ich nicht viel zu sagen. Ohnehin war es damals sehr schmutziges und schlackriges Wetter, und meine Reisebilder würden daher nur denen von H. Heine gleichen. – Ach, seufzte ich oft, mit einem Fuß im Bette, nachdem ich im Römischen Kaiser zu Abend gegessen hatte, ach, wenn ich doch ein Vielgereister wäre! Und dann machte ich, schon halb im Traume, folgende Reflexionen.

Es gibt, dacht' ich, verschiedene Klassen von Reisenden, erstens reisende Menschen und zweitens reißende Tiere. A. Die reisenden Menschen zerfallen wieder in verschiedene Klassen, nämlich a) in leidliche und b) unleidliche Menschen. Zu den leidlichen gehören diejenigen Handlungscommis, welche so wenig als möglich reden. Zu den unleidlichen gehören 1. diejenigen, welche im Eilwagen die Beine nicht unterzubringen wissen; 2. diejenigen, welche zwanzig Schachteln und Pakete und Reisesäcke mit sich führen, 3. die, welche, wenn sie eingeschlafen sind, sich auf andern wachsamen Christen herumrekeln, und 4. der Mineralog von Nordhausen. Nämlich als ich mal durch Nordhausen reiste, und an diesem Orte abends um zehn Uhr der Eilwagen eben wieder abfahren sollte, kam etwas plötzlich in denselben hereingekrochen und hereingestottert und suchte im Dunkeln seine Sitznummer. Ein Student, der den Rücksitz vorzog, wollte dem Fremden einen Vordersitz, als den gesuchten Platz, anweisen, was sich aber das Ding nicht gefallen ließ. Es sagte, seine Mutter hätte ihm bei der Abreise gesagt, es solle sich auf der Reise ja nicht genieren und sich nichts gefallen lassen. Nach lautem Zank, bei dem niemand ernsthaft war, als das fremde stotternde Ding, behielt dieses recht und setzte sich neben mich. Aber es dauerte eine halbe Stunde, bis es zur Ruhe kam, und mir auf einmal ein sechspfündiger Stein, der in ein Taschentuch gewickelt war, auf die Füße fiel. Als es Tag wurde, guckte ich dem Kerl ins Gesicht, da war's ein Mineralog. 5. gehört zu den unleidlichen Reisenden ich selbst, als ich vorige Ostern von Braunschwelg nach Hause reiste und ganz allein im Wagen saß. B. Die reißenden Tiere (hier legte ich mich auf die linke Seite und verlor schon alle Logik) sind entweder 1. fleischfressende. Dahin gehören vorzüglich die reisenden Engländer, welche auf dem Kopfe eine Nachtmütze, im Kopfe den Spleen, in der Brust nichts, im Magen ein Beefsteak und in den Füßen das Podagra haben, oder 2. Bonbons fressende, oder 3. Menschen fressende Tiere. Zu den letzteren gehören die groben Condukteurs, die einen bei jeder Frage anschnauzen. Auch gehört hierher die van Akensche Menagerie. Außerdem gibt's auch noch reisende Violinen, denn meine Violine ist einmal ganz allein, und ohne mich, statt nach Marburg, wohin ich sie mitnehmen wollte, nach Straßburg gereist.

Bei der Akenschen Menagerie fiel mir (und hier wurde ich wieder etwas munterer) der Seehund ein, der vor zwei Jahren in Kassel zu sehen war. Auf dem Anschlagezettel war er groß abgemalt. Aber kein Mensch sah es dem Seehund an, daß er eigentlich ein Schneidergeselle aus Vacha war. Viele Lehrer gingen mit ganzen Banden und Karawanen van Schülern hin, um das nie gesehene Tier in Augenschein zu nehmen, und kamen hernach seelenvergnügt, weil sie ihre Kenntnisse um ein Großes bereichert hatten, aus der Bude des Seehundes zurück, – bis die Polizei auch hinkam und sagte: Spitzbube du! jetzt fährst du sogleich aus der Haut! Und darauf fuhr der Schneidergeselle sogleich aus der Haut. Du Seehund! schimpfte der Polizeidiener hinter ihm her.

Daß mich aber gerade das Gasthaus zum Römischen Kaiser auf diese Dinge brachte, kam daher, daß ich daselbst immer reisende Handlungsdiener, vorzüglich Weinhändler, fand, und nie habe ich deren Nähe verlassen, ohne an Vielseitigkeit bedeutend gewonnen zu haben.

Um dieses mein Buch gemeinnütziger zu machen, und da mich vielleicht hier und da ein Weinhändler lesen wird, ich auch mit dem Prinz Rosa-Stramin noch eine schuldige Ohm zu decken gedenke, so will ich hier als Resultat meiner römisch-kaiserlichen Erfahrungen eine Instruction für einen jungen Weinhändler, der in die Welt reist, entwerfen.

Schon oben wird er nicht übersehen haben, daß ich Handlungsdiener, die so wenig als möglich reden, zu den leidlichen Reisenden rechnete. Diesen Wink benutze unser junger Freund, und bedenke, daß wenn ein schweigender Commis schon leidlich ist, ein redender angenehm, ein vielschwatzender sogar sehr angenehm, und einer, dessen Mund ein Perpetuum mobile ist, ein wahrer Ausbund von Liebenswürdigkeit sein muß. Er mache es sich also zum ersten Grundsatz, recht viel zu reden. Sein Mund sei eine beständig gehende überschlägige Mühle. Es sei weit entfernt von mir, zu glauben, daß einmal Dinge vorkommen könnten, von denen unser junger Freund nichts verstände, und über welche er also nicht den Mut hätte zu reden. Sollte aber unverhofft dieser Fall eintreten, so waffne er sich mit dem Medusenschilde der Frechheit und versteinere alles. Da es aber keineswegs einerlei ist, wie man redet, vielmehr das Wenigste auf den Inhalt und alles auf den Dialekt und die Art des Vortrages ankommen muß, so geb' ich ihm hierfür folgende Regeln. Er gewöhne sich den Bremer Dialekt an, teils weil er hierdurch zeigt, er sei in Bremen bekannt, teils weil dieser Dialekt unter den übrigen Weinhändlern doch der gewöhnliche ist. Er sei also kein Sonderling und mache sich nicht lächerlich durch die Schwachheit, seinen eigenen Dialekt zu reden. Er mag reden, worüber er will, so bringe er doch so häufig als möglich gewisse interessante Wendungen und Worte an. Er sage, so oft es angeht: »ja woll ja!« oder er fange seine Sätze mit: »wissen Sie?« an, oder er spreche häufig, wenn er aus Bremen erzählen will, »bei uns« statt »zu Bremen«. Es wird nicht leicht ein Zuhörer so albern und unbewandert in der Geographie sein, um nicht sogleich zu wissen, daß »bei uns« so viel heißt als »in Bremen«. Er erzähle, daß er die Bremer Giftmischerin, Madame Gottfried, habe hinrichten sehen, und lüge bei der Zahl der Vergifteten ein paar hundert Opfer zu. Er sei beim Vortrage seiner Ideen so mobil, als seine Lippen, was ihm durch die weichen Stiefeln mit den dünnen Sohlen sehr erleichtert wird. Er schlage häufig hinten aus. Er imponiere beim Reden durch die stete Gefahr, die Umstehenden in die Augen zu stoßen, oder am Kopfe zu fassen. Aber eben dadurch, daß er es nicht tut, zeige er seine Gewandtheit. Will er mit jemand auf eine feine Weise ein Gespräch anknüpfen, so tue er es mit den Worten: »Für wen reisen Sie?« Er übe sich in Räsonnements über die Zollverbindung. Er kenne alle Entfernungen und Orte und Posten und Gasthäuser und Wege. Bei Erwähnung der Gasthäuser jedoch nenne er diese nie bei ihrem Schilde, sondern bei dem Namen des Wirtes, z. B. bei Schulze, bei Müller, bei Lange etc. etc. Er sei mit jedem Gastwirt, wo er einkehrt, so bekannt und familiär wie möglich, und schäkere häufig mit ihm. Er wisse, wenn die Rede darauf kommt, genau, bei wem man auf Reisen durch Deutschland das beste Beefsteak oder die besten Saucen ißt, und, sollte sich ein Streit entspinnen, wie man den Salat am besten bereite, so sei er auf seinem Steckenpferde. Hier lasse er sich los, hier rede er freimütig, hier lasse er seine ganze Beredsamkeit fließen, hier errege er gerechtes Erstaunen über die Art und Weise, wie er den Salat sich selbst zu bereiten und wie er ihn zu speisen pflege. Er versäume dabei nicht, sich sonderbar zu nennen, weil ihm noch kein Kellner den Salat nach Geschmack bereitet habe. Seine Kleidung sei gewählt. Er kleide sich meist schwarz, aber das Tuch sei so fein als möglich, und der Glanz desselben gebe den Maßstab für den Glanz seines Geistes und seines Hauses. Den Preis des Tuches behalte er genau in acht, damit er, wenn die Rede davon ist, den wohlfeilen Kauf rühmen kann. Auf dem Kopfe bilde er sich durch Scheitelung und Kräuselung der Haare die schönsten Anlagen, damit hieraus jeder auf den Inhalt des Kopfes schließe. Die Halsbinde sei schwarz, die oben zugeknöpfte Weste großblumig und lang. An den Beinkleidern seien an beiden Seiten, in der Gegend der Weichen des Körpers kleine Taschen, um, indem die Hände darin ruhen, in Verbindung mit der Position der Füße eine vorteilhafte Stellung möglich zu machen. Er nenne, wenn er von andern reisenden Kaufleuten spricht, diese seine Collegen und den Gastwirt und jeden halben Bekannten Ihr statt Sie. Er erwähne gern (auch wenn niemand danach fragt), wohin er künftiges Frühjahr reisen werde. Ins Gasthauszimmer trete er schnell und behende ein und tue, als wär' er zu Hause. Die Marqueurs behandle er unter aller Kritik, ziehe, wenn er weggeht, einen möglichst langen Geldbeutel, in welchem sich einige Goldstücke befinden, hervor, und zeige sich von dieser Seite als einnehmend. Nach dem Abendessen gehe er in einen Conditorladen. Hier trete er mit der Überzeugung auf, daß die Ladenmamsell sich schon ein halbes Jahr lang nach ihm gesehnt. Hier entfalte er sein Talent im reichsten Maße und zeige seine Übung in Unterhaltung mit Damen; hier sei er süßer als alles im Laden. Er erwähne gelegentlich, daß er heute nicht ins Theater gegangen sei, weil er diese Oper oder dieses Schauspiel unendlich viel besser gesehen habe und verwöhnt sei. Er zeige dabei seine Kenntnis fremder Bühnen in allen großen Städten Europas und fange jede seiner Beschreibungen mit »Wissen Sie?« an, wenn auch die Ladenmamsell nichts davon weiß. Er vermeide bei diesen und andern Erzählungen nichts so sehr als die Wahrheit. Er lüge vielmehr dergestalt, daß die Fensterscheiben springen und alle Fliegen in der Stube krepieren. Er sei mit einem Worte – und hierin fass' ich die Quintessenz alles obigen zusammen – er sei möglichst unausstehlich.


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