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Zwanzigstes Kapitel

Schöner, als in Erasmi Herzen, ist es, während ich das Gegenwärtige schreibe, in der Natur.

Ist auch der Mensch voll Tück' und Lügen,
Ist doch die Erde wunderschön!
Und grinst der Haß aus Menschenzügen,
Die Liebe lacht von Tal und Höh'n.

Wie bist du sanft, du stiller Frieden,
In dem die Erde grünt und blüht,
So fern von allem Schmerz geschieden,
Der in der Brust des Menschen glüht!

Wie bist du sanft, du Lied im Haine,
Du Zephyr, der die Äste wiegt,
Du Grün der Saat im Abendscheine,
Du Blau, das auf den Bergen liegt!

Nimm du mich auf mit deiner Liebe,
Mit deinem Frieden du, Natur,
Wem auch kein Herz auf Erden bliebe,
Er hätte Trost, bliebst du ihm nur!

Das deine schlägt so warm und ewig,
Und seiner Reinheit sich bewußt,
Natur, du heil'ge, in dir leb' ich,
Und ruh' im Tod an deiner Brust. –

Mehrere Wochen nach dem, was ich im vorigen Kapitel erzählte, saß ich eines Abends spät an meinem Tische und studierte just die römische Lehre von den Eheverlöbnissen. Ich lernte dabei, daß die jungen Römer mittelst feierlicher Stipulation sich verlobten, und verglich hiermit die Weise, wie ein Verlöbnis in einem Roman eingegangen wird. Ich lernte aus L. 1 C. de sponsal, daß es der verlobten Braut erlaubt war, den Teuren zu verlassen und einen andern zu nehmen, daß aber, wer in zwei Eheverlöbnissen zugleich stand, nach L. 1 D. de his qui inf. infam wurde, und wendete den letzteren Grundsatz auf die heutige Zeit an; ich erfuhr weiter aus L. 16. C. de don. a. n., daß ein Kuß, den der Bräutigam der Braut gab, nur halb so viel wert war, als der Schal, den er ihr schenkte; daß ferner nach zwei Jahren die Rückgängigkeit des Verlöbnisses juristisch vermutet wurde, daß also die römischen Centumviral-Gerichts-Referendare alle zwei Jahre die Verlobungsszene wiederholen mußten, um Verlobte zu bleiben, – kurz, ich war im besten Zuge. Draußen orgelte der Sturmwind, als ich plötzlich über mir Erasmi Gitarre und Gesang hörte. Dabei forcierte er seine schöne Stimme zu einer Höhe, der sie nicht gewachsen war, was unangenehm klang. Er mochte wohl am Fenster stehen, denn ich konnte genau folgende Worte vernehmen:

Höre, mein Liebchen, auf meine Lieder,
Höre mich, Mädchen, ich singe für dich!
Kennst wohl die alten Töne nicht wieder?
Klingen so närrisch und wunderlich!

Ei, meine Lieder klingen ja munter,
Und der Refrain, mein Liebchen, bist du,
Klingen ja lustig und heisa! mitunter
Tanzet und weinet der Spielmann dazu.

Daß meine Lieder will niemand leiden,
Klingen so ewig und einerlei,
Mutwillig Liebchen zerriß meine Saiten,
Brach mir das goldene Spielzeug entzwei.

Ach, wer macht mir mein Spielzeug wieder?
's klingt mir so närrisch und wunderlich,
Höre, mein Kind, meine lustigen Lieder,
Höre mich, Liebchen, ich singe für dich!

Die Gitarre verstummte. Meine Violine fiel hierauf in dieselbe Tonart ein und zog den Sänger durch das verabredete Zeichen eines niedersteigenden Staccatos herunter auf meine Stube.

Er kam, brachte die Gitarre mit und schien bei voller Laune, indem er rief: Heute abend ist Polterabend bei mir gewesen, hast du nichts gehört?

Nein.

Denke dir! Ich liege auf dem Sofa und repetiere einige hebräische Psalmen. Müde vom Lesen, und da es ohnehin dämmerig wurde, legte ich das Buch beiseite und simulierte. Da auf einmal nahte sich mir eine vierbeinige Gestalt. Was fällt dir ein? rief ich, denn es war einer von meinen drei Stühlen. Aber ich blieb ganz still liegen und hörte nun folgende Apostrophe: »Mein Meister und Gebieter! Nur in dieser heiligen Stunde der Dämmerung, wo ja selbst die Brustmuskeln des Menschen zu reden pflegen, werde auch mir ein Wörtchen vergönnt. Lange hab' ich geschwiegen. Aber du weißt ja selbst, daß, wer nur einmal besessen ist, schon des Teufels wird, geschweige denn ich, der ich seit fünfzig Jahren besessen bin. Ich lasse nichts mehr auf mir sitzen. Ich bin von edler Abkunft, vom Stamme einer Eiche, und der Sturm hat mich erzogen. Ehrerbietig, aber dringend stell' ich dir vor, daß ich meinen Beinschaden nicht länger ertragen kann. Ich muß dich nämlich erinnern an die bittere Stunde, wo du wütend und mit zusammengekralltem Herzen mich faßtest und in die Ecke warfst, in donnerndem Grimme, wie wenn ein Gott eine Welt vernichtet. Seitdem wackle ich. Aber ich bitte dich inständigst, das Bein (der Stuhl hob's in die Höhe, wie Vestris) mir endlich wieder in den vorigen Stand Rechtens einzusetzen.«

Durch diese kühne Sprache (fuhr Erasmus fort) war die übrige Umgebung mutig geworden, und es nahte sich schüchtern und liebevoll meine Leib-Tabakspfeife, läutete sanft mit dem Deckel und flüsterte: »In frohen und trüben Stunden war ich bei dir; in meinen Wölkchen schwammen deine lustigen und traurigen Gedanken; auf ihnen trug ich deine Seufzer durch die Lüfte; ich küßte dir die Ruhe ins Herz, wenn du traurig warest; ich umgaukelte dich oft mit duftenden Phantasiegebilden, ich war mit dir in Freud und Leid, und in Lillerode. Oft, wenn du längst den Kopf verloren hattest, half dir der meinige aus mit irgendeinem guten Gedanken. Soll aber auch ich meinen Kopf nicht verlieren, so gib mir eine Schnur, eine einzige schlechte Schnur, und wär's auch nur ein Bindfaden.«

Jetzt begann ein lautes Wackeln und Poltern auf dem Bücherbrette. Die Bibliothek rebellierte. Die Bücher wollten neue Einbände haben. Als Volksverführer trat ein Band hervor, der Rehms Geschichte des Mittelalters enthielt, und war entsetzlich grob. Still! rief ich donnernd dazwischen, denn es wurde mir zu toll. Wie einst in Griechenland, schien alles um mich zu leben, und in jedem Ding eine Seele zu wohnen. Meine Bücher, dacht' ich, können warten und der stolze Eichensohn auch. Aber meine Pfeife nahm ich und ließ ihr für zwei Groschen eine grüne Lütze holen. Zwei und eine halbe Flasche Schneiderbier hätt' es gegeben. Aber wozu Schneiderbier? Das Poltern der Möbel im Zimmer bedeutet ja, daß der Bewohner desselben nicht lange mehr lebt. Dann ist heute abend Polterabend zu meiner Verlobung. Darauf laß uns eine Flasche Schneiderbier trinken! Ich habe rechte Lust dazu. Ich wollte, ich wäre ein lustiger Schneider, Eduard, und hätte einen hübschen Schatz, und wenn mir mein Schatz untreu würde, so wäre ich ein lustiger Schneider nach wie vor, und nähte mir bloß einen Flicklappen auf das Herzloch, und tränke alle Tage Schneiderbier und sänge: »Es ritten drei Schneider zum Tore hinaus, ade!« Laß uns einmal das Lied singen, Eduard!

Ach, du bist nicht gescheit, sagt' ich. Hier, sehe dich einmal her. Jetzt erzählst du mir die Geschichte von der Marie.

Nun, wenn du sie denn durchaus wissen willst. – Es war einmal ein Mädchen, das hieß Marie, und ein junger Bursche, der hieß mit dem ersten Buchstaben Gabelstich. Der Bursche gab dem Mädchen einen Ring und sein Herz. Das Mädchen sagte: Was soll ich mit dem Ring? Den Ring mag ich nicht! Das Herz nur behielt sie und spielte damit manchen Tag, wie die Kinder tun, so lange, bis das Spielwerk entzwei brach. Da, da war's alle, und nun ist die Geschichte aus. –

Erasmus tat einen schnarrenden Griff in die Gitarre.

Das ist keine Geschichte, das klingt wie ein Märchen.

Ich wollt', es wär' ein Märchen, dann hätt' ich nicht neulich bei dir Knabentränen geweint.

Erasmus! du mißhandelst dich selbst, das ist keine Stimmung deines Herzens und jener Marie würdig. Das sind Bitterkeiten über Dinge, die ich dir wert und heilig glaubte.

Er schwieg und spielte sanftere Akkorde.

Erzähle mir, fuhr ich fort, ruhig, ohne bittern Scherz. Laß mich die Stimme deines Herzens hören. Denke dir einmal, die Marie wäre dir recht gut gewesen, und du hättest sie vielleicht selbst gekränkt, und sie säße vielleicht daheim und weinte, ohne daß du es sähest, und hätte dich vielleicht noch recht lieb.

Erasmus spielt weichere Klänge.

Denke dir einmal, fuhr ich fort, du wärest tot, ledig alles Grames und aller Unzufriedenheit, und alles Ärgers, und sie fragten dich drüben, was aus der kleinen Marie geworden wäre, und wie dir's gegangen hätte, und wie du sie geliebt hättest, und wie alles so unglücklich gekommen wäre.

Erasmus spielte harmonischer, und seine Töne schlangen sich immer inniger ineinander, bis er mit halblauter Stimme sagte: Ja, ich will dir alles erzählen. Aber laß mich dabei fortspielen.


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