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Sechstes Kapitel

Ich sprach eben vom kleinen Louis, und es tut mir leid, daß ich darauf gekommen bin.

Die sonderbare Geschichte von diesem Knaben, der mein Bruder war, zieht allemal mit schauriger Geistermusik von kleinen Schellenbäumen, Kindertrommeln und Blechtrompeten durch meine Seele, und wenn der heilige Weihnachtsabend da ist und ich dann durch die Straßen geschlichen bin und die hellen Fenster beschaut habe, und wieder auf mein Stübchen komme, das der Christbaum aus der gegenüberliegenden Wohnung beleuchtet, dann sitz' ich noch lange im Dunkeln, halte die Hände vors Gesicht und höre jene Musik, und dann kommen kleine geflügelte Kinder mit Schellenbäumen und Trommeln und Blechtrompeten musizierend hereinmarschiert und preisen den heiligen Christ, und unter diesen Kindern ist der kleine Louis. – Er war vier Jahre alt, als einstmals im elterlichen Hause die Weihnachten herannahten. Ich war ein Jahr älter und hatte schon Verstand genug, zu wissen, daß das Christkindchen schon ein paar Tage vor Weihnachten um die Häuser schlich und sich erkundigte, ob die Kinder artig gewesen, und daß es dann heimlich und ehe wir's uns versahen, ankam und bescherte. Der kleine Louis fragte immer, wie vielmal er noch schlafen müsse, bis das Christkindchen käme? Und als nun der heilige Abend da war, da sperrte uns der Vater in die Kammer neben der Stube, weil in dieser beschert werden sollte. Wir waren in der dunklen Kammer ganz selig und klatschten in die Hände, und unsere Herzen pochten sehr. Nur der kleine Louis war, wie immer, sehr still. Nicht wahr, Eduard, fragte er sanft, ich bin artig gewesen? O, ich auch! rief ich und besann mich; aber da fiel mir's plötzlich siedeheiß auf die Seele, daß ich einmal vor einiger Zeit, meine neuen Stiefel probierend, mitten durch den tiefsten Dreck gewatet und deshalb hart gescholten worden war. Der kleine Louis stand sehnsuchtsvoll an der Kammertür und malte sich mit Hilfe des Lichtstrahls, der durch das Schlüsselloch fiel, Königreiche der Erde. Ich hörte ein Rauschen auf dem Gange, und ein heiliger Schauer durchrieselte mich. Da öffnete sich die Tür und wir stürzten jubelnd herein. Aber das Lichtmeer blendete uns. Wir wußten nicht, was wir zuerst sehen und anfassen sollten. Auf dem Tische stand ein Tannenbäumchen mit vielen Lichtern und einer Menge goldener und silberner Früchte. Um das Bäumchen herum war ein kleiner Garten von Moos mit einem fingerhohen Geländer. Darin weideten Schafe von Wachs, und dabei stand ein Hirt mit einem Hunde, und der Hirt hatte viel Gold an sich. Für mich war ein hölzerner Säbel bestimmt. Louis gefiel am besten ein kleiner Engel von Wachs, der auf einem Drahtgestelle am Bäumchen hing. Wir waren so glücklich! Der kleine Louis – ich seh' ihn noch – saß in einem gestrickten Rock auf einer Fußbank und schaute mit seinem blassen Gesichtchen, still in die Herrlichkeiten versunken, den Christbaum an, und während ich jubelnd meinen Palasch zog und wieder einsteckte, saß der Kleine noch immer da, und es war, als wollt' er verschwimmen in stiller Seligkeit über das flimmernde Elysium. Und als nun der erste Lärm vorüber war, da sollten wir zu Bette gehen. Ich war noch nicht müde, aber der kleine Louis war sehr müde. Und als ihn die Mutter ins Bett legte, da wollte er seinen Wachsengel durchaus nicht abgeben, sondern nahm ihn mit ins Bett. Wir schliefen und träumten von unserm Spielzeuge, der kleine Louis aber träumte von seinem Engel, und am andern Morgen war er tot. –

Darum, du stiller heiliger Abend, leuchtest du mir immer so wehmütig in die Seele!


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