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Elftes Kapitel

Mir fällt noch was anderes ein, wodurch ich den Leser, wenn ihm die Geschichte vom kleinen Paul zu traurig war, erheitern kann. –

Nämlich am Sonnabendabend saß ich auf meinem Sofa und schrieb. Da klopfte es leise und demütig bei mir an. Als ich »Herein!« rief, kam unter vielen Bücklingen ein abgeschabter junger Mann in einem Konfirmierfrack und mit einer großen Schachtel unterm Arm in die Stube und bat tausendmal um Verzeihung, daß er so frei wäre. Er kam mir vor wie der Adjunktus irgendeines Mädchenschullehrers vom Lande und richtig! es war auch einer. Ihn führte die Absicht zu mir, ein Gedicht zu der Kindtaufe, welche am folgenden Tage der Rektor Heinrich Lampert zu Schinkenburg feierte (woher auch der Adjunktus war), zu kaufen.

Vorausschicken muß ich, was der Leser unmöglich weiß, daß ich nämlich das Handwerk der Gelegenheitspoesie verstehe und treibe und neue Weltbürger, junge Eheleute, Geburtstagsmorgenröten und Leichenzüge ansinge, so oft's verlangt wird. Ich wiederhole hier diejenige Anzeige, die ich beim Beginn meines Geschäfts in das Wochenblatt einrücken ließ, und welche lautet:

 

»Je mehr Hindernisse Endesunterzeichneter zu überwinden hatte, um zu seinem Ziele zu gelangen, mit desto größerer Freude und Zuversicht macht derselbe jetzo einem hochansehnlichen Publikum bekannt, daß es ihm nunmehr gelungen ist, sich in hiesiger Stadt als Gelegenheitspoet zu etablieren und niederzulassen. Diejenigen, deren schändliche und eigennützige Kabalen, obgleich fruchtlos, mir den Weg zu diesem Etablissement zu versperren suchten, mögen in ihrem blassen, selbstpeinigenden Brotneide ihren gerechten Lohn finden. Ein hochansehnliches, heiratendes oder sterbendes Publikum kann nunmehr alle in das Fach der Gelegenheitspoesie einschlagende Artikel bereits vorrätig bei mir haben, und ich darf die reellsten Preise, die prompteste Bedienung und die beste Qualität versichern. – Beispielsweise heb' ich folgende Artikel hervor:

1. Hochzeitsgedichte aller Art und für alle Verhältnisse. Mehrere dieser Gedichte sind allgemein und passen auf alle Hochzeiten, andere sind für besondere Umstände berechnet, z. B. darauf, daß die Braut häßlich ist, oder eine Witwe, oder daß der Bräutigam halb so alt ist als die Braut, oder daß diese rotes Haar hat, für welchen letzteren Fall ich mit den feinsten Andeutungen auf feurige Liebe u. s. w. dienen kann. Es versteht sich von selbst, daß die Abnehmer zwischen scherzhaften, ernsten, schwärmerischen, schmeichelnden Gedichten dieser Art, auch zwischen allen möglichen Formen der lyrischen Poesie, eine reiche Auswahl haben. Der Preis richtet sich hauptsächlich nach dem Gefühle, was in dem Gedichte steckt.

2. Sterbegedichte für alle möglichen Fälle. Ich kann hierbei die Versicherung erteilen, daß in jeder Zeile dieser Gedichte Tränen fließen. Die Preise sind unerhört wohlfeil. Ein Sterbegedicht über ein Kind kostet nur 1 Gulden, über einen Jüngling 1 Taler, über einen Freund 2 Taler, d. h. ohne Verzweiflung. Mit etwas Verzweiflung kostet's 2 ½ Taler. Bei schriftlichen Bestellungen bitte ich gefälligst anzugeben, ob das Sterbegedicht, welches verlangt wird, am Schlusse ein Wiedersehen haben soll oder nicht, indem ein Sterbegedicht mit einem Wiedersehen noch einmal so teuer ist, als ein anderes. Auch macht es im Preise einen Unterschied, ob der Selige im Winter oder im Frühling gestorben ist, indem im letzteren Falle die duftenden Frühlingslüfte über das Grab säuseln, und die Nachtigallen klagen, was ich nicht unter 2 Talern ablassen kann.

3. Geburtstagsgedichte für alle Stände und für alle Tage im Jahre. Besonders schön ist eins, welches für einen Menschen bestimmt ist, der am 29. Februar eines Schaltjahres geboren ist. Dieses Gedicht kostet, wie billig, viermal so viel als ein gewöhnliches Geburtstagsgedicht. –

Noch bemerke ich, daß auch Bühnenprologe, Theaterrecensionen, Neujahrswünsche, Bonbonsdevisen und Todesanzeigen, dauerhaft und zu billigen Preisen bei mir zu haben sind. In den Prologen kommen alle neun Musen vor, sechs Tempel und drei bis vier Wolken. In den Theaterrecensionen, in welchen bloß die Namen der betreffenden Akteurs auszufüllen sind, wird Lob und Tadel auf eine geschickte Weise gemischt, so daß sie auf alle Theater und Akteurs passen, und die letzteren selbst nicht wissen, woran sie sind. In den Bonbonsdevisen wird verliebt gestichelt und in den Neujahrswünschen Methusalems Alter gewünscht. Die Wünsche sind beispiellos wohlfeil. Eine gewöhnliche Todesanzeige kostet nur 4 Groschen, eine mit Lob 8 Groschen.

Meine Wohnung ist im Causidschen Hause vor dem Wilhelmshöher Tore.

Eduard Helmer

 

»Nehmen Sie Platz!« sagte ich zu dem Adjunktus des Mädchenschullehrers aus Schinkenburg. »Ich werde Ihnen sogleich einige Carmina zur Auswahl vorlegen.« – Nachdem der junge Mann gewählt hatte, sagte ich zu ihm, ich wüßte leider nichts von Schinkenburg, und er möchte doch so gut sein und mir sagen, wo es läge und was für Menschen da lebten. Da fragte mich der Adjunktus des Mädchenschullehrers aus Schinkenburg, ob ich denn keine Zeitungen läse? Ich sagte: Nein, seitdem ich am Rosa-Stramin schriebe, hätte ich mich von der Welt gänzlich zurückgezogen, und es wäre mir ohnehin jetzt zu bunt in der Welt.

»Ja,« sagte der Adjunktus des Schullehrers aus Schinkenburg, »der Postmeister hat's immer gesagt: »Es würde einmal eine Zeit kommen, wo einem Hören und Sehen verginge, und wo keiner mehr wüßte, ob zwei mal zwei vier wäre.« Der Salbader hat's auch plausibel gemacht, und der Zwieback hat auch einmal ein Gedicht auf die Zeit gemacht. Die Schinkenburger hören und sehen nichts mehr als die Zeitungen, multiplizieren nichts mehr, als sich selber, trinken nichts als Bier, reiben sich die Hände und leben seit drei Jahren immerfort an einem Vorabend großer Ereignisse. – Es wundert mich, Herr Doktor, daß Sie nichts von Schinkenburg wissen. Der Postmeister hat's immer gesagt: »Schinkenburg wird verkannt, aber es wird eine Zeit kommen, wo man über Schinkenburg schreiben wird Sie ist schon gekommen. D. V.. Schinkenburg wird sich erheben und den Völkern zeigen, daß es die Zeichen der Zeit erkannt hat!« Und dabei hat der Einnehmer viermal mit dem Kopfe genickt und hat gesagt: Ja, ja! man erlebt jetzt viel!«

»Schinkenburg hat 2000 Einwohner. Es wohnt auch ein Adeliger da, der Herr von Römfeld. Vorm Burgtore ist eine große Wiese, – wenn man hinausgeht, linker Hand, neben Schadebachs Garten, die heißt die Kuhhute. Das Burgtor ist vor zwei Jahren neu gebaut worden, was der Stadt viel Geld gekostet hat. Der Einnehmer meinte auch neulich, wie das Kränzchen bei ihm war: »Wenn die Pariser Julirevolution nicht gewesen wäre, so hätten wir in unserm Leben kein neues Burgtor bekommen!« Und darauf hat der Postmeister gesagt »Es ist die Zeit der Reformen!«

»Schinkenburg liegt im Oberheidlande. Aber es herrscht in dem Städtchen Zwietracht und Parteisucht. In der Sängerstraße, nicht weit von der Judenschule, wohnt der Herr von Römfeld, und in der Küchenstraße wohnt ein Offizier. Die dritte Partei, das sind die übrigen Honoratioren, und die vierte ist der Plebs, der Auswurf von Schinkenburg. Die Schriftsässigen wollen wieder nichts mit den Amtssässigen zu tun haben. Sie sind wie die Hunde und Katzen, außer neulich einmal beim Konstitutions-Essen, wo alles durcheinander saß. Das war ein Zeichen, daß die Schinkenburger den Geist aufgefaßt hatten. Es hat auch damals in der Zeitung gestanden. Es war zu der Zeit, wo die Polen gegen die Russen rebellierten. Als nun der Schwanwirt bei jenem Essen aus Dummheit einen russischen Pudding auf den Tisch brachte, da ist der Doktor Gütig aufgetreten und hat gesagt: Der erste, der von dem Pudding äße, oder was davon einwickelte für die Kinder, der wäre ein Schurke! (weil's nämlich ein russischer Pudding war). – Und da hat auch keiner ein Stückchen davon gegessen, obgleich dem Notar das Wasser aus dem Munde lief. Aber am andern Tage war der Teufel wieder los. Der Einnehmer sagte oft: »Es ist eine Zeit der Parteien!« und dann ist der Postmeister aufgetreten und hat gesagt: »Ihr Mitbürger! dulden wir nicht, daß die Soldateska ihr Haupt gegen uns erhebt!« dabei hat der Postmeister auf den Offizier in der Küchenstraße gestichelt.« – –

Aber liebster Herr Adjunktus! (unterbrach ich den Adjunktus des Mädchenschullehrers zu Schinkenburg) Sie erzählen mir da so viel durcheinander, daß ich wünschen muß, Sie machten mich mit den Personen, von denen Sie reden, etwas näher bekannt.

Darauf fuhr er fort:

»Der Postmeister, verehrtester Herr, ist der Postmeister in Schinkenburg und heißt Paps. Es ist ein dummer Name. Aber der Postmeister ist ein gescheiter Mann, und die Schinkenburger haben viel Respekt vor ihm, weil er so eine barbarische Stimme hat und immer Stiefel mit Sporen trägt. Er ist ein Poltergeist und leicht in den Harnisch zu bringen. »Thurn und Taxis!« ist sein drittes Wort. Aber doch ist er sehr gemäßigt, weshalb er auch den Schinkenburgern so göttlich erscheint. Er wirft einem z. B. nie eine volle Bouteille Bier an den Kopf, sondern immer eine leere und trinkt auch nie mehr als fünf Bouteillen Bier, während die Ultras in Schinkenburg sechs trinken. Der Paps braucht gern das Wort Volk, und dabei denkt er an sich selber. Wenn irgendwo ein Straßenlärm ist, z. B. wenn die Jungen in Schinkenburg dem Herrn von Römfeld einen Kanonenschlag gelegt haben, dann denkt er an die Juliage, schimpft auf das Stadtregiment und spricht mit bleichem Antlitz, aber mit Löwenstimme: »Das sind die Folgen, und es wird noch schlimmer kommen!« Der Paps spricht auch gern von der Zeit, und daß die Aristokraten (das ist allemal ein Hieb auf den Adeligen in der Sängerstraße) die Zeit nicht verstehen. Es ist überhaupt ein barbarischer Kerl.«

»Der Doktor Gütig ist ein Arzt und der Major der Schinkenburger Stadtmiliz. Er ist eigentlich ein Damenmann, aber das Vaterland liegt ihm dabei stark am Herzen. Ich glaube, er ist aus Berlin, wenigstens hat er so einen verwünschten Dialekt, wie wenn man eine Tasse Tee trinkt, in welche jemand aus Versehen zweimal Zucker geworfen hat. Ich traue ihm gar nicht. Er trinkt auch wenig Bier. Aber er ist gewandt in der Rede. Der Salbader hat's einmal auseinandergesetzt, aber ich weiß nicht mehr recht, wie's war, daß nämlich der Postmeister mehr die Freiheit vorstellte und der Gütig mehr die Gleichheit. Denn wenn man den Doktor so von der Gleichheit sprechen hört, so geht einem das Herz auf. »Alle Menschen (sagte er einmal) sind a priori einander gleich«, und da hat der Notar gesagt: » a posteriori auch, Herr Doktor!« und da haben sie alle gelacht. Aber das erzähl' ich nur so nebenher. Ich meine, wenn der Doktor so manchmal recht bei Laune war und von der Natur sprach, und daß alles gleich in der Welt wäre, und daß man keine Mode mitzumachen brauchte, und daß alle Güter auf der Erde von Rechts wegen auch allen Menschen gehörten, und daß alle Menschen Brüder waren, – dann hat der Notar geweint, und nur der Einnehmer hat eine dumme Bemerkung gemacht und gesagt: »Vermögensverschiedenheit wäre doch eigentlich immer in der Welt gewesen.« Sackerlot! was ist da der Einnehmer abgefahren! Er hat sich auch vierzehn Tage lang nicht im Kränzchen sehen lassen. – Was nun aber dem Doktor keiner nachmacht, das sind seine Statuten. Wenn in Schinkenburg Statuten zu machen sind für den Klub, für das Bierkränzchen, für den Bund der Völker, für die »teutsche Assemblee«, für die Schinkenburger Schweinezucht, für die Schinkenburger Stadtmiliz u. s. w., so kann das niemand besser als der Teufelskerl, der Doktor Gütig. Was ihm dagegen die ganze Welt übel nimmt, daß ist, daß er so ein Haustyrann ist. Seine Frau hat sich einmal auf ihn selbst berufen und gesagt: sie wäre auch gleich und auch ein Mensch, und da hat ihr der Doktor eine Ohrfeige gegeben. O, es war ein wahrer Skandal, und zwei Tage nachher stand im Schinkenburger Volksblatt ein Aufsatz, worin stark auf diese Geschichte gestichelt wurde. Ich möchte wissen, von wem er war. Es stand bloß darunter: Anonymus. Der Doktor hat auch immer die Konstitution in der Tasche und ist ein Freund von Verwahrungen und Adressen. Der Stadtrat von Schinkenburg hat einmal an den Doktor, welcher Vorstand der teutschen Assemblee war, wegen des Gesellschaftslocals geschrieben, und dabei hatte er teutsch mit einem d geschrieben, und da hat sich die ganze teutsche Assemblee feierlich verwahrt, und der Doktor hat auch eine recht gute Schrift aufgesetzt an den Stadtrat und hat's ihm unter die Nase gerieben, daß die ganze teutsche Assemblee von Tuiskon abstamme und sich also mit einem t schriebe. Sie sagten damals alle, der Doktor wäre zu weit gegangen, aber item! es war doch gut.« –

»Nummer 3, der Steuereinnehmer Krautenfeld ist ein solider Mann von 50 Jahren und hat schon gräuliches Haar. Er trinkt immer nur eine Flasche Bier mit einem andern zusammen, weil die Landstände nur 400 Taler für die Steuereinnehmer ausgeworfen haben. Er trägt einen blauen, zweckmäßigen Oberrock, kurze Manchesterhosen, lange weiße Strümpfe und Schnallen auf den Schuhen. Er gehört zu den Liberalen, weil es schändlich wäre, zu jetziger Zeit nicht liberal zu sein. Gleichwohl gibt er jedem, der mit ihm spricht, recht, und wenn das nicht geht, z. B. wenn zwei mit ihm reden, wovon jeder anderer Meinung ist, so beklagt er die Spaltungen der Zeit im allgemeinen. Niemand geht so nett um den Hals gekleidet, als der Einnehmer. Immer hat er eine schneeweiße Halsbinde an mit kleinen bürgerlichen Vatermördern. An den Schläfen liegen die kurzen Härchen eins am andern genau so, wie er sie am Morgen mit dem nassen Kamm gekämmt hat. Der Einnehmer nennt die kriegführenden Mächte und überhaupt die Nationen gern beim Individuum, z. B. der Franzose, der Türke. Er tritt mit einem kurzen, die Aufmerksamkeit auf sich ziehenden Husten ins Zimmer und streicht dabei einmal mit dem Finger unter der Halsbinde her. Er kann das Ultrawesen in den Tod nicht leiden, und wenn irgendwo die Marseillaise gespielt wird, so kriegt er das Zittern. Seine Frau sagt oft zu ihm, eh' er ins Kränzchen geht: »Ludwig! ich bitte dich um Gottes willen, sprich ja nicht so frei! Renne dich nicht ins Unglück! Bedenke deine Frau und Kinder!« Dann macht der Einnehmer ein wichtiges Gesicht und sagt: »Suschen, das verstehst du nicht, das geht heutzutage nicht anders.« –

Hier schenkte ich dem Adjunktus des Mädchenschullehrers aus Schinkenburg ein Glas Wein ein und bat ihn, fortzufahren.


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