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Fünftes Kapitel

Wie wird mir's gehen dacht' ich schon beim zweiten Kapitel, und ich habe gar keine Courage, mit meiner Angst herauszugehen. Es ist mir nämlich was eingefallen, d. h. eingefallen ist mir eigentlich nichts, aber – – – Ei! singe mir lieber was, Rosa-Stramin!

»Dralalaidi, dralalaidi, dralalaidi!

Überm Berge, sagt er,
Steht der Mond, sagt er,
Und zum Hüttchen, sagt er,
Schaut er 'nein.

Und im Hüttchen, sagt er,
Sitzt ein Mädchen, sagt er,
Möcht' so gerne, sagt er,
Bei ihr sein.«

Weiter!

»Viele Sterne, sagt er,
Gibt's am Himmel, sagt er,
Und viel Mädchen, sagt er,
In der Welt.

Und die Sterne, sagt er,
Wissen's einzig, sagt er,
Welches Mädel, sagt er,
Mir gefällt.«

Ich wollte, ich hätte dieses Lied gemacht.

Aber ich sehe, daß ich es doch sagen muß, was mich ängstigt. Also: wie wird mir's gehen, dacht' ich, d. h. ich dachte eigentlich schon früher mal daran, d. h. ich dachte nicht gerade daran, aber – Rosa-Stramin! wir wollen noch was singen!

»Dralala, dralala, dlaidi!

Ich wollt', ich wär' ein Vögelein,
Ich wüßte, wo ich bliebe,
Ich flög' zu Liebchens Fenster 'nein,
Und säng' ihr meine Liebe.

Ich wollt' ich wär' ein Vögelein,
Ich wäre fromm und artig.
Ich wollt' kein loser Vogel sein,
Und Lieb' und Treu bewahrt' ich.«

Heraus damit! was fiel mir ein? – Daß ich könnte recensiert werden, – Und was dacht' ich? – Wie wird mir's gehen! –

Mich haben immer die courageusen Leute gefreut, die sogleich im ersten Kapitel oder in der Vorrede, oder überhaupt im ganzen Buche mit gefällter Feder auf die Recensentenwelt losgehen, die ihnen noch gar nichts getan hat, oder auf irgendeinen Recensenten, der sie einmal getroffen hat. Wie ist doch die Geschichte mit dem Pastoral-Ziegenbock? Rosa-Stramin erzähle sie einmal!

»Es war einmal ein Pastor, der hatte einen Ziegenbock, Der Ziegenbock war aber schlimm und mochte was er wollte, weil er der Liebling des Pastors war. Wer dem Ziegenbocke was tat, der tat dem Pastor was. Matz, so hieß das Tier, spielte Kriegen im Hause mit den kleinen Pastörchens, galoppierte dabei durch die Gemächer der Frau Pastorin und warf Haubenstöcke und Menschen und alles um, auch das Wägelchen der Kinder in den Graben, wenn er keine Lust mehr hatte, sie zu ziehen. Der Ziegenbock schnupperte dem Pastor aus der Hand und den Bauern aus der Küche, marschierte bei Leichenzügen mit voran und sang mit den Kantorschülern um die Wette. Er war, daß ich es kurz sage, ein wahrer Sultan im Orte. Eines Sonntags nun steht der Pastor auf der Kanzel und deduziert im voraus, wie er sowohl im ersten Teile seiner Predigt unter a und b, als auch im zweiten Teile derselben unter a und b, und 1 und 2, die Gemeinde nach und nach zur Verzweiflung zu bringen gedenke. Da, plötzlich in die offene Kirchtüre tritt Matz, der Ziegenbock. Er guckt umher und hinauf zu seinem Herrn. Wie er aber bemerkt, daß sein Herr von Dingen redet, die er, Comparent, nicht versteht, und daß ihn der Pastor ignoriert, so geht er weiter, und geradewegs den Gang entlang, der durch die Kirche führt. Die Jungen auf der Orgel konnten sich nicht halten vor Lachen. Wie Matz nun an das Ende der Kirche kommt, so sitzt da auf einem kleinen Bänkchen an der Erde ein alter Bauer. Für den ist der Samen des göttlichen Wortes, den der Pastor von der Kanzel warf, Mohnsamen gewesen, und er ist eingenippt. Das Nippen ist in der Regel auch ein Nicken, und ich habe noch keinen sitzenden Schläfer den Kopf schütteln sehen, wenn ihm nicht gerade eine Fliege auf der Nase saß. Und so fällt auch der Kopf des schlafenden Bauern vorwärts, bis er im halben Erwachen sich wieder emporreißt, um wieder zu nicken. Wie Matz den Bauern sieht, Sapperlot! denkt er, was will der? Matzens Ehrgeiz erwacht, und er setzt sich in kampfgerechte Positur dem Bauern gegenüber und erwartet den erneuten Angriff. Die Jungen auf der Orgel tobten. Der Kantor ließ verstohlen Backpfeifen klingen, statt Orgelpfeifen, und zog Ohren, statt Register. Aber was half's? Wie nun der Bauer wieder nickt, da hat's ihn der Ziegenbock gelehrt, ich meine denn! Der Bauer soll aufgewacht sein und geglaubt haben, der Teufel stände vor ihm. Aber Matz war schwer zufrieden zu stellen, bis sich endlich der Küster und zwei Kirchenälteste hineingelegt und dem Zank ein Ende gemacht haben. Wenn der Ziegenbock noch nicht gestorben ist, so lebt er noch.«

Zeichnung Hans A. Müller

Gut, Rosa-Stramin! was lernen wir hieraus?

»Autoren, die gegen ihren recensierenden Leser im voraus zu Felde ziehen, sind Matze.« –

Du lieber fremder ernster Mann, der du jetzt da sitzest und mich entweder loben oder tadeln oder keins von beiden willst! Einigermaßen zittere ich vor dir, weil dir nämlich weniger an meiner Freundlichkeit gelegen ist, als daran, was ich mitbringe, und was ich in der Tasche habe, um es dem Publikum vorzusetzen, z. B. wie viel Portionen Sentimentalität, wie viel Prisen Salz, und ob alles gehörig zubereitet und gar gekocht ist, und was ich unter humor, das weiter nichts als Flüssigkeit heißt, verstehe, ob Wasser oder Wein, oder das, was Vergil in den Georg. I. 114, Plinius in der H. N. VIII, 38 und H. Heine in den Reisebildern unter diesem Worte verstehen. Eine captatio benevolentiae ist also rein unmöglich. Du fremder strenger Mann! und dennoch verehr' ich dich dankbar als meinen Lehrer im voraus, und ich bin, wenn ich dieses Buch in die Welt trage, wie ein Kind, das mit dem ABC-Buch zum ersten Male in die Schule geht, und dessen Herz mit einer gewissen angeborenen Verehrung seinem Lehrer entgegenklopft. Wenn du mich aber zu hart strafst, z. B. mit ewigem Gefängnis in irgendeinem Buchladen, wo kein Hahn nach mir kräht, viel weniger nach mir fragt, nun so frag' ich auch nichts darnach, sondern schere mich den Henker darum. Du weißt ja nicht, was ich im ersten Kapitel alles vorgebracht hätte, wenn mir nicht der Probator Lamlius dazwischen gekommen wäre, und weißt auch nicht, was ich für Brandraketen und Leuchtkugeln in der Tasche habe, um sie in den nächsten Kapiteln in die Finsternis des Jahrhunderts zu werfen. Wüßt' ich, was in den folgenden Kapiteln zum Vorschein käme, so könnt' ich dir vielleicht ansehnliche Versprechungen machen. Na! sei mir nicht gram! Laß uns gute Freunde sein und laß das Buch laufen!

Das darf ich nicht, sagst du, ich muß es erwähnen.

Nun, so sei barmherzig.

Das darf ich nicht, das ist gegen Pflicht.

Nun, so mach es herunter!

Das darf ich nicht, wenn was Gutes daran ist.

Nun, so lob' es.

Das darf ich nicht, wenn es schlecht ist.

Nun, so donnere mich wenigstens nicht bis zur Erde hinein!

Warum nicht, wenn dir's gebührt?

Ei zum Henker! mir dir ist aber auch gar nichts anzufangen! – Ich wollte dir auch noch eine sonderbare Geschichte aus meiner Lenzbacher Knabenzeit erzählen, nämlich die mit der gemeinsamen Harfe. Auf meiner Eltern Bodenkammer stand in einer dämmerigen Ecke eine Harfe. Es war lange nicht darauf gespielt worden, und mehrere Saiten hingen zerrissen umher, und eine einsiedlerische Spinne hauste in dem trauernden Saitenspiele und hatte einen langen Faden darüber gesponnen. Niemand bekümmerte sich um die Harfe, die, an die Wand gelehnt, träumerisch wie eine weinende Erinnerung in jene Zeit versunken schien, wo es in ihr geklungen und gesungen hatte. Und zuweilen gab die Harfe einen leisen schmerzlichen Klang von sich, und ich lauschte dann an der Tür und hatte wunderliche Gedanken. Einstmals – es war Sonntags gegen Abenddämmerung – spielten wir in unserm Hause, das sehr groß war, Verstecken, oder eigentlich Anschlag, wie sie's nennen, und ich und Pastors Riekchen hatten uns oben auf die Bodentreppe gekauert, dicht an die Türe, die zu der Kammer führte, wo die Harfe stand. Da auf einmal – doch ich will dir nun die Geschichte gerade nicht erzählen, weil du so wirrisch bist. –

Ja, diese Spiele, Leser, waren allerliebst. Wir kamen alle Sonntage zusammen, bald hier, bald dort. Aber seitdem das mit der Harfe vorgefallen war, versteckte ich mich, wenn wir in unserm Hause Anschlag spielten, immer ganz allein, ohne jemand mitzunehmen, an die Tür der Bodenkammer, und in derselben Nacht weinte ich dann mein Kopfkissen naß und schluchzte, aber heimlich, damit es mein Vater nicht hörte, und ich sah auch zu der Zeit immer sehr blaß aus, so lange, bis wir aus dem Hause zogen. Noch jetzt kann ich nicht gut eine Harfe spielen hören, obgleich ich sonst gern Musik höre und auch selbst verstehe, denn schon in Lenzbach lernte ich die Geige spielen beim dortigen Mädchenschullehrer. Die ersten zusammenhängenden Töne, die ich herausbringen konnte, machten mich glücklich wie einen Vater, wenn sein Kind sprechen lernt. G-Dur war mir immer am leichtesten, und ich konnte in dieser Tonart einen Lauf spielen, mit dem ich überall Sensation erregte. Die Tonleiter war mir unausstehlich, weil sie keine Melodie in sich trug, und wer auf meiner Tonleiter hätte in das hohe E steigen wollen, hätte schon auf der zweiten Saite den Hals gebrochen. Unsere Hausflur war groß und schallreich, und hier, wo ich geigend auf und nieder ging, stimmte ich die Vorübergehenden entzückt und heiter. Wenigstens weiß ich nicht, warum sie sonst so freundlich gelacht hätten, denn an dem kleinen Geiger war doch wahrlich nichts zu lachen. Ja, ich ging noch weiter. Nahe vor dem Brückentore sind die Weinberge. Auf deren Höhe stieg ich mit der Geige und setzte mich oben auf den großen Felsen und spielte. Weithin lag die schöne, heitere Welt unter meinen Füßen. Ich spielte mir warme Rührung ins Herz, und die Töne meiner Geige schwammen verweht in der blauen Frühlingsluft. Und während ich so fiedelte, dachte ich an den lieben Gott und an den Himmel, und wie meine Eltern weinen würden, wenn ich einmal stürbe, und an mein verstorbenes Brüderchen, und an allerhand.

Was mögen die Künstler sagen, wenn sie diese heillosen Proceduren des kleinen Fiedlers erfahren? Profanation der Kunst! werden sie schreien. Der Junge hätte mir ein Jahr lang, von frühe bis abends, Skala spielen müssen, ehe er zu phantasieren sich hätte erkühnen dürfen. – Ach, ihr lieben Künstler! erbost euch doch nicht so! Eure ganze Künstlerschaft, wenn ich sie hätte, gäb' ich drum, wenn ich noch einmal wieder so auf jenem Lenzbacher Parnasse sitzen und mit denselben Gefühlen in die Welt hineingucken und fiedeln könnte! Aber wenn mir irgendein beschnurrbarter Dilettant, der sich um die Tonart bekümmert, aus welcher die Engel singen und welcher meint, es könnte nicht schaden, wenn der liebe Gott bei ihm Unterricht im Generalbasse nähme, ein Bengel, der keine Schöpfung außer der Haydnschen begreift und nichts Höheres kennt als das achtmal gestrichene H auf der Geige, und kein anderes Duett, als ein musikalisches; der dem unschuldigen Schweizerhirten, wenn er blasend auf der Alpe steht, die Schalmei um die Ohren schlägt und sagt: Dummbart, du hast keine Schule! Wenn so einer, sag' ich, der viel schlimmer ist, als ein eigentlicher Künstler, den kleinen Fiedler vom Weinberge verhöhnt, so komme er zu mir an mein Herz, damit ich ihn wärmen und zu ihm sagen kann: Du achtmal gestrichener Narr, du bist doch eigentlich recht zu bedauern! Komm, ich will mit dir teilen, was ich habe, du Ärmster auf der Erde!


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