Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XVIII. Große Wäsche

Die ›Helene‹ hatte von Tschicherzig ab so etwas wie Ladung. Im leeren Laderaum war in einem Winkel, zwischen zwei Schütten Stroh, eine erhebliche Anzahl Flaschen Grünberger Wein aufgeschichtet; ein Korb mit Birnen und ein Korb mit frühen Äpfeln, eine geflochtene Schwinge mit Pflaumen und ein Sack mit grünen Nüssen füllten die oberen Ecken ganz schön aus. Die Winzer in Tschicherzig und ihre bäuerlichen Nachbarn hatten es gar nicht begreifen können, daß man ihnen eine so hübsche und komische Aufführung ganz umsonst bot. Aber der Vormund und das Mündel hatten immerzu sehr, aber auch wirklich sehr bedauert, nichts nehmen zu dürfen. Da hatten die dankbaren Zuschauer sich nicht lumpen lassen wollen und versprochen, sich in Naturalien erkenntlich zu zeigen. Anderen Leuten gegenüber aber, die von diesen Verhandlungen nichts wußten, hatte die Frau Kapitän zur rechten Zeit das rechte Wort gefunden. Die rechte Zeit war der Moment, in dem man gerade die Schlußnummer so belachte und von den langen Bänken und Tischen im Saal aus dem Pony Hannchen begeistert zutrank.

»Nein, fordern dürfen sie wirklich nichts«, gab die angesehene Kapitänin rechts und links Auskunft, »aber natürlich dürfen Sie ruhig ein bissel Geld schenken; die Kleine erhält ja ganz allein die vielen erwerbslosen Artisten und will noch viel mehr dazu holen auf ihren Kahn.«

Da griffen die Leute rechts und links von der Frau Kapitän tatsächlich, wenn auch mit Vorsicht und Überlegung, in ihre Tasche. Eine blaue Kapitänsmütze, ein schwarzer Zylinder und der graue Filzhut eines umgestimmten Weinkaufmanns gingen durch die Saalreihen von Hand zu Hand. Zehnpfennigstücke, Fünfzigpfennigstücke – doch die galten dann für eine ganze Familie –, Fünf- und Zweipfenniger wurden nach der Vorstellung in der allein von Wilhelmine Butenhof beherrschten Damengarderobe neben der Bühne aus den Hüten gestürzt. Die beiden Markstücke hatten Herr und Frau Kapitän Woitschach eingeschmuggelt. Mit der Sammlung war ihr Ziel erreicht: dem Kinde einen kleinen Ausgleich zu schaffen für die enormen Ausgaben, die es mit der Renovation seines Kahnes gehabt hatte und von denen es sich gar nicht erholen konnte, weil zu viel Anforderungen durch die Beköstigung der Männer gestellt wurden.

Wilhelmine wachte eisern darüber, daß alles unter ihrem Gewahrsam blieb; das Geld, der Wein, die Früchte. Trotzdem war sie keineswegs besonders guter Laune, als die Fahrt am Montag weiterging. Die Männer wollten zum zweiten Frühstück eine Flasche Wein, sie suchten die Butenhof lustig zu überrumpeln – Wilhelmine war auf Deck nicht zu finden. Sie hockte auf ihrem Bett und hatte ihren Hut vor. Einer nach dem anderen versammelten sich die Männer um sie: saßen um den Tisch, lehnten am Wandschrank; und von der Höhe seines Federbettes her grollte ihnen das Kind.

Es hatte die Beine gekreuzt und seinen kostbaren Hut zwischen die Knie geklemmt, riß an den Möwenflügeln, zerrte an den Schleifen, zerknüllte die Krempe und drückte die Kopfform ein.

»Gibt keinen Wein«, brummte Wilhelmine. »Weiß überhaupt noch nicht, ob ich nicht alles zurückschicke.«

Die Männer konnten sich nur ansehen.

»Die haben sich ja ganz gemein benommen«, tobte es auf dem Bett weiter, und die Blumen aus Samt und Tüll fielen auf den Boden. »Wie ich mir abends meine Einkaufstasche geholt hatte und das Geld auf den Kahn tragen wollte – tücksche Äster. Erst haben sie so freundlich getan –«

»Und dann?« zeigte sich Gura vor allem gespannt, weil er sich nicht vorzustellen vermochte, daß jemand einmal auch einer Wilhelmine Butenhof grob gekommen sein konnte.

»Meinen Hut haben sie ausgelacht«, gestand sie und schob die Unterlippe vor, und die Augenbrauen, hochgezogen, verschwanden unter den Stirnlocken.

»Nee, aber, du lieber Himmel«, jammerte der Onkel, der das gut verstehen konnte, mehr über die überflüssige große Ausgabe im Putzgeschäft als über sein beleidigtes Mündel, »aber deshalb darfst du doch nicht so ein schmuckes Ding kaputt machen. Den hätten dir ja die feinsten Damen in Stettin noch abkaufen können, vielleicht.«

»Vielleicht«, äffte Wilhelmine ihm nach, »vielleicht zerreiß' ich meine Hüte, wie es mir paßt. Vielleicht setze ich mich auch darauf.«

Winderlich befürchtete noch schlimmere Ausdrücke und erhob sich. In der Nähe der Tür hatte er eine Fluchtmöglichkeit; deshalb wagte er einen Einwand:

»Das hübsche glatte Seidenband hättest du mir aber wirklich lieber als Schlips schenken können.«

»Du mich auch«, schaukelte die Kleine wütend auf dem Hut.

»Und mit den Möwenflügeln hätt' ich mir vielleicht ein ulkiges Zauberstückel ausgedacht«, klagte der alte Lattersch.

»Hab' selber schon gezaubert«, zog Wilhelmine das zerpreßte Filzwrack hervor und warf es über die Köpfe ihrer Leute hinweg mitten auf den Tisch.

»Das geht aber wirklich nicht«, schimpfte der Steuermann und stieß wütend den Tisch von sich, »wie du mit uns umspringst. Du kannst halt doch nicht ganz vergessen, daß du schließlich noch ein Schulmädel bist.«

»Deshalb habe ich ja den Hut –« flüsterte Wilhelmine leise und tief.

Sie stemmte die Hände in die Kissen und sah von droben mit weiten Augen auf den jungen Mann, der so schalt.

Und dann gruben sich ihre Locken in das Federbett, und die Männer blickten betreten vor sich hin.

»Nu flennt das Hundel«, wurde Müßiggang weinerlich und schlug mit den Fingerknöcheln unruhig auf die Tischplatte, »warum flennst du denn, mein Hundel – flenn och nich.«

»Ach nee, flenn nich«, strich Gura sich mit beiden Händen nervös über Scheitel und kahle Stellen seines Hauptes.

Wilhelmine rührte sich nicht. Den vieren – Fordan war am Steuer geblieben – war es nicht geheuer, und sie verschwanden einer nach dem anderen, am letzten der Onkel. Als er wieder auf Deck war, winkte ihn Frau Woitschach ans Bug. Nicht erklären konnte sie sich, warum heut, ausgerechnet heut, zwischen ihr und dem Butenhofkinde nicht die übliche Begrüßung von Dampferheck zu Kahnbug stattfand.

Der Alte tat bedenklich und unsicher, als er Auskunft gab:

»Eben, eben, Frau Kapitän, eben, eben. Unser Mädel stößt heute der Bock. Unser Kind ist heut gar sehr schlechter Laune, Frau Kapitän. Aber derentwegen sind wir unserem Mindel noch nicht böse.«

Er rief laut genug, und Frau Woitschach verstand ihn und gab sich zufrieden, obwohl sie ein wenig enttäuscht war.

Müßiggang ließ es keine Ruhe. Er kletterte wieder in Wilhelmines Kajüte hinunter, bis zur halben Treppe.

Die Kleine hatte sich ihre Blechwaschschüssel auf den Küchenstuhl gestellt, tauchte das Handtuch ein und fuhr sich viele Male über das Gesicht. Schweigend hängte sie ihren Spiegel an einen Wandhaken, holte die Bürste, den Kamm, strich die Locken seitlich und hintenüber. Die Augen waren sehr dunkel, und unter der Nase mußte Wilhelmine sich noch ein paar Tropfen wegwischen.

»Da werd' ich mir nur meinen Sack packen«, als rechtes Schifferkind gab es für sie keinen Korb und keinen Koffer, »und mein Paket verschnüren.«

Jetzt wurde der Vormund aber grimmig. Er schalt:

»Nu so ein dummes Gequatsche, so ein dämliches. Nee, so zu reden. Weil und daß dir der Ohnesorge – da ist das noch gar kein Grund – wenn du – und er hat dir auch –«

Wilhelmine schüttelte den Kopf, langsam und sanft.

»Weil ich in die Schule muß, Onkel.«

Da war der Onkel aber bei ihr unten.

»Also was das betrifft – nee, das ist ja, du lieber Himmel, ach, du lieber Himmel –«

»Hilft gar nichts, Onkel«, wehrte Wilhelmine ab und räumte ihre Waschschüssel weg, damit der Vormund sitzen konnte. »Gerade die große Wäsche kann ich noch fertig machen, und dann sind wir in Fürstenberg, und der Dampfer nimmt Kohle, und ich muß vom Kahn, und die Winterschule geht los, weil es erster Oktober ist.«

In knapp zehn Minuten mußte es der Onkel dem Winderlich, dem Gura, Lattersch, dem Steuermann und dem Bootsjungen erzählt haben. Denn als Wilhelmine sehr artig bat, einer möchte ihr doch ein paar Eimer Wasser 'raufwinden, stürzten die Männer nur so nach Kanne, Tau und Eimer. Ohnesorge rannte in die Küche hinunter und stellte am Heck das Waschschaff auf, Fordan kramte in dem Persilkasten, der feine Winderlich versicherte, er könne plätten helfen. Aber so weit war es noch nicht.

Alle brachten ihre Bündel Wäsche, Fordan sollte bei Wilhelmine bleiben und ihr auswinden helfen, Lattersch kam noch ein zweites Mal, Hannchens Samtschabracke unter dem Arm; ob das Ding sich nicht auch waschen ließe, vielleicht.

»Du bist doch ein selten dämliches Luder«, zog Müßiggang ihn am Ärmel zurück. Wilhelmines Locken verschwanden fast im Seifenschaum. Fordan wand ein Tischtuch aus, daß es wie ein Tau zusammengedreht wurde.


 << zurück weiter >>