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XII. Beziehungen zu einem Kapitän

Der ›C. W. V‹ wartete den sommerlichen Stillstand eigentlich in Steinau ab. Aber Kapitän Woitschach und seine Frau hatten sich ein Quartier in Köben gesucht, weil sie dort ihre Verwandtschaft zu Lande hatten. Waren Woitschachs und Senftlebens zusammen, ging es immer sehr lebhaft zu. Denn beide Schwestern, die schwarzhaarigen, sprachen viel und wußten viel. Die eine mit dem spitzen Gesicht und dem gebückten, huscheligen Gang, der klagenden Stimme und dem Haarknoten im Genick kannte jeden Vorgang in Köben. Die andere mit dem munteren, runden Gesicht und der hohen runden Nestfrisur wußte gut, was so in allen Städten, in denen man anlegte, von Cosel bis Stettin vorging. Stundenlang saß man in Senftlebens Hausflur beieinander, die Frauen auf Stühlen am Fenster, der blasse, hagere Malermeister und der robuste, vergnügte Dampferkapitän auf einer gußeisernen Bank. Die Männer schwiegen meist und hörten sehr gern zu, wenn die Frauen redeten.

»Keinen Hehl daraus gemacht«, berichtete Frau Kapitän Woitschach höchst lebendig, »wir haben uns in Breslau Tänzerinnen angesehen. Im Liebichvarieté in Breslau. Otto, habe ich gesagt, sieh dir ruhig die Mädchen an, die feine Rasse, das schmale Gesicht und die muskulösen Beine.«

Herrn Müßiggang und Wilhelmine Butenhof wurde etwas unbehaglich zumute, daß von seiten eines Kapitänsehepaares von Varieté und dergleichen die Rede war. Namentlich Wilhelmine litt im Moment sehr darunter, daß sie ein Schiff voller Räuber hatte haben wollen, und daß man nun zu Faxenmachern geworden war. Frau Kapitän Woitschach mußte sich sehr wundern, daß man von ihrem Varietébericht gar keine Notiz nahm.

»Sind Sie denn nie im Liebichtheater in Breslau gewesen?« fragte sie trotzdem weiter, weil Verbindlichkeit ihre Stärke war und sie es gar nicht leiden konnte, wenn ein Gespräch ins Stocken kam.

Auch Frau Maler Senftleben fiel klagend ein: »Nie im Liebichtheater in Breslau?«

Der alte Mann riß sich militärisch zusammen und versicherte: »Nie dort engagiert gewesen.«

»Oh, das ist aber interessant, was Sie da sagen«, nutzte Frau Kapitän beglückt die Möglichkeit aus, die Unterhaltung weiterzuführen, »daran habe ich natürlich noch gar nicht gedacht, daß Sie vielleicht dort aufgetreten sein könnten. Ich meinte nur, ob Sie so als Zuschauer dagewesen sind. Aber natürlich, Sie sind ja wohl Künstler von Beruf. Ich meine so vom Hörensagen.«

Das war etwas unbestimmt ausgedrückt, aber Vormund und Mündel begriffen ganz gut. Müßiggang sah ängstlich auf Wilhelmine; die kniff verärgert die Lippen ein, sandte ihm einen flüchtigen, bösen Blick zu und erklärte der Frau Kapitän: »Ja, ja, Gewichte und Damen in die Luft stemmen, das konnte er wohl auch, obschon er es nur mit der Schiffahrt zu tun haben will.«

»Gewichte und Damen in die Luft stemmen«, wurde die Kapitänsfrau munterer, »nein, denken Sie. Eben, ich habe ja schon davon gehört. Sie sollen ja so eine wunderschöne Vorstellung auf der Oder gegeben haben.«

Wilhelmine beschloß in ihrem Inneren, den Auftrag zum Anstreichen ihrer ›Helene‹ einem anderen Maler zu geben.

Jetzt meldete sich auch Kapitän Woitschach aus dem Hintergrund:

»Das muß ja eine dolle Sache gewesen sein. So was fehlt uns in den Schleppzügen. Wo's manchmal so scheißlangweilig ist, wenn man so lange festliegt.«

Bei dem unpassenden Ausdruck fiel seine Gattin begütigend ein: »Keinen Hehl daraus gemacht; Otto hat manchmal eine sehr gewöhnliche Redeweise.«

»Ich gestehe es frei und offen«, erwiderte Wilhelmine Butenhof die Entschuldigung, »ich auch.«

Und der Onkel, dem jetzt gar nichts mehr geheuer war, unterbrach verlegen: »Ach ja, sehr. Aber sonst ist sie ein sehr ein gutes Mädel.«

»Den Eindruck habe ich nämlich auch«, bestätigte Frau Woitschach und benahm sich so, als wollte sie Wilhelmine durch die Locken fahren. Jedenfalls war mit ihrer rechten Hand etwas Ähnliches los.

Der Kapitän redete mehr als sonst: »Wird ganz allein mit dem Kahn vom Vater fertig. Schafft arbeitslosen Leuten ihr Brot. Faulenzt nicht bei der Trockenheit, läßt den Kahn renovieren. Sorgt am Abend für Unterhaltung, damit ihre Leute nicht auf dumme Gedanken kommen.«

»Tages Arbeit, abends Gäste«, trug der Maler sanft zur Konversation bei, weil ihm nichts Eigenes einfiel. Denn er hatte diesen Spruch neulich mit einer herrlichen Schablone im Halbrund um den Eingang zum Saal vom ›Rautenkranz‹ gemalt.

Der Vormund sah sein Mündel mit ganz anderen Augen. Donnerwetter, so dachte man in Kapitänskreisen neuerdings von Wilhelmine Butenhof. Er vergaß darüber ganz, daß er ein wenig ins Hintertreffen geriet.

Mit den Kapitänskreisen, das war ja nun zu hoch gegriffen. Aber auf die herzensguten Woitschachs traf die Vermutung durchaus zu.

Auch Wilhelmine begriff allmählich, daß man ihr und ihrem Kahn hier wohlwollte.

»Ach so«, verriet sie ihre Überraschung und hätte sich am liebsten der Woitschach-Senftlebenschen Familie dadurch erkenntlich gezeigt, daß sie den ganzen Schleppzug lackieren ließ. Zur Ehre der Kapitänsleute muß aber gesagt sein, daß der Verdienst, der dem Schwager von Butenhofscher Seite zufloß, ihre Sympathien nicht beeinflußt hatte. Da sprach Ernsteres mit.

Man frage einmal auf der ganzen Oder bei den Kapitänen und den Schiffern, ob es wohl kinderlose Ehepaare gebe. Und wo sie einem wirklich begegnen, da forsche man nach, ob es immer so gewesen sei. Kapitäns- und Schifferehepaare, alle haben sie ein Kind an die Oder verloren. Alle haben sie es erfahren oder gar selbst mit ansehen müssen, wie ihr Kleines von der Strömung fortgerissen wurde und wie auch die Männer auf den hinteren Kähnen es nicht retten konnten, weil der Schleppdampfer und seine Kähne das Wasser zu sehr unter sich ziehen. Und stürzte ein Kind vom ersten Kahn oder gar vom Dampfer, dann gab man bald jeden Versuch auf, das Ertrinkende noch zu greifen. Die hohen Wellen des Raddampfers schlagen jeden, der untergeht, so tief, daß er sofort unter den ersten Schleppkahn gedrückt wird und nicht mehr hochkommt. Keiner fährt im Schleppzug stromauf, der nicht von einem Kapitän und den anderen Schiffseignern darum weiß, und die muntere Frau Kapitän Woitschach vermochte es nicht zu begreifen, daß die Menschen auf der Oder einem Kinde gram sein können und nicht in ihm ein kleines Stück vom eigenen ertrunkenen Liebling wiedererkennen. Immerzu sehnten sich ihre gutmütigen braunen Hände nach Wilhelmines blonden Locken.

Wilhelmine aber kostete ganz den Ruhm aus, als braves Kind zu gelten. Sie gefiel sich außerordentlich in der neuen, völlig ungewohnten Lage. Auf ihrem Kahn dann bürstete sie in ihrem wilden Haar herum, griff zur lange abgelehnten Schürze, schlug die Wimpern mehr als üblich nieder und zwang sich zu einem langsamen, feierlichen Gang.

Nur dieser plötzlich ausgebrochenen Sanftheit war es zu danken, daß die Verhandlungen mit den Männern über die unerwarteten großen Arbeiten so glimpflich verliefen. Wilhelmine Butenhof fluchte nicht ein einziges Mal und war sich selber ganz fremd.

Der bequeme Schlangenmensch Gura war seltsamerweise am ehesten für das von der Schiffseignerin vorgebrachte Anliegen erwärmt; daß sie einmal nicht schnauzte, machte ihn erstaunlich dienstbereit und gut gelaunt; und da es sich überdies um eine Arbeit handelte, die einen schönen Effekt haben sollte, hatte er sogar ein wenig Freude daran. Allerdings wäre er mehr fürs Anmalen selbst gewesen als für die ganze Hobelei und Hämmerei.

»Die ›Helene‹ wird himmlisch aussehen«, übertrieb er schon wieder, »und man wird schlank von der Arbeit.«

Winderlich fehlte sich persönlich gekränkt; er manikürte sich während der Unterredung mit einer alten, winzig kleinen Nagelfeile aus einem Taschen-Necessaire, das einen Lotteriegewinn dargestellt hatte. In seinen vornehmen Phantasien hatte er sich ausgedacht, er wäre als berühmter Artist in einem eleganten und stillen Badeort zu einem Sommeraufenthalt in völliger Zurückgezogenheit eingetroffen. Nun sollte er sich in dieser barbarischen Hitze schinden.

»Ist es denn wirklich nötig?« schaukelte er mit dem Kopf verzweifelt hin und her und stieß beim Maniküren mit dem Ellenbogen immerzu heimlich an Guras Arm. Aber diesmal war der Schlangenmensch unerbittlich auf seiten der Fleißigen. Das angekündigte Blau hatte es auch ihm angetan.

Wilhelmine verstieg sich zu der Anrede »Herr«.

»Herr Winderlich«, flötete sie, »ich habe mich mit einem befreundeten Kapitänsehepaar darüber beraten. Die Reparatur ist notwendig, weil wir vermutlich an einen der besten Schleppdampfer kommen.«

»Also der ›C. W. V‹ «, sprach der Onkel bewundernd dazwischen. Aber Wilhelmine zwinkerte ihm höflich verweisend zu; soweit waren doch die Beziehungen mit Kapitän Woitschach noch gar nicht gediehen.

Der alte Lattersch fühlte sich so harten Strapazen im Sommer nicht mehr gewachsen.

»Der schafft das nicht mehr«, flüsterte Müßiggang dem Mündel zu, als er merkte, es wollte streng antworten. Man einigte sich, daß Lattersch mit seiner kolossalen Redegewandtheit als Rekommandeur und seiner lauten Stimme die Oberleitung übernehmen sollte. Gleich machte er versöhnt wieder Ulk und wandte sich verständigerweise an den mürrisch seine Nägel feilenden Wunderlich: »Und wenn ich mit meiner Zauberei dienen könnte – gleich setzte ich eine fix und fertig blaue ›Helene‹ aufs Wasser.«

Winderlich sah sich so eingekreist, daß ihm gar nichts anderes übrig blieb, als sich weltmännisch zu benehmen und Wilhelmines Idee immerhin sehr beachtlich zu finden.

»Die macht sich«, zollte auch der Steuermann der Schiffseignerin, dem Vormund gegenüber, Beifall und zog sich die Krempe seines riesigen Strohhutes ins Gesicht. Ihm konnte nur daran gelegen sein, wenn der Aufenthalt in Köben schließlich noch länger dauerte als der niedrige Wasserstand. Denn er hatte guten Anschluß gefunden für die Mußestunden und entdeckte wieder einmal, daß auch das Land durchaus seine Vorteile zu bieten hatte, bis man selbst einmal seinen eigenen Kahn mit einer Schiffersfrau hatte oder wieder Kraftakt war und mit Frau und Kostümkoffern von einem Engagement ins andere fuhr.

Fordan war immer nur voller Tätigkeitsdrang, Abwechslungsbedürfnis. Aber eine kleine Anfrage konnte er sich nicht verkneifen; ob es eine Zulage geben würde außer dem üblichen freien Aufenthalt und der Verpflegung auf dem Kahn ›Helene‹; eine ganz kleine Zulage, damit man sich einmal Eis kaufen könne.

Da fiel Wilhelmine in den alten Ton zurück, trotz der geglätteten Locken und der frischen Schürze: »Für dich Luderkerl überhaupt, wohl für Zigaretten auch noch.«

Der Onkel war dem Schiffsjungen wirklich gram:

»Nee, so garstig zu reden. Die Kleine hier kann sich überhaupt keinmal ein Himbeereis antun, so wie sie für uns sorgt. Oder meinst du Rotzbengel, sie läßt sich den Kahn zu ihrem Vergnügen für das teuere Geld anstreichen? Und das will ich dir och bloß sagen, Mindel, wenn ich auch schon sehr taprig bin: ich motsche hier mit, wo ich nur kann.«

»Der Alte macht sich auch«, mußte der Steuermann zum zweiten Male eine anerkennende Äußerung tun und gab dem Schiffsjungen einen Klaps, der völlig ernst gemeint war und auch wirklich weh tat.


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