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V. Die Hafenschlacht

Das lernte der Vormund ja nun gründlich kennen, wie man abgewiesen wurde, wenn man sich um Ladung bewarb. Das Geschäft war immer in den Hafenbüros abzuschließen. Wilhelmine begleitete den Vormund auf seinen Gängen, verhielt sich auffallend still und bescheiden und tobte erst in der gewohnten Weise los, wenn eine Unternehmung schon gescheitert war und man sich anschicken mußte, das jeweilige Büro unverrichteterdinge zu verlassen. Wenn einer der Herren, hinter dem Schreibtisch nach Ablehnung des Müßiggang-Butenhofschen Angebotes noch ein überflüssiges Wort sagte, überflüssig nach Wilhelmine Butenhofs Ermessen, brach es los.

»Wie? Was? Vielleicht noch etwas?« fuhr die Kleine dann wütend herum, riß sich von der Hand des alten Mannes los, ballte die Fäuste gegen das ganze Büro, und die Schimpfworte überstürzten sich: »Wer will hier noch –? Verdammte Blödiane!«

Damit war sie meist draußen. Aber die geschäftlichen Beziehungen mit dem Handelskontor für Kohle, Holz, Öl, rohen Zucker, das man gerade verließ, waren dann auch für alle Zukunft abgebrochen. Ja, auch auf die Kontore für Öl und Petroleum schleppte Wilhelmine den Onkel; denn es wäre ihr nicht darauf angekommen, ihren Kahn auf flüssige Fracht umzubauen, wenn der Auftrag lohnte. Schon um die anderen Schiffer zu ärgern. Endlich war der Schiffsfrachtbrief für eine Kohlenladung abgeschlossen.

»Macht zwar den Kahn sehr dreckig, aber immerhin«, belehrte sie Herrn Müßiggang. »Und nun geht der Tanz mit den Dampfern los.«

Ein Tanz mit Dampfern konnte für einen alten Mann von vornherein nichts Bekömmliches sein.

»Schleppgeld könnten wir schon noch gebrauchen«, zögerte der eine Kapitän, dessen Frau ein Gasthaus im Schifferdorfe Költsch führte, Wilhelmine hatte es sich von früher gut gemerkt, »aber wir sind voll. Nicht ein Beiboot kann mehr dran. Die Gesellschaft fährt doch bloß noch mit der halben Dampferzahl.«

Und so ging es immer weiter, bis man sich endlich als letzter unter sieben Kähnen von einem alten Raddampfer ins Schlepptau nehmen lassen konnte. August Müßiggang hatte, als der Schleppzug zusammengestellt wurde, sehr wohl die unfreundlichen Bemerkungen über die ›Helene‹, Wilhelmine und sich selbst wahrgenommen; er hatte es zu spüren bekommen, daß man ihn selbst als alten Außenseiter überhaupt nicht beachtete. Das verbitterte ihn ziemlich in seiner ganzen Freude an dem neuen Beruf. Aber es verband ihn seinem Mündel um so mehr.

Am Abend vor der Abfahrt brachte Wilhelmine in ihrer Ledertasche und einem Einkaufskorb vier Blumentöpfe zum Hafen hinunter. Sie hatte von einem Tischler ein quadratisches Blumenbrett auf dem Heck ihres Kahnes anbringen lassen, und nun wollte sie es dort trotz der Kohlen, ihres Ärgers und ihrer düsteren, verwegenen Gedanken etwas hübsch machen; der Kahn sollte ein bißchen nett aussehen. Aber noch auf den letzten Stufen der Hafentreppe mußte sie Tasche und Korb niedersetzen; sie rannte zur ›Helene‹; fraglos war vor ihrem Kahn eine Keilerei im Gange.

Ohnesorge, der hochmütige Steuermann, hatte sich die frechen, höhnischen Zurufe nicht so geduldig gefallen lassen wie der Alte. Mit drei, vier rüden Kerlen lag der Steuermann im Handgemenge, und es mußte ein wilder Kampf sein, denn Ohnesorges großer Strohhut war in weitem Bogen zur Seite geflogen, und den einzigen Beistand erhielt der Steuermann in seiner bedrängten Lage allein durch den flinken Bootsjungen, der mit rasender Schnelligkeit einen der Angreifer – es muß schon gesagt sein – durch die dünnen Leinenhosen in den Hintern biß. Das veranlaßte Wilhelmine, den schönen Strohhut aufzuheben, ihn über die Locken zu stülpen und zu Korb und Tasche zurückzurennen. Sie behängte sich mit ihnen rechts und links, und dann stieß sie Ohnesorges Feinden blaue Flecken an Schenkel und Arme, indem sie immer seitlich – bald mit dem Korb, bald mit der Tasche – gegen sie anstürmte. Dabei bezog sie ein paar Ohrfeigen, trotz des abwehrenden großen Hutes, und ihre Blumentöpfe wurden ihr zerschlagen. Das war schlimm.

Der Alte schrie hilflos vom Steg her nach dem Kinde. Der Hafenpolizist trennte den unentwirrbaren Knäuel von Männern, Junge und Mädchen. Wilhelmine suchte sich die geknickten Pelargonienstiele zusammen und konnte es sich nicht versagen, den verdammten Bengeln von den Nachbarkähnen große Blumentopfscherben nachzuwerfen, was der Polizist zum Glück nicht mehr sah. Der Hut hing Wilhelmine im Gesicht.

Über die zerbrochenen Töpfe verlor sie kein Wort. Den beiden Männern und dem Bootsjungen rief sie nur zu, sie wollten heut alle zusammen Abendbrot essen. Als sie – übrigens neugekauften – Kümmel in Tassen und Wassergläser einschenkte, erkundigte sie sich aufgeregt, was man in aller Welt an ihren Leuten auszusetzen habe. Und in der Betonung, mit der sie das von »ihren Leuten« sagte, lag eine herbe Zärtlichkeit.

Die kriegerische Stimmung des Abends schien ihr nicht ungeeignet, mit ihren Absichten herauszurücken. Jetzt, vielleicht nur jetzt, konnte es gewagt sein.

»Das sind aber Pläne«, lehnte sich der Vormund auf seinem Stuhl zurück, daß er an die Kajütenwand anstieß. Der Steuermann pfiff langgezogen, stand auf, steckte die Hände in die Hosentasche und schob sich, da er in den engen Kajüte nicht auf und ab gehen konnte, zwischen den vier Stühlen hindurch, guckte in die Küche und schloß die obere Tür. Brauchte ja niemand etwas zu hören; für alle Fälle. Der Junge schlug vergnügt und mehrmals mit beiden Fäusten auf den Tisch, und Wilhelmine lächelte liebenswürdig, was sie selten tat eigentlich nie.

»Dazu sind ein paar Kerle nötig, die nichts mehr zu verlieren haben«, äußerte sich Onkel Müßiggang zum zweitenmal, und Wilhelmine erinnerte sich an seine Erörterungen über die Platzfrage auf der Butenhofschen ›Helene‹. Sie bemerkte, daß der Vormund an des Steuermanns Hemdsärmel herumzupfte und ihn langsam nach oben rollte. Ohnesorge lächelte dazu, kniff die schiefen Augenwinkel ein und blickte fest und kühl auf die Erbin des Kahnes.

»Es brauchen ja nicht unbedingt alles perfekt gelernte Schiffer zu sein«, lautete ein weiterer Ausspruch des Onkels; das Schifferkind fand aber wenig Gefallen daran.

»Ohnesorge Berthold ist nämlich auch nicht immer Steuermann gewesen.«

Der junge Mann zeigte sein schönes Gebiß und nestelte jetzt selbst an seinem Hemdsärmel.

»... und gerade deshalb habe ich ihn mir ausgesucht. Früherer Kollege«, fiel das entscheidende Wort Herrn Müßiggangs.

Der nackte Oberarm wies klar und lief tätowiert einen jungen Athleten auf, der zwei Damen auf einem Brett in die Luft stemmte. »Kraftakt Berthold«, konnte man in den blauen Verzierungen der braunen Haut lesen und daneben noch mehrere B. O. auffinden. Berthold Ohnesorge. Der tätowierte Herr bewies auch eine auffallende Ähnlichkeit: geschlitzte Augen.

Zunächst gab Wilhelmine keine Antwort. Dann fragte sie: »Na, und du, Onkel?«

Der entblößte ebenfalls seinen Oberarm. »Kraftakt August.« Mit drei Damen.

»Sohn meines Kollegen«, tippte Müßiggang mit dem Zeigefinger auf den jugendlichen Kraftakt.

»Unter den Artisten sind nämlich viele Herren sehr geschickt für die Schiffahrt«, überredete der Vormund sein Mündel zu etwas ganz Ungewissem. »Weil ich dir doch nun schon zum zweiten Male deinen Willen tu, mein Hundel, möcht' ich dich halt auch mal ganz gern um etwas Nettes bitten.«

Er wurde energisch: »Wir machen alles mit dir mit. Aber – es soll den arbeitslosen Kollegen gut dadurch gehen.«

»Vom Zirkus? Vom Rummelplatz? Alle erwerbslos?« schlug die junge Schiffseignerin ihr erschreckten Augen wieder riesengroß auf und sah sehr verständig aus.

Die Männer nickten beide.

»Kollegen von dir?« fragte Wilhelmine weiter, und ihre Faust sank auf Ohnesorges Achsel, »alle müssen stempeln?«

Und nun überstürzten sich die Freunde. Wie erst die Varietés auf den Hund gekommen wären. Dann der Zirkus. Und nun die »Reise«, der Rummelplatz. Und wie kein Mensch mehr etwas von den Artisten wissen wollte.

Wilhelmine sah bekümmert aus: »Niemand?«

Die Männer schüttelten unentwegt den Kopf.

»Auch von den hübschen Tieren nicht, die immer im Zirkus und in den Schaubuden waren? Von den Affen und den Ponypferdchen und den angezogenen Hunden auf dem Schützenfest?«

Das Kopfschütteln verstärkte sich beängstigend.

»Aber gelt, ihr bringt mir nicht zu viel Tiere auf den Kahn?« verlangte Wilhelmine Butenhof letzte Garantien.

Ob die Kollegen wenigstens ein bissel was von der Schiffahrt erlernen würden?

Alle; die meisten hier in der Gegend stammten ja aus den Schifferfamilien, weil die Kunst halt vom fahrenden Leben herkäme. Wenn man jetzt die Oder so zwei- bis dreimal 'rauf und 'runter »gemacht« haben würde, wären die geeigneten Leute sicher schon alle eingesammelt. Der Gura in Tschirne. Und der Lattersch in Kreidelwitz. Und der Winderlich in Deutsch-Nettkow.

Ob sie alle zusammen auch etwas zu leben haben würden, wenn es zu wenig Ladung gebe?

Nun, das sei doch gleich. Die meisten seien doch sowieso schon ausgesteuert.

Mit solchen Ausdrücken wußte das Kind sehr gut Bescheid.

»Und bei mir haben sie doch überhaupt die Räuberei«, stellte die Schiffseignerin fest und glich ihren Etat aus, »dafür sind ja die Kraftakte wirklich ganz gut. Wenn die Kraftakte bloß nicht zuviel essen.«


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