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XV. Ordre zurück

Zwei Gewitter standen über dem Fluß. Es war, als ginge es die Erde drunten gar nichts an, als bedrohten sich die dunklen Wolken mit ihrem Donner gegenseitig.

»Wenn wir wenigstens eines bekämen«, seufzte Ohnesorge aus einem Spalt des Zeltes, in dem sich die Artisten nach der Vorstellung umzogen. Mit diesem Blick und dieser Äußerung erwies er sich als ein guter Schiffer, obwohl er eben den Triumph erlebt hatte, drei Partner aus dem Publikum glatt hinzulegen.

Nicht etwa deswegen, sondern weil man sich vor dem aufziehenden Wetter fürchtete, hatte eine allgemeine Flucht eingesetzt. Wilhelmine war davon erwacht und hatte auf die schweren Wolken gesehen wie ein Kind, dem man die Lichter des Weihnachtsbaumes anzündete, während es noch schlummerte.

Seit vielen Wochen war das nicht gewesen: die Schwalben kreuzten tief über der Oder. Verhaltener Donner bebte über der Flußebene, und einzelne große Tropfen mahnten daran, die Festtagswimpel der ›Helene‹ einzuziehen.

Mit keinem Gedanken trauerte Wilhelmine um den frischen Anstrich ihres Kahnes. Nichts Schöneres konnte für sie geschehen, als wenn endlich Blitze losbrächen und die Regenwolken aufrissen. Aber trocken und düster ballte Wolke sich gegen Wolke; die Gewitter stauten sich über dem Strom.

»Wenn's auch hier nichts wird –«, sprach die Butenhof aus der Kajütenluke zu Lattersch hinauf, der Hannchen in ihrem Stall anband. Die Fliegenbisse waren für Tier und Menschen so schmerzhaft, wie sie es nur vor einem Gewitter sind.

»Auch wenn es hier nichts wird«, wiederholte Wilhelmine zögernd, »weiter oben werden dann schon Gewitterregen gewesen sein, und es gibt wieder Wasser.«

In den Pappeln der nahen Buhne hörte man den Wind die Blätter wenden und herumwirbeln; es klang wie Regen. Doch der Sturm blieb trocken; nur grauer Staub wehte über den Lantsch hin. Die Oder wurde zur Grenze zweier Gewitter, die sich jenseits des anderen Ufers nicht entfalten konnten, so sehr sie hinüberdrängten. Den ganzen späten Nachmittag und Abend hindurch kreisten sie in engem Zirkel den Fluß hinauf, den Fluß hinab.

 

Durch die offenen Bullaugen über ihrem Bett hörte Wilhelmine nachts die Regentropfen auf dem Wasser springen. Kühler Wind wehte bis in den letzten Winkel des engen Kajütenraumes. Die Oder warf am Morgen kleine Wellen, die Ufer waren von Regen und leichtem Nebel wie verhängt.

Die Frau Kapitän fand dennoch gut über den Steg zur ›Helene‹. Nun würde das Wasser wieder steigen, redeten die ältere und die kleine Frauensperson; sehr bald würde die Oder wieder steigen.

Noch von der trockenen Zeit her hätte der Kapitän für den ›C. W. V‹ für den Fall einer Verbesserung des Wasserstandes Ordre zurück.

Und da die ›Helene‹ ohne Ladung wäre. Es könnte doch unter Umständen sehr gut sein, sich so bald in Stettin nach neuer Fracht umzusehen und mit dem ›C. W. V‹ hinunter zu fahren.

»Wie sonst nur die Expreßfrachter?« stimmte das Kind begierig zu. So schnell würde es gehen, derartig fix, daß der Dampfer einen Tag heraussparen könnte. Für einen Aufenthalt in Tschicherzig, erklärte die Kapitänin. Denn da die seichte Zeit bis in den September gedauert habe, kämen sie vielleicht gerade zum Winzersonntag zurecht, an dem sie im Grünberger Weinland die Ernte eröffneten. Da das immer ein großes Fest für den ganzen Oderstrich dort sei, hätten sie, die Kapitänin und der Kapitän, gedacht, die Butenhofschen Leute sollten dort doch mal so eine von ihren herrlichen Vorstellungen geben. Und gar kein Geld verlange der ›C. W. V‹, weil es ja für seine Tour so wenig ausmache, ob ein Leerkahn angeschlossen sei oder nicht. Denn Wilhelmine hatte etwas ängstliche Augen bekommen. Sie verfügte über die Männer hinweg. Das wußte sie zur Genüge, wie angenehm denen der neue Plan sein würde. Selbst Ohnesorge, den doch eigentlich manches in Köben halten mußte, war begeistert. Er eigentlich am meisten; er fand, daß die Oder verständiger sei als die Menschen: gerade, wenn so eine Sommerliebesgeschichte zu Ende gehen sollte nach dem unerforschlichen Willen eines Mannes, schickte die Oder Fahrwasser und man konnte los.

Tausend Dinge verrieten den Aufbruch auch der anderen Kähne. Die Schiffer und ihre Frauen hatten vom ersten Regentage an so viel zu tun, daß sie gar nicht darauf achteten, wenn es zwischen Kapitäns und der Butenhof jetzt immer hin und her ging. Die Mütter erledigten ihre Einkäufe für die neue große Fahrt, die Männer machten die Kähne bereit, der Dampferkapitän traf ein, und Kollege Woitschach verhandelte mit ihm, daß die ›Helene‹ sich seiner Ordre zurück anschließen dürfe. Wilhelmine sah das zurückgezahlte Schleppgeld sehr gern in ihrem Schube; sie war jetzt recht knapp an Mitteln.

Der ›C. W. V‹ mußte extra von Steinau heraufkommen, die ›Helene‹ zu holen. Ehe es die Leute im übrigen Schleppzug noch ganz begriffen, warf der Woitschachsche Raddampfer, rückwärts heranbrausend, im Hafen hohe Wellen. Der Butenhofsche Kahn zog gerade seinen Steg ein, als sich am Ufer, ganz genau gegenüber, die Arbeitslosen von den Bänken versammelten; und zwei von den jungen Leuten schwenkten eine reizende, blau bemalte Futterkrippe hoch in der Luft und riefen:

»Wartet doch noch – unser Abschiedsgeschenk für das Fräulein!«

Das Fräulein rannte an die Bordkante, bedankte sich und schrie immerzu hocherfreut und gerührt zu ihren Freunden hinüber: »Für Hannchen? Selbstgezimmert? Vielen schönen Dank auch. Und blau bemalt.«

Die Männer drüben schlugen die Jackenkragen hoch, weil es ihnen in den Hals regnete, und schüttelten sich. Aber sie hielten stand, bis Kahn und Dampfer sich in Bewegung setzten.

Der Steuermann nahm die Potsche zum Abstoßen zur Hand, der Kapitän sprach in sein Messingrohr, und wieder einmal trennte sich der Kahn ›Helene‹ von seinem Schleppzug.

Wilhelmine wich und wankte nicht, so sehr es auch goß. Sie mußte es vom Deck her ganz auskosten, daß sie eine Abschiedsdeputation zurückließ, und wollte es ganz genau wissen, ob man ihren Aufbruch auf den Kähnen im Hafen auch genügend beachtete. Nur durfte sie ihren Triumph nicht so weit genießen, daß sie die Wimpel aufmachte. Der Regen rauschte zu dicht.

Die anderen Kähne krochen langsam die ersten Meter stromauf, als die ›Helene‹ schon weit dahingeflogen war mit den Strudeln der Strömung und den unermüdlichen Schaufelrädern des ›C. W. V‹.

Ohne Farbe, ohne Leuchten lag der Fluß im regentrüben Land; dunkel stießen aus all den Häfen die Schleppkähne auf den Strom hinaus und verschwanden im herabgedrückten Rauch ihrer Dampfer und im Nebel der Oderniederung. Allein das blaue Schiff war wie ein letztes Sommerlicht über dem Fluß. Die Regentropfen sprangen wie Silberkugeln von der Wasserfläche auf und zersprühten wie Brunnenspiele.

Vor der Abfahrt hatte Wilhelmine Butenhof sich mit Frau Kapitän Woitschach noch über die Einladung, auf dem ›C. W. V‹ die kleine Kajüte zu beziehen, unterhalten. Aber Wilhelmines Überzeugung ging nun einmal dahin, daß Kapitänsfrauen auf ihren Dampfer gehören und Schifferfrauen auf ihren Kahn. Sie scheute sich gar nicht, es so auszusprechen.

Schließlich wurde man schon Fräulein tituliert.


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