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I. Die Erbschaft

Wenn diese Blätter von fröhlichen Leuten berichten, so braucht es doch nicht gleich zum Anfang lustig herzugehen. Jeder, der die näheren Umstände kennt, wird es begreifen. Man muß nur ein wenig mit dem Leben der Oderschiffer Bescheid wissen, dann ist man darüber im Bilde, daß nicht alle gleich geachtet sind, die dem Kapitän eines Schleppdampfers ihr Geld fürs Anhängen pünktlich zahlen. Wer dem Dampferkapitän und den Kollegen Schiffseignern als Störenfried nicht genehm ist, wird möglichst am Ende angehängt, wo es schwierig ist zu steuern. Denn der letzte Kahn wird in den Windungen des Flusses kräftig herumgeworfen; und außerdem ist er ein wenig einsam. Die anderen Kähne gleiten brüderlich nebeneinander; den Strom hinauf, versteht sich; stromab macht jeder seine Fahrt für sich.

Stromab, das hieß für den Schiffer Butenhof und seine Frau und sein Kind, das man Wilhelmine getauft hatte, Eintracht und Friede. Unter sich sind böse Menschen reizend. Aber sie müssen ganz unter sich sein.

Stromauf, das bedeutete Zank und Grobheit und Reiberei. Beliebt waren die Butenhofs im Schleppzug nicht. Wenn sie droben in Cosel und Breslau und drunten in Fürstenberg und Stettin mit den Kapitänen und Prokuristen von dieser und jener Gesellschaft verhandelten und ihr gutes Geld vorwiesen, zeigte sich keiner beglückt. Der Mann war ein Grobian, die Frau eine Schlampe, und das Kind, das Kind war eine ganze Schlimme. Nein, daß ein so kleines Mädel so schlimm sein konnte. Alle Schiffer wunderten sich.

Daher kam es keinem recht von Herzen, wenn er jetzt der Kleinen sein Beileid sagen sollte, so traurig es auch war, daß ihr gleich nach der Mutter auch der Vater sterben mußte. In Zeuthen hatte der Schleppzug Anker geworfen, denn dort war Butenhof zu Hause, und dort wollte er auch begraben sein. Der Flußschiffer gehört unter seine Heimaterde, so wahr der Seemann auf dem Meeresgrund ruhen muß.

Und nun kamen die Schiffer und ihre Frauen vom Friedhof, über den Markt und die Fischertreppen hinab. Die Glocken läuteten noch, bis sie drunten waren an den wilden Gärten, den vom Baum zu Baum gespannten Netzen und ihren Schiffsstegen. Sie lobten alle den hohen Wasserstand, der es ermöglicht hatte, die Kähne unterhalb der Stadt festzumachen; denn mit den Beikähnen von der Fahrtrinne zum Ufer hinüberzurudern, das wäre im Trauerstaat eine unbequeme Sache gewesen.

Die dichtgedrängten schwarzen Kähne ähnelten selbst einem Trauerzug; das lag so in der ganzen schönen Begräbnisstimmung und hatte wenig mit Butenhofs Tode zu tun. Sein Schiff war wieder ganz am Ende angeschlossen, und vor dem langen, dunklen, rohen Bretterkahn stand Wilhelmine Butenhof am Ufer, was gänzlich unpassend war. Denn sie hätte sich dort nicht schon postieren können, wäre sie nicht in ihrem widerwärtigen Eigensinn von Vaters Grabe davongelaufen, dem Trauergeleit voran. So war das Kind eben; es begriff nicht einmal, daß es zu weinen hatte und sich auf dem Heimweg zum Kahn einigen Schifferfrauen anvertrauen mußte, die trostbereit neben dem Pastor warteten. Auf allen Kähnen fühlten die Frauen sich vor den Kopf gestoßen, weil die Butenhofsche Waise bis zur Landung in Zeuthen mit dem Toten auf ihrem Kahn geblieben war und nicht die Frauen auf den beiden Vorderkähnen gebeten hatte, bei ihnen übernachten zu dürfen. Die Kinder gruselten sich vor Wilhelmine, wie sie da so schwarz ihren Kahn anstarrte.

Das neue schwarze Kleid war etwas zu lang und der Trauerhut zu eng. Deshalb hatte Wilhelmine Butenhof ihn abgenommen und schüttelte ihre silberblonden Locken, als die Herren Schiffseigner und ihre Frauen und der Dampferkapitän selbst ihr kondolierten. Mit ihren braunen Augen blinzelte sie durch die dichten schwarzen Wimpern die Leute verschlagen an. Die Lippen hatte sie nach innen gepreßt, ihre Nasenflügel zitterten. Ihr Blick war kalt, der Mund hart.

»Was wirst du nun wohl machen?« nahmen die Schiffseigner und ihre Frauen und der Dampferkapitän selbst teil.

»Mit euch weiterfahren«, sagte das Kind mit seiner rauhen, häßlichen Stimme und drehte sich nach dem armseligen Kahn um.

Darüber waren sie dann alle sehr empört, als sie in Gruppen von mehreren Familien in den Kajüten um den Kaffeetisch saßen. Schadenfroh war das Mädchen, grob; so eine Antwort zu geben; man mußte ja noch froh sein, daß es an des Vaters Begräbnistag nicht noch unflätig geworden war wie sonst. Nicht einmal die Trauerkaffee-Einladung hatte es angenommen, obwohl es schon schlimm genug war, daß keine Leidtragenden von Butenhofscher Seite da waren, die heut die andern bewirten konnten.

Wilhelmine schlug die Klappe über der Kajütentreppe zu, dachte nicht mehr daran, daß sie eigentlich glühend gern Mittelpunkt eines Begräbniskaffees gewesen wäre, kletterte auf ihres Vaters Bett und schloß den kleinen Wandschrank über dem Kopfende auf. Dann breitete sie die dort hervorgesuchten Frachtverträge und die Quittungen und das Lohnbuch vom Steuermann auf dem Tisch aus, nachdem sie die Wachstuchdecke noch einmal abgewischt hatte. Aber der Steuermann meinte später, das ginge sie alles gar nichts an. Wilhelmine runzelte die Stirn, zog die Augenbrauen hoch und stieß mit dem Fuß gegen das Tischbein, immerzu.

»Und morgen wirst du abgehängt, hat der Kapitän gesagt«, schimpfte der Mann, »das bissel Ladung übernehmen die anderen Kähne, haben sie ausgemacht, und ich komme auf dem Kochale seinen Kahn«, freute er sich jetzt, und Wilhelmine atmete verächtlich durch die Nase.

Sie bearbeitete das Tischbein nicht weiter, sondern holte ihre tönerne Sparbüchse aus dem Küchenschrank an der Treppe, zerschlug sie und schob das Geld dem Steuermann hin.

»Sieh nach, ob's reicht. Nein«, strich sie das Geld wieder ein, »sieh lieber nach, daß du dir deinen Lohn vom Kapitän geben läßt, vom Rest meines Schleppgeldes. Bis Cosel war alles bezahlt.«

Natürlich hätte es Streit gegeben – denn mit Wilhelmine Butenhof gab es immer Streit –, wenn nicht vom Ufer her der Pastor gerufen hätte, welcher Kahn wohl dem lieben Verstorbenen gehöre. Er wollte das verwaiste Schifferkind besuchen, am Begräbnisnachmittag, der Seelsorge wegen. Da traf es sich ja gut, daß der Steuermann gerade bei dem kleinen Mädchen saß. Sonst hätte der Pastor einen schlechten Eindruck von den Schiffern bekommen und annehmen müssen, sie ließen die Waise allein.

»Dein Vater muß ein guter und frommer Mann gewesen sein«, setzte sich der Geistliche zu Wilhelmine, »in den letzten Krankheitstagen hat er sein Haus bestellt, fürsorglich an den Tod gedacht und deinetwegen an mich geschrieben.«

Wie man ein Haus bestellen sollte, wenn man auf seinem Kahn ans Sterben ging, konnte das Schifferkind nicht begreifen, und auch sonst mußte es sich wundern.

»Da staune ich bloß, daß der Vatel nicht an den Wirt vom ›Grünen Baum‹ geschrieben hat; der war doch sein bester Freund; mit dem hat er doch immer einen gehoben, wenn wir hier im Hafen lagen.«

Aber so sind Schiffer nun einmal. Wenns es ans Sterben geht und sie lassen ein mutterloses Kind zurück, mag die Mutter auch eine anerkannte Schlampe gewesen sein, dann schreiben sie nicht an den Hafengastwirt, sondern an den Pastor ihrer Heimat, auch wenn der neue Pastor noch ganz fremd dort ist. Einen Vormund sollte der Pastor ernennen; aber keinen von den Schiffern aus dem Schleppzug dieser letzten Fahrt.

Jetzt redete der Geistliche mit der Waise über die ernste Angelegenheit und balancierte danach auf dem Dampfersteg zum Kapitän hinüber, was sehr höflich und im Interesse des Kindes fürsorglich war. Morgen sollte sie zu ihm ins Pfarrhaus kommen, rief er Wilhelmine noch zu, die ihn ans Ufer begleitet hatte, damit er nicht länger bei ihr bleiben könne.


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