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41

Zwei Minuten später stand Valerie im Zimmer. Bleich, aber mutig und entschlossen.

Als sie Sprauhn erblickte, riß ihr Gefühl sie zu ihm. Doch de Reux, der wohl darauf vorbereitet war, schob sich vor sie hin. »Einen Moment, Valerie! Herr von Sprauhn ist so gnädig, mir freie Reise zu gewähren. Ich kann alles mitnehmen, was mir gehört; allerdings schließt er dich von diesem Besitz aus. Darf ich dich bitten, ihm zu sagen, wie du dich dazu stellst?«

»Das ist verrückt!« schrie Sprauhn. »Mensch, Sie haben hier doch nichts zu fragen! Sie haben zu tun, was ich Ihnen sage! Verstanden? Wissen Sie, Fräulein Valerie, wer dieser Kerl ist?«

›Kerl‹! In Gegenwart dieses Mädchens? Das war eine Beleidigung, gegen die de Reux' Eitelkeit sich aufbäumte. »Sie vergessen, Herr von Sprauhn, daß ich nur den Mund aufzumachen brauche, und die Mutter dieser jungen Dame –«

»Die Mutter dieser jungen Dame ist bereit, alle Konsequenzen auf sich zu nehmen!« fuhr Sprauhn dazwischen. »Ich habe Ihnen ja gesagt: Es war ein Fehler, mich nach Kudowa fahren zu lassen! Frau von Sprauhn hat mir sogar den Brief übergeben, den Sie ihr gesandt haben. Der Brief ist nicht mißzuverstehen, und das Gericht wird ihn sicher in dem Sinne lesen, in dem er geschrieben ist.«

De Reux zuckte die Achseln. »Da siehst du, Valerie: Der Bruder deines Stiefvaters nimmt keine Rücksichten! Sein Interesse voran! Er schleppt alle Welt vors Gericht. Deine Mutter – – er wird auch noch deinen Stiefvater ausgraben ….«

Valerie sah, wie schwer es Sprauhn fiel, sich zu beherrschen. Ein paar Herzschläge lang schwankte sie. Wenn sie de Reux seinem Zorn preisgab, dann war sie frei, dann konnte sie mit ihm gehen …. Und die Mutter –? Sollte diese ganze grauenhafte Geschichte aus dem Grabe heraufsteigen? Die Mutter hatte sich geopfert. Warum nicht auch sie? »Herr von Sprauhn«, sagte sie, »ich danke Ihnen für alle Ihre Bemühungen, aber ich habe mich entschlossen, bei meinem Onkel zu bleiben. Es ist am besten für mich und meine Mutter und – für meinen Stiefvater.«

»Wissen Sie was Sie da sagen?« Sprauhn starrte auf sie und dann auf de Reux.

»Leider weiß ich es, Herr von Sprauhn! Meine Mutter hat ihren Preis bezahlt – ich bezahle den meinigen. Nicht –! Am Gottes willen!« Sie warf sich Eugen entgegen und hielt ihn fest. »Nicht –! Denken Sie an meine Mutter!«

Sie umschlang ihn mit beiden Armen. Ganz dicht stand sie vor ihm, und er fühlte beinahe ihren Atem auf seinem Gesicht. Ihre Augen, übergroß, waren eine einzige leidenschaftliche Bitte …. In diesem Augenblick ward ihm klar, warum ihn die Frage so beunruhigte, ob sie seine Reise nach Kudowa verraten hätte.

Dunkle Röte schlug ihr ins Gesicht, und sie trat, schwer atmend, zurück.

Er griff nach ihrer Hand. »Einen Moment! Eine kleine Sache, deren Aufklärung sehr wichtig ist: Ihre Frau Mama wußte, daß ich nach Kudowa komme ….«

Sie verstand sofort. »Er hat uns auf der Terrasse belauscht!« schrie sie.

Eugen Sprauhn lächelte. Es war ein Lächeln, das die kalte Wut auf seinem Gesicht wegwischte. Es war wie eine Liebeserklärung und wurde auch so verstanden. Sie vergaßen beinahe, daß sie nicht allein im Zimmer waren.

Der Dritte meldete sich. Er sah die Blicke, das Lächeln, und die Eifersucht drohte ihn um seine Kaltblütigkeit zu bringen. Der Kampf zwischen den zwei Todfeinden verschob sich: Es ging nicht mehr allein um den Ausgleich einer alten Rechnung, sondern es ging um ein junges Weib.

»Sie haben gehört«, ließ sich de Reux jetzt vernehmen, »wie Fräulein Valerie entschieden hat? Ich glaube, wir haben uns also nichts mehr zu sagen. Mein Kind«, er wandte sich väterlich an Valerie, »laß dein Gepäck herunterbringen! And mach dich fertig!«

Sie zuckte zusammen, doch sie rührte sich nicht. Sie war schwankend geworden.


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