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10

Feststehender Grundsatz de Reux' war: Keine Verbindung zwischen der Marmorvilla und seinem eigenen Heim! Jenseits der undurchdringlichen Taxushecke war er Geschäftsmann, dessen Pflichten Liebenswürdigkeit und Aufmerksamkeit für seine Paying Guests waren und der genau darüber wachte, daß ihm keiner mit der Rechnung durchging. In der kleinen Villa lebte er für sich. Hier war er Privatmann, und eifersüchtig achtete er darauf, daß diese Unterscheidung nicht verwischt wurde. Jenseits der Hecke herrschten Luxus, Raffinement, Ausschweifung – diesseits Ruhe, das gleichmäßige Leben solider Wohlsituiertheit; Familienidyll konnte man beinahe sagen.

Die einzige Verkehrsmöglichkeit zwischen den beiden Häusern und ihren Gärten war eine eiserne Tür, die kein Schloß hatte. Nur ein Mechanismus öffnete sie, dessen Geheimnis, außer de Reux selbst, nur noch Madame Durand kannte.

Madame Durand war einmal – unter anderem Namen, an einem anderen Orte – die Geliebte de Reux' gewesen. Er hatte ihr sogar die Ehe versprochen, aber sie mußte sich jetzt mit der weniger familiären, dafür verantwortungsvolleren Stellung einer Hausdame in der Villa Plunkett begnügen. Sie war Wirtschafterin, betreute Küche und Keller, hatte die Wäsche unter sich und bezahlte die Rechnungen. Madame Durand war verläßlich, diskret und eine Perle.

Jeden Mittag, vor dem Lunch, erschien de Reux im Garten der Villa Plunkett, begrüßte seine Gäste, unterhielt sich mit ihnen und begab sich dann zur Konferenz mit seiner Vertrauten. Rechnungen wurden durchgesehen, Menüs zusammengestellt, Programme entworfen. Madame war jetzt so plump, dick und massig, wie sie ehedem, als sie noch in zärtlichen Beziehungen zu de Reux stand, schlank und gelenkig und wendig gewesen war. Denn das Alter trieb sie in die Breite, und ihr slawisches Gesicht war nun ebenso rot wie ihre Hände. Aber sie war eben eine Perle. Sie war für de Reux unersetzlich.

Auch an diesem Morgen wartete sie, wie jeden Tag, mit ihrem Wirtschaftsbuch auf ihn und war sehr erstaunt, als er, entgegen seiner Gewohnheit, das bereits geöffnete Buch zuklappte und ärgerlich beiseiteschob. Sonst rechnete er jeden Centime nach – und wehe, wenn ein Centime fehlte! Madame Durand, um einen halben Kopf größer und mindestens vierzig Pfund schwerer als er, erzitterte, wenn er ihr auf einen Rechenfehler kam.

»Das hat Zeit!« herrschte er sie an. »Weißt du, wer heute eine Spazierfahrt hier längs unserer Küste unternommen hat?« Seine dunklen Augen, die noch vor kurzer Zeit voll Liebe und Leidenschaft auf ein junges Geschöpf geblickt hatten, waren jetzt kalt, voll Haß und Drohung.

Die Durand konnte den Blick nicht aushalten. »Woher soll ich das wissen?« stotterte sie.

Er fand augenscheinlich eine Genugtuung darin, diese Frau zu quälen und zu martern. Sie hatte vor ihm nie einen eigenen Willen und nie eine eigene Persönlichkeit gehabt. Damals geradeso wenig wie heute. Sie lebte nur, um ihm zu dienen.

»Hast du vergessen, daß am achten Oktober Eugen Sprauhn aus dem Zuchthaus entlassen worden ist? Weißt du, welches Datum wir heute haben? Den Fünfzehnten! Er hat also genau eine Woche gebraucht, um uns aufzufinden.«

Die Frau wurde kreidebleich. Sie umspannte den Rand des Tisches, neben dem sie stand, mit ihren dicken, roten Fingern; sonst wäre sie umgefallen. Angst sprang ihr in das breite, vulgäre Gesicht. »Das kann nicht sein –!« zischte sie zwischen den Zähnen hindurch.

»Willst du mir vielleicht abstreiten«, höhnte er, was ich mit meinen eigenen Augen gesehen habe? Vor kaum einer halben Stunde fuhr er hier vorüber. Neben ihm der amerikanische Schnüffler Dale. Es ist zum Teufelholen!« Die Wut überkam ihn neuerdings. Er sprang auf und schritt im Zimmer auf und ab. »Alles umsonst, was ich gemacht habe!«

»Was kann man dagegen tun?« jammerte die Frau.

Sie sprachen französisch miteinander, weil das die Sprache ihres alltäglichen Umgangs war. Während jedoch de Reux die Sprache Voltaires beherrschte wie ein Franzose, schlug der Frau die Heimat bei jedem Wort ins Gesicht. Sie sprach ein tschechisch akzentuiertes Französisch: hart, ordinär, den Ton auf der ersten Silbe eines jeden Wortes.

»Was man dagegen tun kann?« äffte er ihr nach. »Vorläufig nichts! Wir müssen warten. Aber – –« Er machte eine Handbewegung, die ihr abermals alles Blut zum Herzen jagte.

»Nein –!« kreischte sie halblaut. »Das nicht!«

Er blieb stehen und schaute sie spöttisch an. »Du brauchst dich persönlich nicht zu bemühen! Wozu quälst du also dein zartes Gewissen?« Er nahm sein Hinundherlaufen wieder auf. »Da habe ich die Mutter und das Mädchen weggeholt, habe die Mutter versteckt …. Jetzt ist er da. Er darf sie nicht finden! Er wird sie nicht finden!«

»Wie willst du das verhindern?« wagte sie zu fragen.

Ein hämisches Lächeln verzog sein markantes Gesicht. »Wie ich das verhindern will? Ich werde ihn einladen, in dieser schönen Villa mein Gast zu sein. Er hat zwanzig Jahre lang im Kerker gesessen. Verstehst du, was das heißt? Früher war er der wilde Sprauhn, hat getrunken, sich mit Frauen herumgetrieben. Kannst du dir vorstellen, was diese zwanzig Jahre der Entbehrung für einen solchen Kerl wie ihn bedeuten? Er soll Luxus bei mir finden, Lebensfreude – mehr als genug! Und – – du weißt schon ….«

»Er wird dich erkennen und darauf verzichten, dein Gast zu sein!«

De Reux blieb mit einem Ruck stehen. Der Einwurf war nicht so ohne weiteres von der Hand zu weisen. Er brauchte einige Zeit, um ihn zu verdauen. »Er wird kommen. Wenn er mich erkennt, erst recht!«

»Er wird auch mich erkennen ….«

»Dich?« De Reux lachte amüsiert auf.

Madame Durand, in ihrer Eitelkeit verletzt, wagte Widerspruch. »Er wird mich nicht vergessen haben. Ich war hübsch und habe dem vornehmen Herrn gefallen.«

»Schau doch in den Spiegel und frage dich, ob du dich selber erkennst!«

Die Frau warf ihm einen giftigen Blick zu. Aber sie schwieg.


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