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3

Und in dieser Stimmung wurde ihm der Bruder gemeldet. Der Wärter, der ihn ins Sprechzimmer führte, konnte dem Sträfling kaum folgen, so schnell rannte der über die schmale Wendeltreppe hinunter. Als er Philipp in der funkelnagelneuen Felduniform vor sich saß, sprangen ihm die Tränen in die Augen. Er konnte nur stammeln: »Mein Gesuch –! Wenn der Kaiser –«

Er hielt erschrocken inne. Wie wenn einer zum Sprung ansetzt, plötzlich aber vor sich ein unerwartetes Hindernis erblickt und mitten in der Bewegung stockt. Das Aussehen seines Bruders erschreckte ihn. Philipp war nicht älter, er war alt geworden. Der große, starke Mann hielt sich vornübergebeugt. Seine Stimme, tief, voll ehedem, war klein, heiser. Er sah überallhin, nur nicht in die Augen Eugens, die ihn von oben bis unten absuchten.

Als dieser durch das Gitter nach Philipps Händen griff, überließ der sie ihm zögernd, ängstlich beinahe. »Eugen«, fing er hastig zu sprechen an, als wenn er allen Fragen zuvorkommen wollte, »ich weiß von deinem Gesuch …. Der Oberst Mattoni hat es mir gesagt. Ich bin zum Grafen Kolowrat nach Wien gefahren; er war doch der beste Freund von unserm Vater. Er hat mich auch sehr lieb aufgenommen, wirklich hat er mir eine Audienz beim Kaiser verschafft. Auch ihm hab ich gesagt, daß ein Sprauhn niemanden feig in den Rücken schießt, daß mein Bruder es nicht getan habe und daß man dir Gelegenheit geben solle, unsern alten Namen wieder ehrlich zu machen. Seine Majestät waren auch sehr liebenswürdig und haben mir versprochen, sich verwenden zu wollen. Also ich glaube, du kommst ins Feld –!«

»Und wenns sein muß, auch als Gemeiner«, rief Eugen. »Aber hier sitzenbleiben, das könnte ich nicht ertragen!«

»Ja – ja!« murmelte Philipp. Seine Stimme war leer.

Eugen zog ihn dicht an das Gitter heran; dieses Wiedersehen ließ ihn alles vergessen. »Philipp, was ist mit dir? Du hast, sie doch geheiratet ….«

Zum erstenmal blickte der ältere Bruder dem jüngeren ins Gesicht. »Ja, ich habe sie geheiratet ….«

»Nun, und –? Ihr seid doch glücklich? Sie liebt dich …. Sie hat doch geschworen für dich!« Er sagte das ohne Bitterkeit und ohne Vorwurf.

»Ja, sie hat für mich geschworen –«, wiederholte Philipp. Einen Augenblick stand er mit gesenktem Kopf – dann riß er sich in einem harten Entschluß zusammen, der schmerzen mußte. »Eugen – du warst es nicht?«

Die wilde Plötzlichkeit dieser Frage warf den Gefragten beinahe körperlich zurück. »So wahr ich Sprauhn heiße: Ich war es nicht!«

Philipp schien noch mehr zusammenzusinken. Er wurde ein ganz alter Mann. »Gott sei Dank!« sagte er leise. »Ich – ich muß jetzt gehen ….«

Eugen wollte ihn festhalten. »Philipp – –«

Da wendete sich dieser zurück und riß den Bruder an sich. Das Gitter hinderte nicht ihren heißen Abschiedskuß. Philipp schluchzte.

»Ich komm' dir bald nach!« tröstete Eugen.

»Leb wohl, Eugen!« Mit unsicheren Schritten ging Philipp von Sprauhn aus dem Sprechzimmer.

Fassungslos starrte Eugen ihm nach. Eine Ahnung kroch ihm eiskalt in der Seele herauf: Den sehe ich nicht wieder ….

Er kehrte in seine Zelle zurück und grübelte über das Rätsel, das der Bruder bot, und zählte die Stunden bis zu seiner eigenen Befreiung. Er wollte nicht nur ins Feld hinaus; er mußte in Erfahrung bringen, was aus seinem starken, aufrechten Bruder einen schwächlichen, niedergedrückten Menschen gemacht hatte.

Das Rätsel jener Nacht? Zweifel kamen und quälten und marterten ihn. Hatte etwa doch Philipp geschossen? Und er ließ es dann zu, daß ich, an seiner Stelle, im Kerker – –? Philipp? Nein –! Doppelte Verzweiflung, nur gebändigt durch die Hoffnung: Wenn der Kaiser mein Gesuch bewilligt – –


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