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Zwei Wochen nervenzerreibenden Wartens …. Dann der Bescheid: Nein. Begründung: Die Armee Seiner Majestät des Kaisers von Österreich kann in ihren Reihen keinen Soldaten dulden, der einen anderen Mann seige in den Rücken schießt. Die Gesuche der übrigen – einundzwanzig an der Zahl – wurden ausnahmslos bewilligt. Unter ihnen befanden sich zwei Totschläger, ein Brandstifter, zwei professionelle Einbrecher und drei notorische Messerstecher. Eugen Sprauhn aber war gleicher Gnade nicht teilhaftig geworden ….

Als ihm dieser Bescheid vorgelesen wurde, verfiel er in einen Paroxismus der Wut. Man mußte ihn in die Dunkelzelle sperren, damit sein Heulen die anderen Gefangenen nicht in Aufruhr brächte. Am vierten Tage war der Orkan vorbei. Er benahm sich von da ab ruhig und gefaßt. Aber in diesen drei Tagen war er eisgrau geworden ….

Nie wieder ließ er sich ungebührliches Benehmen zuschulden kommen, und der Direktor, der verstand, was in diesem Menschen vorgegangen war, teilte ihn der Kanzlei zu. Dort saß er Tag um Tag und verrichtete seine Arbeit. Von draußen her kam das Echo der großen Geschehnisse. Die Karparthenschlachten – der Sieg bei Gorlice – Eintritt Italiens in den Krieg –: Eugen Sprauhn vernahm das alles. Er richtete kein zweites Gesuch an den Kaiser.

Am 13. Juli 1915 wurde er ins Sprechzimmer gerufen. Seine Schwägerin Lisa …. Sie trug Trauer – und er wußte, was geschehen war. – »Er ist bei Gorlice schwer verwundet worden«, berichtete sie, »und noch im Feldspital gestorben …. Man hat ihn in Neu-Sandecz begraben. Ich will jetzt hinfahren.«

Zum erstenmal seit seiner Verurteilung standen sich die beiden gegenüber. Sie war noch immer schön, aber bitterer Kummer hatte auch ihr Gesicht dünn und schmal gemacht; in den großen braunen Augen hing unendliche Trauer. Sie selbst sah vor sich einen hageren Menschen, der ihr beinahe fremd geworden war. Er trug diese furchtbare Sträflingskleidung, und sein Antlitz war kalt und ausdruckslos.

Als sie vom Tode des Bruders sprach, nickte er nur leise vor sich hin. »Was willst du jetzt machen?« fragte er.

»Ich weiß es nicht. Es ist alles so trostlos!« Sie wendete sich zum Gehen und kam noch einmal zurück. »Eugen –! Hast du mir verziehen?« Sie stockte, als sie sah, wie sich sein Mund zu einer harten Linie zusammenpreßte. »Ich habe damals geschworen …. Ich habe Philipp immer geliebt …. und jetzt – jetzt hab' ich ihn für immer verloren!« –

Sechs Wochen später bekam er einen Abschiedsbrief Philipps. Der war auf Meldepapier mit Bleistift geschrieben und trug den amtlichen Stempel: »K. k. Feldspital Nr. 32a.«

Er las den Brief einmal, zweimal und hielt die zwei dünnen Blätter in der Hand, die schwer wogen, wie zwei Panzerplatten. Dann stand er auf und wollte sie zerreißen. Schon spannten sich seine Finger – doch ein Befehl feines Gehirns hielt sie fest. Die Wut machte der Ueberlegung Platz. Er faltete den Brief sorgfältig zusammen und verwahrte ihn. Einmal mußte der Tag kommen ….

Ein Jahr später erhielt er einen aus Wien datierten Brief Lisas. »Ich habe Raboritz verkauft. Ich kann dort nicht allein leben. Valerie muß in die Schule. Ich will bei ihr bleiben. Sie ist das einzige, das ich noch habe ….«

Dann nichts mehr. Dagegen kam von Dr. Schwarz-Äeller, dem Advokaten, der ihn verteidigt hatte, an Eugen die Nachricht, daß das Gericht einen Verwalter für das Fideikommiß bestellt hatte.

Der Krieg ging weiter. Der Mann hinter den Mauern des Zuchthauses lebte sein Leben still, kalt und unheimlich den Menschen, die mit ihm zu tun hatten. Im Jahre 1919 wurde aus dem österreichischen Königreich Böhmen die Tschechoslowakische Republik, und ein neuer Direktor hielt seinen Einzug in das Zuchthaus.

Eugen Sprauhn wurde gefragt, für was er optieren wolle: für das alte oder für das neue Vaterland? – Er antwortete kühl und gelassen: »Ich war einmal kaiserlicher Offizier. Das vergißt sich nicht!« – »Sie können fünf Jahre Ihrer Strafe erlassen bekommen!« riet ihm der neue Direktor. – Sprauhn zuckte die Achseln: »Liegt der neuen Republik so viel an einem Bürger, der für die alte Monarchie als Kanonenfutter zu schlecht war?«


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