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»Dann werden Sie aussagen müssen, Fanni!«


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33

Maurice packte den Koffer aus und hängte die Kleider über die Bügel. Er machte das sehr geschickt, beinahe elegant. Maurice hatte wegen Totschlags zwölf Jahre im Zuchthaus zu Toulouse gesessen und war das Muster eines Kammerdieners. »Hat Monsieur eine angenehme Reise gehabt?« gestattete er sich zu fragen.

Hasse stand an dem Fenster, von dem aus man de Reux' Privatvilla überblicken konnte. »Ich bin zufrieden«, antwortete er. »Würden Sie so freundlich sein, Madame Durand zu mir zu bitten?«

Es dauerte nicht lange, und schwarze Seide knisterte durch die Tür herein. Madame Durand hielt ein großes Kuvert in der Hand, das sie mit würdevoller Verbeugung dem Gast überreichte.

»Hier sind die zweitausend Frank, Monsieur, die Sie mir freundlichst übergaben! Leider war es mir nicht möglich, den von Ihnen gewünschten Gebrauch davon zu machen.« Sie sagte das sehr höflich und ohne die geringste Spur von Spott. Sie schien wirklich zu bedauern, daß sie dem Wunsch eines so illustren Gastes nicht hatte dienlich sein können.

Hasse nahm das Kuvert und steckte es in die Tasche, ohne es zu öffnen. Er verstand: Kriegserklärung de Reux'. »Wollen Sie sich nicht setzen, Madame?« Er schob der Frau mit spöttischer Verbeugung einen Stuhl hin.

Sie erschrak. Ihre Augen, ohnedies nicht sonderlich intelligent, wurden stumpf.

»So nehmen Sie doch Platz, Madame!« Er deutete energisch nach dem Stuhl hin. »Oder wär's Ihnen lieber, wenn ich Sie ›Fanni‹ nenne?«

Der Schlag traf. Sie wurde bleich. Ihr Mund öffnete sich, als wollte sie etwas sagen; doch kein Wort brachte sie heraus. Ganz stumm und klein setzte sie sich auf eine Stuhlecke.

»Wissen Sie, bei wem ich jetzt war?« fing er an, indem er sich lang und breitbeinig vor sie hinstellte. »Bei Frau von Sprauhn. Sie hat mich über viele Dinge aufgeklärt, die mir bis jetzt unklar waren. Ich weiß jetzt Bescheid, Madame Durand – Pardon: Fanni! Oder soll ich bei ›Madame Durand‹ bleiben?«

Die Frau wand sich förmlich. Sie war ihm nicht gewachsen. Sie fürchtete ihn und noch mehr den anderen. Der plötzliche Angriff hatte ihr das bißchen Verstand zerschlagen, das sie besaß. Sie hockte da, die roten Hände auf den Schenkeln, schwer atmend, den Mund halb offen.

»Warum erschrecken Sie so?« fuhr ihr Quälgeist fort »Ihr Herr und Meister hat ja gewußt, daß ich nach Kudowa fuhr. Er hat damit rechnen müssen, daß die Wahrheit herauskäme …. Ich gehe noch einmal vor Gericht; ich werde die Wiederaufnahme des Prozesses beantragen. Dann werden Sie aussagen müssen, Fanni! Sie und Herr de Reux!«

Sie schloß den Mund, riß ihn wieder auf und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Sie hatte keinen Tropfen Blut im Gesicht. »Ich weiß nicht, was der gnädige Herr will –!« stammelte sie. Auf deutsch …. In ihrem Schrecken fiel die Würde der Hausdame von ihr ab. Sie wurde das, was sie früher war. Und sie sprach zu dem Manne vor ihr, wie sie früher zu ihm gesprochen hatte.

Sprauhn glaubte keinen Augenblick daran, daß sie de Reux verraten würde; dazu fürchtete sie ihn zu sehr. Er wollte aber auf die Kriegserklärung antworten. De Reux sollte wissen, woran er war! Das gehörte zu dem Spiel mit den offenen Karten: Ich habe das gemacht – was tust du jetzt? »Ueberlegen Sie sich's, Fanni! Viel Zeit lasse ich Ihnen nicht! Und wenn Sie als Zeugin vorm Gericht stehen und wenn man erfährt, was Sie an Frau von Sprauhn und an uns allen verbrochen haben, kommen Sie genau so ins Zuchthaus – wie er! Dort sieht es anders aus als hier, in solchen eleganten Zimmern. Ich weiß es, Fanni: Ihr habt mich dorthingeschickt ….«

»Ich nicht, gnädiger Herr!« Es sah aus, als wolle sie sich vor ihm in die Knie werfen. »Ich habe nichts getan! Ich weiß nichts!«

»Erinnern Sie sich daran, ob Sie wirklich nichts wissen! Ich warte bis heute Abend. Sie werden ja jetzt schleunigst zu de Reux rennen? Tun Sie das! Und, Madame, sollte mir jetzt in dem von Ihnen so vortrefflich geleiteten Hause etwas Menschliches zustoßen, zum Beispiel eine Verdauungsstörung, die mit jähem Tode endet – Sie verstehen, nicht wahr? –, so habe ich Vorsorge getroffen, daß die Polizei dann sofort weiß, wo sie anzupacken hat!«

Die Frau nickte nur. Ihr drehte sich alles. Sie war Werkzeug, nichts anderes: ein stumpfes Werkzeug, das nur Wert hatte, wenn es gebraucht wurde. Sie wandte sich zur Tür.

»Noch eins, Madame! Wo ist Mrs. Blythe?«

Die Frau drehte sich um. »Mrs. Blythe? Die ist abgereist ….«

»Abgereist? Soviel ich weiß, hatte sie nicht die geringste Absicht, Monte Carlo zu verlassen. Wir haben sogar noch einen Ausflug miteinander verabredet, wenn ich zurückkäme. Warum ist sie denn plötzlich fort?«

Madame Durand griff nach der Türklinke. Sie mußte sich halten. Ihre Gesichtsfarbe war gelb. »Ich weiß nicht, gnädiger Herr – ich weiß nicht …. Sie hat nichts gesagt. Sie ist gleich am Morgen nach dem gnädigen Herrn mit unserem Auto nach Paris gefahren ….«

»Nach Paris? So –?«


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