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20

Man tanzte ein bißchen, man trank ein bißchen. Man amüsierte sich. So ging die Zeit hin bis gegen elf, halb zwölf. Dann plötzlich ertönte irgendwo im Hause ein Gong. Die Gruppen, die sich verteilt hatten – im Garten, auf der Terrasse, in den Zimmern –, strömten herbei. Man sammelte sich im großen Salon, in dem die Diener inzwischen einen Kreis von Stühlen aufgestellt hatten. Man nahm Platz; de Reux trat in die Mitte und ließ eine kleine Conférence vom Stapel.

»Meine Herrschaften! In meinem Bemühen, Ihnen immer etwas Neues zu bieten, habe ich einen guten Fang getan. Durch einen meiner Agenten erfuhr ich, daß nicht weit von hier, auf Korsika, eine kleine Tragödie im Gange ist, die, rein menschlich genommen, auch uns interessieren dürfte. Zwei junge Burschen bewerben sich um die Gunst eines jungen Mädchens. Eine alte Geschichte, nicht wahr? Sie ereignet sich auch in Gegenden, die weniger romantisch sind als die Berge von Korsika, auf die nur Gendarmen, Banditen und Ziegen hinaufklettern können. Die beiden Burschen sind arm, und das Mädchen ist noch ärmer. Das Schlimmste aber ist, daß sich Lucia nicht entschließen kann, wem sie ihre Neigung zuwenden soll; denn beide Verehrer lieben sie mit gleicher Glut und Hingebung. Die Damen werden gewiß verstehen, daß in einem solchen Falle, da die Rivalen einander würdig sind, die Wahl sehr schwer fällt. Pietro und Giacomo, die zwei jungen Männer, sind schon oft in ihrer Heimat aneinandergeraten. Die Familien aber, vor dem Fluch der Vendetta zitternd, haben sich jedesmal eingemengt und sie daran verhindert, den Kampf bis zur Entscheidung auszutragen. Ich hörte, wie gesagt, zufällig durch einen meiner Agenten von der Sache und habe den drei Personen dieses ländlichen Dramas vorgeschlagen, den Streit hier, in unsrer schönen Villa, zu beenden. Es gibt natürlich in einem solchen Leidenschaftsfall nur einen Ausweg – den tragischen: Einer der beiden Rivalen muß verschwinden; denn nur einer kann die schöne Lucia besitzen. Wir haben uns daher geeinigt, daß Pietro und Giacomo hier in diesem Kreise vor Ihnen um Lucia kämpfen werden. Auf Leben und Tod. Es ist dies ein Schauspiel, das vielleicht nicht nach jedermanns Geschmack ist, aber, meine Herrschaften, durch seine Eigenart gewiß einen großen Reiz auf Sie alle ausüben muß. Wenn Sie also nichts dagegen haben, werde ich meine drei Akteure eintreten lassen.«

Einen Moment lang erschrockenes Schweigen. Einer sah den anderen an und sah schnell wieder weg. Mrs. Blythe lachte ein nervöses, krächzendes Lachen. »Die beiden sollen sich in unsrer Gegenwart abschlachten?«

»Aber, meine Gnädige«, widersprach de Reux mit all seiner Liebenswürdigkeit, »warum ein so – verzeihen Sie den Ausdruck! – vulgäres Wort? In unseren Kreisen, sogar hier unter meinem Dach, wird doch auch um Liebe gekämpft, nicht wahr? Wir sind keine Höhlenmenschen mehr. Aber warum sollen wir uns nicht am Anblick des Primitiven ergötzen? Indessen –: Wenn die Herrschaften meinen, daß es für ihre Nerven eine zu gefährliche Probe sei, können wir es ja lassen!«

Hasse saß da voller Spannung. Waren diese Menschen wirklich so weit, daß ihnen eine solch furchtbare Nervenaufpeitschung den Genuß bot, den harmlosere Freuden ihnen nicht mehr zu schaffen vermochten? Lange schwankte die Gesellschaft zwischen Furcht und Gier und Gier und Furcht – und kam zum Schluß doch überein, sich das Schauspiel anzusehen.

De Reux lächelte. Er hatte augenscheinlich ein anderes Ergebnis gar nicht erwartet, und auf seinen Wink erschienen zwei Neger, die in der Villa Plunkett als Diener fungierten. Sie brachten eine Kokosmatte herein, die sie in dem Kreis zwischen den Gästen ausbreiteten.

»Das ist die Bühne der Leidenschaft«, sagte de Reux. »Und jetzt erscheinen die Akteure selbst.«


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