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Der versiegelte Briefumschlag


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18

»Das ging ja schnell?« meinte Dale. »Schneller, als Sie erwartet hatten?«

»Stimmt!« gab Hasse zu. »Zu schnell!«

Sie saßen in der Mittagssonne auf der Terrasse des Café de Paris. Um sie herum das übliche Treiben; weltkrisenhaft gedämpft, aber immerhin noch lebhaft und bunt genug. Musik. Auf dem Platz vor dem Kasino dröhnten die großen Expreßcars und Touringcars, in denen man die Fünfdollar-Touristen an der Riviera spazierenführte.

»Diese allzu schnelle Einladung ist verdächtig«, fuhr Hasse nach einiger Zeit fort. »Man hat mich natürlich sofort erkannt. Kein Zweifel! Und –«

»Kalte Füße?« fragte der Amerikaner, in dessen Heimat »kalte Füße« dasselbe hieß wie »es mit der Angst kriegen«.

»In gewissem Sinne ja. Sie haben selbst Andeutungen gemacht: ›Haus aus tausend Laster‹ …. Was hab' ich davon, wenn man mir meine Suppe oder meinen Kaffee mit irgendeinem Gift würzt?«

Dale zog ein Gesicht. »Teufel! Daran hab' ich noch gar nicht gedacht! Aber ich halte es für ausgeschlossen. De Reux weiß, daß die Behörde ein wohlwollendes Auge auf ihn hat. Er hat schon vor drei Jahren mal einen Fall gehabt, der sehr verdächtig aussah und der sogar die Polizei hier bei uns interessierte. Er wird vorsichtig sein.«

»Ich habe mir das genau überlegt: Das Risiko muß ich schließlich eingehen. Sollte mir etwas passieren, Dale –« er holte aus der Tasche einen versiegelten Briefumschlag hervor und gab ihn dem Amerikaner, »– dann öffnen Sie, bitte, dieses Kuvert! Sie werden darin Material genug finden, um Herrn de Reux beim Kragen zu packen. Meinen Zweck erreiche ich dann wohl nicht; aber – –« Er zuckte die Achseln.

»Sie kennen ihn also?«

»Ich glaube es. Der Mann hat sich seither verändert. Ganz sicher bin ich meiner Sache noch nicht.«

Nachmittags um vier Uhr erschien vor dem Hotel de Paris eine große Limousine und holte Herrn Robert Hasse ab, um ihn in die Villa Plunkett zu bringen.

Madame Durand, ganz in schwarzer Seide, voll Würde und Wohlwollen empfing den neuen Gast und geleitete ihn selbst in das für ihn bestimmte Appartement. Ein geschmackvoll eingerichteter Wohnraum, daran anschließend ein Schlafzimmer mit Garderobe und Toilette. Üppig, luxuriös, dem verwöhntesten Geschmack entsprechend.

»Ich hoffe, Herr Hasse werden zufrieden sein …. Wir haben noch elegantere Räume, aber die sind meistens für die Damen bestimmt.«

Hasse dachte an die Zelle zurück, die er zwanzig Jahre lang bewohnt hatte. »Ich bin, offen gestanden, solchen Luxus nicht gewöhnt«, sagte er. »Aber schließlich werde ich mich bald darin zurechtfinden. Auf jeden Fall will ich mich bemühen, in diesem Bett so gut wie möglich zu schlafen.«

Madame erklärte ihm dann noch den Gebrauch der verschiedenen Klingeln. »Sie brauchen nur einen Wunsch zu äußern, Monsieur – er wird Ihnen sofort erfüllt. Und wenn ein Diener seine Pflicht verabsäumt, so sind wir unseren Gästen dankbar, wenn sie uns darauf aufmerksam machen. Gespeist wird um acht Uhr abends. Sie können oben speisen oder auch unten, mit den anderen Herrschaften zusammen – ganz, wie Sie wünschen, Monsieur! Bei uns tut und läßt jeder, was er will. Am zehn Uhr versammelt man sich im großen Salon, und Herr de Reux gibt sich die Ehre, seine Gäste zu unterhalten.« Madame Durand verbeugte sich, und die Goldkette, die ihr über den umfangreichen Busen herabhing, klirrte.

Herr Robert Hasse erwiderte die Verbeugung und begleitete Madame bis an die Tür. Dann blieb er stehen. Er war allein, und die Maske fiel. Was sich zeigte, war ein Mensch, der sich kaum noch zu beherrschen vermochte. Die Wut hatte in ihm gestürmt, während er der Frau gegenüberstand, denn er hatte diese Frau in der ersten Minute erkannt. Und er wußte jetzt auch, wer Herr de Reux war ….


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