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9

Als eine halbe Stunde später Valerie sich zu ihm setzte, merkte sie ihm nichts an. Wie immer, mit äußerster Sorgfalt, genau nach den Vorschriften der internationalen Eleganz, gekleidet, leistete er ihr Gesellschaft, während sie mit Appetit ihre Schinkeneier verzehrte und ihren Wermut schlürfte.

Wie immer hatte er die liebevolle Frage: »War es schön?«

Wie immer gab sie dieselbe Antwort: »Herrlich!«

»Du sollst aber doch vorsichtig sein!« mahnte er. »Eines Tages wirst du den Sonnenbrand haben!«

»Ich bin die Vorsicht selbst, Onkel! Aber ich muß das große Ziel erreichen, das ich mir gesteckt habe: Ich will so braun anlaufen wie Jerry! Braun ist die Farbe der Gesundheit, der Intelligenz.«

»Und wie steht's mit der Schönheit?«

Valerie zuckte die Schultern. »Schönheit? Ein Begriff, den ihr Männer erfunden habt!« Sie sprang auf, streckte die Arme von sich. »Onkel, es ist wundervoll, zu leben!« Sie stand einen Augenblick da, wie wenn sie sich die Bedeutung dieses Geständnisses erst selbst recht klarmachen müßte. Dann glitt sie zu ihm hin und schmiegte den Arm um seinen Hals.

»Ich bin dir ja so dankbar, daß du mich hierhergebracht hast? Schade, daß die Mutter – –«

So nahe war sie ihm, daß er ihren Atem an seiner Wange spürte. Er legte seinen Arm um ihre Hüfte, genoß ein paar Herzschläge lang ihre körperliche Nähe. Dann machte er sich wieder frei und stand auf. »Ich bin froh, daß du einsiehst, wie gut ich's mit dir meine!« sagte er. »Im Anfang fürchtete ich, ihr dächtet euch Gott weiß was. Ich habe wirklich nur euer Bestes im Auge. Ich bin nicht umsonst ein alter Freund deiner Mutter. Ich habe deinen Vater gekannt ….« Er schien sich zu besinnen, daß es nicht ratsam sei, dieses Thema vor seinem Schützling anzuschlagen. Es lag gewiß nicht in seinem Interesse, traurige Erinnerungen heraufzubeschwören – besonders jetzt nicht, da die Vergangenheit an seine Tür klopfte …. »Ich hätte deine Mutter gern mit hierhergenommen in dieses Paradies«, fuhr er fort. »Aber du weißt ja selbst: Die Aerzte fürchten für ihr Herz. Die Rivieraluft ist feucht und schwer. Und deine Mutter braucht Höhe und trockene Luft.«

»Das ist richtig, Onkel«, gab Valerie zu, und ihr Gesicht wurde ernst. »Es war zuerst nur so schwer, mich von ihr trennen zu müssen. Du weißt ja: Wir zwei haben nicht wie Mutter und Tochter zusammen gelebt, sondern wie zwei Schwestern. Ich mache mir oft Vorwürfe. Ich lasse es mir hier gut gehn. Ich – –«

»Zu diesem Zweck bist du ja hier!« lächelte er zurück. »Deine Mutter ist in ausgezeichneter Behandlung, und im Sommer fahren wir dann zu ihr.«

»Du bist der beste Mensch auf der Welt!« rief das Mädchen, ergriff seine Land und legte sie gegen ihre Wange.

Schwere Prüfung für ihn: still dabei zu lächeln – so zu lächeln, wie ein guter Onkel eben lächelt …. »Was sind deine Pläne für den Vormittag?« fragte er.

»Ich hab' von dem alten Kapuzinerkloster Annunziata gehört, das oberhalb Menton liegt. Es soll wunderschön sein. Und der Jüngste der Patres, die dort hausen, ist fünfundsiebzig Jahre alt. Dieser Ausflug ist also vom religiösen Standpunkt aus durchaus empfehlenswert und vom moralischen aus ungefährlich. Hast du etwas dagegen, Onkel?«

»Hab' ich je etwas gegen deine Pläne?« entgegnete der gute Onkel. Ich bitte dich nur: Nimm den Chauffeur mit! Als Fahrerin bist du noch nicht sicher genug.«

»Es ist ungalant, einer jungen Dame die Schwächen ihrer Bildung unter die Nase zu reiben, Onkel! Aber da du nun einmal ein Tyrann bist, füge ich mich und werde Anselm mitnehmen.«

Der Ausflug war gar nicht nach dem Sinne de Reux'. Was geschah, wenn Sprauhn ihr auflauerte und sie auf der Straße stellte? Gab es überhaupt ein Mittel, das zu verhindern? Kaum. Er mußte alles der Entwicklung überlassen.

Sie warf ihm eine Kußhand zu, pfiff ihrem Hund, flitzte ins Haus. Und er ging, die Hände in den Hosentaschen, mit gesenktem Kopf auf der Terrasse auf und ab. Von drüben her, vom Garten der großen Villa, kamen Radioklänge und Gelächter. Seine Gäste ergingen sich in frischer Vormittagssonne und ergaben sich etwas weniger raffinierten Genüssen, als sie es zur Nachtzeit taten, wenn die Fenster, die auf die Marmoraltane hinausführten, durch schwere Samtvorhänge verschlossen waren. Wenn die großen Hunde wachsam durch den Garten strichen. Wenn sein Geschäft blühte.

Dann vernahm er das Surren eines Motors und Jerrys freudiges Freudengekläff. Valerie startete zu ihrem Ausflug.


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